Kolumbien: Nach Santos Wahlsieg bleiben Hürden im Friedensprozess

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Stimmabgabe bei der Präsidentenwahl

Mit dem Wahlsieg von Präsident Santos erhalten die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) ein klares politisches Mandat. Neben den fortbestehenden gesellschaftlichen und politischen Widerständen sind jedoch auch am Verhandlungstisch noch einige Hürden zu nehmen. Die verbleibenden Themen Opferrechte und Übergangsjustiz sowie Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der Kämpfer/innen bieten  politischen Sprengstoff. Zugleich tickt die Uhr für die Aufnahme von Verhandlungen mit der zweiten Guerilla, der Nationalen Befreiungsarmee (ELN).

Triumph und Alarmglocken

Bis zum Ende blieb es eine Zitterpartie – die meisten Umfragen zur Stichwahl am 15. Juni, die den neuen Präsidenten Kolumbiens küren würde, hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Amtsinhaber Juan Manuel Santos und seinem Kontrahenten Oscar Iván Zuluaga vorausgesagt. Mit der Wahl stand der Friedensprozess zwischen der Regierung und der FARC auf dem Spiel. Zwar war Zuluaga von seiner Radikal-Opposition gegenüber den Verhandlungen abgerückt. Die strengen Auflagen, die er der Guerilla ankündigte, hätten jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach das Aus für den Prozess bedeutet.

Mit knapp 51 Prozent der Stimmen setzte sich am Ende Präsident Santos knapp durch. An der Macht gehalten hatte ihn eine Koalition aus der U-Partei, den Liberalen und des Radikalen Wandels, die großen Medien und Industrieverbände des Landes, eine große Zahl Intellektueller und sozialer Bewegungen sowie eine ungebrochen potente „maquinaria“, klientelistische Apparate insbesondere in den Regionen an der Karibikküste, die - sicherlich nicht kostenfrei - Stimmen für den Amtsinhaber mobilisierten.

Unter dem Druck einer drohenden Wahlniederlage hatte Santos seinen Wahlkampf im Endspurt nahezu vollständig auf den Friedensprozess fokussiert. Sein Triumph bedeutet demnach ein klares politisches Mandat für die Verhandlungen in Havanna, ein wichtiges Signal für beide Konfliktparteien und ein Momentum, das sich sogleich in erhöhte Umfragewerte zugunsten des Prozesses übersetzte. Paradoxerweise könnten die nahezu sieben  Millionen Wählerstimmen für Zuluaga (gegenüber 7,8 Millionen für Santos) die Verhandlungsposition der Regierung gegenüber der FARC stärken. An Maximalforderungen kann angesichts dieser Opposition im Land nicht zu denken sein. Gleichzeitig haben die Stimmen für den Kandidaten von Ex-Präsident Álvaro Uribe auch Alarmglocken geläutet. Sollte es der Regierung nicht gelingen, eine deutliche und stabile gesellschaftliche Mehrheit für den Friedensprozess zu mobilisieren, könnte es zu einem Fiasko kommen, wenn ein Abkommen von der Bevölkerung zu ratifizieren sein wird.

Auf gehörigen Gegenwind kann sich die Regierung auf jeden Fall einstellen. Zwar hat die von Neu-Senator Uribe gegründete Partei des Demokratischen Zentrums, die Zuluaga jüngst zum Vorsitzenden kürte, keine Mehrheit im neu gewählten Kongress. Doch sind die Zeiten vorbei, in denen die Regierung damit rechnen konnte, dass ihre Vorlagen ohne Opposition abgenickt würden. Darüber hinaus wird Uribe auf seine ungebrochene Resonanz in breiten Bevölkerungsschichten bauen und Widerstand in den Regionen mobilisieren mit Blick auf die Lokalwahlen im Oktober nächsten Jahres.  Auch in anderer Hinsicht setzen die Oktoberwahlen die Verhandlungen unter Druck. Sollten sie zur erstmaligen Gelegenheit für eine politische Teilhabe einer demobilisierten FARC werden, müsste es rechtzeitig zu einem Friedensvertrag kommen. Vor Ende dieses Jahres werde es soweit sein, hatte Santos deshalb im Wahlkampf versprochen.

Hürden in Havanna

Bis dahin sind in Havanna noch einige Hürden zu nehmen. Nachdem es nach einer langen Verhandlungsstrecke zuletzt im Mai vielversprechende Einigungen zum dritten Verhandlungspunkt, der „Lösung der Drogenproblematik“ gegeben hatte, die auf eine Neufokussierung der nationalen Anti-Drogen-Politik zugunsten der Kokabauern hinzielt, dürfte das aktuell zu verhandelnde Thema der „Opferrechte“ für nicht weniger Kopfzerbrechen sorgen. Sowohl auf Seiten der Guerilla, als auch des Staates gibt es erhebliche Widerstände gegenüber einer umfassenden Aufarbeitung der Konfliktverbrechen.

Eine solche wird jedoch von den Opfern gefordert zusammen mit einem umfassenden Mitspracherecht in Havanna. 6,4 Millionen Menschen sind mittlerweile offiziell als Opfer des bewaffneten Konflikts registriert, über 12 Prozent der Bevölkerung. Nach Beschluss der Verhandlungspartner sollen aus diesem Universum 60 Personen ausgewählt und in Havanna gehört werden. Ein repräsentatives Bild der unterschiedlichsten Verbrechen sowie sozialer Gruppen und Herkünfte sollten die 60 OpfervertreterInnen abgeben, heißt es, um dann in Zwölfergruppen sukzessive in Havanna vorzusprechen. In der Zwischenzeit werden in vier kolumbianischen Städten Friedensforen abgehalten, auf denen Opfer sämtlicher Verbrechen und Akteure ihre Anliegen und Vorschläge zum Ausdruck bringen können, die dann im September den Parteien vermittelt werden. Die Konflikte im Vorfeld zwischen einzelnen Opfergruppen über ihren Einfluss auf den Verhandlungsprozess geben einen Vorgeschmack auf die Herausforderungen, den jeweiligen Interessen und Befindlichkeiten Rechnung zu tragen.  

Internationales Recht und die kolumbianische Verfassung verbieten Amnestien für schwere Verbrechen. Regierung und FARC haben im Juni ein wichtiges Zeichen gesetzt, als sie in einer gemeinsamen Erklärung erstmals beidseitig Verantwortung für die Opfer des Konfliktes übernahmen. „Nicht verhandelbar“ seien die Rechte der Opfer; es werde kein „gegenseitiges Gewähren von Straffreiheit“ geben, sondern umfassende Wahrheitssuche und Entschädigungen. Große Worte, ein wichtiger Ausgangspunkt; der Weg von dieser Prinzipienerklärung hin zu konkreten Beschlüssen ist jedoch sicherlich ein langer, da beide Seiten viel zu verbergen und zu verlieren haben.  Doch wird nur ein umfassendes Maßnahmenpaket mit einer unabhängigen Wahrheitskommission, der Strafverfolgung der Hauptverantwortlichen beider Seiten für die schwersten Verbrechen und mit einem umfassenden Reparationsprogramm die Basis für langfristige Versöhnung legen können.

Im letzten Verhandlungspunkt werden sich die Parteien noch auf ein Programm zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der FARC-Kämpfer/innen einigen müssen.  Auch hier gilt es, politische Antworten auf komplexe Fragen zu finden. Was passiert mit der Guerilla zwischen der Unterzeichnung eines Friedensvertrags und einer Volksabstimmung über denselben? Zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Bedingungen wird sich die FARC darauf einlassen, ihre Waffen abzugeben? Wie effektiv kann eine Entwaffnung in einem Land sein, in dem der Zugang zu Waffen ein leichter ist? Wie geht man mit all den Menschen um, Angehörige von Milizen, politischen Organisationen, Familien, die mit der Guerilla verbunden sind?  Welche Sicherheitsgarantien kann man der FARC realistischerweise geben? Wie kann eine sowohl ökonomisch, aber vor allem auch sozial erfolgreiche Reintegration aussehen?

Und die ELN?

Schließlich steht das Land vor der Herausforderung, den zweiten Verhandlungsprozess mit der kleineren, militärisch aber weiterhin aktiven Guerilla, der ELN, auf die Schienen zu bringen. Zwar haben beide Seiten im Juni Vorverhandlungen bestätigt. Wann und ob es zu offiziellen Gesprächen kommt, ist indes noch ungewiss. Mit Aktionen wie einem mit Waffen erzwungenen Stillstand von geschäftlichen und Transport-Aktivitäten (paro armado) im Osten des Landes Anfang Juli, lässt die Guerilla derzeit ihre Muskeln spielen. An Anreizen auf beiden Seiten für die baldige Aufnahme von Verhandlungen fehlt es allerdings nicht. Je weiter die Verhandlungen mit der FARC fortschreiten, desto kleiner wird der Spielraum für die ELN. Sollte die ELN zum Zeitpunkt eines Friedensvertrags mit der FARC nicht selbst am Verhandlungstisch sitzen, bestünde aus Sicht der Regierung unterdessen die Gefahr, dass die Guerilla einen Waffenstillstand und eine Post-Konfliktphase unterwandert.

Es bleibt spannend. Im Zuge der Wahlen schien sich die internationale Presse trotz der mit dem Urnengang verbundenen Risiken und Chancen wenig für Kolumbien zu interessieren. (Aufmerksamkeit erlangten unlängst allenfalls der illegale Pistolenexport der deutschen Firma Sig Sauer auf US-amerikanischen Umwegen nach Kolumbien für die Policía Nacional sowie der kolumbianische Fußballstar James Rodríguez.) Das Land braucht jedoch die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, um die bevorstehenden Herausforderungen zu meistern. Neben dem Rückhalt für den Friedensprozess bedarf es nach Abschluss eines möglichen Friedensabkommens an Unterstützung bei der Überwachung und Verifikation der Übereinkommen, inklusive eines Waffenstillstands. Die Welt hat ein Interesse daran, durch gezielte Unterstützung der Friedens- und Aufbauarbeit zu verhindern, dass das Land in Gewaltspiralen gefangen bleibt.