Eine Vernunftehe vor dem Aus?

David Cameron und Herman van Rompuy
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Herman van Rompuy bei einem Staatsbesuch in Großbritannien im Oktober vergangenen Jahres

Kaum ist Schottlands Unahabhängigkeitsreferendum vom Tisch, steht die nächste wichtige Entscheidung auf der Insel an: Soll Großbritannien aus der EU austreten? Expert/-innen diskutierten in der Heinrich-Böll-Stiftung über die Zukunft der britisch-europäischen Beziehung.

Gebannt richtet Europa in der letzten Zeit den Blick auf Großbritannien. Das schottische Referendum über einen „Austritt“ aus dem Vereinigten Königreich beschäftigte nicht nur die politische Zunft auf der Insel selbst, sondern auch die der europäischen Mitgliedstaaten und Brüssel. Da war zum Einen die Frage nach einer EU-Mitgliedschaft eines unabhängigen Schottlands. Zum Anderen stand eine mögliche Signalwirkung für andere europäischen Regionen mit separatistischen Bestrebungen wie zum Beispiel Katalonien im Raum. Nun steht das nächste Referendum auf der Insel an: Sollte Premierminister David Cameron bei den Unterhauswahlen 2015 wiedergewählt  werden, will er über einen EU-Austritt bis spätestens 2017 abstimmen lassen.

Die Konsequenzen eines EU-Austritts Großbritanniens wären für Europa wahrscheinlich noch gravierender als die eines Austritts Schottlands aus dem Vereinigten Königreich. Woher kommt der Wunsch in Großbritannien, sich von der EU loszusagen? Wie weit muss - wie weit kann die EU den Briten entgegenkommen, um sie in der Gemeinschaft zu halten?

Podiumdiskussion in der Heinrich-Böll-Stiftung
(v.l.: Almut Möller, Tim Oliver, Christine Pütz, Eric Bonse, Manuel Sarrazin - Foto: Christian Schwöbel)

Zu diesen Fragen veranstaltete die Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) am 9. Oktober 2014 eine Podiumsdiskussion in Berlin. Der Brite Tim Oliver von der Royal Military Academy in Sandhurst analysierte dabei zunächst die Beweggründe der EU-Gegner auf der Insel. Die EU-Skepsis rühre zwar aus einem alten Gefühl, als Insel nicht zu Kontinentaleuropa dazuzugehören und habe sich mit der verstärkten Integration der Europäischen Union laufend zugespitzt, sagte Oliver. Doch er betonte, dass es den EU-Gegnern wie beispielsweise der UK Independence Party (Ukip) nicht ausschließlich um die EU gehe. Vielmehr richte sich ihre Wut auf London, das einen Sonderstatus einnimmt und die Insel wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich dominiert. Der weitverbreitete Eindruck sei, dass die EU und Brüssel ein gewissermaßen potenziertes London seien, wo die Macht noch stärker konzentriert sei. 

Camerons Strategie

Das Vereinigte Königreich ist für die Europäische Union von besonderer Wichtigkeit, sagte Almut Möller von der DGAP.  Als drittgrößter Mitgliedstaat spiele es eine zentrale sicherheitspolitische und ökonomische Rolle. Daher hätten die anderen EU-Länder auch ein großes Interesse daran, Großbritannien in der EU zu halten. Allerdings wisse man in den europäischen Hauptstädten nicht wirklich, wie dies zu erreichen sei, denn außer der Bloomberg-Rede David Camerons von Januar 2013, in der er seine Reformvorhaben ausführte , gebe es kaum Hinweise darauf, was Großbritannien wirklich will. Und selbst in dieser Rede blieb Cameron sehr vage. Diese nebulöse Vorgehensweise ist laut Tim Oliver taktisch begründet:  Geht Cameron mit seinen öffentlichen Forderungen zu weit, mache er einen „Brexit“ (Kunstwort aus „Britain“ und „Exit“, Anm. d. Red.) wahrscheinlicher als ihm selbst lieb ist. Geht er nicht weit genug, wird der innenpolitische Druck der EU-Gegner massiv steigen. Überhaupt, so ergänzt Manuel Sarrazin, Mitglied des Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen, sei das angekündigte Referendum rein innenpolitisch motiviert. Das Ziel sei, Camerons interne Kritiker und die zu großen Teilen EU-skeptische Wählerschaft zu beruhigen. Damit wolle Cameron seine Chancen bei der Unterhauswahl im nächsten Jahr erhöhen. Aus diesem Grund setze er die EU-Mitgliedschaft seines Landes aufs Spiel, von der er selber wisse, dass sie Großbritannien mehr nutzt als schadet, so Sarrazin.

EU bedeutet mehr Macht für Westminster

Wie soll Europa damit umgehen? Der Brüsseler Korrespondent Eric Bonse warnt davor, Großbritannien zu weit entgegenzukommen, da die Europäische Union in diesem Fall schaden nehmen würde. Letztendlich verfolge Cameron das Ziel, die EU auszuhöhlen und auf den gemeinsamen Binnenmarkt zu reduzieren. Dies wäre aber gerade angesichts der jüngsten Krisen der Europäischen Union der falsche Weg. Außerdem sei die EU ohnehin schon sehr stark dereguliert, auch aufgrund britischen Drucks. Bonse bedauerte, dass die übrigen Staaten den Vorstoß aus Großbritannien nicht dazu nutzen, eine wirkliche Reformdebatte über die EU anzustoßen, die dringend nötig wäre. Die übrigen EU-Staaten hätten jedoch den Fehler gemacht, zu stark auf die britische Agenda einzusteigen, statt ihre eigene Agenda zu setzen. Nun redeten alle über die Gefahren eines „Brexits“, nicht aber über die wirklichen Probleme der Europäischen Union, die viel tiefer lägen.

Almut Möller pflichtete dem bei und verwies auf das unterschiedliche Politikverständnis in Großbritannien im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern. So bedeute „mehr Demokratie in Europa“ für viele Briten in erster Linie: mehr Macht für Westminster. Eine Kompetenzdebatte werde auf der Insel fast ausschließlich in Richtung der Rückverlagerung von Kompetenzen auf die nationale Ebene, also im Sinne einer Renationalisierung geführt. Dies habe mit dem Verständnis von Subsidiarität, wie es etwa in Deutschland vorherrscht, wenig zu tun, nach dem eine Kompetenzverlagerung keine Einbahnstraße in die Nationalstaaten ist, sondern Kompetenzen auch nach Brüssel übertragen werden können, wenn es Sinn macht.

Was also wird passieren? Ist die Ehe noch zu retten? Manuel Sarrazin sieht den Ball bei den Briten: Wenn sie in der Europäischen Union bleiben wollen, dann bleiben sie. Eine große Umgestaltung der EU nach britischem Wunsch wird es seiner Einschätzung nach jedoch auf keinen Fall geben, höchstens weitere Sonderregeln für Großbritannien nach Vorbild des so genannten Britenrabatts. Eric Bonse sieht nur dann eine Chance für die Rettung der Ehe, wenn sich beide Seiten ändern, sowohl die Briten als auch die EU. Dies wäre wohl in der Tat bitter nötig, denn Europa braucht beide Akteure in starker Verfassung, um ihre vielfältigen Probleme anzugehen.