Neue Schikanen gegen Zivilgesellschaft in Belarus

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Elena Tonkacheva

Die anerkannte Menschenrechtlerin Elena Tonkacheva muss das Land verlassen. Als Begründung werden Geschwindigkeitsübertretungen im Straßenverkehr angebracht.

Eine dem belarussischen Innenminister untergeordnete Minsker Behörde hat am 5. November 2014 die dauerhafte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung von Elena Tonkacheva für Belarus aufgehoben. Die Leiterin des Minsker Legal Transformation Center "Lawtrend", Juristin und anerkannte Menschenrechtlerin, ist russische Staatsangehörige, lebt aber seit über 30 Jahren mit Familie in Belarus, wo sie auch ihren Hochschulabschluss erworben hat. Nach der Entscheidung der Behörde muss sie nun das Land innerhalb von 30 Tagen verlassen und ist für drei Jahre mit einer Wiedereinreisesperre belegt.

Das Aufenthaltsrecht gestattet die Aufhebung von Aufenthaltsgenehmigungen ausländischer Staatsbürger/innen aus Gründen der Wahrung der öffentlichen Sicherheit. Diese sei gefährdet, da Elena Tonkacheva in fünf Fällen innerhalb eines Jahres die geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr um 10-20 km/h überschritten habe - so die Begründung der Behörde. Tonkacheva war nicht in Unfälle oder andere Delikte verwickelt.

Die Geschäftsführerin von "Lawtrend", Olga Smolianko, hält die Entscheidung der Behörde für politisch motiviert: "Die Entscheidung bestraft Elena für ihre Menschenrechtsarbeit im Vorfeld der anstehenden Präsidentschaftswahlen in Belarus. [...] Offensichtlich ist die Feststellung einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aufgrund von unbedeutenden Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr komplett unverhältnismäßig." Seit 1996 haben die Behörden schon zwei Mal von ihr gegründete Organisationen verboten. Aufgrund ihrer Teilnahme an einer Sitzung der parlamentarischen Versammlung des Europarates war sie 2011 von Präsident Lukashenko als Teil der "fünften Kolonne" bezeichnet worden.

Mittlerweile haben sich bereits mehr als 7700 Menschen an einer Petition zur Unterstützung von Elena Tonkacheva beteiligt. Auch die belarussische Nationale Plattform des Civil Society Forum der Östlichen Partnerschaft der EU, ein Zusammenschluss von über 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Belarus, hat sich mit Elena solidarisiert. In der Erklärung beklagt die Nationale Plattform auch, dass die Einhaltung der Menschenrechte in Belarus in den Beziehungen der EU zu Belarus keine Priorität mehr genieße. Die diplomatischen Vertretungen der EU-Länder sowie internationaler Organisationen werden aufgefordert, sich mit ihren Möglichkeiten im Fall Tonkacheva zu engagieren.

Das von Elena Tonkacheva geleitete Legal Transformation Center "Lawtrend" ist eine angesehene Menschenrechtsorganisation, die sich in zahlreichen Berichten und Analysen mit der Umsetzung internationaler Menschenrechtsstandards in Belarus befasst und Bildungs-, Beratungs- und Monitoringaktivitäten durchführt. In ihrer Funktion war Elena Tonkacheva bereits mehrfach auch Gast der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.
 

Nachtrag (10.12.2014):
Am 28. November 2014 entschied das zuständige Minsker Bezirksgericht, zur Klärung des Verfahrens die Aufenthaltsgenehmigung von Elena Tonkacheva zunächst um einen Monat zu verlängern.

Nachtrag II (23.02.2015):
Nach Bestätigung der Ausweisung durch die letztmögliche Instanz war Elena Tonkacheva gezwungen, Belarus am 21. Februar 2015 zu verlassen. Sie plant nun, ihre Arbeit für und mit "Lawtrend" von der litauischen Hauptstadt Vilnius aus fortzusetzen.