„Es geht um unsere Zukunft!“ – Kabuls junge Generation

Protestierende in Kabul

Es war der Anschlag auf das beliebte libanesische Restaurant "Taverna du Libnan" im Januar 2014, der vieles veränderte. Das Restaurant, gelegen im Diplomatenviertel Kabuls, war ein beliebter Treffpunkt. Nicht nur für Ausländer, wie oft berichtet wurde, sondern auch für junge Afghanen: für frisch verliebte Paare, Gruppen und Freunde, die hier bei Falafel und Humus Zuflucht und ein Gefühl von Normalität fanden. Am Morgen danach versammelten sich hunderte junge Menschen vor dem Ort des Anschlags. Sie legten Blumen nieder und zogen durch die Innenstadt. "Wir werden gewinnen, der Terrorismus wird verlieren", "Wir wollen Frieden" und "Wir verurteilen Terrorismus" war auf ihren Plakaten zu lesen. „Ich musste handeln", erklärt Ramin Anwari, der die Aktion angeschoben hatte. „Ich war zuhause als ich von dem Anschlag erfuhr und konnte nicht anders, als spontan eine Nachricht an die Attentäter zu senden." Ramin, der gerade seinen Master in Menschenrechten in England abgeschlossen hat, gründete noch am gleichen Abend eine Facebook-Gruppe mit dem Namen "No to Terrorism". Er mobilisierte und druckte die ganze Nacht gemeinsam mit Freunden Plakate. Innerhalb weniger Stunden hatte die Facebook-Gruppe mehr als 500 Mitglieder – die Protestaktion gegen den Terrorismus war geboren.

"No to Terrorism" – Mobilisierung der Jugend mit Facebook

Die Medien zeigten großes Interesse an "No to Terrorism". Nach der Demonstration erhielt Ramins Gruppe Anrufe und E-Mails aus aller Welt. "Sicherlich lag das auch daran, dass viele Ausländer bei dem Anschlag ums Leben kamen", gibt Ramin zu bedenken. Ansonsten wäre das Interesse der internationalen Medien nicht so groß gewesen. Trotzdem ist diese Form des Protests für ihn zum Lebensinhalt geworden. Protest und auf die Straße zu gehen ist in seinen Augen wichtig, um in Afghanistan einen Wandel anzustoßen und sichtbar zu machen. "Unsere Form des Protests schafft eine Verbindung zu denen, die immer noch still hinnehmen, was uns hier widerfährt", sagt Ramin. Der Blick in die Gesichter der Passanten zeige, dass sie die Parolen der Demonstranten begrüßen. "Wir hassen die Taliban genauso wie ihr", hört Ramin oft.

Nach dem verheerenden Anschlag auf Soldaten der afghanischen Nationalarmee in der Provinz Kunar und auf das Hotel Serena in Kabul im März diesen Jahres gab es auf Facebook ähnliche Aktionen. "Genug ist genug! Lasst uns gemeinsam gegen Terrorismus und Fundamentalismus die Stimme erheben", wird online gefordert. Provokativ wird dabei auf Präsident Karzai Bezug genommen, der die Taliban als "Brüder" bezeichnet hatte. "Berdare narazi na shahid ast, na ghazi (Weder ein Märtyrer noch ein Kriegsführer sind (m)ein Bruder)" steht auf einem der Plakate. Die meisten jungen Afghanen lehnen es entschieden ab, mit den Taliban zu verhandeln oder zusammenzuarbeiten, denn die Taliban morden – und mit Mördern kann man nicht verhandeln.

Wenige Wochen vor den Wahlen im April 2014 meldet sich die junge Generation in Afghanistan und besonders in Kabul lauter denn je zu Wort. Fast 13 Jahre nach dem Sturz der Taliban ist in den Städten eine junge, gebildete Schicht entstanden, die genug hat von Krieg, Leid und Konflikt. Viele von ihnen haben den Krieg in ihrer Heimat unmittelbar erlebt. Raketen- und Bombenhagel, Flucht und Angst haben diese Generation geprägt. Solche Erinnerungen werden jetzt laut. Junge Menschen fordern den Wandel. Sie fordern ein Ende alter, eingefahrener Strukturen und dass die Mächtigen mit ihrer dunklen Vergangenheit und ihren langen Bärten endlich abtreten.

Über 68 Prozent der afghanischen Bevölkerung ist jünger als 25 Jahre. "Wir sind eine der jüngsten Gesellschaften weltweit – dieses Potential müssen wir nutzen", sagt ein junger Aktivist. Obgleich viele den Kandidaten um das Amt des Präsidenten kritisch gegenüberstehen, wird in den sozialen Netzwerken meist dazu aufgerufen, zur Wahl zu gehen.

Junge AktivistInnen und ihre Initiativen

"I See You" nennt sich eine weitere Kampagnebei der es um Korruption geht, genauer darum, dass die Menschen in Afghanistan über korrupte Praktiken im Bilde sind. Als Symbol dient ein alles sehendes Augenpaar, das auf Mauern, T-Shirts, Ansteckern und in Videos verwendet wird. Bei einer ersten Aktion im März sprühte die Gruppe das Augenpaar auf eine Mauer des Bildungsministeriums. Vorher wurde allerdings die Erlaubnis des Ministers eingeholt. "Wir müssen uns absprechen", erklärt ein Aktivist der Initiative. "Nach unserer ersten Aktion bekamen wir einen Anruf von der Regierung. 'Falls ihr Namen nennt', hieß es, 'können wir Euch von einem Tag auf den anderen vernichten.' Ohne Absprachen, ohne Vorsicht geht es nicht."

Finanziert haben die Aktivisten ihre Arbeit bislang aus eigener Tasche. Wichtig sei, wird uns gesagt, dass die Initiative in der Gesellschaft verwurzelt ist und nicht nur Einzelne oder die internationale Gemeinschaft sie stützen. Es geht um Authentizität. Die nächste Aktion ist schon geplant: Nach den Wahlen soll das Augenpaar aus hunderten weißen Steinen auf dem Hang eines Berges bei Kabul gestaltet werden. "I See You" hat in den Medien erstaunlich viel Interesse geweckt. Der afghanischen Sender Tolo TV berichtete von der Aktion in den Abendnachrichten. Ein Aktivist erzählt uns: "Als meine Frau ein paar Tage später ihren Pass auf dem Amt abholen wollte und die Mitarbeiter ihren 'I See You' -Anstecker sahen, wurde sie gleich zum Tee eingeladen. Man sagte: 'Sie gehört zu den Augen-Leuten'."

Graffiti-Kunst und Filme für den Frieden

Mit Kunst, speziell mit Graffiti, arbeiten auch Azim Fakhri alias "Kabul Knight" und Shamsia Hassani. Das Talent der beiden in Kabul lebenden Künstler wird mittlerweile international beachtet. Eine Auswahl ihrer Arbeiten wurde zuletzt im französischen Kulturinstitut in Kabul ausgestellt. Die Themen ihrer Bilder sind Krieg, Frieden, Liebe und das Leben in einem zerrissenen Land. "Mit Kunst hatte ich nichts zu tun", schreibt Azim über die Anfänge seiner Arbeit, „aber ich habe Gefühle. Ich wollte reden, wollte diese Gefühle rauslassen. Die Kunst war der einzige Weg." Eines seiner neuesten Bilder ruft Afghanen dazu auf, zur Wahl zu gehen. Sein Ziel ist, allen außerhalb Afghanistans zu zeigen, dass sein Land auch gute Seiten hat, dass die Menschen sich Frieden wünschen, dass sie geachtet werden wollen. "Wir müssen uns zusammentun und etwas ändern", sagt Azim. Mehrmals die Woche sucht er sich eine Mauer in Kabul und sprüht seine Botschaft an die Wand. "Oft bleiben Passanten stehen", erzählt er, "und fragen, was ich da mache". Kürzlich habe ihn ein Polizist beim Sprayen angesprochen, habe ihn einige Zeit beobachtet, dann sein Talent gelobt und ihn zum Tee eingeladen. "Ich habe 12 Jahre im Iran verloren", sagt Azim. "Es war keine schlechte Zeit, aber jetzt bin ich angekommen." Auch für Shamsia Hassani ist Kunst ein Medium, die Gesellschaft zu verändern und die dunklen Zeiten hinter sich zu lassen. Als Frau in Afghanistan wird sie wegen ihrer Arbeit oft kritisiert, da diese traditionellen Werten zuwiderläuft.

"Als ich mit 10 wieder in Afghanistan ankam, hat sich alles in meinem Leben verändert. Eigentlich war es der Anfang meines Lebens", beschreibt Sahar Fetrat ihre Verbindung zur Heimat. Die junge Studentin gewann letztes Jahr mit dem Kurzfilm "Don’t Trust my Silence" den Preis des italienischen Universocorto Elba Film Festivals. Themen des Films sind sexuelle Belästigung von Frauen in Kabul und ihr Leben als junge Frau in Afghanistan. Das Filmemachen hat sie bei Afghan Voices gelernt. Das von der US-Botschaft finanzierte Projekt gibt jungen Afghanen die Chance, Fotografie sowie das Drehen und Schneiden von Filmen zu erlernen. Die Themen können die Teilnehmer frei bestimmen. Wiederkehrende Stoffe sind für Sahar die Menschen ihrer Generation und ihre eigene Rolle als junge, moderne Frau in Afghanistan. "Ich möchte Probleme zeigen, dabei aber auch Positives darstellen", sagt Sahar.

Die Belästigung von Frauen, beispielsweise, werde von der Gesellschaft hingenommen, doch ginge es ihr darum zu zeigen, dass man dies ändern könne. Häufig werde Afghanistan nur als das Land der Taliban dargestellt. Fakt sei jedoch, dass es junge Leute gibt, die darum kämpfen, das Land zum Besseren zu verändern. "Ich bin hier sehr schnell erwachsen geworden", sagt Sahar. Trotz vieler Stipendienangebote aus dem Ausland habe sie sich entschieden, in ihrer Heimat zu bleiben. "Ich werde für mein Land bis ans Ende meines Lebens arbeiten", betont auch Mohammad Sajjid. Der junge Friedensaktivist und Filmemacher bei Afghan Voices setzt sich mit zahlreichen, teils selbst gegründeten Initiativen für den Wandel in seinem Land ein. Dabei setzt er vor allem auf Soziale Netzwerke. "Wenn man sich das große Ganze anschaut", sagt er, „dann wird deutlich, das ‚echte Afghanistan‘ wird sich nur langsam verändern.“ Bildung sei der Schlüssel. Vor allem junge Afghanen müssten für Bildung motiviert werden, damit sie ihre Zukunft selbst in der Hand haben. "Häufig bedeutet Bildung hier nicht, dass Du Deine Rechte kennst. Wenn eine junge Frau etwas über Genderfragen lernt, dann nach Hause geht, und der Mann bricht ihr wegen Aufmüpfigkeit das Bein, dann ist das kein wirklicher Wandel", sagt Sahar.

"Der Wunsch mitzureden"

Die Kraft der jungen Generation und der Wunsch mitzureden, ist in Kabul überall zu spüren. Hunderte politische, gesellschaftliche und künstlerische Initiativen und Gruppen sind in den vergangenen Jahren entstanden – oft mit Hilfe internationaler Unterstützung, manchmal auch ganz unabhängig. In Sozialen Netzwerken und über Websites werden Konferenzen organisiert, Papiere verfasst und Aktionen geplant, die sich an die Regierung und die Präsidentschaftskandidaten richten. Die Kreativität und der Mut begeistern. Die größeren politischen Organisationen von jungen Afghanen sind aus informellen Zusammenschlüssen entstanden. Seit den letzten Präsidentschaftswahlen und seit 2009 der Abzug der internationalen Truppen angekündigt wurde, hat ihre Zahl und Bedeutung stark zugenommen.

"Der Wandel hat uns dazu bewegt, uns selbst, die nachwachsende Generation, neu zu definieren", sagt Gran Hewad, Mitglied der seit 2012 offiziell bestehenden Organisation Afghanistan 1400, über diese Entwicklung. Afghanistan 1400 entstand durch junge, gleichgesinnte, gebildete Reformer, die öffentlich gegen Korruption und für Reformen auftraten. Seit 2011 tritt die Gruppe unter dem Namen Afghanistan 1400 öffentlich auf. Im Sommer 2011 setzten die Aktivisten ein Zeichen, als sie nach einem Anschlag auf Hotels am See Qargha, einem Erholungsgebiet außerhalb von Kabul, bei dem mehrere Familien starben, eine Trauerveranstaltung durchführten und Bäume pflanzten. Im August 2013 richtete die Gruppe zusammen mit anderen Organisationen junger Afghanen eine Großveranstaltung aus, um den historischen Sieg der afghanischen Fußballnationalmannschaft im Asien Cup zu feiern. Das "1400" im Namen der Gruppe bezieht sich auf das persische Sonnenjahr. Aktuell haben wir, dem persischen Kalender zufolge, das Jahr 1393. Die Zahl soll somit die Hoffnung auf Wandel ausdrücken. Afghanistan 1400 hat vor, eine politische Partei zu werden und will ein neues, besseres Land aufbauen. "Ganz gleich welche politischen Einstellungen wir haben, wir wollen keinen Krieg und wir machen uns Sorgen um unsere Zukunft – das verbindet uns", sagt Gran.

"Das Land von innen verändern"

Trotz offener Kritik an der Regierung arbeiten viele Mitglieder innerhalb des Systems. Der Grund dafür ist, dass man das Land von innen verändern will. Gran Hewad erklärt: "Wir glauben an Nation Building. Wir wollen eine moderne Regierung, eine moderne Verfassung und ein modernes Parlament. Und das wird uns auch gelingen." Natürlich ist den Mitgliedern der Gruppe bewusst, wie schwer es sein wird, die alte politische Garde zum Umdenken zu bewegen. Nach zäher Debatte hat die Gruppe beschlossen, keinen der Präsidentschaftskandidaten offiziell zu unterstützen. Stattdessen will man sich dafür einsetzen, dass die Wahlen fair und transparent ablaufen. Von hitzigen Diskussionen erzählt auch Reza Fazli, Mitglied der 2010 entstandenen Organisation Afghanistan Analysis and Awareness (A3). Seiner Ansicht nach, geht es bei diesen Debatten meist nicht um Grundsätzliches, sondern um die Frage, wie man die eigenen Kräfte am besten nutzt.

Wie bei Afghanistan 1400 sind viele Mitglieder von A3 mittlerweile in Einrichtungen der afghanischen Regierung tätig. Dass sich dadurch auch das Denken verändern kann, wird nur ungern zugegeben. Man müsse eben auch an sich selbst denken, sagt Fazli, und vielen wären Karriere und Bildung wichtig. Der ursprüngliche Gedanke hinter A3 war, nationalen und internationalen Akteuren Analysen und politische Briefings anzubieten. Aktuell versuchen A3, Afghanistan 1400 und weitere, kleinere Organisationen, politische Prozesse zu beeinflussen und für einen fairen Ablauf der Wahlen zu sorgen. Im Rahmen einer Reihe von der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützen Youth Fora in Kabul, diskutieren derzeit verschiedene Gruppen gemeinsam über die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen.

"Unser Land wird nicht von der Regierung demokratisiert – Demokratie musst du selbst schaffen", so Dunia Alkozay. Die junge Politikstudentin der Amerikanischen Universität, Assistentin des Bildungsministers und Vertreterin der Afghanistan Young Leaders Initiative der Asia Foundation ist besorgt über die Politikverdrossenheit junger Menschen und deren oft sehr unausgewogenes Verständnis von Politik. Zudem werden die jungen Menschen in Afghanistan nach wie vor von den "großen Alten" an der Spitze übergangen. "Ich sehe meine Aufgabe darin", sagt Dunia Alkozay, "junge Menschen zu ermutigen, selbst Führungsaufgaben zu übernehmen." Sie bereist das Land und hört sich die Gedanken und Sorgen ihrer Altersgenossen an. Die junge Generation, so Dunia, wolle den Wandel, aber es fehle ihr an dem nötigen Bewusstsein, über die eigenen Interessen hinauszudenken und eine nationale Idee zu entwickeln. Die Gründe seien oft Hoffnungslosigkeit, aber auch Egoismus und Identitätsprobleme. Viele junge Afghanen seien im Exil in Pakistan oder im Iran aufgewachsen, und ihnen fehle ein echtes Nationalgefühl. Vor allem auf dem Land, wo der Wandel kaum oder gar nicht zu spüren ist, gibt es wenig Engagement. Wandel, so Dunia, könne die junge Generation nur mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft bewirken: "Solange die internationalen Akteure hier sind, kann uns keiner den Mund verbieten."

"Eine Menge Fragen, aber nicht genügend Antworten"

Am schwierigsten für die junge Generation in Afghanistan ist es, einig und mit gemeinsamen Vorstellungen aufzutreten. Die junge politische Bewegung ist gleichermaßen zersplittert wie die zivilgesellschaftliche Szene. Initiativen entstehen allenthalben, das Engagement ist groß, laufend finden Konferenzen und Workshops statt. Was fehlt, ist eine Sammlung dieser Kräfte der jungen Generation. Dass es überhaupt so viel Engagement gibt, weist für Reza Fazli bereits auf einen gewaltigen sozialen und politischen Wandel hin. Fraglich ist jedoch, wie es weitergeht. Die verschiedenen Gruppen vertreten dieselben Grundgedanken: Frieden, Demokratie, Frauen- und Menschenrechte, ein funktionierender Rechtsstaat. "Wir haben eine Menge Fragen, aber nicht genügend Antworten", sagt Reza Fazli. Seine Generation, so Fazli, trage schwer an der Vergangenheit: "Wir sind von der Rechten enttäuscht, wir sind von der Linken enttäuscht. Und noch gibt es nichts in der Mitte. Nach allem was in unserer Geschichte passiert ist, riskieren wir nichts mehr. Eine junge Revolution in Afghanistan ist unvorstellbar, vergessen Sie's."

Was man will ist Fairness auf der politischen Bühne. Ideen wie Demokratie seien noch nicht zu Ende gedacht, noch nicht für afghanische Verhältnisse durchkonjugiert. Eben das sei die Aufgabe der jungen Generation. "Wie viele Leute kann man wirklich mobilisieren? Wie viele finden sich wirklich in den modernen Ideen wieder, die wir diskutieren? In meinen Augen ist meine Generation immer noch ein Haufen lahmer Enten", sagt Reza. Weitere Probleme seien die fehlende Verbindung zwischen Stadt und Land sowie das fehlende Vertrauen untereinander. "Viele denken erst einmal, dass wir Marionetten der Ausländer sind", sagt ein Aktivist von "No Peace" über Treffen mit jungen Menschen außerhalb von Kabul. Die jungen Afghanen, die in einem teuren Kabuler Restaurant über Politik und Wandel diskutieren, seien klar in der Minderheit, machten vielleicht zehn Prozent der jungen Generation aus. Oft sei auch zu beobachten, dass sich junge Menschen wieder in radikale Denkmuster flüchteten.

In den vergangenen 13 Jahre wurden fast alle Ansätze für eine Modernisierung des Landes von internationalen Gebern bestimmt. Viele junge Afghanen wollen dies nicht mehr hinnehmen. Für sie ist der Aufbau einer afghanischen Zivilgesellschaft durch die internationale Gemeinschaft gescheitert, und es sei auch nicht gelungen, das Land zu einen. Bedürfnisse müssten zuallererst von den Menschen vor Ort definiert werden. "Uns fehlt es an einem wirklich nationalen Programm", bestätigt Ramin Anwari. Beginnen müsse man dabei im Kleinen. Aktuell gebe es solche kleinen Gruppen, die von der jungen Generation getragen werden, auf nationaler Ebene seien sie jedoch kaum legitimiert. "Wie so viele meiner Generation wuchs ich im Bürgerkrieg auf und wurde dann in das Talibanregime gezwängt", sagt Ramin Anwari. "In den letzten Jahren haben wir erlebt, was Freiheit ist. Die Frage ist, sind wir bereit, diese Freiheiten wieder aufzugeben – oder werden wir für sie kämpfen?"
 

Alle Zitate stammen aus eigenen Interviews, die im März 2014 in Kabul (Afghanistan) geführt wurden.

 

Interview mit Masood Karokhail (The Liaison Office, Kabul, Afghanistan): "Wie junge Aktivisten Afghanistan verändern"

Masood Karokhail (TLO): How young activists are changing Afghanistan - Heinrich-Böll-Stiftung

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Masood Karokhail ist ein Gründungsmitglied und Direktor von The Liaison Office (TLO) in Kabul, Afghanistan. Er ist Experte in den Bereichen Steuerung, Belange von Stammesgruppen und Wirtschaftspolitik in Afghanistan. Er hat hierzu zahlreiche Bücher und Artikel verfasst.

In diesem Interview spricht Karokhail über junge Aktivisten in Afghanistan: über ihre Ziele, Wünsche und darüber, wie sie sich Afghanistan nach 2014 vorstellen. Das Gespräch wurde am 12. März 2014 in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin aufgezeichnet.