Die neue Welt(un)ordnung - Wintertagung der Grünen Akademie 2015

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Für ihre Wintertagung am 13. und 14. Februar 2015 hatte sich die Grüne Akademie nichts Geringeres vorgenommen, als die aus den Fugen geratene Weltordnung zu diskutieren.

I. Freitag, 13. Februar 2015: Welche Kontexte, welche Intervention? 

Ziele und Formen der europäischen Außenpolitik

Für ihre diesjährige Wintertagung hatte sich die Grüne Akademie nichts Geringeres vorgenommen, als die aus den Fugen geratene Weltordnung zu diskutieren. Ihr kritischer Zustand lasse sich dieser Tage an den vielfältigen Konfliktherden von Syrien über den Nahen Osten bis hin zur Ukraine sowie der hektischen Reisetätigkeit der Kanzlerin und des Außenministers deutlich ablesen, sagte Willfried Maier zur Einführung. Am Freitagabend widmete sich das Podium unter der Moderation von ZEIT-Redakteurin Mariam Lau vor allem der Frage, wie eine europäische Außenpolitik als Antwort auf die Krisen aussehen und welche Rolle Deutschland in dieser übernehmen könne. Inhaltlich verdichtete sich die Debatte auf die Eskalation des Ukraine-Konflikts.  

Verlorenes Vierteljahrhundert der Außenpolitik

Zu Beginnn ordnete der Publizist und ehemalige Planungsstab-Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes Joscha Schmierer die Zeitenwende historisch ein, die er auf die Auflösung der Blockordnung und den Zerfall der Sowjetunion in den Jahren 1989-91 zurückführt.

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Er sprach von einem „verlorenen Vierteljahrhundert“, in dem es über den strukturellen Rahmen der UN nicht gelungen sei, einen neuen Ordnungsmechanismus für die nun formal souveränen Staaten zu etablieren. Stattdessen hätten sich Willkür und die Herrschaft des Kapitals ausgebreitet. Vor allem die USA unter Bush senior hätten sich ambivalent verhalten und den UN Sicherheitsrat nicht als Zentrum der Konfliktlösung gestärkt - entgegen ihrer Zusicherung, die Welt gerechter zu machen. Der ohne UN-Mandat erfolgte Kosovokrieg sei maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass die Staatenwelt aus den Fugen geraten sei und heute eine Haltung dominiere, sich alles -  auch Guantanamo - erlauben zu können meint. Schmierer sah die Schuld dafür jedoch keinesfalls einseitig bei den USA, wie er betonte. Beide, Russland und die USA, hätten sich als unfähig und unwillig erwiesen, die Ordnungsmechanismen der Abschreckung durch einen neuen Rahmen zu ersetzen.   

Die Europäische Union - ein Imperium?

Inwiefern es sich in der Ukraine um einen alten Systemkonflikt handle, wurde in der folgenden Diskussionsrunde unterschiedlich beantwortet. Die Politikwissenschaftlerin Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik  sprach von Russland und der Europäischen Union als zwei Imperien, die sich gegenüberstehen. Die EU habe den Anspruch, eine Wertegemeinschaft zu sein und diese zu erweitern. Imperien zeichneten sich aber unter anderem dadurch aus, dass sie an den Rändern zerfasern. Wo sich imperiale Außengrenzen berührten, entstünden deshalb zwangsläufig Konflikte, da beide Großmächte daran interessiert seien, ihre Vorherrschaft in den diffusen Territorien zu sichern.

Ralf Beste, der vor einem Jahr vom Nachrichtenmagazin SPIEGEL in den Planungsstab des Auswärtigen Amtes wechselte, lehnte den Imperiumsbegriff für die EU ebenso ab wie das Bild einer erneuten Blockkonfrontation. Die Kopenhagener Kriterien der EU seien nicht auf territoriale Erweiterung ausgerichtet, im Gegenteil, die EU wolle keine neuen Mitglieder. Die grüne Bundestagsabgeordnete und ehemalige Europapolitikerin Franziska Brantner ordnete den Konflikt in den Zusammenhang mit Russlands „frozen conflicts“ ein wie etwa in Georgien. Sie charakterisierte Putins politische Mission als „Machterweiterung mit allen Mitteln“. Gegenstand der anschließenden Diskussion waren die diversen Ursachen dafür, dass Putins Politik in den russischen Eliten unterstützt wird.

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Was kann Europa?

Einig waren sich die Diskutierenden darin, dass der Ukraine-Konflikt ein Einschnitt im Verhältnis von EU und USA bedeute. Zum ersten Mal trete die EU aus dem Schatten der Supermacht, die Waffen liefern wolle, aber ihre Führung verweigere. Zudem übernehme Deutschland innerhalb der EU der 28 eine immer bedeutendere außenpolitische Rolle im Krisenmanagement, was alle Podiumsteilnehmer begrüßten. Dafür gäbe es jedoch, so Ralf Beste, der den Zustand der europäischen Außenpolitik analysierte, weder ein eindeutiges Mandat aus Brüssel, noch ein institutionalisiertes Format. Vielmehr erfolge die Außenpolitik wenig geplant auf einer ad-hoc-Basis und über nationalstaatliche Regierungs- und Staatschefs. Im Gegensatz zu den anderen Podiumsteilnehmern sah Beste darin jedoch einen positiven Prozess, in dem für die Zukunft Mechanismen eingeübt würden. Brantner und Bendiek dagegen wünschten sich ein transparenteres System der Aufteilung innerhalb der EU, wie und womit sich einzelne Mitgliedstaaten sicherheitspolitisch ankern sowie eine bessere Verknüpfung über die Hohe Vertreterin der EU, Federica Mogherini. Putins Strategie, die EU zu spalten, dürfe auf keinen Fall aufgehen.     

Erfolgsaussichten von Sanktionen

Die wichtigste Funktion der Sanktionen sah Bendiek in der Selbstvergewisserung der Europäer untereinander. Sie zweifelte jedoch die politische Wirksamkeit von Sanktionen an. Laut Sanktionsforschung erfüllten sie ihren wichtigsten Zweck nicht; die Machthaber würden durch Sanktionen nicht zum Einlenken bewegt. Ralf Beste hielt das Beispiel des Iran dagegen, bei dem die Sanktionen die Verhandlungsbereitschaft mit Sicherheit beeinflusst hätten. Das Mittel der Sanktion bedürfe Geduld, plädierte er. Ein institutioneller Sanktionsfonds, der für Folgekosten in EU-Mitgliedsstaaten eintrete, wie Brantner ihn vorschlug, könne helfen, Entscheidungen über Sanktionen innerhalb der EU-Staaten zu beschleunigen.

Mariam Laus provokante Frage, ob Europa faktisch die Annexion der Krim und den neuen Frontverlauf nicht längst akzeptiert habe, wollte keiner der Podiumsteilnehmer eindeutig bejahen. Das Sanktionsregime sei eine Antwort auf die völkerrechtswidrige Krim-Annexion, so Beste, noch sei man nicht zur Normalität übergegangen. Auch Brantner betonte, die Bereitschaft zum Verhandeln sei kein Appeasement. Trotz der Einsicht, dass der Konflikt nicht mit Waffen zu gewinnen sei, dürfe man daher nicht die militärische Option vom Tisch nehmen, sagte die grüne Abgeordnete.

Zu positives Europabild?

In der offenen Publikumsrunde wiesen mehrere Diskussionsbeiträge auf die positive Beurteilung Europas hin. Kritisiert wurde, dass die Politik, die die Nato betreibe, in der Debatte wenig berücksichtigt wurde: Im Irak- wie im Kosovokrieg habe Europa über Russland hinweg gehandelt und damit schlechte diplomatische Beziehungen mitverschuldet. Mitgliedsstaaten seien unglaubwürdig in ihrem Handeln, wenn doppelte Standards angewendet würden. Joscha Schmierer sah Fehler vor allem in Bezug auf die von Russland gebildete Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS): Hier hätte die EU einen postsowjetischen zwischenstaatlichen Organisationsversuch womöglich konstruktiver begleiten können und sollen. Diese Position sorgte durchaus für kontroverse Meinungen im Publikum.

Gegen den Eindruck, dass Europa mit Russland kontuinuierlich herrisch umgegangen sei, wandte sich Reinhard Bütikofer aus dem Publikum. Er verwies auf mehrere Beispiele, in denen Europa und insbesondere Deutschland im offenen Konflikt gegenüber den USA russische Ansprüche und Haltungen anerkannt hätten. Der Bruch mit Europa habe vielmehr eine Menge mit der russischen Innenpolitik zu tun. Russland benutze Außenpolitik, um von fehlenden innenpolitischen Reformen abzulenken. Das seien schlechte Aussichten für Europa.  Gefragt seien zudem Ideen, wie die oppositionelle russische Zivilgesellschaft zu stärken und zu unterstützen ist. Zugleich müsse Europa an seiner Verteidigungsfähigkeit arbeiten.

 

II. Samstag, 14. Februar 2015: Reconstructing „the West“?  
Zum Ort des Westens in einer sich ändernden Weltordnung

Das normative Konzept des Westens stand im Mittelpunkt des Podiumsgesprächs am Samstagmorgen. Der Völkerrechtsexperte Gerd Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung diskutierte mit Susan Neiman, Philosophin und Direktorin des Einsteinforums Potsdam. Das Gespräch moderierte Sergey Lagodinsky, Leiter der Abteilung Europa und Nordatlantik in der Heinrich-Böll-Stiftung.

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Wer ist wir?

Die Frage, ob der Westen ein rechtliches, politisches oder kulturelles Konstrukt sei, beantworte Hankel eingangs mit einem historischen Exkurs zur Entstehung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Die Genfer Konventionen seien mittlerweile von 194 Ländern ratifiziert, auch von Russland und China. Deshalb habe der Westen keine besondere Stellung - vielmehr existiere eine umfassende Völkerrechtsgemeinschaft in Nord, Süd, Ost und West, in der diese Rechte gelten. Neiman stimmte Hankel zu, verwies jedoch auf das besondere intellektuelle Fundament des Westens, das in der Aufklärung basiere. Die Aufklärung sei der Ursprung jedes universalistischen Rechtsgedankens, dennoch sei sie kein imperialistisches westliches Konstrukt. Eine solche Kritik gerade aus der europäischen Linken sei klar zurückzuweisen, so Neiman. Der Aufklärungsprozess selbst habe sich auch aus einer östlichen und orientalischen Haltung gespeist, und die Entwicklung des Völkerrechts verlief durchaus international. Allerdings  -  hier waren sich Hankel und Neiman ebenfalls einig – würden die Werte der Aufklärung heute immer wieder auch vom Westen unzureichend umgesetzt oder sogar verraten. „Im Bewusstsein einer guten Moral hat man immer wieder schlimmste Verbrechen in der Ferne akzeptiert oder gar begangen und sich trotzdem im eigenen moralischen Normenhaushalt zu Hause gesonnt“, sagte Hankel.

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Nuancierte Kritik gegenüber USA

In diesem Zusammenhang vermisse er auch, dass Europa eine detaillierte und nuancierte Kritik an amerikanischen Verstößen gegen diese Werte übe. Stattdessen ginge die EU im Irak und in Afghanistan eine verhängnisvolle Allianz mit den USA ein. Susan Neiman stimmte auch hier Hankels Analyse voll zu. Sie sah einen Grund für die europäische Zurückhaltung, etwa in der Irakfrage, in den Schuldgefühlen der Deutschen wegen des Holocausts – und der Briten aufgrund ihrer Kolonialherrschaft, in der sie etwa im Irak „die Grenzen falsch gezogen“ hätten. Gegen die übersteigerten und wenig hilfreichen Selbstzweifel der Europäer, die konkretes Handeln Europas bei Völkerrechtsverstößen verhinderten, helfe nur eine „Aufklärung der Aufklärung“, wie sie es nannte.

Außerdem habe die Modernisierung eine Leere hinterlassen. Wichtig sei, dass die westliche Kultur jungen Menschen wieder Werte jenseits der Konsumkultur à la Kim Kardashian anbiete. Denn die provokante Frage sei doch, weshalb in Konkurrenz zu den westlichen Werten heute fundamentalistische Haltungen auch jenseits der arabischen Welt so anziehend wirken können.  

Menschenrechte versus Wirtschaftsinteressen

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde u.a. gefragt, wie die Menschenrechtsdiskussion auf philosophischer Ebene substantiell zu verknüpfen sei mit der Ebene starker wirtschaftlicher Interessen auch der „westlichen“ staatlichen Akteure. Und wer sind heute und morgen die Akteure und Institutionen, die die Globalisierung von Rechtsprinzipien vorantragen? Konstatiert wurde, dass die Vereinten Nationen als mögliche Institution zur Durchsetzung des Völkerrechts gescheitert seien; die Interessenpolitik der verschiedenen Vetomächte habe sich als zu stark erwiesen.

Die neue globale Wahrnehmungsgemeinschaft

Hatte in der Debatte weitgehend Konsens über die universelle Geltung humanitärer Werte bestanden, so blieb unklar, wie man heute humanitäre Rechte durchsetzen kann und wer sich für ihre Verbreitung einsetzt. Welche internationalen Instrumente und Institutionen sich eigneten, beantwortet Hankel abschließend mit dem Begriff der globalen Wahrnehmungsgemeinschaft. Die Welt sei heute sehr eng und fast in Echtzeit verknüpft. Unrecht, das an einem Ort geschehe, wird global wahrgenommen und bewertet. Über NGOs, Amnesty und alte und neue Medien könnte heute gegenüber Verletzungen von Rechten durchaus effektiver Druck aufgebaut werden. Dies sei besser als nichts, auch wenn es die Welt nicht von heute auf morgen verändere.