"Noch besteht Hoffnung auf ein transparentes und unanfechtbares Ergebnis"

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Bis heute hat die Wahlkommission erst der Hälfte der vor vier Jahren ins Wählerregister eingetragenen Personen ihre Wählerkarten ausgehändigt

In den von Boko-Haram kontrollierten Gebieten im Norden Nigerias scheinen Wahlen derzeit unmöglich. Wir sprachen mit der Menschenrechtlerin Mausi Segun über das Konfliktpotential im Land, die Versäumnisse der Wahlkommission und die Verantwortung der Parteien.

Am 14. Februar 2015 wählen die Nigerianerinnen und Nigerianer ihren Präsidenten und ihr Parlament. Wieso sind die bevorstehenden Wahlen so wichtig? Was steht dabei auf dem Spiel?[1]

Die nationalen Wahlen im Februar sind für Nigeria entscheidend. Politische Gewalt droht die bereits sehr ernste Menschenrechtssituation durch den Boko Haram-Konflikt im Nordosten und die Zusammenstöße weiterer Gruppen in anderen Teilen des Landes noch zu verschärfen. Historische Spaltungen entlang regionaler, politischer, religiöser und ethnischer Grenzlinien treten gepaart mit schwindendem ökonomischem Reichtum auf und erhöhen damit das Potenzial für gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der beiden größten politischen Parteien, vor, während und nach den Wahlen.

Die islamistische Gruppierung Boko Haram kontrolliert große Teile im Nordosten Nigerias. Ist die nigerianische Regierung in der Lage, einen glaubwürdigen Wahlvorgang zu garantieren? Was passiert, wenn eine erhebliche Anzahl Wahlberechtigter aus dem Norden nicht wählen gehen kann?

Wenn die Wahlen nicht landesweit stattfinden können, wird dies sehr wahrscheinlich zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit führen. Die gesetzlichen Bestimmungen der Verfassung und Wahlgesetze schreiben vor, dass der Sieger der nationalen Wahlen einen bestimmten Prozentsatz der Stimmen von allen Staaten des Bundes erhalten muss. Der Ausschluss eines Staats bzw. von Teilen mehrerer Staaten erzeugt eine problematische Situation, die auf unterschiedliche Art und Weise geregelt werden könnte. Im besten Fall folgt daraufhin eine Flut von langwierigen Gerichtsverfahren, bei denen die Wahlergebnisse in Frage gestellt würden. Die von der Abstimmung ausgeschlossenen Wahlberechtigten könnten zudem vor Gericht die Durchsetzung des geltenden Rechts erzwingen und von der „Unabhängigen Nationalen Wahlkommission“ (INEC - Independent National Electoral Commission) die Möglichkeit zur Abgabe ihrer Stimme verlangen. Die schlechteste Prognose wäre jedoch, wenn die Unzufriedenheit über den Wahlverlauf und das Ergebnis überborden würde und zum Zusammenbruch von Recht und Ordnung in unterschiedlichen Teilen des Landes führen würde.

Wie sieht es mit der technischen Vorbereitung der Wahlen aus? Mit welchen Problemen sieht sich die Unabhängige Nationale Wahlkommission bisher konfrontiert?

Die INEC kämpft an vielen Fronten mit den Vorbereitungen und den logistischen Maßnahmen für die Wahlen. Bis heute hat es die Kommission gerade einmal geschafft der Hälfte, der vor vier Jahren ins Wählerregister eingetragenen Personen, ihre permanenten Wählerkarten auszuhändigen. Dies hat viele kritische Stimmen hervorgebracht, die die Verschiebung der Wahlen fordern, bis sich die Verteilungsrate der Wählerkarten verbessert hat. Die Kommission sieht sich außerdem mit rechtlichen und logistischen Herausforderungen konfrontiert, um die Stimmenabgabe der von den Aufständischen vertriebenen Wähler aus dem Nordosten sicherzustellen. Die Sicherheit der Wahlhelfer und Wahlunterlagen wird ein weiteres Problem für die Wahlkommission darstellen, vor allem in Gebieten, die bereits von Gewalt heimgesucht werden, wie im Nordosten sowie in den anderen bekannten Gefahrenherden im mittleren Norden, Süden und Südwesten.

Gibt es begründete Hoffnung auf eine Stabilisierung des Landes über die Wahlen hinaus?
 
Es besteht die Hoffnung, dass trotz der hetzerischen und unbeherrschten Reden der Politiker und der Gewaltausbrüche, zu denen es beim Wahlkampf der beiden großen politischen Parteien kam, die Wahl selbst friedlich verlaufen und es zu eindeutigen, glaubwürdigen Ergebnissen kommen könnte. Dies ist möglich, wenn die Führer der politischen Parteien sich an die Bedingungen der Abuja-Vereinbarung halten, Gewalt meiden, ihre übereifrigen Anhänger in Schach halten und überdies die regierende Partei der Versuchung widersteht, staatliche Instrumentarien zur Zwangsausübung – wie das Militär, die Polizei und die Staatssicherheit – als Mittel für Einschüchterung und Schikanen einzusetzen. Dann wird die INEC in der Lage, durch ein transparentes und unanfechtbares Stimmenauszählungsverfahren, einen klaren Sieger zu ermitteln. Wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind, sollte Nigeria am 29. Mai 2015 eine neue Regierung ins Amt einberufen können.

 

 

Mausi Segun

Die Menschenrechtlerin Mausi Segun arbeitet seit September 2013 für Human Rights Watch. Zuvor war sie für die nigerianische Menschenrechtskommission tätig. Im Januar war sie zu Gast in der Heinrich-Böll-Stiftung und sprach über die fast dreihundert Schülerinnen, die die islamistische Gruppierung Boko Haram am 14. April 2014 in der nordnigerianischen Stadt Chibok entführt hat:

 

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[1] Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Nigeria sollten am 14. Februar 2015 stattfinden. Kurzfristig wurden diese jedoch aufgrund der dramatischen Sicherheitslage um sechs Wochen, auf den 28. März 2015, verschoben.