„Junge Afghanen werden die Interessen der Nation über ihre eigenen stellen”

Siddiq Siddiqi

Siddiq Siddiqi ist Sprecher des afghanischen Innnenministeriums und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit. Er ist jung, energisch, ernsthaft und zuversichtlich, was Afghanistans Zukunft anbetrifft. Eines seiner wesentlichen Ziele ist, mehr junge Menschen in die Politik zu bringen.

Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Ich denke, dass ich sehr patriotisch bin, jemand, der für sein Leben gern, für sein Land tätig ist, jemand, der die Interessen der Nation über die eigenen stellt.

Wie verlief ihre politische Karriere?

Mit Politik hatte ich erstmals 2002 zu tun. Eine bedeutende Institution, die seinerzeit entstand, war die Kommission, der es oblag eine neue Verfassung auszuarbeiten – eine Verfassung, welche die Rechte und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger definierte und damit Grundlage eines demokratischen Staatswesens war. Anschließend habe ich die Wahlen mitorganisiert und dazu auch Aufgeklärungsarbeit geleistet. Danach habe ich für eine Reihe von Behörden gearbeitet, und aktuell bin ich beim Innenministerium beschäftigt.

Welche Fächer haben Sie studiert und wo?

Ich habe immer in Kabul gelebt. Während meiner Studienzeit waren die Verhätnisse leider sehr turbulent... Ich habe an der Universität Kabul Literaturwissenschaften studiert.

Ist die junge Generation von heute den in sie gesetzten Erwartungen gerecht geworden?

Zwar sind die Verhältnisse schwierig, dennoch denke ich, die junge Generation hat sich in einer Reihe von Bereichen bewährt. Man muss berücksichtigen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Tradition nach wie vor eine große Rolle spielt und in der Macht von einer Generation auf die nächste übertragen wird. Herkunft und Alter sind immer noch sehr wichtig, weshalb die Möglichkeiten, die junge Menschen in Politik und Gesellschaft haben, beschränkt sind. Das wandelt sich aber allmählich. Heute stellen junge Menschen die Bevölkerungsmehrheit – und sie sind besser ausgebildet und kompetent. Stammesälteste und Spitzenpolitiker müssen den Jungen vertrauen – und, für ihren Teil, müssen die jungen Menschen beweisen, dass sie mit politischer Verantwortung umgehen können. Traditionelle Strukturen haben immer noch großes Gewicht, und um an der Macht beteiligt zu werden, müssen die Jungen lernen, wie man in öffentlichen Angelegenheiten verfährt und was es heißt, für das Volk zu arbeiten.

Nur Menschen, die in demokratischen Verhältnissen aufgewachsen sind, werden auch demokratisch handeln. Bei vielen unserer Politiker ist das nicht der Fall. Wie lässt sich dieser Widerspruch lösen?

Stammesführer und Spitzenpolitiker haben in der Politik eine Monopolstellung. Junge Menschen müssen deshalb andere Wege finden, um mitreden zu können. Gibt man ihnen die Chance, da bin ich mir sicher, werden junge Afghanen die Interessen der Nation über ihre eigenen stellen. Die Jungen handeln mit größerem politischen Verantwortungsbewusstsein als traditionelle Politiker. Man sollte jedoch bedenken, dass die ältere Generation nicht die gleichen Chancen hatte, wie die jungen Leute von heute... Die Jungen müssen ihren eigenen Weg in die Politik und an die Macht finden – und zwar auf legitime und transparente Weise.

Die wichtigen politischen Fragen Afghanistans werden von Menschen geregelt, deren politische Biografie ganz und gar traditionell ist. Warum? Und warum spielen junge Menschen keine Rollen?

Es ist richtig, die Erfahrungen der jungen Generation sollten genutzt werden, ein neues, besseres Afghanistan zu schaffen. Junge Politiker tun sich aber schwer, die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Uns fehlen junge Politiker, die mit den Leuten auf der Straße reden, die eine Bewegung schaffen und Mehrheiten organisieren können. Das ist unsere größte Schwäche. In Indien oder Pakistan ist das anders. Rahul Gandhi beispielsweise gelingt es, junge Menschen zu motivieren, und er kann dem Volk vermitteln, was seine Partei will.

Gibt es in Afghanistan Parteien, die wichtige Positionen mit jungen Menschen besetzen?

Das größte Manko Afghanistans ist, dass es keine modernen, landesweiten Parteien gibt. All die Parteien, von denen wir hören, haben eine dunkle Vergangenheit – und sie wenden sich nicht an eine wirklich landesweite Wählerschaft. Wir brauchen politische Parteien, die die Interessen der Nation vertreten – und eben nicht nur die Interessen bestimmter Volks- oder Sprachgruppen.

Können Sie als junger Mensch ihre politischen Rechte ausüben? Sind Sie Mitglied einer Partei?

Ich wollte mich immer schon für ein stabiles, demokratisches Afghanistan einsetzen. In Zukunft würde ich gerne eine Partei gründen, die die Sorgen und Interessen wirklich aller Afghaninnen und Afghanen ernst nimmt.

Wie, glauben Sie, wird Afghnaistan im Jahr 2014 aussehen?

Ich hoffe, dass wir bis 2024 eine tragfähige Volkswirtschaft haben. All jene, die bis 2014 regieren, müssen versuchen, die Grundlagen für eine leistungsfähige afghanische Wirtschaft zu legen, und uns so von internationalen Zuwendungen unabhängig machen. Ich hoffe, wir werden Afghanistans Bodenschätze dazu nutzen können, das Bildungssystem, das Militär usw. zu finanzieren. Dies ist mein größter Wunsch – und ich werde tun, was auch immer nötig ist, um das zu erreichen.