Der Kampf um ein säkulares Indien

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Verwundete Männer nach den kommunalen Auseinandersetzungen in Muzaffarnagar, Uttar Pradesh, am 19. September 2013. Rund 48 Menschen verloren in dem Konflikt ihr Leben und tausende Familien leben bis heute in Notunterkünften

Der Begriff “Kommunalismus” hat in Südasien, vor allem aber in Indien, eine besondere Bedeutung angenommen, die von den Worten “Kommune” oder “Kollektivismus“, die sich beide auf Harmonie und ein friedliches Zusammenleben beziehen, abweicht. In Indien versteht man unter Kommunalismus das extrem stark ausgeprägte Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten religiösen Gemeinschaft, was unweigerlich eine Polarisierung der Gesellschaft nach sich zieht, wie es 1947 der Fall war, als die Gesellschaft des indischen Subkontinents auf der Basis von gegenseitigem Hass in Hindus und Muslime gespalten wurde und es zur Gründung von Indien und Pakistan kam.

Bei den 2014 stattfindenden Parlamentswahlen, für die die Bharatiya Janata Party (BJP, die hindunationalistische Partei) Narendra Modi als ihren Spitzenkandidaten aufgestellt hat, ist mit einem erneuten Aufflammen des Kommunalismus zu rechnen. Die sogenannte Hindutva-Agenda, deren Ziel die Schaffung eines theokratischen Staates ist, erhält dabei durch die BJP neue Impulse, die hofft, die Wählerschaft entlang religiöser Linien aufspalten zu können, um die Mehrheit der Hindu-Stimmen für sich zu gewinnen. So ist es den jüngsten Zusammenstößen zwischen Hindus und Muslimen in Muzaffarnagar, im westlichen Teil von Indiens größtem Bundesstaat Uttar Pradesh gelungen, die Kluft zwischen Jat-Hindus und der muslimischen Bevölkerung erneut aufzureißen, sodass die ersteren nun mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Stimme der BJP geben werden.

Historischer Hintergrund

Der Ursprung dieses Hasses zwischen Hindus und Muslimen lässt sich in die Zeit der 200 Jahre währenden der britischen Kolonialherrschaft zurückverfolgen, in der die Kolonialherren zur Kontrolle des indischen Volkes eine effektive “Teile-und-Herrsche” Politik verfolgten. Dies führte im 20. Jahrhundert in Indien zum Auftauchen eines aggressiven hinduistisch-muslimischen Kommunalismus, der nicht nur den Subkontinent in zwei Länder spaltete (zu denen sich 1971, als aus Ostpakistan Bangladesh wurde, ein drittes gesellte), sondern wodurch der Samen der Zwietracht und des Hasses gesät wurde, unter denen diese Region noch heute leidet. Die Hindu Mahasabha (die große Versammlung der Hindus) wurde von V.D. Savarkar gegründet, während B. Hegdewar in den 1930er Jahren die Rashtriya Sevak Sangh (RSS, Nationale Freiwilligenorganisation) ins Leben rief. Das Weltbild von Savarkar und Hegdewar, die Historikern zufolge enge Beziehungen zu den Faschisten unterhielten, ähnelte stark der Doktrin der Nationalsozialisten in Deutschland. Einem Kronzeugen zufolge war Savarkar auch einer der Mitverschwörer, der mitverantwortlich für die Ermordung Gandhis durch den Hindu-Fanatiker Nathuram Godse war. Die RSS und Hindu Mahasabha wiesen ihre Mitglieder an, sich vom Unabhängigkeitskampf fern zu halten, weil für diese rechtsradikalen Gruppen der wahre Feind nicht die Briten waren, sondern die Muslime.

Die All India Muslim League wurde 1906 in Erwiderung auf die vom damaligen Indischen Nationalkongress angeführte Unabhängigkeitsbewegung ins Leben gerufen. Die Muslim-Liga war eine kommunal ausgerichtete Organisation, die sich als politischer Retter der Muslime verstand. Ihr erklärtes Ziel war, die Muslime dazu zu bewegen, der britischen Regierung treu zu bleiben, auf die Wahrung der Rechte der Muslime zu achten und das Aufkommen “von abträglichen Gefühlen anderen indischen Glaubensgemeinschaften gegenüber” zu verhindern. Was den letzten Punkt angeht, geschah eigenartigerweise das genaue Gegenteil, als sich diese  Organisation gezielt darum zu bemühen begann, unter den Muslimen ein Gefühl der Ausgrenzung vom “Indien der Hindus” zu verbreiten. Sie bildete den Gegenpol zur säkularen, nationalen Unabhängigkeitsbewegung unter Führung von Gandhi, Jawahahrlal Nehru, dem späteren ersten Premierminister des unabhängigen Indiens, Maulana Azad, Sardar Patel, Rafi Ahmed Kidwai und anderen. Die Haltung der Muslim-Liga verhärtete sich mit den Jahren weiter, bis sie unter der Führung von Muhammad Ali Jinnah die Schaffung eines separaten Staates für Muslime forderte. Von den Briten wurde diese Politik der Teilung unterstützt, sodass es schließlich 1947 zur religionsbasierten Spaltung des indischen Subkontinents in Indien und Pakistan kam.

Die RSS, Hindu Mahasabha und Muslim-Liga lehnten den Kongress und die Unabhängigkeitsbewegung ab, die sich zu einer säkularen Plattform entwickelt hatte und das Ziel verfolgte, Indien zu einer demokratischen Republik zu gestalten, in der die Religion im Staatswesen keinen Platz haben sollte. Rechtsextremistische Gruppen der Hindus wie auch Muslime wurden von den Briten gefördert, denen es gelegen kam, den Forderungen der Muslim-Liga nach einer Spaltung Indiens nachzugeben, wonach es zu den brutalsten religionsbasierten Ausschreitungen kam, die diese Region je erlebt hatte. Es wurden tausende Menschen beider Religionen umgebracht, während Hindus und Muslime aus ihrer Heimat flohen, um sich auf der jeweils anderen Seite der Grenze in Sicherheit zu bringen. Die damals begangenen Gräueltaten rissen auf beiden Seiten tiefe Wunden auf, die bis heute nicht völlig verheilt sind.

Aus den Trümmern der Gewalt entstand Pakistan als muslimische Nation auf der eigenartigen Suche nach Gleichheit und Gerechtigkeit. Aus Indien wurde, nachdem sich Nehru und seine Mitstreiter trotz starken Drucks von innen jeglichen Versuchen widersetzten, das Land zu einer Hindu Rashtra (Nation der Hindus) zu erklären, eine demokratische Republik. Später dann, als Indira Gandhi Premierministerin war, kam es zu einer Änderung der Verfassung, deren Präambel um die Begriffe ”säkular” und “sozialistisch“ erweitert wurde, so dass 1976 aus der ursprünglich “souveränen demokratischen Republik Indien” durch die 42. Verfassungsänderung die “souveräne, sozialistische, säkulare und demokratische Republik Indien” wurde. Damit sollte eindeutig zu verstehen gegeben werden, dass jeder Bürger die Freiheit und das Recht besitzt, seinen Glauben auszuüben, es aber keine Staatsreligion gibt und von den Landesregierungen alle Glaubensbekenntnisse und religiösen Praktiken unterschiedslos respektiert und anerkannt werden müssen.

Die Bildung Indiens und Pakistans als zwei unabhängige Nationen war von einer Welle unvorstellbarer Gewalt begleitet, die dunkle Schatten über die damaligen Feierlichkeiten warf. Die Ermordung Gandhis durch kommunale Kräfte war ein weiterer schwerer Schlag für die junge Nation, deren Jubel darüber, endlich eine freie Nation zu sein, half, auch diesen Schmerz zu verwinden. Allerdings konnte diese Freiheit den Kommunalismus nicht besiegen, der sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verbreiten begonnen hatte, sodass es in Indiens demokratischer Landschaft schon bald zum Ausbruch inter-religiöser Ausschreitungen kam. Hindus und Muslime kämpften erbittert gegeneinander, getrieben von Gerüchten und Lügen, die von skrupellosen Interessengemeinschaften mit dem Ziel verbreitet wurden, die säkularen Kräfte zu schwächen und die Gesellschaft nach religiösen Zugehörigkeiten aufzuspalten. Sofortiges Eingreifen und vorbeugende Maßnahmen konnten jedoch verhindern, dass in den ersten Jahren, in denen das junge Indien seine Freiheit genoss, die Situation außer Kontrolle geriet.

Kommunalismus im heutigen Indien

Das sollte allerdings nicht lange so bleiben. Zu Beginn der 1970er Jahre kam es in den unterschiedlichsten Teilen Indiens erneut zu schweren kommunalen Zusammenstößen. Am schlimmsten betroffen waren die Bundesstaaten Uttar Pradesh und Bihar, wo blutige Auseinandersetzungen zwischen religiösen Gemeinschaften unsägliches Leid verursachten und die 1980er Jahre zum blutigsten Jahrzehnt seit Erlangen der Unabhängigkeit machten. Assam wurde praktisch in einen Bürgerkrieg verwickelt, bei dem tausende Menschen im ganzen Bundesstaat auf brutalste Weise ermordet wurden, als einheimische Assamesen Migranten aus Bangladesh (meist Muslime) mit tödlichen Absichten angriffen. Dorfbewohner griffen Dorfbewohner mit Schwertern, Pfeil und Bogen und Speeren an. Es waren Szenen, die an Kriege aus dem Mittelalter erninnerten. Delhi, Indiens Hauptstadt, ging 1984 in Flammen auf, als die damalige Premierministerin Indira Gandhi von ihren Sikh Bodyguards ermordet wurde und Mobs Angehörige der Sikh-Gemeinschaft angriffen. In drei Tagen kamen nicht weniger als 3000 Sikhs ums Leben. Auch in Kaschmir kam es zu Gewalttaten gegen Sikhs und Hindus, die aus ihrer Heimat im Kaschmir-Tal vertrieben wurden, von dem danach militante Gruppen Besitz ergriffen. Zur gleichen Zeit kamen in Uttar Pradesh und Bihar hunderte von Menschen bei schweren Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen und Zusammenstößen mit der Polizei ums Leben, als diese das Feuer auf unschuldige Menschen eröffnete.

Im Jahr 1992 wurde eine alte Moschee in Ayodhya im Bundesstaat Uttar Pradesh, die von kommunalen Kräften systematisch zerstört wurde, in ein Schlachtfeld verwandelt, während das säkulare Indien fassungslos zuschaute. In ganz Indien brachen Unruhen aus, deren Hauptlast dieses Mal Mumbai zu tragen hatte.

Mit den Jahren war deutlich geworden, dass sich inter-religiöse Konflikte nicht rein zufällig ereignen, sondern inszeniert werden. Denjenigen, denen daran gelegen ist, sich die Unterstützung von Hindus oder Muslimen zu sichern, beginnen Tage, wenn nicht sogar Wochen im Voraus in unter ihrem Einfluss stehenden Lokalitäten Gerüchte zu verbreiten. Lügen und Verzerrungen der Wahrheit zielen darauf ab, Misstrauen zu wecken und Hass zu schüren, und so eine explosive Athmosphäre zu schaffen. In Delhi versammelte sich ein Hindu-Mob an der Eisenbahnlinie vor den Toren der Stadt, angetrieben von dem Gerücht, dass aus Pakistan Züge voller ermordeter Hindus eintreffen würden. Der Mob, der auf Vergeltung aus war, hielt die Züge an, zerrte die Sikh-Passagiere heraus, ermordete sie und warf ihre Leichen zurück in die Züge. Dieses Gerücht kostete mehr als 200 Sikhs das Leben. Es war ein Vergeltungsakt für einen Zwischenfall, der sich gar nicht ereignet hatte und bei dem bezeichnenderweise kein einziger Hindu ums Leben kam. 

In Assam führte ein Gerücht über einen geplanten Angriff auf ein Dorf dazu, dass dessen Dorfbewohner die Bewohner anderer Dörfer angriffen. In diesem Bundesstaat in Indiens Nordosten wurden so Menschen, die glaubten, um ihr Leben fürchten und sich verteidigen zu müssen, zu Mördern. Die Ausschreitungen breiteten sich in Windeseile über den gesamten Bundesstaat aus und sogar paramilitärischen Kräften gelang es wochenlang nicht, dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten. In Aligarh, einer der zahlreichen Städte in Uttar Pradesh, kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen zwei religiösen Gemeinschaften, weil ein junges Mädchen der einen Glaubensgemeinschaft angeblich von einem jungen Mann der anderen vergewaltigt worden war und dieser junge Mann daraufhin von einem jungen Mann der anderen Gemeinschaft ermordet wurde. Muzaffarnagar im westlichen Uttar Pradesh, sah kürzlich das Ende eines langjährigen friedlichen Nebeneinanders der Jat-Gemeinschaft und muslimischen Bevölkerung, nachdem wochenlang das Gerücht umging, dass die Muslime einen “Love-Jihad” gegen die Töchter von Hindufamilien geplant hätten. “Eure Töchter und Schwiegertöchter sind nicht länger sicher” hieß das Gerücht, das zu zahlreichen Morden führte und tausende andere aus ihren Dörfern vertrieb. Ein Politiker der Bharatiya Janata Party, die aus den Parlamentswahlen von 2014 unbedingt als Sieger hervorgehen will, veröffentlichte im Internet ein Video über einen jungen Mann, der brutal von Muslimen zusammengeschlagen wird. Es erübrigt sich zu sagen, dass dies zu einem erneuten Aufflammen der Unruhen führte. Später stellte sich heraus, dass es sich um das Video eines Zwischenfalls in Sialkot in Pakistan handelte, das von diesem Politiker verwendet wurde, um die Massen erneut gegeneinander zu hetzen.

Es lassen sich hunderte solcher Beispiele anführen, die alle bestätigen, dass inter-religiösen Konflikten Gerüchte und Lügen vorausgehen, die eine Atmosphäre der Hetze zwischen den Glaubensgemeinsachften provozieren. Bei jeder dieser religiös motivierten Auseinandersetzungen in Indien gibt es diejenigen, die den Ausbruch von Gewalt anstacheln und die Machtinhaber, die versagen, die Zusammenstöße und ihre Ausbreitung zu verhindern und die Schuldigen zu bestrafen. Das Pogrom an Muslimen in Gujarat wurde von der rechtsradikalen Hindutva-Brigade unter den Augen des BJP Ministerpräsidenten Narendra Modi inszeniert. In Delhi wurden 1984 unter den Augen der regierenden Kongress-Partei Sikhs von Mobs ermordet, die von der Kongress-Partei angeführt wurden. Und 2013 in Muzaffarnagar war es die BJP, die durch die Verbreitung von Gerüchten unter den religiösen Gemeinschaften für die Schaffung einer Atmosphäre des Misstrauens und Argwohns sorgte, doch es war die vorgeblich säkulare, von der Samajwadi-Partei geführte Landesregierung, die es versäumte, den Konflikt zu verhindern und unter Kontrolle zu bringen. Dies lässt unweigerlich die Vermutung aufkommen, dass eine solche Haltung angesichts der bevorstehenden Wahlen für beide Parteien von Vorteil war.

Kommunalismus und Wahlen

Die Ausbrüche religiös motivierter Gewalt in Indien stehen in einem direkten Zusammenhang mit dem politischen Wahlkampf. Nach dem Pogrom gegen die Sikh 1984 kam es erstmals in der Geschichte des unabhängigen Indiens zu einer Konsolidierung der Hindu-Stimmen, die der Regierung von Rajiv Gandhi mit 400 Parlamentssitzen im Lok Sabha (Unterhaus) zum Sieg verhalf. Bei dieser Wahl spielten zum ersten Mal Kaste und Herkunft keine Rolle und die Hindus wählten mit einer Stimme, was politischen Parteien wie der BJP und Kongress-Partei Hoffnung gemacht hat, diesen Wahlerfolg irgendwann einmal wiederholen zu können. Als Narendra Modi, ein damals kaum bekannter Politiker bei den Landtagswahlen von 2002 in Gujarat mit einer möglichen Niederlage zu rechnen hatte, gelang es ihm, sein angeschlagenes Image durch blutige Ausschreitungen aufzubessern, die Tausenden das Leben kosteten. Er nutzte das Pogrom gegen die Muslime, um sich als Macho-Hindunationalist, als kompetenter Administrator und sachlichen Politiker zu projizieren.

Auch wenn es im Fall von Muzaffarnagar abzuwarten bleibt, wie sich diese Zwischenfälle auf den Wahlausgang auswirken werden, waren sie ein eindeutiger Versuch, die Wählerschaft zu spalten, um sich ihre Stimmen für die Parlamentswahlen von 2014 zu sichern. Jats und Muslime sind zwei der wichtigsten Wählergruppen des westlichen Uttar Pradeshs und wie bereits zuvor erwähnt, hatten sie vor den Ausschreitungen einen Maßstab für sozialen Frieden gesetzt. In diesem Teil des Landes sind Jats sowohl hinduistische als auch muslimische Landbesitzer, auf deren Feldern der ärmere Teil der muslimischen Landbevölkerung arbeitet. Dem Ausbruch von Gewalt in unterschiedlichen Teilen dieses größten und bevölkerungsreichsten indischen Bundesstaates gingen eine Reihe von Zwischenfällen voraus, die ein geheimes Einvernehmen zwischen der angeblich säkularen Samajwadi-Partei und der Bharatiya Janata Party vermuten ließen, denen es beiden darum geht, ihre jeweilige Wählerschaft zu konsolidieren; Im Falle der derzeit in Uttar Pradesh regierenden und von Mulayam Singh Yadav angeführten Samajwadi-Partei geht es explizit um die Stimmen der muslimischen Wählerschaft, und für die BJP mit dem Premierministerkandidaten Narendra Modi um die Wählerstimmen eines großen Teils der Hindu-Bevölkerung.

Die Ausschreitungen in Muzaffarnagar verliefen allerdings nicht wie von der Samajwadi-Partei geplant und griffen innerhalb weniger Stunden von den Städten auf die Dörfer über, wo sie außer Kontrolle gerieten. Heute noch, mehrere Wochen nach den ersten blutigen Zusammenstößen, hat sich die Lage nicht völlig normalisiert und es kommt immer wieder zu sporadischen Zwischenfällen, die die Kluft zwischen diesen beiden Religionsgruppen weiter vertiefen. Es kamen fast 60 Menschen ums Leben und 50.000 Muslime wurden aus ihrer Heimat vertrieben, als Dorfbewohner Menschen ausraubten, ermordeten und vergewaltigten, mit denen sie jahrzehntelang friedlich Seite an Seite gelebt hatten. Es war auch das erste Mal, dass Täter und Opfer aus ein und den gleichen Dörfern kamen, was bis heute den Vertriebenen die Rückkehr in ihre Häuser erschwert und ihnen nicht erlaubt, sich dort wieder halbwegs sicher zu fühlen. Die Landesregierung versäumte es, den Ausbruch der Gewalt zu verhindern, weil sie angeblich keinerlei Informationen gehabt habe und davon überrascht worden sei; sie versäumte es auch, das Übergreifen der Ausschreitungen auf die Dörfer zu verhindern, die auch jetzt noch nicht zur Ruhe gekommen sind. Und was noch schlimmer ist, sie hat so gut wie nichts zur Rehabilitierung der Opfer unternommen. In diesem Fall war eindeutig die Regierung der Verlierer, die das Vertrauen der Minderheiten verloren hat, die ihnen bislang treu waren. Alleiniger Nutznießer ist die BJP, die sich Berichten zufolge die Stimmen der Hindu-Jats sichern konnte. 

Kommunalismus ist heute leider ein fester Bestandteil von Indiens politischer Landschaft, weshalb von den Wahlen von 2014 mit aller Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass sie die Gesellschaft weiter polarisieren wird. Politischen Erfahrungen zufolge ist in Bihar und Uttar Pradesh, die zusammen 120 der insgesamt 545 Abgeordnetensitze der Lok Sabha stellen, mit weiteren Zusammenstößen zu rechnen. In diesen Bundesstaaten gibt es  einflussreiche regionale Parteien, die den bereits haarscharfen Machtkampf im Zentrum weiter verschärfen. Erfahrungen, nicht nur aus der Vergangenheit, sondern auch aus jüngsten politischen Ereignissen überzeugen Politiker immer wieder davon, dass eine Politik des “Teile-und-Herrsche” ihnen Macht sichert, weil gegenseitig ausgespielte Bevölkerungsgruppen leichter zu überzeugen sind, ihre Stimme denjenigen zu geben, von denen sie glauben, dass sie ihre Interessen am besten vertreten.

Schlussfolgerung

Säkulare politische Parteien und Organisationen schauen zwar nicht tatenlos zu, wirken aber angesichts dieser scheinbar nicht aufhaltbaren kommunalen Offensive schwächer als ihre Gegner. In den Bundesstaaten wirken regionale politische Parteien den hindunationalistischen Kräften mit Wahlfeldzügen entgegen, die weiter auf abgedroschenen Begriffen wie Pluralismus und friedliches Zusammenleben herumreiten. Nachdem muslimische Wähler aber einen beträchtlichen  Anteil der indischen Gesamtwählerschaft bilden und die meisten politischen Parteien auf diese Wählerschaft nicht verzichten können, wird man auch weiter diesen Kräften Widerstand entgegensetzen.

Für alle säkularen Kräfte ist es folglich unerlässlich, sich zusammenzuschließen und dafür zu sorgen, dass mit alten Klischees aufgeräumt wird, Lügen durch Fakten ersetzt werden und jede  Anstrengung zur Wahrung des Friedens zwischen den Glaubensgemeinschaften unternommen wird. Eine kürzlich von 14 politischen Parteien in Delhi einberufene große anti-kommunale Konferenz war ein erster Schritt in diese Richtung. Auf dieser Zusammenkunft riefen Persönlichkeiten der Linken wie auch regionale politische Führer die Anwesenden auf, den die Gesellschaft spalten wollenden Kräften Widerstand zu leisten. Bezeichnenderweise wurde die Kongresspartei von den meisten Sprechern mit der BJP in einen Topf geworfen, denn ihr wird vorgeworfen, profitable Bedingungen für rechtsextremistische Gruppen geschaffen zu haben. Auf dieser Zusammenkunft kam deutlich zum Ausdruck, dass der Säkularismus eines der wichtigsten indischen Wahlkampfthemen sein muss, wenn der Wahlkampfoffensive des Ministerpräsidenten des Bundesstates Gujarat, Narendra Modi, entgegengewirkt werden soll.

Allerdings ist es den säkularen Parteien bis jetzt nicht gelungen, die scharfen Angriffe der BJP und der ihr angeschlossenen Organisationen effektiv zurückzuweisen. Für sie gilt es jetzt, ihre Reihen zu schließen und eine nachhaltige Kampagne durchzuführen, wenn sie in den bevorstehenden Wahlen in wenigen Monaten auch