Wie die Energiereform in Mexiko das Gemeineigentum zerstört

Die mexikanische Energiereform vom Dezember 2013 gefährdet die Errungenschaften der Revolution von 1910 und verschiedene Formen von Gemeinschaftsbesitz. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern haben zum Kampf aufgerufen.

Am 20. Dezember 2013 veröffentlichte der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto – nach Annahme entsprechender Vorschläge zur Verfassungsänderung durch die Legislative – im Staatsanzeiger das neue Dekret zur Energiereform. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern reagierten unmittelbar mit Protesten. Jahrelang hatten sie auf eine Landreform gewartet. Stattdessen kam die Energiereform. Welche Gefahren sehen sie in ihr?

Vom Beginn ihrer Regierungszeit an hat die jetzige mexikanische Regierung eine Reihe politischer Maßnahmen und Reformen umgesetzt. Ihr Argument war stets der künftige Nutzen für das Land. Hierzu zählt auch die Energiereform. Von ihrem ersten Entwurf an wurde sie sehr heftig diskutiert und stieß auf den Widerstand der Gesellschaft.

Grund hierfür sind die vorgesehenen Änderungen im Umgang mit dem mexikanischen Erdöl, das 1938 von Präsident Lázaro Cárdenas verstaatlicht wurde. Die aktuellen Verfassungsänderungen sollen nun auch nationalen und ausländischen Privatunternehmen erlauben, in das Erdölgeschäft einzusteigen. Das aber heißt, der Staat gibt einen Teil der Kontrolle über das nationale Erdöl sowie über Explorations- und Förderrechte von Erdöl und Erdgas in private Hände ab.

Das Energiereformprojekt von Peña Nieto musste der Legislative zur Genehmigung vorgelegt werden, da Änderungen der Paragraphen 25, 27 und 28 der Verfassung vorgesehen sind. Diese schreiben fest, dass der Staat das Erdöl und die festen, flüssigen oder gasförmigen Kohlenwasserstoffe kontrolliert; dass die Staatskontrolle unveräußerlich und unverjährbar ist; dass für diese Rohstoffe keine Konzessionen oder Verträge vergeben werden können, und dass der Staat der entsprechenden Gesetzesverordnung nach für die Ausbeutung dieser Ressourcen verantwortlich ist.

Kleinbäuerliche Arbeit ist keine Priorität mehr

Überraschenderweise sind die Verfassungsänderungen gegen den Widerstand der Zivilgesellschaft und der Linksparteien zunächst im Senat, dann im Parlament und abschließend im Nationalkongress angenommen worden. Somit konnte Peña Nieto am 20. Dezember 2013 im Staatsanzeiger das obengenannte Dekret veröffentlichen, das die Energiereform ratifiziert und die nationale Energiepolitik der letzten 75 Jahre neu ausrichtet.

Zu den Neuverordnungen des Dekrets, die die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Alarmbereitschaft versetzten, zählt der Übergangsparagraph 8. Hier ist festgelegt, dass die Gewinnung von Erdöl und Naturgas, sowie die gesamte Kohlenwasserstoffindustrie, strategische Aktivitäten sozialen und öffentlichen Interesses darstellen und somit Priorität gegenüber allen anderen Aktivitäten auf dem Boden und im Untergrund des nationalen Territoriums haben. Kleinbäuerliche Arbeiten sowie die Nutzung von Naturressourcen sind in Zukunft nicht mehr gesichert, wenn sie für die Nation nicht mehr als „prioritär“ definiert sind.[1]

Die Energiereform macht so in Gegenden, in denen es Erdöl- oder Gasvorkommen oder Strominfrastruktur gibt, den Weg frei für die Enteignung von Gemeindeländereien („ejidos“), kleinem privaten Grundeigentum und dem Land von indigenen Gemeinschaften. Das Risiko: Historische Errungenschaften der Agrarrevolution gehen unwiederbringlich verloren. Nach Angaben von Héctor Robles sind im Rahmen des Nationalen Unterstützungsprogramms für Kleinerzeuger/innen im Zeitraum von 1910 bis 1982 mehr als 54 Prozent des mexikanischen Territoriums in den Besitz von Kleinbäuer/innen und Indigenen gekommen: 31.500 „ejidos“ und indigene Gemeinschaftsländereien.[2]

Fast zwei Drittel der Gemeinschaftsländerein sind betroffen

Die am 11. August 2014 erlassenen Gesetzes- und Verfassungsänderungen bedeuten erste Risiken für die kleinbäuerliche Bevölkerung und den ländlichen Raum in Mexiko: Die in Mexiko neue Technologie des Fracking zur Schiefergasgewinnung wird irreversible Umweltschäden hervorrufen. Das bislang für landwirtschaftliche Zwecke eingesetzte Wasser wird nun für das Aufbrechen von Gestein zur Gasgewinnung genutzt. Damit werden die Grundwasservorkommen und die Böden übermäßig ausgebeutet und verschmutzt. Regionen im ganzen Land werden in Mitleidenschaft gezogen. Besonders betroffen sind die Bundesstaaten Chihuahua, Durango, Nuevo León, Tamaulipas, Zacatecas und Veracruz.

Auch die Ernährungssouveränität Mexikos könnte gefährdet werden. Denn in Verfügungen zu vier weiterführenden Gesetzen des Energiegesetzes bleibt die Zukunft der Subventionen und Vorzugstarife unklar. Mit den gültigen Subventionen zahlen die Erzeuger/innen einen Tarif von 45 Cents pro Kilowatt Strom. Bei Abschaffung der Subventionen und Vorzugstarife stiege der Tarif auf acht Pesos pro Kilowatt, wodurch sich Produktions- und Lebensmittelkosten entsprechend verteuern würden.

Große Besorgnis erregt der Begriff „vorübergehende Landbesetzung“ – so eine Wortschöpfung der Reform. Die nationalen Landarbeiterorganisationen bezeichnen ihn als Euphemismus, der letztlich „Enteignung“ bedeutet. Die Reform sieht vor, dass Unternehmen bis zu zehn Jahre lang Kohlenwasserstoffe unterhalb eines Geländes ausbeuten können. Die „vorübergehende Landbesetzung“ gefährdet 60 Prozent der 31.500 Gemeinschaftsländereien. Sie würde große Flächen toter, verschmutzter Erde hinterlassen, die die zukünftige landwirtschaftliche Nutzung ausschließt. Rund 15.000 Gemeinschaftsländereien bereiten schon ihre rechtliche Verteidigung vor, um die Besetzung ihres Landes zu verhindern.

Genmanipuliertes Saatgut und Chemikalien

Während die Energiereform und ihre entsprechenden Gesetze genehmigt werden, warten die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weiter auf eine Landreform. Angesichts des steigenden Drucks, mit dem auf die Umsetzung der Landreform oder zumindest auf die Darlegung ihrer wesentlichen Elemente gepocht wird, kündigte Enrique Peña Nieto am 5. März 2014 eine nationale Konsultation zur Vereinbarung der Inhalte einer „tiefgehenden Reform“ an. Dabei unterstrich er, dass die ländliche Entwicklung Priorität haben wird und dass keine Privatisierung der Gemeinschaftsländereien („ejidos“) und des indigenen Gemeinschaftsbesitzes anstrebt würde.

Zur Durchführung der Konsultation haben die Landwirtschaftsbehörde und die Regierungen der Bundesstaaten verschiedene staatliche, thematische und regionale Foren abgehalten. Eine „Ständige Landreformkommission“ wurde ins Leben gerufen, um die Inhalte der großen Reform zu vereinbaren. Die Unterzeichnung eines Rahmenabkommens durch die Kammern der Agrarunternehmer und die bäuerlichen Gewerkschaften soll diese dann besiegeln.

Die nationalen kleinbäuerlichen Organisationen reagierten auf die Ankündigung des Präsidenten und die Vorbereitung der Konsultationsforen – in denen sie die Legitimierung der Enteignung des ländlichen Raums sehen – mit der Verweigerung ihrer Teilnahme. Denn die Gefahren des künftigen mexikanischen Landwirtschaftsgesetzes für den ländlichen Raum sind schon jetzt absehbar: beschleunigte Privatisierung der Gemeinschaftsländereien („ejidos“) und des indigenen Gemeinschaftsbesitzes unter dem Vorwand der „Entbürokratisierung und Vereinfachung“; die Vertiefung des nachweislich schon gescheiterten Freihandelsmodells; die Genehmigung der Aussaat von genmanipuliertem Mais und anderem gentechnisch verändertem Saatgut in kommerziellem Maßstab sowie der Ausbau einer auf Chemikalieneinsatz basierenden Landwirtschaft.

Lokaler Widerstand wird gewaltsam unterdrückt

Schon seit einiger Zeit regt sich in Mexiko Widerstand gegen die Versuche, die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und die indigene Bevölkerung aus ihrer angestammten Heimat zu vertreiben, um große und immer größere Vorhaben durchführen zu können.

Die „Front der Völker zur Verteidigung von Land und Wasser Morelos, Puebla, Tlaxcala“ kämpft schon zweieinhalb Jahre gegen den Bau des Integralen Projekts Morelos (PIM). Das Vorhaben umfasst die Errichtung von zwei Wärmekraftwerken in der Gemeinde Huexca, eine 160 Kilometer lange Gasleitung, die sich durch 60 Gemeinden zieht, eine 15 Kilometer lange Wasserleitung, die sich über 19 Gemeinden erstreckt und die dazu gehörigen Hochspannungsleitungen. Das Projekt wird von der Elektrizitätskommission des Bundes (CFE) vorangetrieben. Durch den Bau werden Tausende Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vertrieben. Der tägliche Einsatz von neun Millionen Kubikmetern Gas und von bis zu 50 Millionen Litern Wasser bringt eine exzessive Grundwasserübernutzung und Luftverschmutzung mit sich. Nutznießer dieses Projekts sind einzig die spanischen und italienischen Konzerne Abengoa, Elecnor und Bonatti.

Auf den Widerstand der lokalen Bevölkerung, die ihr Land verteidigt, haben die Regierungen der betroffenen Bundesstaaten sowie die Nationale Regierung mit physischen Angriffen, Einschüchterungen und Repressalien reagiert. Hier nur einige Beispiele:

Am 31. Oktober 2013 wurde ein Sitzstreik von Frauen mithilfe von 250 Regionalpolizisten und 300 Beamten der Bundespolizei gewaltsam aufgelöst – die Frauen wurden geschlagen, bis sie den Platz räumten. Am 6. April 2014 wurde Enedina Rosas, Delegierte für Gemeindeeigentum der Kommune San Felipe Xonacayucan im Bundesstaat Puebla, des Raubes beschuldigt, bei dem sie zwei Mobiltelefone gestohlen haben soll. Am 7. April wurde der Aktivist Juan Carlos Flores Solís vor dem Gebäude der Menschenrechtskommission des Bundesstaats Puebla festgenommen, wo er Anzeige gegen Enedinas willkürliche Festnahme erstattet hatte.

Unterstützung aus den Städten

Das sind Beispiele für den Kampf der mexikanischen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zur Verteidigung ihres Territoriums. Die Energiereform mit der Bedrohung der „vorübergehenden Besetzung“ hat die lokale Bevölkerung in Alarmbereitschaft versetzt. Sie wappnet sich gegen den drohenden Verlust ihres Landes. Dazu wird die Rückendeckung internationaler Abkommen gesucht, die den Landbesitz der Völker schützen. Die betroffenen Menschen sind bereit, das Land mit allen notwendigen Mitteln zu verteidigen, selbst wenn dabei die körperliche Unversehrtheit aufs Spiel gesetzt wird.

Energiereform bedeutet für die kleinbäuerliche und indigene Bevölkerung Mexikos: Fortführung der Verteidigung ihres Landes. Auch der Kampf gegen Megaprojekte wie Wasserkraftwerke oder Bergbauvorhaben gehört zu ihrem alltäglichen Brot.

Chemikalienausleitungen zum Beispiel, die der Umwelt und der Bevölkerung Schaden zufügen, werden totgeschwiegen. Die Geldstrafen dafür sind so gering, dass damit die Sanierung der Schäden nicht zu finanzieren ist. Es werden auch keine Maßnahmen getroffen, um weitere Vorfälle dieser Art zu verhindern. Dies zeigte kürzlich erst die Verschmutzung der Flüsse Sonora und Bacanuchi. Hier war eine Bergbaukonzession an den Konzern Grupo México erteilt worden.

Der Kampf hat begonnen. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern verteidigen sich gegen die Reformen der Regierung. Sie haben sich organisiert und führen nationale Treffen zur Verteidigung ihrer Ländereien, der Naturressourcen und des sozialen Landeigentums durch. Sie haben Position bezogen und mehrere nationale Märsche in Hauptstadt und Bundesstaaten organisiert. Zehntausende haben teilgenommen. Und die Zivilbevölkerung der Städte, die sich bewusst ist, dass Stadt und Land eng miteinander verbunden sind, unterstützt sie.

 


[1] Achter Übergangsparagraph des Verfassungsreformdekrets zu Energiefragen: „Aufgrund ihres strategischen Stellenwerts verstehen sich die Exploration und Gewinnung von Erdöl und anderen Kohlenwasserstoffen sowie die öffentlichen Dienstleistungen der Stromübertragung und -verteilung, auf die sich das vorliegende Dekret bezieht, als Aktivitäten sozialen Interesses und öffentlicher Ordnung, weshalb sie Vorrang vor allen anderen haben, die die Nutzung der Oberfläche und des Untergrunds der betroffenen Gelände beinhalten.”

[2] Héctor Robles; Nationales Programm zur Unterstützung kleiner Produzenten; mimeographiert; 2014.

 

Aus dem Spanischen von Sven Olsson-Iriarte.