„Frauen sind stärker als Männer an moderner Politik interessiert”

Humaira Saqeeb

Humaira Saqeeb wurde 1982 in Kabul geboren. Ihre Schuljahre verbrachte sie in Flüchtlingslagern. Später studierte sie an der Universität Kabul Psychologie. Saqueeb ist verheirat und hat drei Kinder. Sie ist Vorsitzende und Chefredakteurin der "Women News Agency" sowie der Zeitschrift "Nigah-e Zan". Darüber hinaus ist sie Mitglied des Vorstands des “Women Political Participation Committee” und Mitglied von “Afghanistan 1400”.
 

Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Ich bin ernsthaft, arbeite hart und glaube an mich selbst und an humane Werte. Mein größtes Anliegen ist, Menschen – insbesondere Frauen – zu helfen, die tagtäglich Opfer von Gewalt werden.

Glauben Sie Frauen in Afghanistan sind per se Opfer von Gewalt?

Gewalt ist nicht nur körperliche Gewalt. Wenn Frauen von der Macht ferngehalten werden, ist auch das eine Form von Gewalt. Verbale Gewalt gegen Frauen ist in unserer Kultur tief verwurzelt. Gewalt ist nicht nur, wenn Menschen geköpft, wenn Nasen und Ohren abgeschnitten werden. Wenn Frauen in der Öffentlichkeit beschimpft werden, dann ist das eine Form von Gewalt, denn es nimmt Frauen die Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Gewalt ist nicht nur, wenn Frauen die Hände und Füße verbrannt werden – auch sexuelle Belästigung bei der Arbeit oder bei Behördengängen gehört dazu.

In den vergangenen 13 Jahren ist der Frauenanteil im Parlament und in anderen Organisationen deutlich gestiegen. Auch für die Rechte der Frau wurde viel getan. Sie glauben dennoch, dass versucht wird, Frauen von der Macht fernzuhalten?

Allerdings. Sehr viel Geld ist nach Afghanistan geflossen, und die meisten Sozial-, Militär-, Wirtschafts- und Kulturprogramme wurden unter dem Vorbehalt finaziert, dass sich die Lage der Frauen bessert. Das bedeutet, ohne eine Stärkung der Frauenrechte hätte Afghanistan sehr viel weniger Geld bekommen. Dennoch waren viele Frauenrechtsprogramme weitgehend wirkungslos, hatten oft nur symbolischen Charakter oder beschränkten sich auf ganz bestimmte Projekte. Im neuen Wahlrecht wurde die Frauenquote im Parlament von 25 auf 20 Prozent gesenkt; entsprechende Quoten für die Bezirksversammlungen wurden gleich ganz abgeschafft.

Um mehr Mitspracherecht zu bekommen müssen auch Frauen – speziell die jüngeren – ihren Teil tun. Denke Sie, dass entsprechende politische Initiativen Erfolg hatten?

Frauen wollen stärker mitreden – was sich daran zeigt, dass sie eine wichtige Rolle gespielt haben, als es darum ging ein neues Anti-Gewaltgesetz und das neue Familienrecht zu entwerfen. Auch an Parlaments- und Provinzratswahlen nehmen Frauen vermehrt teil. Frauen haben zudem eine Reihe politischer Organisationen gegründet und sich in vielen Bereichen engagiert. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Kommittee zur Politischen Teilhabe von Frauen, eine von Frauen gegründete Organisation, tut sehr viel dafür, mehr Frauen in die Politik zu bringen.

Sind die afghanischen Parteien bereit, wichtige Stellen mit jungen Frauen zu besetzen?

Die Parteien sind heute demokratischer als früher. Da hat sich in den vergangenen 13 Jahren einiges getan. Dennoch gibt es weiterhin Parteien, die junge Frauen in der Politik ablehnen. Eben deshalb müssen sich die Politikerinnen noch mehr ins Zeug werfen.

Was denken Sie, wer hat ein stärkeres Interesse an Poltik, Männer oder Frauen?

Frauen sind stärker als Männer an moderner Politik interessiert. Um nur einige prominente Beispiele zu nennen: Sonia Iqbal, die Vorsitzende von Afghanistan 1400, Adila Bahram, die Chefin der Partei Jamhori-Khwahan, oder Dr. Alima Alima, die Vorsitzende des Kommittees zur Politischen Teilhabe von Frauen. Auch für die Vizepräsidentschaft gab es mehrere Bewerberinnen.

Wie beurteilen Sie die Perspektiven für eine größere Teilhabe von Frauen an Politik?

Ich denke, die politische Zukunft der afghanischen Frauen ist ausgesprochen rosig. Die Frauen und Mädchen in unserem Land leben nicht mehr hinterm Mond. Sie haben ein politisches Bewusstsein und beteiligen sich auf nationaler Ebene an Entscheidungen. Die Frauen von heute wollen unser Land gleichberechtigt mitgestalten.

Wo sehen Sie unser Land im Jahr 2024?

Ich hoffe, dass Afghanistan in zehn Jahren zur Ruhe gekommen sein wird, und die Bevölkerung dann, nach langen Jahren des Leidens, endlich die Früchte des Friedens genießen kann.