Der Wahlkampf in der Türkei ist eingeleitet

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Auch während der Kommunalwahlen im März 2014 prägte die Polizei das Straßenbild in Istanbul

Im Juni 2015 finden in der Türkei Parlamentswahlen statt. Mit dem Vorgehen gegen die Gülen-Bewegung beschwört die AKP wieder einmal vermeintliche Putschversuche, um die Nation hinter sich zu versammeln. Ein Kommentar von Ulrike Dufner.

So sehr die Verhaftungen der Journalisten und Schauspieler in der Türkei vom vergangenen Wochenende (14.12.2014) zu verurteilen sind. Es hat hier niemanden wirklich überrascht. Nicht nur, dass schon einige Tage zuvor der anonyme Informant Fuat Avni[1] über Twitter eine Verhaftungswelle in weit größerem Umfang ankündigte. Der Konflikt der gegenwärtigen Regierung mit der Gülen-Bewegung bestand weiter. Die türkische Regierung hat zwar ihren Weg gefunden, den von der Gülen-Bewegung ausgelösten Korruptionsskandal beiseite zu schaffen und unter den Teppich zu kehren. Ebenso wurden Tausende von Polizeibeamten insbesondere der Einheiten für Organisierte Kriminalität, welche vor genau einem Jahr die Regierungsclique im Visier hatten, aus ihren Ämtern gefegt.

Aber der Einfluss der Gülen-Bewegung war dennoch nicht gebrochen: Gerade über ihr dichtes Netz an Zeitungen und über ihre Fernsehkanäle erreichte sie weiter mit ihren kritischen Stimmen die Massen. Es gelang der AKP-Regierung daher zwar, in der Öffentlichkeit das Bild zu verbreiten, die Gülen-Bewegung habe mit den Polizeirazzien gegen Regierungsmitglieder und Familienangehörige vor einem Jahr versucht, die Regierung zu stürzen. Es gelang ihr aber nicht, die Öffentlichkeit von ihrer „Unschuld“ und „weißen Weste“ zu überzeugen.

Die AK Partei – Weiße Partei – war befleckt. Insofern ließ dies der Regierungspartei und ihrer Führungsspitze keine Ruhe. Vergeltung dürfte daher ein Motiv gewesen sein, kurz vor dem Jahrestag der Korruptionsaffäre zum Gegenschlag gegen die Medien auszuholen. Damit wird auch verhindert, dass die Medien sich nun mit der Frage befassen, wie weit denn die Aufklärung über die Korruption gediehen ist. Die Verhaftungswelle bietet der Regierung auch die Möglichkeit, in „ihren“ Medien das Bild zu erhärten, dass die Gülen-Bewegung einen „Putsch“ geplant hatte.

Die Regierung als "Opfer"

Erneut twitterte Fuad Avni gestern und warnte vor Demonstrationen: die Regierung beabsichtige, unter die Demonstranten Provokateure einzuschleusen. Diese sollten dann mit radikal-religiösen Schriften bestückt werden. Was wäre günstiger, als derartige Demonstrationen in den Ruch radikal-islamistischer Kreise zu rücken. Man hätte damit auch gegenüber dem „Westen“ ein gelungenes Motiv zum Einschreiten: wer will heute schon für religiös-politische Kreise einschreiten. Zugleich – damit ließe sich der Vorwurf, ISID nicht hart genug zu bekämpfen, auch noch mit vom Tisch wischen.

Schließlich geht es um weit mehr: in der Türkei stehen im Juni 2015 Parlamentswahlen ins Haus. Aus der Erfahrung der vergangenen Wahlen haben wir eine Lektion gelernt: Es gehört zum Wahlkampf in der Türkei der letzten Jahre, dass politische Krisen, vermeintliche Putschversuche oder die Gefährdung der inneren Sicherheit herauf beschworen werden. Die Regierung ist dann „Opfer“ der gefährlichen und undankbaren Opposition. Demonstrationen, Proteste oder kritische Medienberichterstattung werden dann in den Kontext von Verschwörungen gegen die Regierung gerückt und kriminalisiert.

Auf diese Weise wird versucht, die Nation hinter sich zu scharen, Opposition zu diffamieren und als „Feind“ der Nation darzustellen. Wie anders wäre es zu erklären, dass der Korruptionsskandal oder die Gezi-Proteste nach offizieller Lesart einen „Putschversuch“ darstellten? Wie anders wäre es zu erklären, dass die pro-kurdische Partei HDP für die über vierzig Toten bei den Demonstrationen Anfang Oktober 2014 verantwortlich gemacht werden. Opposition – sei es in Form von Demonstrationen, von juristischen Verfahren wegen Korruption oder kritischer Medienberichterstattung – wird als Versuch eines Staatsstreiches gewertet, gegen die sich das Regime zur Wehr setzen muss.

In den kommenden Monaten werden wir weitere Verunglimpfungen von demokratischem Protest erleben. Denn Wahlkampf ist darauf gerichtet, die bestehende Regierung abzulösen und selbst ans Ruder zu gelangen.

 

[1]Unter dem Namen Fuat Avni erscheinen regelmäßig Twitter-Meldungen, die über Pläne aus dem engen Kreis der Regierung berichten. Wer sich hinter Fuat Avni berichtet, ist bisher nicht bekannt.