Bericht: Kongress "Baustelle Neuer Generationenvertrag"

Saal und Podium
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Kongress "Baustelle Neuer Generationenvertrag" am 27. Mai 2014 in der Heinrich-Böll-Stiftung

„Herausforderung annehmen, Wandel gestalten“

Warum sich die Stiftung das Thema „Generationengerechtigkeit“ vorgenommen hatte, erläuterte Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, in seiner Eröffnungsrede. Das Problem sei längst bekannt: Die Bevölkerungszahl sinke, zugleich würden die Bürgerinnen und Bürger immer höhere Lebensjahre erreichen. „Das Alter selbst verändert sich“, führte Fücks fort. Eine neue Gruppe von jungen Alten mit hohen Potenzialen entstünde. Die demografische Entwicklung hätte natürlich Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Entsprechenden Herausforderungen müsse man sich stellen, sie annehmen und versuchen, den Wandel zu gestalten. Hierfür wären eine gesellschaftliche Verständigung sowie ein neues Verständnis für das Zusammenleben von Generationen notwendig. Generationengerechtigkeit sei ein sperriges Thema, von dem er aber überzeugt sei, dass es „von überragender Bedeutung für unsere Gesellschaft ist und genug Stoff für Debatten bietet.“

In der anschließenden Keynote nahm Stefan Gosepath, Professor am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin, den vielschichtigen Begriff der Generationengerechtigkeit genauer unter die Lupe. Das Thema sei keinesfalls neu, sondern bereits aus vergangenen Jahren bekannt. Im Laufe der Zeit sei Generationengerechtigkeit jedoch stärker problematisiert und im Zuge dessen auch immer kontroverser diskutiert worden. Im Zentrum der Debatte um faire Verteilung zwischen den Generationen stünde zum einen die Frage, was die Lebenden den Toten schulden. Zweitens verdeutliche die Frage „Was schulden wir denen in der Zukunft?“ den Aspekt der zukunftsgewandten Generationengerechtigkeit. Gosepath verwies auf eine asymmetrische Situation: „Wir können das Wohl künftiger Personen negativ und positiv beeinflussen, sie aber nicht unser Wohl, was uns in eine absolute Machtposition versetzt.“

Eine Verpflichtung gegenüber den Jüngeren ergebe sich aus dem Interesse, dass es Nachkommen gibt – und aus der Sorge um eben diese. Der Philosoph brachte den „Schleier des Nichtwissens“, geprägt vom Harvard-Philosophen John Rawls, in die Debatte ein. Demnach müsse es Mindeststandards der Gerechtigkeit, also eine Art Basiskatalog an Grundbedürfnissen, für künftige Generation geben. „Das wiederum nötigt uns, nur solche Entscheidungen zu treffen, die künftige auch wieder rückgängig machen können“, sagte Gosepath.

„Je gerechter wir jetzt die Welt gestalten, desto gerechter wird sie für zukünftige Generationen. Und wir haben nicht das Recht, kommenden Generationen Entscheidungen zu verbauen“, kommentierte anschließend Prof. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin der insolventen Humboldt-Viadrina School of Governance. Atommüll sei beispielsweise eine besondere Gefahr, die „den Einzelnen sowie kommenden Generationen radikal und unrevidierbar Chancen abschneidet“, ergänzte sie. Ein neuer Aspekt im Zusammenhang mit Generationengerechtigkeit sei in der Zunahme von Freiheit zu finden. Selbstverständliche Bindungen würden künftig immer mehr aufgelöst. Sowohl Rollenverteilungen als auch die Bedeutung von Familie seien im Wandel. „Wir haben mittlerweile ein Familien-Burnout, weil alle zwischen Anforderungen zerrissen sind“, so ihre Beobachtung. Da Verpflichtung jedoch von emotionaler Verbundenheit abhinge, reiche es längst nicht aus, wenn man „sich organisatorisch die Klinke in die Hand gibt“. Den Kongress lobte Schwan abschließend als „einen guten Schritt, um die Verständigung von Generationen zu leben“.

 

Video-Mitschnitt: "Was heißt Generationengerechtigkeit?"



Vortrag: Was heißt Generationengerechtigkeit
Prof. Dr. Stefan Gosepath, Philosoph, Freie Universität Berlin
Kommentar: Prof. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance
Moderation: Peter Siller, Abteilungsleiter Inland, Heinrich-Böll-Stiftung

 

Verbaler Schlagabtausch beim Generationen-Dialog

Der Dialog der Generationen stand bei der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Clash – Dialog – Ewige Wiederkehr. Zum Selbstverständnis der Generationen“ im Fokus. Journalistin Mariam Lau (ZEIT) bat ihre Gäste, allesamt Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Generationen, um eine selbst erlebte Szene oder um eine Beobachtung, die für ihre Generation typisch sei.

Prof. Dr. Micha Brumlik, Jahrgang 1947, erzählte von einer Demonstration gegen die NATO-Nachrüstung auf den Bonner Hofwiesen. „Wendekind“ Adriana Lettrari erinnerte sich an ihren ersten Besuch im Westen und da besonders an die Gerüche und Farben, die die gebürtige Neustrelitzerin damals bei der Ankunft am Hamburger Bahnhof wahrgenommen hatte. Jürgen Teipel, geboren 1961, ist Buchautor einer Doku über die deutsche Punk- und New Wave-Szene und gilt als „Regenburgs erster Punk“. An die wilde Zeit „voller Protest“ denke er gern zurück. Von einem wesentlich ruhigeren Aufwachsen berichtete Georg Diez: „Uns ging's wahnsinnig gut. Die Generation Golf steht ja – wie keine andere je zuvor – für Popkultur, Markenkunde und Hedonismus.“ Diese Kombination habe jedoch auch zu einer gewissen „generationellen Schlappheit“ geführt. „Und genau deshalb haben wir uns eben um Turnschuhe und Frisuren gekümmert“, so der SPIEGEL-Redakteur. Ein ernsteres Bild zeichnete Teresa Bücker, Redaktionsleiterin von Edition F: „Das Symbol meiner Generation ist der befristete Arbeitsvertrag.“ Überwachung sei ein weiterer Aspekt, der Menschen ihrer Generation stark beschäftige.

Der Vorstellungsrunde folgte ein sehr unterhaltsames Wortgefecht – insbesondere zwischen Brumlik (68er) und Diez (Generation Golf): „Das Lustige an den 68ern ist ja, dass sie nie gewusst haben, dass und warum sie gehasst werden“, provozierte Diez. Teipel stimmte zu und beschrieb die 68er als „Lebensfeinde“ der Punks, die von der „ewigen Langeweile“ und der ständigen Pläne-Macherei enorm genervt gewesen seien. Brumlik konterte lautstark, dass das Gegenteil, also ein Leben in Intensität und Rausch, doch viel eher einem faschistischen Menschenbild gleich käme.

Das Publikum hörte aufmerksam zu, applaudierte, kommentierte und kritisierte die Äußerungen eifrig – je nachdem, welcher Generation die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer angehörten.

„Dieser Dialog bedarf einer analytischen Ebene“, kommentierte Adriana Lettrari den verbalen Schlagabtausch lachend. Eine Kultur des Generationen-Dialoges sei sowieso überfällig, so ihr Standpunkt. Das Panel bewies eindrucksvoll, dass der Austausch zwischen den Generationen und der Verständigungsprozess zu zentralen gesellschaftlichen Fragen noch ganz am Anfang stehen und für die Zukunft noch viel Gesprächsstoff vorhanden ist.

 

Video-Mitschnitt: "Zum Selbstverständnis der Generationen: Clash - Dialog - Ewige Wiederkehr"



Gespräch
Teresa Bücker, Autorin, Netzaktivistin und Redaktionsleiterin EDITION F.
Adriana Lettrari, Autorin „Dritte Generation Ost" und Gesellschafterin „Wendekind"
Georg Diez, Journalist, Der Spiegel
Jürgen Teipel, Autor „Verschwende deine Jugend" / „Mehr als laut"
Prof. Dr. Micha Brumlik, Publizist und Erziehungswissenschaftler, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Moderation: Mariam Lau, Journalistin, Hauptstadtredaktion Die Zeit

 

Zum Ausklang des ersten Veranstaltungstages sorgte das Quintett um Jazz-Schlagzeuger Jens Düppe für thematisch passende Unterhaltung. Die Formation hatte verschiedene Songs, die sich mit Themen rund um Alter, Jugend und Generation auseinandersetzen, für den Kongress neu arrangiert. Und so summte der ein oder andere Teilnehmer zu „My Generation“ mit oder sie diskutierten, ob ein ewiges Leben wie im Refrain von Alphaville's „Forever Young“ überhaupt erstrebenswert sei.

 

Politisches Podium: „Wir fahren das Land auf Verschleiß“

Als Auftakt des zweiten Kongresstages fassten die Poetry Slammer Sarah Bosetti und Daniel Hoth den ersten Kongresstag in einer furiosen Performance zusammen (PDF).

Anschließend gab es eine politische Podiumsdiskussion, an der jeweils ein Mitglied der im Bundestag vertretenen Parteien teilnahm. Da die Union kurzfristig hatte absagen müssen, kam es zu einer interessanten Mitte-Links-Diskussion, bei der trotz diverser Streitpunkte am Ende eines klar war: Die deutsche Politik muss noch weit mehr für Generationengerechtigkeit tun als bisher.

Was unter dem Begriff „Generationengerechtigkeit“ überhaupt zu verstehen sei, wollte Tagesspiegel-Chefredakteur und Moderator Lorenz Maroldt zu Beginn wissen. „Es geht darum, die Interessen der jetzigen und der kommenden Generationen in eine vernünftige Balance zu bringen. Dazu gehören nicht nur Versicherungssysteme, sondern auch Investitionen und vor allem, unseren Kindern und Enkelkindern eine Erde zu hinterlassen, die sie auch tatsächlich bewohnen können. Jede Generation soll die Möglichkeit haben, freie Entscheidungen darüber zu treffen, wie sie leben will“, erwiderte Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen.

Er selbst könne mit der Bezeichnung „demografisches Problem“ nicht viel anfangen, stellte Dietmar Bartsch zunächst klar. Die Situation sei nun eben vorhanden, man müsse schauen, wie man Rahmenbedingungen anpassen könne. „Real sind wiederum die Probleme, die wir mit dem Rentensystem haben“, kritisierte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion und nahm die jüngsten Beschlüsse der Großen Koalition ins Visier.

Die sozialdemokratische Partei habe in der Vergangenheit viel Kritik für die Rente ab 67 einstecken müssen, räumte Yasmin Fahimi ein. Die Rente mit 63 sei keinesfalls ein Versuch, die Entscheidung von damals zu relativieren. „Sie schafft ein Stück Leistungsgerechtigkeit in unserem System“, erklärte die SPD-Generalsekretärin. Dennoch musste Fahimi als Vertreterin der Regierungsparteien von den Mitdiskutant/innen und auch vom Publikum viel Kritik einstecken. „Ich finde es überhaupt nicht neoliberal, wenn man sich mal anschaut, welche Gruppen bevorteilt werden und welche bezahlen müssen“, monierte Göring-Eckardt.

„Macht man denn derzeit genug, um für jüngere Generationen zu sorgen“, warf Maroldt ein und lenkte das Gespräch von der Rentendebatte auf das Thema Investitionen und Infrastruktur. „Wir fahren das Land auf Verschleiß“, unterstrich Bartsch. Ursächlich dafür sei auch, dass Politiker/innen in Legislaturperioden denken. Von einer Kongressteilnehmerin kam der Vorschlag eines Generationen-Stempels auf Gesetzen. Doch dass der „TÜV für Generationen“ nicht zielführend wäre, weil es an geeigneten Indikatoren fehle, bekräftigten die Podiumsgäste geschlossen. Wie die Politik generationengerechter werden könne, blieb also letztlich offen.

 

Video-Mitschnitt: "Zum Glück in die Zukunft? Wie generationengerecht ist die deutsche Politik?"



Yasmin Fahimi, Generalsekretärin, SPD
Katrin Göring-Eckardt, MdB, Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion, Bündnis 90/Die Grünen
Dr. Dietmar Bartsch, MdB, stellv. Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion, Die Linke
Moderation: Lorenz Maroldt, Journalist, Der Tagesspiegel

 

Neuer Generationenvertrag: „Marktlücke im politischen Geschäft“

Thesenpapier der Heinrich-Böll-Stiftung zum Neuen Generationenvertrag

Mit Spannung erwartet wurde die Vorstellung der Thesen des Neuen Generationenvertrages. Das Papier sei ein Gemeinschaftswerk, an dem sich viele Kolleginnen und Kollegen der Inlandsabteilung beteiligt hätten, lobte Ralf Fücks zu Beginn seines Inputs. Ziel sei es gewesen, solidarische Antworten auf die sich radikal verändernden gesellschaftlichen Bedingungen zu finden, welche der demografische Wandel mit sich bringe. In den vier Aktionsfeldern nachhaltige Infrastruktur, neuer Lastenausgleich, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sowie ermöglichte Vielfalt erhoben die Autorinnen und Autoren unterschiedliche Forderungen an die Politik.

Elisabeth Niejahr, Journalistin für wirtschaftspolitische Themen bei der ZEIT, kommentierte den Generationenvertrag anschließend. Sie lobte das Thesenpapier als „großartigen Ansatz“, äußerte aber auch Kritik. So fehle inhaltlich „eine gute Antwort auf den Umgang mit Schulden“. Auch habe sie den Eindruck, „dass der Einwanderungs- und Migrationsdiskurs der Grünen so stark vom Thema der Flüchtlingspolitik dominiert wird, dass die Frage nach einer Einwanderungspolitik, die den Anforderungen einer alternden Gesellschaft gerecht wird, etwas zu kurz kommt“. Ein nächster Schritt müsse die Prioritätensetzung sein, um das Thema der Generationengerechtigkeit prominent zu machen – dies sei nämlich noch „eine riesige Marktlücke im politischen Geschäft“, so die Journalistin.

„Über den Investitionsbegriff müssen wir nochmal reden“, insistierte Sven-Christian Kindler (Bündnis90/ Die Grünen) in seinem Kommentar. Unklar sei beispielsweise, ob Lehrergehälter zu Investitionen zählten. Der haushaltspolitische Sprecher bemängelte auch, dass Arbeits- und Produktionsbedingungen als Grundlage für ökonomischen Erfolg in dem Thesenpapier zu kurz kämen.

 

Video-Mitschnitt: "Bausteine eines Neuen Generationenvertrags"



Input: Ralf Fücks / Peter Siller, Heinrich-Böll-Stiftung
Kommentare/Gespräch:
Elisabeth Niejahr, Journalistin, Die Zeit
Sven-Christian Kindler, MdB, Haushaltspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, Bündnis 90/Die Grünen
Moderation: Philipp Antony, Referent für Bildung und Wissenschaft
Heinrich-Böll-Stiftung

 

Die Workshop-Phase: Generationen-Kongress als Mitmach-Kongress

In neun parallel stattfindenden Workshops widmeten sich die Kongressteilnehmenden unterschiedlichen Politikfeldern und stellten die Frage, wie er denn nun aussehen kann, der Neue Generationenvertrag für…

Workshop 1: …die Stadt. Schrumpfen ohne Verlust?

Workshop 2: …die Demokratie. Kommt die Seniorenrepublik?

Workshop 3: …die Bildung. Bildungsgerechtigkeit im Lebenslauf

Workshop 4: …Gleichberechtigung. Geschlechterbilder der Generation Y

Workshop 5: …die Energiewende. Energize the next generation!

Workshop 6: …die nachhaltige Finanzpolitik. Der Königsweg für mehr Generationengerechtigkeit?

Workshop 7: …die digitale Gesellschaft. Alles surft für sich allein?

Workshop 8: …eine vielfältige Gesellschaft. Chancen statt Barrieren

Workshop 9: …die Alterssicherung. Ist die Rente sicher?

 

Mit reichlich Wortkunst und einem Augenzwinkern präsentierten die Poetry Slammer Sarah Bosetti und Daniel Hoth die Ergebnisse der Workshops (PDF). Beide hatten während der Arbeitsphase die verschiedenen Gruppen besucht, sich dort Notizen zu Themen, Aussagen und Herangehensweisen gemacht und das Ganze anschließend in Reimform gepackt. Ihr persönliches Fazit formulierten Bosetti und Hoth so: „Hat's mit der Lösung auch geklappt, wenn nicht, haben wir Pech gehabt.“ Bei den Kongressteilnehmern kam diese unverwechselbare Art der Präsentation gut an: Sie lauschten aufmerksam, staunten über die hohe Sprechgeschwindigkeit, nickten anerkennend und applaudierten ausgiebig.

Public Viewing: WM-Kritik und Fußballeuphorie

Auch das WM-Spiel am Samstagabend bedachten die Veranstalter im Programm. Kurz vor Anpfiff der Partie Brasilien gegen Chile wurde eine Live-Schaltung zu Dawid Danilo Bartelt eingerichtet. Der Leiter des Brasilienbüros der Heinrich-Böll-Stiftung gab per Skype Auskunft über die Situation vor Ort. Die Bezeichnung „WM als Sportereignis“ hält Bartelt für unangebracht, denn dies würde die tiefgreifenden Umwälzungen verharmlosen, die viele Brasilianerinnen und Brasilianer in Kauf nehmen mussten. So seien Häuser zwangsgeräumt worden und mussten mitunter neuen Fußballstadien oder Straßen weichen. Zusätzlich zerstöre ein Bannradius um die Veranstaltungsorte der WM die Lebensgrundlage der Straßenverkäufer. Bartelt wies im Zuge dessen auch auf Verletzungen von Demokratie und von Menschenrechten hin – Themen die in dem Online-Dossier zur WM 2014 in Brasilien „Was bringt sie und wem nützt sie?“ der Heinrich-Böll-Stiftung sorgfältig aufgearbeitet seien.

Bekannt sei zudem, dass die diesjährige Fußballweltmeisterschaft die teuerste aller Zeiten ist, wobei 85 Prozent der Kosten aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Von wirklich großen Demonstrationen wie bei den Massenprotesten im Juni 2013 sei nichts mehr zu merken, vereinzelt gäbe es noch kleine Aktionen. „Doch im Augenblick, wo der Ball rollt, führt König Fußball das Zepter“, beschrieb Bartelt die Situation.

Drei-Generationen-Talk im Deutschen Theater

„Es ist uns eine Herzensangelegenheit, die Kooperation mit dem Deutschen Theater fortzuführen“, verriet Ralf Fücks bereits in seiner Eröffnungsrede. Am Sonntag zog der Generationen-Kongress ins Deutsche Theater und klang dort mit einer Matinee aus. Und wie konnte es auch anders sein: Wieder stand das Thema Generationen im Fokus. Im Saal des Deutschen Theaters zeigten Schauspieler einen Ausschnitt aus dem dokumentarischen Theaterstück „Was uns bleibt“.

„In dieser Inszenierung von Frank Abt erzählen die letzten Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges den Kindern und Enkeln ihre Geschichten“, leitete Dramaturgin Meike Schmitz ein. Das Besondere an dem Stück: Mit den Mitteln des fiktiven Spiels ließen die Künstler reale Lebensberichte lebendig werden. Nichts an den Geschichten sei erfunden. Ein Tagebuch sowie Interviews mit Menschen aus Berlin dienten als Vorlage für die Texte.

An einem Tisch saßen ein älterer Mann, sein Sohn und dessen Kind und bespiegelten ihre Biografien in den jeweiligen historischen Kontexten. Sie sprachen über Erlebtes und Erträumtes, über Glücksmomente und Schicksalsschläge, über Vergangenheit und Gegenwart, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Schnell wurde deutlich: Es geht um das Erbe, das man in sich trägt, um Lebenszeugnisse, die von Generation zu Generation weitergetragen werden und um die Frage, was uns bleibt.

Fokus Familie

Der Sondervorstellung schloss sich ein Zeitgespräch an. Dazu befragte rbb-Filmredakteur Alexander Soyez seine Podiumsgäste, wie stark die eine Generation die andere präge. Dr. Sabine Moller nahm Rückbezug zum Theaterstück: Es spiegele gut, dass die nationalsozialistische Vergangenheit im Bewusstsein und im Unbewussten der Deutschen lebendig sei. Das entspräche auch der Realität. „Eine bekannte Studie zeigt Veränderungen in den Deutungen der Familiengeschichte mit Bezug auf den Nationalsozialismus dahingehend, dass die Geschichten mit der Zeit schöner werden“, erläuterte die Historikerin. Die Familie bezeichnete die Erinnerungs- und Tradierungsforscherin als „ Institution mit ganz zentraler Funktion“.

Regisseur Hans-Georg Ullrich berichtete von den vielfältigen Beobachtungen, die er während der Drehs für die Langzeit-Doku „Berlin – Ecke Bundesplatz“ gemacht hatte. Von 1986 bis 2012 schuf Ullrich eine Art Kiez-Soziogramm. Hinter der Kamera konnte er Familien über mehrere Generationen miterleben. Entscheidend sei, was in der Familie, in der man aufwächst, passiert. Bei einem seiner Protagonisten wurde beispielsweise die Hartz IV-Problematik über mehrere Generationen weitergegeben: „Erst schämte sich die Oma für den Gang zum Sozialamt, dann musste die Enkelin dorthin. Ich dachte, das kann doch nicht sein: Die gleiche Szene haben wir doch schon vor zehn Jahren so gedreht.“ Ähnliche Beobachtungen machten auch Winfried und Barbara Junge, Regisseure der Langzeit-Doku „Die Kinder von Golzow“. Ihre Filme, für die sie mehrere Personen der Jahrgänge 1953 bis 1955 von 1961 bis 2007 auf ihrem Lebensweg begleitet hatten, gäben einen tiefen Einblick in die Geschichte der DDR. „Da hatte man viel Achtung vor den Generationen, die Krieg überlebt haben. Konflikte zwischen Generationen gab es eher nicht“, so Barbara Junge.

Mit dem Sonntag im Deutschen Theater endeten drei vielfältige, thematisch dichte, interessante und immer wieder auch amüsante Tage, die gezeigt haben, warum im Titel des Kongresses zu Recht von „Baustelle“ die Rede ist: Der Verständigungsprozess zwischen den Generationen müsse weitergehen, so Philipp Antony, Referent für Bildung und Wissenschaft der Heinrich-Böll-Stiftung, in seinen Schlussworten, wenn wir künftig stärker „aufeinander bauen“ wollen.