Die Zukunft der energiepolitischen Beziehungen zwischen der EU und Russland

Rohre für Bau einer Gaspipeline
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Rohre für Bau einer Gaspipeline. Aus einer Reihe von Gründen wird Russland wahrscheinlich weiterhin der wichtigste Öl- und Gaslieferant der EU bleiben

Der Konflikt in der Ukraine hat gezeigt, Energiesicherheit gibt es für die EU nur dann, wenn man die Belastbarkeit der eigenen Systeme stärkt.

Um keine Fehldiagnose zu stellen, welche dann zu falschen Gegenmaßnahmen führen kann, müssen die energiepolitischen Beziehungen zwischen Russland und der EU im richtigen Zusammenhang gesehen werden. Bei den aktuellen Spannungen geht es nicht um „die Folgen der Krise in der Ukraine für die EU-Energiepolitik“, sondern um „die Folgen der russischen Politik in der Ukraine“ und damit in der Tat um die Zukunft der energiepolitischen Beziehungen zwischen der EU und Russland unter diesen neuen Verhältnissen. Die Unterscheidung ist keineswegs trivial, verändert sich dadurch doch das Bild von einer örtlich begrenzten Lieferkrise (die man durch Improvisation oder milderes Wetter ausräumen kann) zu dem einer allgemeinen Versorgungskrise. Eben dies wird Europa allmählich klar, und endlich stellt man sich einem Problem, das noch vor Kurzem als undenkbar galt.

Symbolcharakter haben in diesem Zusammenhang die Belastungstests für die EU-Gasnetze, die die EU-Kommission letztes Jahr verlangte, als Planspiel für die Folgen einer langfristigen Unterbrechung der Gasversorgung aus Russland. Die Übung zeigte, dass die EU die Risiko- und Gefahrenbewertung für ihren größten Gaslieferanten grundlegend revidiert hat. Selbstverständlich haben einzelne EU-Staaten zu speziellen Aspekten wie South Stream oder grenzüberschreitenden Energietransporten entgegen der Hauptgasflussrichtung nach wie vor unterschiedliche Ansichten, doch verblassen solche Streitigkeiten vor dem inzwischen weitgehend einheitlichen Auftreten der EU-Staaten. Durch sein Vorgehen ist Russland vom einstigen Garanten für Europas Energiesicherheit (was viele Politiker im Westen behaupteten) zu einer der wesentlichen Bedrohungen geworden.

Im Großen und Ganzen setzt Europa bei der Energiesicherheit nicht mehr allein auf die wechselseitige Abhängigkeit von Anbieter und Verbraucher, ein Ansatz, der auf der unrichtigen Annahme beruhte, mehr Pipelines bedeuteten weniger Konflikte. Zwar ist Infrastruktur für jede Vernetzung entscheidend, jedoch ist dies nicht dasselbe wie wechselseitige Abhängigkeit, für die es einer gemeinsamen Sicht bedarf sowie Regeln, an die alle Beteiligten sich halten. Zwischen der EU und Russland war dies oft nicht der Fall. Die meisten EU-Offiziellen haben inzwischen begriffen, dass Russland nicht gleich Norwegen ist – soll heißen, Russland ist kein verlässlicher, berechenbarer und entgegenkommender Handelspartner. Zwar ist der Anteil, den beide Länder am Energiemix der EU haben, etwa gleich groß, ansonsten sind Norwegen und Russland jedoch sehr verschieden, eine Verschiedenheit, die zeigt, in der Energiepolitik hängt sehr viel von den jeweiligen Politik- und Wirtschaftssystemen ab. Das autoritäre Russland, das sich nur wenig um die rechtlichen Grundlagen internationaler Beziehungen schert, ist in der Energiepolitik kein verlässlicher Partner. Als Russland sich die Krim einverleibte, bedeutete dies das Ende der energiepolitischen Zusammenarbeit, von der beide Seiten bis dato profitiert hatten – wenigstens für so lange, bis die Situation vor dem Konflikt wiederhergestellt ist. Aus einer Reihe von Gründen wird Russland wahrscheinlich dennoch der wichtigste Öl- und Gaslieferant der EU bleiben; die neue politische Lage jedoch verlangt, dass die EU ihre Beziehungen zu Russland neu gestaltet.

Der Konflikt in der Ukraine hat gezeigt, Energiesicherheit gibt es für die EU nur dann, wenn man die Belastbarkeit der eigenen Systeme stärkt. Europaweit müssen die regionalen und nationalen Energieversorgungssysteme robuster werden, damit sie in der Lage sind, von außen kommende Belastungen abzufangen, zu denen es mit einiger Sicherheit kommen wird. Gestärkt werden muss die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, und die jeweiligen Energiemärkte müssen rechtlich und technisch verstärkt miteinander verzahnt werden. Erst wenn die EU über einen funktionsfähigen und transparenten Energiebinnenmarkt verfügt, wird sie ihren Energielieferanten gegenüber geschlossen auftreten können. Darüber hinaus muss die EU sich an ihre eigenen Regeln halten, diese wirksam umsetzen und Zauderer und Nassauer („Schmarotzer“) bestrafen. Es ist äußerst wichtig, dass die Instrumente für das Krisenmanagement verbessert werden, wobei alle Beteiligten sich in Notfällen an den Risiken und Kosten beteiligen müssen. Die Belastungstests für die EU-Gasnetze kamen zu einem klaren Ergebnis, nämlich dass sich die Auswirkungen einer Energiekrise durch Zusammenarbeit und Solidarität klein halten lassen. Es spräche jedoch für eine allzu rosige Sicht der Dinge, nur auf politischen Altruismus zu setzen, weshalb es dringend geeignete Instrumente für die Sicherung der Gasversorgung braucht.

Russlands Angriff, der Anschluss der Krim, die Destabilisierung des Donbass und die in der Folge von der EU verhängten Sanktionen, bezeichnen einen deutlichen Einschnitt in den politischen Beziehungen – und sie werden sich entsprechend auch auf die energiepolitische Lage auswirken. Gelegentlich hört man die Forderung, energiepolitische Fragen von der Außen- und Sicherheitspolitik getrennt zu behandeln, aber gleich wie gut das auch gemeint sein mag, es bleibt doch wirklichkeitsfremd. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wieder zur Tagesordnung übergegangen wird, weshalb man heute gemeinsame Energieprojekte nicht weiter vorantreiben kann. Die EU wird ihre energiepolitischen Beziehungen zu Russland grundlegend neu gestalten müssen. Die Diskussion über eine Europäische Energie-Union kann hierfür eine sehr gute Gelegenheit sein.

Übersetzung aus dem Englischen: Bernd Herrmann