Die Anziehungskraft der Sowjetunion

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Die Ukraine muss einen Zweifrontenkrieg gewinnen, um mit der sowjetischen Vergangenheit zu brechen

Die Ukraine kämpft, um sich ihrer sowjetischen Vergangenheit zu entziehen. Soll ihr das gelingen, muss der Westen seine Haltung zu Russlands Nachbarn überdenken.

Die Anziehungskraft der Sowjetunion, die sich in Russlands Absicht ausdrückt, eine Eurasische Wirtschaftsunion zu gründen, prägt die Region – und sorgt für Bewegung auf der Landkarte. Transnistrien, Abchasien, Südossetien und nun die Krim und der Donbass sind Opfer dieser neoimperialen Kräfte.

Wie viele Pseudostaaten wird Moskau noch schaffen? Die Antwort wird davon abhängen, ob der Westen bereit ist, seine Haltung zu Russlands Nachbarn zu überdenken, und sie nicht länger als Teil einer legitimen russischen Interessensphäre zu sehen. Putins Angst vor NATO-Truppen an den Grenzen Russlands darf nicht als Vorwand dienen, unabhängigen Ländern zu verbieten, sich ihre Freunde selbst auszusuchen – sei es die Europäische Union, sei es die NATO.

Die Ukraine muss einen Zweifrontenkrieg gewinnen, zum einen militärisch im Osten des Landes, zum anderen gegen das alte System und seine korrupten Institutionen. Am wichtigsten dabei wird sein, die eigene Bevölkerung zu überzeugen. Bei beiden Kämpfen geht es darum, mit der sowjetischen Vergangenheit zu brechen, sich ihr zu entziehen. Die Mauern sind gefallen, wer aber sagt, dass sie nicht von Neuem errichtet werden können?

Die beiden Kämpfe hängen eng miteinander zusammen. Die Gefechte im Donbass machen es schwierig, Reformen umzusetzen. Ohne Reformen aber wird es nicht möglich sein, den Krieg zu gewinnen. Putin will nicht nur ukrainische Gebiete beherrschen, er will die europäische Idee scheitern sehen. Ob der Donbass für die Ukraine zurückgewonnen wird, wird langfristig davon abhängen, ob sich die Menschen ein besseres Leben in einem freien und demokratischen Europa wünschen.

Die Wirtschaftskrise und die sich verschlechternde humanitäre Lage machen es immer schwieriger, Reformen in der Ukraine umzusetzen. Betrachtet man die Lage allein vom ruhigen Kiew aus, ist es schwer zu begreifen, wie groß die Probleme wirklich sind, vor denen die Ukraine steht.

Geld ist kein Ersatz für gute politische Führung

Die Ukraine hat durch Russlands völkerrechtswidrige Einverleibung der Krim ein Gebiet mehr als halb so groß wie Estland verloren. Die Krimtataren leben heute in Angst und werden religiös, wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich benachteiligt. Betroffen sind über 250.000 Menschen – die Hälfte der Bevölkerung Luxemburgs. Ein weiteres Mal haben sie ihr Mutterland verloren, und es gibt Berichte über zahlreiche Entführungen und Folterungen.

Teile der Bezirke  Luhansk und Donetsk, werden von prorussischen Separatisten kontrolliert. Um eine Vorstellung von der Dimension zu bekommen: Es handelt sich dabei um ein Gebiet größer als Niedersachsen. Eine Million Menschen sind aus diesen Bezirken geflohen, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen – eine Million, das entspricht einem Drittel der Bevölkerung Litauens.

Dennoch muss die Ukraine nach vorne blicken. Die Wirtschaftskrise muss mit klaren Reformen beendet werden. Die Veränderungen müssen schnell erfolgen und sie müssen tiefgreifend und einschneidend sein. Der IWF hat das Haushaltsdefizit der Ukraine unlängst auf 10,1 Prozent des BIP geschätzt. Die Staatsverschuldung ist seit Ende 2013 von 41 Prozent auf über 60 Prozent gestiegen. Die Ukraine befindet sich in einem Teufelskreis aus Geldentwertung und Inflation, und mit dem Fall der Wechselkurse drohen Bankenpleiten.

Ende Februar gab es vom IWF aber auch gute Neuigkeiten, denn man wird die Ukraine mit 40 Milliarden US-Dollar unterstützen, über einen Zeitraum von vier Jahren. Im Zusammenspiel mit konsequenten Reformen könnte dieses IWF-Paket zum Auftakt für eine Art Marshallplan für die Ukraine werden.

Geld ist aber kein Ersatz für gute politische Führung. Beim Kampf der Ukraine gegen die Angriffe aus Russland geht es um westliche Werte und darum, wie sich die Region und der europäische Gedanke weiterentwickeln. Letztendlich geht es dabei auch um die Zukunft Russlands. Es ist nicht unmöglich, der Anziehungskraft der Sowjetunion zu entkommen. Damit dies gelingt, bedarf es vor allem eines mächtigen inneren  Antriebs: In der Ukraine und in Europa.

Übersetzung aus dem Englischen: Bernd Herrmann