Eine unerschrockene Frau

v.l.n.r.: Selmin Caliskan, Alice Nkom, Salil Shetty
Teaser Bild Untertitel
Die Trägerin des 7. Amnesty-Menschenrechtspreises, Alice Nkom (Mitte), mit dem internationalen Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty und der Generalsekretärin von Amnesty in Deutschland, Selmin Caliskan, am 18. März 2014 bei der Preisverleihung im Maxim Gorki Theater in Berlin

Seit einem Monat hängen überall in Berlin Großplakate, auf denen in Regenbogenfarben auf schwarzem Grund der schlichte Satz steht: „5 Jahre Gefängnis für einen Kuss.“ Die Information bleibt hängen. Man musste näher hinsehen, um zu erfahren, dass Amnesty international mit diesem Plakat auf die Lage von Lesben, Schwulen, Trans-, Bi- und Intersexuellen (LGBTI) in Kamerun hinweist.

Es ist auch eine Hommage an eine unerschrockene Frau – Alice Nkom –, die mit dem diesjährigen Menschenrechtspreis von Amnesty Deutschland ausgezeichnet worden ist, weil sie als Anwältin in Kamerun für die Rechte der sexuellen Minderheiten eintritt. Einen Tag, nachdem sie diesen für ihre Arbeit außerordentlich wichtigen Preis bekommen hat, sitzt Alice Nkom ca. dreißig Frauen in einer Berliner Wohnung gegenüber, sehr aufrecht, in traditioneller Kameruner Kleidung, der Kaba Ngondo, die ein bunter Farbfleck zwischen den ansonsten eher gedeckten Farben im Raum ist. Alice Nkom ist ein Ausbund an Vitalität, ironisch und zugleich streng. In einem Mix aus Englisch und Französisch spricht sie über ihre Arbeit und über sich. Dass sie fast 70 und mehrfache Großmutter sein soll, mag niemand glauben.

Nach ihrem Jurastudium in Toulouse hat Alice Nkom als erste Frau Kameruns eine Zulassung als Anwältin in Douala erhalten. Da war sie 24 und wusste, dass sie sich als Frau keine Fehler leisten konnte. Die Rechte von LGBTI waren anfangs nicht in ihrem Focus, als Mitglied einer angesehenen Kanzlei verteidigte sie eher die Eliten des Landes, setzte sich aber bald auch für die Rechte von Frauen und gegen Korruption, vor allem in der Justiz, ein. Das Land wird seit 32 Jahren autokratisch von ein und demselben Präsidenten regiert.

Bei dem Treffen erzählt sie, wie sie dazu gekommen ist, Menschen zu verteidigen, deren Lebensumstände mit ihren eigenen bis dahin nicht sehr viel zu tun hatten. Ein Schlüsselerlebnis war 2003 der Besuch von französischen Bekannten in Kamerun. Sie waren homosexuell und Alice Nkom musste ihnen dringend davon abraten, ihre sexuelle Orientierung sichtbar in der Öffentlichkeit zu zeigen. „Als ich sah, dass sie von Tag zu Tag unglücklicher wurden, ist mir bewusst geworden, dass ich etwas tun muss.“ Im selben Jahr noch gründete sie die ADEFHO, eine Organisation zur Verteidigung der Rechte Homosexueller, die unter anderem juristische und psychologische Hilfe anbietet und Kontakt zu Verurteilten hält. Wegen Homosexualität Verurteilte werden oft von ihren Familien geächtet und sind im Polizeigewahrsam oder im Gefängnis vor Übergriffen nicht sicher. Wenn sie keine Möglichkeit haben, sich freizukaufen, werden sie oft zu hohen Strafen verurteilt.

Gleichgeschlechtliche Liebe ist in Kamerun verboten, ein Outing lebensgefährlich. Alice Nkom erzählt von der allmählichen Verschärfung der Lage. Zwar gibt es schon seit 42 Jahren in Kamerun ein Gesetz gegen Homosexualität, Paragraph 347a, der gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen von Frauen und Männern unter Strafe stellt und Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren und Geldstrafen vorsieht, aber erst nach der Jahrtausendwende begann die gezielte Verfolgung sexueller Minderheiten. Die Gründe dafür sind nicht eindeutig. Es ist eine Gemengelage aus verschiedensten Faktoren, zum einen gibt es eine Zunahme der freikirchlichen Bewegung, der auch viele Politiker und Regierungsbeamte angehören, zum anderen ist die Verfolgung der Homosexualität ein beliebtes Mittel, sich gegen den Westen abzugrenzen, bekanntlich nicht nur in Kamerun.

Es gibt Verhaftungen, die jeglicher Grundlage entbehren, es gibt Willkür und Denunziationen. Wenn die Polizei findet, einer bewege sich wie eine Frau, reiche das schon aus, ihn mitzunehmen und ihn durch erniedrigende Untersuchungen durch den Polizeiarzt zu demütigen. Frauen können verhaftet werden, wenn sie kurze Haare und Jeanshosen tragen, ihnen droht der Verlust des Sorgerechtes für ihre Kinder. Einer von Nkomes Mandanten wurde wegen einer Liebes-SMS an einen Mann zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und starb kurz nach der Freilassung an einer Krankheit, die er sich in der Haft zugezogen hatte.

2005 vertrat Alice Nkom die ersten neun Männer vor Gericht. Mehr als fünfzig weitere Frauen und Männer sollten folgen. Sie wurde zur gefragten Expertin und engagierten Anwältin. Im Netz gibt es einen verwackelten Videomitschnitt aus einem Gerichtssaal, sehr deutlich hört man die energische Stimme Alice Nkoms: „Diese Verurteilungen sind nicht zu rechtfertigen. Sie gründen sich auf rechtswidrige Gesetze, die die Verfassung missachten.“

Ihre juristische Argumentation ist klar. Es geht ihr um nicht mehr und nicht weniger als die Einhaltung der UN-Menschenrechtskonvention, die Kamerun 1984 unterzeichnet hat und die gleiche Rechte für alle Menschen, einschließlich des Rechtes auf sexuelle Selbstbestimmung, garantiert. Außerdem steht § 347a im Widerspruch zum verfassungsmäßig garantierten Recht auf Privatsphäre. Der homosexuelle Geschlechtsakt müsse nachgewiesen werden, was aber die Privatsphäre verletze.

Ungefährlich ist diese Arbeit für die Rechte von Lesben, Schwulen, Trans-, Bi- und Intersexuellen nicht. Im Juli letzten Jahres wurde der Kameruner Journalist und Aktivist Eric Lemembe tot in seiner Wohnung in der Hauptstadt Yaoundé gefunden, mit Genickbruch und Verbrennungen im Gesicht Wenige Wochen vor seinem Tod hatte er vor schwulenfeindlichen Schlägertrupps gewarnt. Alice Nkoms Kanzleikollege Michael Togué, der wie sie die Verteidigung Homosexueller vor Gericht übernommen hatte, musste nach massiven Drohungen gegen sich und seine Familie das Land verlassen. Im Moment ist Alice Nkom die einzige Anwältin in Kamerun, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Identität Angeklagte vor Gericht verteidigt. Sie hat kaum noch Mitarbeiter, zum einen weil sie sie nicht beschützen kann, zum anderen, weil sie immer damit rechnen muss, dass sie von der Regierung geschickt sind, um sie auszuspionieren. „Mein größter Feind aber ist die Ignoranz gegenüber Unrecht“, sagt sie.

Es gab den Versuch, Alice Nkom aus der Anwaltskammer auszuschließen, sie wurde im Fernsehen verbal und im Namen Gottes angegriffen und 2011 drohte ihr die Verhaftung, weil sie Gelder der Europäischen Union für die Arbeit ihrer NGO angenommen hatte. Ihren Freunden schrieb sie damals: „Es könnte sein, dass ich in den nächsten Tagen verhaftet werde, aber das raubt mir nicht den Schlaf. Ich werde deshalb nicht aufgeben, was wir gemeinsam begonnen haben.“

Sie habe keine Angst um ihr Leben, sagt Alice Nkom. Im Moment ist sie viel in der Welt unterwegs, um über die Verhältnisse in Kamerun zu berichten, unter anderem auch am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos.

In dem Gespräch unter Frauen in Berlin wirkt Alice Nkom nur einen Moment mutlos, als die Sprache auf die Proteste gegen die Eheschließungen von Lesben und Schwulen in Frankreich kommt. „Es beschädigt meine Arbeit. Wie soll ich mit den Menschenrechten argumentieren, wenn ausgerechnet in Frankreich gegen die Rechte von Schwulen und Lesben demonstriert wird?“

Was Alice Nkom hilft, ist internationale Aufmerksamkeit. Der Menschenrechtspreis ist deshalb ein wichtiges Zeichen, auch die Einladungen zu internationalen Treffen und Kongressen, wie zuletzt zum Weltwirtschaftsgipfel in Davos, wo sie, zwar nur am Rand, über die Verhältnisse in Kamerun berichten konnte. Als sie gefragt wird, wie man ihr von Europa aus helfen könne, sagt sie, ganz pragmatisch, ihre Organisation brauche Geld für die finanzielle Unterstützung der Gefangenen, für Personenschutz, für Reisen.

Die Bundesministerin für Familie, Manuela Schwesig, hat neulich auf die Frage des Tagesspiegel, wem sie den nächsten Friedensnobelpreis geben würde, Alice Nkom genannt. Die Ministerin sollte sich international dafür einsetzen. Mitstreiterinnen hätte sie genug.

 

Informationen zur Unterstützung von Alice Nkom und ihrer Arbeit: www.amnesty.de/kamerun

 

In eigener Sache:
Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht und Sexualität sind weltweit noch immer an der Tagesordnung: Homosexuelle und Transgender haben öffentliche Demütigungen oder gar körperliche Gewalt zu fürchten.  Ein besonderes Anliegen ist uns die Förderung der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe von Frauen und die Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersex (LGBTI). In vielen Regionen der Welt arbeiten wir mit mutigen Partnerinnen und Partnern zum Schutz sexueller Minderheiten zusammen. Wir wollen Geschlechterthemen politisieren, Kräfte bündeln, vorhandene Netzwerke ausbauen und neue erschließen. Ein Beispiel aus unserem Büro in Kenia finden Sie hier: Kenia: "Die Gesellschaft macht uns unsichtbar"