„Racial Profiling“: Eine menschenrechtswidrige Praxis

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Mehr als 13.000 Menschen hatten bis Ende 2012 eine Petition gegen Racial Profiling unterschrieben

Die polizeiliche Praxis des Racial Profiling verstößt gegen Grund- und Menschenrechte, schreibt Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte - und fordert gesetzliche Änderungen.

Am 3. Dezember 2010 steigt ein deutscher Student in einen Regionalzug von Kassel nach Frankfurt/Main. Er studiert in Kassel und möchte über das Wochenende seine Eltern besuchen. Nach dem zweiten Zwischenstopp des Zuges verlässt er das Abteil, um sich einen Tee zu holen. Auf dem Weg zurück zu seinem Platz wird er von zwei Beamten der Bundespolizei wahrgenommen, angesprochen und aufgefordert, sich auszuweisen. Er weigert sich, sich auszuweisen. Die Polizisten durchsuchen daraufhin seinen Rucksack, ohne darin Ausweispapiere finden zu können. Schließlich wird er zur Dienstelle der Bundespolizei nach Kassel verbracht, wo seine Personalien festgestellt werden.

Dieser Fall, der in den Medien erhebliche Aufmerksamkeit erzeugt hat, kann als plastisches Beispiel dafür dienen, welcher staatlichen Kontrollmacht Menschen durch „Racial Profiling“ in Deutschland im Alltag ausgesetzt sind. Dabei geht es um die polizeiliche Praxis, unveränderliche Merkmale, die das äußere Erscheinungsbild eines Menschen prägen, als Entscheidungsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen wie Personenkontrollen heranzuziehen.

Wie kann es zu solchen polizeilichen Maßnahmen kommen?

Einer der beiden Beamten sagt dazu später vor Gericht aus, dass sie im Rahmen von Personenkontrollen zur Verhinderung unrechtmäßiger Einreise Leute ansprechen, die einem „als Ausländer erschienen“. Dies richte sich „nach der Hautfarbe, aber auch danach, ob der Reisende Gepäck bei sich habe oder irgendwo alleine im Zug stehe“. Der Betroffene sei „aufgrund seiner Hautfarbe ins Raster gefallen“.

Grundlage für eine solche Vorgehensweise sind Gesetzesbestimmungen, welche die Polizei in weitreichender Weise ermächtigen, an bestimmten Orten Personenkontrollen durchzuführen: ohne dass sich eine Person durch ihr Verhalten verdächtig macht, ohne dass irgendwelche konkreten Anzeichen oder Tatsachen vorliegen müssen, die einen konkreten Verdacht gegen eine Person begründen.

Anders als das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland­Pfalz, das im Oktober 2012 in dem geschilderten Fall eine verbotene Diskriminierung nach Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz (Art. 3 Abs. 3 GG) festgestellt hat, erachtete das Verwaltungsgericht Koblenz in erster Instanz die Kontrolle für zulässig. Zur Begründung stellte das Verwaltungsgericht darauf ab, dass die Bundespolizei dazu gemäß § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz berechtigt sei. Nach dieser Vorschrift kann die Bundespolizei jede Person in Bahnhöfen, Zügen und Flughäfen zum Zweck der Migrationskontrolle anhalten, befragen und Ausweispiere verlangen sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen.

Betroffenenorganisationen in Deutschland üben zunehmend öffentlich Kritik an der Praxis rassistischer Personenkontrollen. Die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ hat beispielsweise Ende 2012 beim Petitionsausschuss des Bundestages eine Petition eingereicht, die sich gegen die Praxis der Bundespolizei wendet. Die Petition wurde von mehr als 13.000 Menschen gezeichnet und erreichte damit Rang 13 gemessen an der Anzahl der Mitzeichnungen, bei insgesamt 526 öffentlichen Petitionen im Jahr 2012. Die Bundesregierung vertritt hingegen den Standpunkt, dass es in Deutschland keine Praxis des „Racial Profiling“ durch die Bundespolizei gebe.

Verbot rassistischer Diskriminierung

Niemand darf wegen seiner „Rasse“ benachteiligt werden, so heißt es in der fundamentalen Verfassungsnorm des Art. 3 Abs. 3 (GG). Damit – wenn auch in der Formulierung problematisch, da diese den Anschein weckt, es gebe unterschiedliche „Rassen“ (siehe dazu Cremer 2010) – verbietet das Grundgesetz rassistische Diskriminierungen. Das Verbot rassistischer Diskriminierung ist ebenso elementarer Bestandteil der europäischen und internationalen Menschenrechtsschutzsysteme. Rassistische Diskriminierung verbieten etwa Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Art. 2 Abs. 1 und Art. 26 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) sowie das Übereinkommen gegen rassistische Diskriminierung (ICERD) als spezielle Konvention zur Bekämpfung von Rassismus. Sämtliche Verträge sind von Deutschland ratifiziert worden und damit innerstaatlich geltendes Recht, an das Polizei und Gerichte gebunden sind (Art. 20 Abs. 3 GG).

Die Gewährleistungen der von Deutschland ratifizierten Menschenrechtsverträge sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch bei der Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes zu berücksichtigen, um Völkerrechtsverstöße zu vermeiden (siehe etwa BVerfG 2011: Ziffer 52). Das Verbot rassistischer Diskriminierung nach Art. 3 Abs. 3 GG ist demzufolge unter Berücksichtigung menschenrechtlicher Garantien aus europäischen und internationalen Menschenrechtsverträgen auszulegen.

Schutz vor Ungleichbehandlung

Art. 3 Abs. 3 GG schützt vor Ungleichbehandlungen, die an das phänotypische Erscheinungsbild eines Menschen anknüpfen. Wählen Polizeibeamt/innen unveränderliche Merkmale, die das äußere Erscheinungsbild eines Menschen prägen, wie Hautfarbe oder Gesichtszüge, als Auswahlkriterium für anlasslose Personenkontrollen, liegt eine solche Ungleichbehandlung vor.

Das Verbot von Ungleichbehandlungen wegen des phänotypischen Erscheinungsbildes ist inhaltlicher Bestandteil des Verbots rassistischer Diskriminierung. Alle genannten Bestimmungen der EMRK und des IPbpR wie auch das Übereinkommen gegen rassistische Diskriminierung verbieten eine Ungleichbehandlung aufgrund der Merkmale „Rasse“ und „Hautfarbe“. Dabei ist der Bezug auf diese Merkmale so zu lesen, dass sie sich auf die dahinterstehende rassistische Konstruktion von Menschengruppen beziehen. Insofern ist es unerheblich, dass Art. 3 Abs. 3 GG „Hautfarbe“ nicht explizit als spezielles Diskriminierungsmerkmal nennt. Es wird durch das Differenzierungsmerkmal der „Rasse“ in Art. 3 Grundgesetz miterfasst.

Schließlich gehen rassistische Konzepte – Ungleichbehandlungen aufgrund der „Rasse“ – historisch auf die Idee zurück, Menschen anhand biologistischer Kriterien – wie etwa Hautfarbe oder Gesichtszüge – zu klassifizieren (vgl. auch EGMR 2005: Ziffer 55). Dabei werden aus einer Vielzahl visuell sichtbarer körperlicher Eigenschaften einzelne Merkmale herausgegriffen und Grenzen zwischen den variierenden körperlichen Merkmalen von Menschen gezogen. Auf dieser Grundlage werden Menschen unterschieden und ihnen pauschal bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensmuster zugeschrieben (vgl. am Beispiel der Hautfarbe Arndt 2011). Im Falle von polizeilichen Personenkontrollen geht es etwa darum, dass Menschen nach ihrem phänotypischen Erscheinungsbild unterschieden und verdächtigt werden, sich irregulär im Land aufzuhalten.   

Dementsprechend ist der Begriff „Rasse“ auch nicht in einem biologistischen, sondern in einem soziologischen Sinn zu verstehen, im Sinne einer sozialen Konstruktion (siehe dazu etwa ECRI 2002: S. 5, Fn.1). Der Grund für die Verwendung des Begriffs im Grundgesetz und menschenrechtlichen Verträgen zum Schutz vor Rassismus liegt darin, dass die für Rassismus typische Kategorisierung von Menschen historisch mit dem Begriff/der Kategorie „Rasse“ erfolgte. 

Für die Frage, ob eine staatliche Handlung eine Ungleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 3 GG darstellt, ist es irrelevant, aus welchen Motiven heraus – nach dem Gesetz und/oder im Einzelfall – die Ungleichbehandlung erfolgt. Für das Vorliegen einer Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG und menschenrechtlicher Diskriminierungsverbote ist einzig entscheidend, ob eine benachteiligende Behandlung durch staatlich zurechenbares Handeln gegeben ist.

Eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG und menschenrechtlicher Diskriminierungsverbote liegt vor, wenn sie an ein Diskriminierungsmerkmal anknüpft (BVerfG 2008: Ziffer 48). Ob von der Polizei weitere Kriterien als das phänotypische Erscheinungsbild bei einer anlasslosen Personenkontrolle herangezogen werden, ist für das Vorliegen einer Ungleichbehandlung nicht ausschlaggebend. Eine Ungleichbehandlung liegt auch dann vor, wenn weitere Kriterien – wie etwa das Reisen mit Gepäck – für die Auswahl existieren.

In diesem Fall werden zwar nicht alle Personen, die nach dem physischen Erscheinungsbild ins Raster fallen, kontrolliert. Es werden aber weiterhin nur Personen kontrolliert, die diese Voraussetzung (auch) erfüllen. Folglich bleibt es bei einer Ungleichbehandlung aufgrund des phänotypischen Erscheinungsbilds.

Schutz vor faktischen Diskriminierungen

Art. 3 Abs. 3 GG und die menschenrechtlichen Diskriminierungsverbote schützen nicht nur vor Gesetzesbestimmungen, die schon nach ihrem Gesetzeswortlaut Ungleichbehandlungen vorsehen. Sie kommen auch dann zum Tragen, wenn Gesetzesbestimmungen nicht unmittelbar ersichtlich zu Diskriminierungen führen (BVerfG 2008: Ziffer 49; EGMR 2007).

Aus der Perspektive der Betroffenen – auf diese kommt es beim Grund- und Menschenrechtsschutz an – ist es unerheblich, ob Diskriminierungen direkt aus dem Gesetz ablesbar sind oder ob sie erst in der Ausführung durch die Exekutive ersichtlich werden. Auch solche Bestimmungen sind anerkanntermaßen grund- und menschenrechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, des Bundesverfassungsgerichts (siehe etwa BVerfG 2008: Ziffer 48 f.) wie auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR 2007: insbesondere Ziffer 175, 185, 193) trifft den Gesetzgeber eine Ergebnispflicht zum Schutz vor faktischer Diskriminierung. Auch nach dem Übereinkommen gegen rassistische Diskriminierung (ICERD) kommt es ausdrücklich darauf an, ob Gesetze Diskriminierungen „bewirken“ (Art. 2 Abs. 1 c, ICERD).

Der eingangs erwähnte § 22 Abs. 1 a des Bundespolizeigesetzes ist vor diesem Hintergrund nicht mit Art. 3 Abs. 3 GG in Einklang zu bringen. Dem Wortlaut von § 22 Abs. 1 a BPolG lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG nicht entnehmen. Er spricht nicht etwa von Personen mit einem bestimmten Aussehen, etwa von Personen mit „dunkler Hautfarbe“, sondern von „jeder Person“, die kontrolliert werden kann. Ob § 22 Abs. 1 a BPolG mit Art. 3 Abs. 3 GG vereinbar ist, richtet sich indes nicht allein nach einer reinen, isolierten Wortlautbetrachtung der Norm. Entscheidender sind hier vielmehr der Zweck der Norm und seine Auswirkungen in der Praxis.

In der Gesetzesbegründung ist davon die Rede, dass die Personenkontrollen der Bundespolizei gemäß § 22 Abs. 1 a BPolG „stichprobenartig“ erfolgen (Bundestag-Drucksache 13/10790, S. 4). Dieser Terminus ist missverständlich, weil man damit assoziieren könnte, die Kontrollen würden einem bestimmten, festgelegten System folgen, von dem grundsätzlich jede Person erfasst werden kann. Dies ist indes nicht der Fall. Die Befugnis, jede Person anhalten und kontrollieren zu können, ermächtigt die kontrollierenden Bundespolizist/innen vielmehr dazu, in einem Zug, in einem Bahnhof oder Flughafen frei auszuwählen, welche Personen sie kontrollieren. Die einzelnen Personen werden von den jeweiligen Beamt/innen der Bundespolizei vor Ort ausgesucht.

§ 22 Abs. 1 a BPolG ermächtigt die Beamt/innen der Bundespolizei demnach dazu, selektiv vorzugehen, ohne dabei das Verhalten einer Person zum Anlass ihrer Kontrolle nehmen zu müssen. Es soll vielmehr Ausschau gehalten werden nach Personen, die sich unerlaubt im Land aufhalten. Bei einem solchen Gesetzesauftrag ist es naheliegend, dass die Bundespolizei die Personen in erster Linie nach phänotypischen Merkmalen aussucht. Es kann ja in der Realität im Wesentlichen nur um (solche) äußerliche Merkmale gehen, wenn die Auswahl allein durch Inaugenscheinnahme geschehen kann und soll (vgl. Seebode 1998: S. 111). Das Gesetz suggeriert folglich, dass sich der Aufenthaltsstatus von Menschen auf der Grundlage von phänotypischen Merkmalen festmachen ließe. Vor diesem Hintergrund ergibt sich bereits aus der Norm selbst, aus ihrem Zweck, dass sie auf Diskriminierungen angelegt ist.

In welchem Umfang die Praxis diskriminierender Personenkontrollen auf der Grundlage von § 22 Absatz 1 a BPolG geschieht, lässt sich statistisch zwar nicht erfassen. Für die Beamt/innen der Bundespolizei bilden unveränderliche äußerliche Merkmale aber regelmäßig einen Verdacht auslösendes Kriterium, welche sie bei den Kontrollen als Auswahlkriterium heranziehen (vgl. Cremer 2013: S. 27 ff.; ebenso DAV 2013; Monitor 2014). Bestätigt wurde dies auch vom Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, in einem im Oktober 2013 erschienenen Interview der "tageszeitung".

Keine Rechtfertigung

Selektive Personenkontrollen, die auf Kriterien wie der Hautfarbe oder anderen physischen Merkmalen eines Menschen basieren, sind grund- und menschenrechtlich absolut verboten.

Es geht im Falle selektiver Personenkontrollen um den Kern des grund- und menschenrechtlich verbrieften Diskriminierungsschutzes, der im engen Zusammenhang zum Ausgangspunkt der Menschenrechte steht: dem Schutz der individuellen Menschenwürde (vgl. Human Rights Committee 2009: Ziffer 7.2; FRA 2010: S. 19).

Der selektiven Personenkontrolle liegt ein Pauschalverdacht zugrunde. Ein solcher Verdacht wiegt schwer, so dass es auch nicht darauf ankommt, ob sich die betroffene Person dieses Verdachts durch Vorlage von Ausweispapieren wieder schnell entledigen kann. Ohne dass sie durch ihr Verhalten einen Anlass gegeben hat, wird die betroffene Person in einen kriminellen Zusammenhang gestellt. Grund ist die Zuordnung zu einer Gruppe, die über nicht veränderliche Merkmale wie Hautfarbe oder andere äußerliche Merkmale definiert wird. Mit dem Anknüpfen einer belastenden hoheitlichen Maßnahme an ein unveränderliches Merkmal wird der persönliche Achtungsanspruch Betroffener negiert.

Abgesehen davon, dass das Handeln von Polizist/innen in solchen Fällen auf Stereotypen basiert, hat ihr Handeln – als Staatsgewalt – eine Außenwirkung, die bestehende Stereotype in der Gesellschaft in besonderem Maße bekräftigen kann. Die Betroffenen werden dadurch öffentlich für die ganze Umgebung sichtbar in einen kriminellen Kontext gestellt. Bestehende Stereotype bei Außenstehenden können so in besonderem Maße bekräftigt werden (ebenso Court of Quebec 2005: Ziffer 30 f.; FRA 2010: S. 19 f.). Dies gilt umso mehr, als die Polizei in der Regel nur dann Personen kontrollieren darf, wenn ein konkreter Anlass besteht. In der Regel dürfen Ausstehende also davon ausgehen, dass sich eine Person verdächtig gemacht hat, wenn sie kontrolliert wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale „nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Artikel 3 Absatz 3 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt“ (BVerfGE 1992: S. 206). Selektive Kontrollen, die auf rassistischen Kriterien wie der Hautfarbe oder anderen physischen Merkmalen wie den Gesichtszügen eines Menschen basieren, knüpfen an das in Art. 3 Abs. 3 GG genannte Merkmal der „Rasse“ an. Sie sind demnach absolut verboten.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wertet rassistische Diskriminierung als besonders schwerwiegende und verletzende Form der Diskriminierung mit tiefgreifenden Gefahren für die Gesellschaft. Das Verbot rassistischer Diskriminierung ist demnach von herausragender Bedeutung - die Bekämpfung von Rassismus ein wichtiges öffentliches Interesse (EGMR 2007: Ziffer 204). Dementsprechend hat der EGMR wiederholt darauf hingewiesen, dass eine unmittelbare rassistische Differenzierung in einer modernen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft nicht sachlich gerechtfertigt werden kann (EGMR 2007: Ziffer 176; EGMR 2008: Ziffer 69).

Zum gleichen Ergebnis kommt der UN-Ausschuss für bürgerliche und politische Rechte. Er hat in einer einschlägigen Entscheidung ausgeführt, dass selektive Personenkontrollen, die sich an spezifischen körperlichen Merkmalen orientieren, nicht nur die Würde der Betroffenen beeinträchtigen, sondern auch zur Verbreitung rassistischer Einstellungen in der allgemeinen Öffentlichkeit beitragen und einer wirksamen Politik zur Bekämpfung von Rassismus zuwiderlaufen (Human Rights Committee 2009: Ziffer 7.2).

Dementsprechend fordert der UN-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung, dass die Vertragsstaaten des Übereinkommens gegen rassistische Diskriminierung präventiv tätig werden und Maßnahmen ergreifen, um „Racial Profiling“ grundsätzlich zu verhindern (CERD 2005: Ziffer 20; außerdem CERD 2004: Ziffer 7 und 9 f.; vgl. ebenso ECRI 2007).

Selektive Kontrollen sind nach alledem auch deswegen nicht zu rechtfertigen, weil sie auch gesamtgesellschaftlich negative Folgen haben: für das friedliche Zusammenleben, für das Vertrauen in die Polizei und für die Zugehörigkeit und Teilhabe betroffener Gruppen (vgl. FRA, S. 19 f.; Court of Quebec 2005: Ziffer 30 f.) in Deutschland. Eine auf Menschenrechten gründende Staats- und Gesellschaftsordnung wird untergraben, wenn Staatsorgane den auf der Menschenwürde beruhenden persönlichen Achtungsanspruch von Menschen missachten und sie aufgrund unveränderlicher Merkmale pauschal verdächtigen.

Fazit und Ausblick 

Dieser Beitrag hat am Beispiel von § 22 Abs. 1 a BPolG aufgezeigt, dass auch scheinbar neutrale Gesetzesbestimmungen gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen können. § 22 Abs. 1 a BPolG ist darauf angelegt, dass die Beamt/innen der Bundespolizei unveränderliche äußerliche Merkmale bei der Auswahl von Personen heranziehen und demzufolge regelmäßig diskriminierende Personenkontrollen vornehmen. Zudem verstößt das Gesetz auch gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit (siehe genauer Cremer 2013: S. 16 ff.).

Die Erläuterungen zu § 22 Abs. 1 a BPolG sind beispielhaft zu verstehen, da es weitere Gesetzesbestimmungen auf Bundes- und Landesebene gibt, die vergleichbare polizeiliche Ermächtigungen zu anlasslosen Personenkontrollen beinhalten. Entsprechende Gesetze sind daher dringend von den Gesetzgebern auf Bundes- und Landesebene aufzuheben. Die Europarat-Kommission gegen Rassismus hat in ihrem jüngsten Bericht über Deutschland, der im Februar 2014 erschienen ist, die weitreichenden polizeirechtlichen Ermächtigungsnormen für anlasslose Personenkontrollen in Bund und Ländern kritisiert und Deutschland empfohlen, polizeiliche Maßnahmen wie Personenkontrollen immer an einen konkreten Verdacht zu knüpfen (ECRI 2014: Ziffer 15 f.).

Um die Praxis des „Racial Profiling“ zu beenden, ist es ebenso erforderlich, dass das grund- und menschenrechtliche Diskriminierungsverbot in der Polizeiarbeit fest und nachhaltig verankert wird. Erforderlich sind eine stärkere Vermittlung menschen- und grundrechtlichen Wissens und dessen Kontextualisierung in der Polizeiarbeit. Sowohl in der Ausbildung als auch in der Fortbildung von Polizeibeamt/innen sollte dem Thema angemessener Raum gegeben werden. Auch Einsatzpläne und -strategien der Polizeibehörden sind dementsprechend zu überprüfen. Polizeibeamt/innen müssen in die Lage versetzt werden, ihre hoheitlichen Aufgaben stets ohne diskriminierendes Profiling durchzuführen.

In einigen Bundesländern gibt es hierzu erste positive Anknüpfungspunkte. Punktuell beginnt auf Landesebene etwa eine Diskussion über ein explizites gesetzliches Verbot von „Racial Profiling“ und die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Aus- und Fortbildung der Landespolizei.  

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 Dieser Artikel erschien zuerst im Dossier "Welcome to Germany II" auf Heimatkunde und ist auch als PDF erhältlich.

 

 

 

Literatur

Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) (2010): Für eine effektivere Polizeiarbeit, Diskriminierendes „Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden, Handbuch, Luxemburg.

Arndt, Susan (2011): Hautfarbe, in: Arndt, Susan / Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.), Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache, Münster, S. 332–342.

Bundesverfassungsgericht (BVerfG) (2011), Beschluss vom 23.03.2011, 2 BvR 882/09.

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Bundesverfassungsgericht (BVerfG) (1992), Urteil vom 28.01.1992, In: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 85. Band, Tübingen.

Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) (2005): General Comment (Recommendation) No 31 on the prevention of racial discrimination in the administration and functioning of the criminal justice system.

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Court of Quebec (Criminal Division), Urteil vom 27.01.2005 (The Queen v. Campbell, Alexer).

Cremer, Hendrik (2013): „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz, Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.), Berlin (PDF).

Cremer Hendrik (2010): Ein Grundgesetz ohne „Rasse“ – Vorschlag für eine Änderung von Artikel 3 Grundgesetz, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin (PDF).

die tageszeitung, Racial Profiling bei der Polizei. „Igittigitt, das ist Rassismus“, 27.10.2013.

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Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) (2014): ECRI-Bericht über Deutschland (fünfte Prüfungsrunde), veröffentlicht am 25. Februar 2014 (PDF).

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Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) (2002): Allgemeine politische Empfehlung Nr. 7 vom 13. Dezember 2002, Nationale Gesetzgebung zur Bekämpfung von Rassismus, Straßburg.

Human Rights Committee, Entscheidung vom 27.07.2009, Communication No. 493/2006 (Williams Lecraft gegen Spanien).

Monitor, Kontrolle nach Hautfarbe, Wie der Staat Minderheiten schikaniert, ARD, 20.2.2014, 21:45-22:15 Uhr.

Seebode, Manfred, Deutscher Bundestag, Sitzung des Innenausschusses am 15. Juni 1998, Öffentliche Anhörung von Sachverständigen zu dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesgrenzschutzgesetzes, Drucksache 13/10790.