Die grüne Transformation finanzieren – jenseits des Bankensektors

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Es fehlt in Europa an einer ökonomischen Vision

Europa könnte an der Spitze der nächsten industriellen Revolution stehen. Dafür müssen Politik und Wirtschaft einen Wandel zur grünen Ökonomie anstreben. Doch das benötigt grundlegende Reformen.

Die europäische Wirtschaft befindet sich nach wie vor in einem alarmierenden Zustand. Die geringe Inflation malt das Schreckgespenst einer deflationären Abwärtsspirale nach japanischem Vorbild an die Wand. Während die Arbeitslosigkeit Rekordhöhen erreicht und soziale Härten unvermindert zunehmen, werden gleichzeitig Umweltprobleme und die Risiken des Klimawandels immer offensichtlicher. Der Fokus auf Austerität geht zu Lasten von Nachhaltigkeit und Investitionen in neue Jobs. Bisher hat die Europäische Union noch kein Rezept für den Umgang mit dieser ökonomischen, sozialen und ökologischen Dreifachkrise gefunden. Eine Antwort auf diese Herausforderungen könnte eine grüne industrielle Transformation liefern, gepaart mit einer Modernisierungs-Offensive für weniger Emissionen. Sie würden eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung vorantreiben, neue Arbeitsplätze schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und sicherstellen, dass Europa an der Spitze der nächsten industriellen Revolution steht.

Aber diese Transformation zu einer nachhaltigen und effizienten Hochtechnologie-Wirtschaft ist nicht umsonst zu haben. Wir brauchen Investitionen in unsere Energiesysteme, in Mobilität, den Gebäudesektor sowie in viele andere Bereiche. Die Finanzierung dieses industriellen Umschwungs ist ein entscheidender Knackpunkt, bisher fehlen dafür die ausreichenden finanziellen Mittel. Die EU hat einen starken Rückgang bei den Investitionen erlebt, in der Euro-zone sind die Bruttoanlageinvestitionen zwischen 2007 und 2013 um fast 20 Prozent gefallen.

Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen: Erstens sind die öffentlichen Ausgaben deutlich zurückgegangen, weil die Regierungen versuchen, ihre Defizite in den Griff zu bekommen. Zweitens sparen auch etliche Firmen aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit, anstatt das Geld zu investieren. Der Wirtschaftsdienst Bloomberg schätzt, dass europäische Firmen rund zwei Billionen Euro an Vermögen aufgebaut haben. Drittens sind die Kreditmärkte eingefroren, in einigen Teilen Europas ist die Kreditvergabe an die Realwirtschaft stark geschrumpft. Nach Angaben der Europäischen Kommission haben die Bankenkredite an die europäische Wirtschaft im Jahr 2013 einen Tiefpunkt erlebt, und es gibt keine Anzeichen für eine Trendumkehr. Schmerzlich betroffen sind vor allem kleine und mittelgroße Firmen an Europas Peripherie.

Bedauernswerterweise sind die bisherigen makroökonomischen Strategien der Mitgliedsstaaten nicht geeignet, diese Probleme zu lösen. Die Zwangsjacke der Austerität lässt die öffentlichen Investitionen versiegen, eine ökonomische Vision fehlt genauso wie ein kohärenter Plan, um die Attraktivität des europäischen Marktes wiederherzustellen. Zudem halten es viele Experten auch für unwahrscheinlich, dass die jüngste Geldpolitik der Europäischen Zentralbank – mit ihrer Kombination aus negativen Zinsen und zielgerichteten, langfristigeren Refinanzierungs-Operationen – ein ausreichendes Maß an Finanzierung für die Wirtschaft sicherstellen kann. Wenn wir in Europa einen neuen Investitionsschub auslösen wollen, mit dem sich auch eine grüne industrielle Transformation finanzieren ließe, dann heißen die drei zentralen Baustellen: öffentliche Investitionen, ein attraktives Marktumfeld und funktionierende Kreditmärkte.

Baustellen für die Finanzierung der grünen industriellen Transformation

Zu allererst erfordert dies, erstens, eine Abkehr vom Austeritäts-Dogma. Reformen müssen Hand in Hand gehen mit Investitionen, um Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltiges Wachstum gleichermaßen voranzutreiben. Öffentliche Investitionen in Energieeffizienz, um ein Beispiel zu nennen, würden nicht nur neue Jobs schaffen, sondern auch die öffentlichen Ausgaben für die Energieversorgung senken, und neben der Umwelt auch den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen, die von Energiearmut bedroht sind; grüne Infrastruktur-Entwicklungsbanken könnten hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Ein anderes Beispiel: Subventionen für fossile Brennstoffe zu beschneiden würde die öffentliche Hand entlasten und gleichzeitig die Dynamik auf den Energiemärkten in einer Weise verändern, dass mehr Investitionen in Erneuer-bare Energien fließen könnten.

Zweitens kann eine Ordnungspolitik, die Umweltprobleme durch Regulation und Anreize bearbeitet, auch positive wirtschaftliche Rahmenbedingungen und neue Märkte schaffen, und damit Unternehmen und Menschen dazu ermuntern, ihr Geld zu investieren, anstatt es unter das Kopfkissen zu legen. Die Einspeisevergütung für Erneuerbare Energien in Deutschland ist ein Paradebeispiel dafür. Durch den garantierten Festpreis für Strom aus Erneuerbaren hat sie eine ganz neue Gruppe von Entrepreneuren entstehen lassen und gleichzeitig den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Entwicklung des Sektors entlang der gesamten Wertschöpfungskette massiv vorangetrieben.

Eine Studie von Citi Investment Research belegt in ähnlicher Weise, dass Autohersteller von strengeren Standards für den Benzinverbrauch profitieren, weil die Nachfrage nach effizienten Fahrzeugen steigt. Auf diese Weise lässt sich die Umweltkrise in eine Chance für die Wirtschaft übersetzen. Wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Umweltkosten „einpreisen“, dann profitiert nicht nur die Umwelt; es entstehen auch neue Märkte, und diese tragen zu einer nachhaltigen Renaissance der Industrie bei. Ein effektives Emissionshandelssystem wäre in diesem Sinne eine optimale Rahmenbedingung für die Entstehung neuer Märkte; auch aus wirtschaftlichen Interessen sollte die EU das derzeitige System daher einer ernsthaften Reform unterziehen.  
Drittens müssen die Kreditmärkte wiederhergestellt werden. Ein wichtiger Beitrag dazu könnte von außerhalb des traditionellen Bankensektors kommen. Im Vergleich zu den USA bauen europäische Firmen sehr stark auf Bankkredite, diese machen rund 80 Prozent an der Unternehmensfinanzierung aus. In den USA hingegen liegt der Wert bei vergleichsweise mageren 20 Prozent, der größte Teil der Finanzierung kommt hier aus den privaten Kreditmärkten.

Alternative Finanzierungsmöglichkeiten

Grundsätzlich gibt es eine ganze Reihe von alternativen Finanzierungsmöglichkeiten, mit de-nen die Abhängigkeit der europäischen Industrie von Bankkrediten gelockert werden könnte. Ein viel versprechender Pfad ist die Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) über lokale Bond-Märkte. In Deutschland haben fünf Börsen bereits über 50 Anleihen für Mittelständler ausgegeben, die Börse Stuttgart geht vorneweg. Lokale Bondmärkte entstehen derzeit auch in Frankreich und Schweden. Andere Städte und Regionen sollten von diesen Beispielen lernen: Es könnte daher Sinn machen, dass sich erfolgreiche Vorbilder wie Stuttgart mit Partnern in Südeuropa zusammentun, um Städte wie Madrid oder Lissabon bei der Gründung ähnlicher Börsen zu unterstützen.

Ein weiteres viel versprechendes Beispiel ist Crowdfunding, auch wenn es hier um kleinere Summen geht. Wie groß das Potential dieses Instruments ist, lässt sich auch daran ermessen, dass die USA es zu einem Teil ihrer Strategie zur Förderung von Start-ups (dem sogenannten „JOBS Act-Programm“) gemacht haben und kleinen Firmen den Zugang zu dieser Art von Finanzierung erlauben. Auch für die Finanzierung der Energiewende stellt Crowdfunding eine große Chance dar. Die Plattform Mosaic hat beispielsweise den Bau zahlreicher Solarkraft-werke finanziert. Auch in Deutschland werden ersten Schritte in diese Richtung gemacht: Die Plattform bettervest ermöglicht Einzelnen, sich finanziell an Projekten zur Verbesserung der Energieeffizienz zu beteiligen; dafür bekommen sie eine Rendite, die vor allem im derzeitigen Niedrigzinsumfeld interessant ist.

Es gibt weitere Finanzierungskanäle, die es wert sind, genauer erkundet zu werden. Beispielsweise die in den USA bereits gut etablierten Märkte für Privatplatzierungen („private placement system“), die es Pensionsfonds oder Versicherungen erlauben, auf direktem Wege Kredite an Unternehmen zu vergeben. Auch ein vorsichtiges Revival des Verbriefungsmarktes könnte die vermehrte Vergabe von Bankkrediten fördern: Besicherte Anleihen von KMU würden an staatliche Investitionsbanken verkauft, die den Erwerb dieser Bonds an die Auflage koppeln würden, dass die entsprechenden Banken vermehrt Kredite an KMU vergeben. Kalkulationen der Europäische Kommission zufolge könnten Investitionen von zehn Milliarden Euro, gepaart mit einem begrenzten finanziellen Beitrag der Kommission und Instrumenten zur Verbriefungs- und Risiko-Bündelung, Investitionen in KMU von 100 Milliarden Euro stimulieren, von denen bis zu eine Millionen Betriebe profitieren würden. Natürlich müssten diese Instrumente genau auf den Prüfstand kommen, bevor dafür grünes Licht erteilt wird.

Nicht zuletzt ist es natürlich wichtig zu betonen, dass es nicht nur Aufgabe der Grünen oder von Umweltministerien sein kann, die Investitionswelle in die grüne industrielle Transformation anzuschieben. Im Gegenteil, das ist eine Querschnittsaufgabe, und deshalb sollten sich Finanzministerien und Finanzmarktakteure gleichermaßen stärker engagieren. Vom Umgang mit der „carbon bubble“ bis zum Design eines nachhaltigen Finanzsystems (für das sich das Umweltprogramm der Vereinten Nationen ins Zeug legt) gibt es genug Aufgaben, die mehr politische Aufmerksamkeit verdienen. Damit Europa mithilfe einer grünen industriellen Transformation wieder auf die Beine kommt, brauchen wir eine breite Allianz von Akteuren, die gemeinsam den Investitionsschub in die grüne Ökonomie entfesseln helfen.

 

 

 

Der vorliegende Text ist der Publikation "Geld für den Wandel" entnommen, die am 17. September auf boell.de erschienen ist.