„Der Wahlsieg von Fidesz war vorauszusehen“

Blick auf das Parlament in Budapest
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Zum dritten Mal haben die Ungar/-innen in diesem Jahr gewählt

Der Politologe Bulcsú Hunyadi arbeitet in Budapest für den Think Tank Political Capital. Eva van de Rakt, Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag, spricht mit ihm über den Ausgang der Kommunalwahlen in Ungarn und die Probleme der demokratischen Opposition.

Herr Hunyadi, nach der Parlamentswahl im April und den EP-Wahlen im Mai waren die ungarischen Wählerinnen und Wähler am 12. Oktober zum dritten Mal in diesem Jahr aufgefordert, ihre Stimmen abzugeben. Wie interpretieren Sie die Wahlbeteiligung?

Die drei Wahlen, die in diesem Jahr in Ungarn stattfanden, haben die Wählerschaft sicherlich erschöpft. Die niedrige Wahlbeteiligung von 44 Prozent kann jedoch nicht alleine dadurch erklärt werden. Die Wahlbeteiligung geht bei Kommunalwahlen seit 2006 zurück, bei Parlamentswahlen schon seit 2002. Die Gesellschaft ist höchst unzufrieden mit den Parteien und der Art und Weise, wie Politik gemacht wird. Darüber hinaus hatten die Kommunalwahlen wegen der derzeitigen Machtverhältnisse für viele keine Bedeutung – viele Wählerinnen und Wähler sind desillusioniert und gehen davon aus, dass ihre Stimme nichts ändern kann.

Wie haben die einzelnen Parteien abgeschnitten?
Die Wahlergebnisse entsprechen den Erwartungen. Die Regierungspartei Fidesz hat einen landesweiten Sieg errungen und konnte die Mandate, die die Partei bei den Kommunalwahlen vor vier Jahren errungen hat, im Großen und Ganzen verteidigen. Fidesz stellt in 17 der 23 Budapester Bezirke und in 20 der 23 Großstädte insgesamt 35 Bürgermeister und 2 Bürgermeisterinnen. Darüber hinaus verfügt Fidesz über die Mehrheit der Mandate in allen Komitatsversammlungen (Komitat ist die deutsche Bezeichnung für die 19 regionalen Verwaltungsbezirke „megye“ ohne die eigenständige Hauptstadt Budapest, Anm. d. Red.).

Also ist die Partei Fidesz Wahlsiegerin?
Obwohl die Partei Fidesz ihre Mandate verteidigen konnte, ist die Unterstützung für die Partei aber insgesamt zurückgegangen. Die Kandidatinnen und Kandidaten von Fidesz haben bedeutend weniger Stimmen bekommen als 2010. Der erneut gewählte Budapester Oberbürgermeister István Tarlós erhielt zum Beispiel im Vergleich zu 2010 vier Prozentpunkte weniger und verlor beinahe ein Zehntel seiner Wählerschaft. Der Sieg von Fidesz ist also nicht auf eine breite Unterstützung seitens der Wählerinnen und Wähler zurückzuführen, sondern hängt eher mit der ausgesprochen schwachen Leistung der demokratischen Oppositionsparteien und der Politikverdrossenheit der breiten Wählerschaft zusammen.

Wie schnitt die demokratische Opposition ab?
Die linken Oppositionsparteien konnten ihre Positionen kaum verbessern. Statt der bisherigen drei stellen sie nun fünf Bezirksbürgermeister in Budapest und statt einem zwei Bürgermeister in Großstädten (Szeged und Salgótarján).
Die grüne LMP erhielt in Budapest schlechtere Ergebnisse als 2010, in anderen Teilen des Landes bewegt sich die Partei um die Fünfprozenthürde. Positiv für die LMP ist, dass es der Partei gelungen ist, sich über Wasser zu halten. Die landesweite Einbettung der Partei hat sich aber nicht wesentlich verbessert. Statt in vier Komitaten vor vier Jahren, konnte die LMP dieses Mal in fünf von insgesamt 19 Komitaten eine Liste aufstellen. Das beste Ergebnis erreichte der Bürgermeisterkandidat der LMP mit 40 Prozent in der südungarischen Stadt Szekszárd, wo jedoch kein anderer Kandidat der demokratischen Opposition antrat.

Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der rechtsextremen Partei Jobbik?
Im Vergleich zu 2010 konnte nur die rechtsextreme Partei Jobbik bedeutend zulegen. Sie stellt nun in 14 Gemeinden Bürgermeister, darunter auch mittelgroße Städte. In zehn anderen Gemeinden haben unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten mit Jobbiks Unterstützung gewonnen. In 18 Komitaten wurde Jobbik die zweitgrößte Partei. Die Partei konnte ihre Ergebnisse auch in den Großstädten verbessern – mit einer Ausnahme: Budapest. Am Wahlabend prognostizierte der Parteichef Gábor Vona, dass Jobbik 2018 der Hauptherausforderer von Fidesz sein werde.

Der gemeinsame Kandidat der Sozialisten, des Parteibündnisses Együtt-PM und der Demokratischen Koalition für das Amt des Oberbürgermeisters in Budapest, Ferenc Falus, ist im letzten Moment zurückgetreten. Inwiefern hat dieser Rücktritt diesen Parteien geschadet?
Die Umstände, unter denen der Rücktritt von Ferenc Falus erfolgte, spiegeln die Krise und Zerstrittenheit der linken Oppositionsparteien wider. Nach langem Hin und Her haben sich die Sozialisten, Együtt-PM und die DK Anfang August auf eine gemeinsame Kandidatur von Ferenc Falus geeinigt. Obwohl schnell deutlich wurde, dass er kein überzeugender Kandidat ist, haben die Parteien auf seiner Unterstützung beharrt. Zwei Wochen vor der Wahl, Ende September, haben sie ihn plötzlich zurücktreten lassen und sich teilweise hinter Lajos Bokros gestellt – Kandidat einer praktisch nicht existierenden konservativ-liberalen Minipartei. Der Wechsel zu Lajos Bokros hat jedoch zu Differenzen und Spannungen sowohl innerhalb als auch zwischen den Parteien geführt. Durch die Unterstützung der Kandidatur von Lajos Bokros haben sich die Parteien in eine schwierige Lage manövriert. Sie haben in ihre ohnehin schon komplizierten Rivalitäten einen alt-neuen, bisher marginalen Akteur einbezogen und ihn dadurch auf gleiche Augenhöhe gestellt. Die linken Oppositionsparteien sind nicht in der Lage, aus den gröbsten Fehlern zu lernen. Selbst am Wahlabend war für sie nichts wichtiger, als sich gegenseitig die Schuld für die schlechten Ergebnisse in die Schuhe zu schieben.

Im Juli gab der ungarische Premier Viktor Orbán in einer Rede in Rumänien bekannt, dass er einen „illiberalen Staat“ errichten werde. Wie wurde diese Rede in Ungarn wahrgenommen und kommentiert?
Die demokratischen Oppositionsparteien – mit Ausnahme der LMP – und die unabhängigen und regierungskritischen Medien haben die Rede scharf kritisiert. Wobei die Rede eigentlich keine Neuigkeiten beinhaltete. Orbán hat öffentlich benannt, was in Ungarn seit 2010 vor sich geht.

Spielte der Inhalt der Rede Orbáns bei diesen Wahlen eine Rolle?
Die Rede hat den demokratischen Oppositionsparteien zwar eine Angriffsfläche geboten, die sie versuchten zu nutzen. In ihren Kampagnen haben sich diese Parteien auf die Verteidigung der Demokratie und die Abrechnung mit Orbáns System konzentriert. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass diese Botschaften und Strategie die Wählerschaft nicht mobilisieren konnten. Die Wählerinnen und Wähler fühlen sich offensichtlich nicht angesprochen von „veralteten“ Figuren der demokratischen Opposition, von Anti-Orbán-Parolen und von einer Rhetorik, die sich auf die Rettung der Demokratie fokussiert. Auch nicht in Budapest. Es bedürfte neuer und glaubhafter Akteurinnen und Akteure sowie politischer und ernsthafter inhaltlicher Arbeit auf der Oppositionsseite, um wieder Wählerstimmen gewinnen zu können.

Wie unterschied sich dieser kommunale Wahlkampf von anderen?
Eine Besonderheit dieser Wahl war, dass fast überall nicht viel auf dem Spiel stand. Der Sieg von Fidesz war vorauszusehen. Ein weiteres besonderes Merkmal war auch die Lage der linken Oppositionsparteien. Die Wahl war für sie eigentlich eine Vorbereitung auf die nächste und heftigere Phase des Wettstreits untereinander. Vor diesem Hintergrund war die Unterstützung des Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters von Budapest einer praktisch nicht existierenden Minipartei seitens der drei Oppositionsparteien schwer nachvollziehbar und auch problematisch. Dieses Manöver hat einerseits einen weiteren Akteur zur ohnehin schon zersplitterten demokratischen Oppositionslandschaft hinzugefügt und andererseits die Konfliktlinien innerhalb und zwischen den Parteien verschärft – vor allem zwischen der DK und MSZP sowie zwischen Együtt und PM innerhalb der Parteienallianz Együtt-PM.

In Umfragen vor den Wahlen lagen die drei Kandidaten von Fidesz, Jobbik und der Sozialisten in Miskolc Kopf an Kopf. Wie ist die Wahl hier ausgegangen und wie bewerten Sie dieses Ergebnis?
Der Wahlkampf in Miskolc wurde tatsächlich mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Es ist besorgniserregend, dass sich sowohl der Kandidat von Fidesz als auch der Kandidat der Sozialisten an die Law-and-Order-Rhetorik und Roma-feindlichen Botschaften der rechtsextremen Jobbik angepasst haben. Entgegen der Umfragen vor den Wahlen hat der Kandidat von Fidesz den Wettlauf mit erstaunlichem Vorsprung gewonnen, er erzielte knapp 43 Prozent, der Kandidat der Sozialisten rund 38 Prozent. Der Kandidat von Jobbik ist mit 17 Prozent auf Platz 3 gelandet. Die Tatsache, dass die Wählerinnen und Wähler erneut den Kandidaten von Fidesz gewählt haben, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass der von Fidesz geführte Stadtrat in Miskolc vor den Wahlen Maßnahmen durchgesetzt hat, die Roma-feindliche Ressentiments schürten: Im August wurde mit der Räumung eines Elendsviertels und Zwangsräumungen in anderen Teilen der Stadt begonnen, wo hauptsächlich Roma leben. Diese Maßnahmen kommen bei einem Großteil der Wählerschaft leider gut an.

Herr Hunyadi, wir danken Ihnen für das Gespräch.