Begrüßungsrede: Agrarökologie – vergessen oder verdrängt?

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Während die landwirtschaftliche Produktion zwischen 1960 und 2005 weltweit um mehr als 150% angestiegen ist, hungern noch immer weit mehr als 800 Mio Menschen weltweit - zum großen Teil Kleinbauern und Bäuerinnen

Zum Auftakt der Grünen Woche diskutiert ein Internationales Symposium am 15. Januar in der Heinrich-Böll-Stiftung die ökologischen Potentiale einer nachhaltigen und gerechten Ernährungswende. Die Eröffnungsrede von Barbara Unmüßig.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

ich möchte Sie herzlich auch im Namen von Oxfam und WWF bei uns in der Heinrich Böll Stiftung zum gemeinsamen Symposium „Agrarökologie, vergessen oder verdrängt – Potentiale für eine ökologische und gerechte Ernährungswende“ begrüßen.

Uns dreien ist es ein besonderes Anliegen, zum Auftakt der diesjährigen „Grünen Woche“ einen Diskussionsraum zu den Chancen von Agrarökologie zu schaffen. Wir müssen neben all unserer Kritik am agrarindustriellen Produktionsmodell die Alternativen aufzeigen, sie an die Öffentlichkeit bringen und endlich politisch wieder auf die Agenda setzen. Gründe und Anlässe dafür gibt es 2015 genug. Ganz bestimmt ist das UN-Jahr der Böden ein solcher Anlass, ebenso die Nachhaltigkeitsziele, die die UNO im Herbst verabschieden will.

Agrarökologisches Wirtschaften ist ein zentraler Ansatz zum Erhalt einer lebendigen Humusschicht und damit zur Bodenfruchtbarkeit. Böden sind unendlich wichtig. Sie sind lebendig – in einer Hand voll Boden leben mehr Organismen als Menschen auf der Erde. Böden sind nach den Ozeanen der größte Kohlenstoffspeicher der Welt – sie speichern weit mehr Kohlenstoff als alle Wälder unserer Welt zusammen. Und sie sind überlebenswichtig für die Menschen, denn ohne gesunde Böden werden wir keine gesunde Nahrung für alle produzieren können.

Doch statt die Produktivität und Nachhaltigkeit durch Bio-Landwirtschaft zu fördern, verlieren wir durch agrarindustrielle Produktionsmethoden fast 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Boden jährlich. Wir tun so, als sei Boden unerschöpflich. Er ist aber eine endliche Ressource und in menschlichen Zeiträumen nicht erneuerbar.

Die Bodenverluste werden sich noch verstärken, wenn sich die Ernährungs- und Konsumgewohnheiten der globalen Mittelschichten weiter denen der Industrieländer anpassen: UNEP geht davon aus, dass bei gleichbleibender Entwicklung der Ernährungsmuster zusätzliche Ackerflächen irgendwo zwischen der Größe Indiens und Brasiliens neu in die Produktion aufgenommen werden. Wälder werden dafür gerodet, Savannen und Wiesen umgebrochen – dabei wird Kohlenstoff in die Atmosphäre entlassen und durch monokulturelle Nutzung geht die biologische Vielfalt und die Qualität der Böden verloren.

Neue Ackerflächen bedeuten aber nicht, dass diejenigen profitieren, die heute Hunger leiden. Im Gegenteil, die Ackerflächen weiten sich heute vor allem zugunsten des Anbaus von Futtermitteln aus. Es sind eben nicht die kleinen Bauern und Bäuerinnen, die von den heutigen Produktionssteigerungen profitieren: Weit mehr als 800 Millionen Menschen hungern weltweit. Die meisten sind Kleinbauern und -bäuerinnen.

Die globalen Landflächen sind extrem ungleich verteilt: mehr als 75 Prozent aller Farmen weltweit wirtschaften auf einer Fläche von weniger als einem Hektar. Nur 2 Prozent aller Farmer bewirtschaften aber mehr als 70 Prozent der globalen Ackerflächen. Und der Trend ist, dass vor allem die Großen wachsen – auf Kosten der Kleinen. Hunger und ländliche Armut wird dadurch kaum reduziert.

Die Agrarindustrie behauptet aber gerne und immer wieder, dass weitere Ertragssteigerungen und neue technologische Lösungen vor allem zur Bekämpfung des Hungers nötig seien. Mit diesem argumentativen Muster rechtfertigt sie Gentechnik, erhöhten Mineraldünger- und Vollherbizideinsatz und begründet sogar den Zugang zu öffentlichen Geldern.

Letzteres ist eindrucksvoll mit der German Food Partnership geglückt, die das BMZ im Jahr 2012 ins Leben gerufen hat. Kaum zu fassen, aber Syngenta, Bayer, BASF, METRO, CLAAS und Kali bekommen Entwicklungshilfegelder für ihren Einsatz gegen den Hunger. Laut Oxfam sollen für die German Food Partnership insgesamt 80 Millionen Euro bereitgestellt werden: 20 Millionen davon kommen vom BMZ, 20 Millionen von der omnipräsenten Gates-Stiftung und 40 Millionen von der Wirtschaft.

Gleichzeitig erwirtschafteten allein Bayer, BASF, Syngenta und der Maschinenhersteller AGCO im Jahr 2013 einen Gewinn nach Steuern von etwa zehn Milliarden Euro. Alle vier Konzerne verdienen ihr Geld mit der industriellen Landwirtschaft, die auf dem massiven Einsatz von lizensierten Hochertragssaaten, Pestiziden, synthetischen Düngemitteln sowie schwerer Agrartechnik beruht. Damit wirft das BMZ Konzernen knappes öffentliches Geld hinterher und macht sich genau die Unternehmen zum Partner, die eine nachhaltige Wende des Agrarsektors blockieren, die von den heutigen Produktionsmodellen profitieren und somit kaum Interesse an einem wirklichen sozialen und ökologischen Wandel der Landwirtschaft haben dürften. Es ist höchste Zeit, dass wir zu diesem „Deal“ Öffentlichkeit herstellen.

Dass es anders geht, das wollen Oxfam, der WWF und die Heinrich Böll Stiftung u.a. auch mit dieser Tagung zeigen. Die zentrale Frage, die sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Politik beantworten muss, ist doch: Wie können diejenigen, die heute unter Armut und Hunger leiden, so gestärkt werden, dass sie ausreichend Nahrung produzieren und der Hunger- und Armutsfalle entkommen. Langfristig und unter Einbeziehung der negativen Auswirkungen des Klimawandels.

Wir sind uns natürlich bewusst, dass ein ganzes Bündel an vielfältigen politischen Maßnahmen dafür notwendig ist. Dazu gibt es viel Wissen und viele Forderungen. Wir stellen heute die Potentiale der Agrarökologie in den Fokus. Denn die Förderung agrarökologischer Anbauverfahren zahlt sich dreifach aus: Sie verbessert die Ernährungssituation, reduziert Armut, sie verbessert die Böden und befördert somit den Klima- und Biodiversitätsschutz.

Auch agrarökologische Landwirtschaft ist kein „one size-fit’s all“ Ansatz, sondern akzeptiert, dass agrarökologische Systeme lokal unterschiedlich und komplex sind. Biolandwirtschaft wird immer wieder unterstellt, sie sei nicht produktiv genug. Die wohl umfassendste Studie zu agrarökologischen Anbauweisen von Jules Pretty aus dem Jahr 2006 hat 286 ökologisch nachhaltige Agrarprojekte in 57 Ländern untersucht und im Schnitt eine Steigerung der Ernteerträge um 79 Prozent festgestellt. Aber nicht nur dass, es gibt verschiedenste Studien, die zeigen, dass der Output gesteigert wird und gleichzeitig der finanzielle Aufwand für Dünger, Pestizide und Saatgut sinkt. Ein Zusammenspiel, dass gerade für Kleinbauern und Bäuerinnen, die über wenig Kapital verfügen, sehr gut ist.

Dennoch: Agrarökologische Produktionsweisen werden nicht ernsthaft gefördert. Weder vom BMZ noch von vielen afrikanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Regierungen. Das mag nicht zuletzt an den Profitinteressen der Agrarindustrie liegen. Um so wichtiger, dass wir zum Auftakt des Jahres der Böden unsere Chance nutzen, die Vorteile agrarökologischer Anbauweisen mit Ihnen zu diskutieren, um dann inspiriert in alle weiteren Debatten der internationalen Grünen Woche zu starten.

Mein herzlicher Dank gilt unseren Kooperationspartnern und vor allem allen Referenten, die ihr Wissen heute mit uns teilen werden. Pablo Titonell, der für seine Eröffnungsrede extra aus Wageningen angereist ist, Mark Curtis aus London und vor allem aber dem wohl am weitesten gereisten: Prof. Walter Pengue aus Argentinien, dem Paradeland der Agrarindustrie.

Ich wünsche Ihnen und mir einen spannenden Tag und freue mich auf die Diskussionen.

Vielen Dank.

 

Video-Mitschnitte der Veranstaltung "Agrarökologie – vergessen oder verdrängt?" am 15. Januar 2015



Begrüßung - Barbara Unmüßig, Heinrich-Böll-Stiftung

Weitere Video-Mitschnitte des Symposiums:

 

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Video: TEDx-Rede 2014 von Pablo Titonell: "Feeding the world with Agroecology" (Englisch)