OpenSPIM: Ein Hightech-Commons für Forschung und Lehre

Mikroskop
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Das Problem konventioneller Mikroskopie: Je kleiner die Strukturen, desto größer werden die Probleme

Das Fluoreszenzmikroskop SPIM ist eine Revolution in der Optik. Und alle, die wollen, können es dank OpenSPIM jetzt nachbauen. Eine große Chance für Forschung und Lehre. Ein Beitrag aus dem Buch "Die Welt der Commons".

Das Betrachten und Verstehen sehr kleiner, für das bloße Auge unsichtbarer Strukturen ist für die Forschung enorm wichtig. So werden beispielsweise die Spitzen regenerierender Nervenfasern auf beschichteten Nanostrukturen beobachtet, um Implantate für die Heilung von Lähmungen zu entwickeln. An die Mikroskopie stellt das enorme Anforderungen. Und obwohl der Bedarf an Hochleistungsmikroskopen beträchtlich ist, gibt es weltweit nur eine Handvoll Hersteller solcher Instrumente.

Das liegt unter anderem daran, dass die Fertigung hochwertiger Optik höchste Ansprüche an Präzision und Stabilität stellt. Je kleiner die zu beobachtenden Strukturen sind, desto größer werden die damit verbundenen Probleme. Jeder Fehler wird gewissermaßen mit vergrößert. Schon eine Abweichung von nur einem tausendstel Millimeter kann zu deutlich sichtbaren Störungen führen. Selbst bei exakter theoretischer Kenntnis bleibt die Produktion von Hochleistungsmikroskopen schwierig. Dass sich ausgerechnet in diesem Hightech-Gebiet mit SPIM und OpenSPIM Projekte etabliert haben, in denen Wissenschaftler und Techniker auf mehreren Ebenen nach Commons-Prinzipien kooperieren, ist bemerkenswert.

SPIM ist ein Akronym für "Selective Plane Illumination Microscopy", die auch als Lichtblatt- oder Lightsheet-Mikroskopie bezeichnet wird. Ihre Besonderheit liegt in der Art, wie das betrachtete Objekt im Mikroskop beleuchtet wird. In konventionellen Geräten geschieht dies entlang der sogenannten optischen Achse – entweder durch eine Linse (Kondensor), unter dem Objekt entgegen der Blickrichtung (Durchlichtmikroskopie) oder durch das Betrachtungsobjektiv in Blickrichtung (Auflichtmikroskopie). Im Lichtblattmikroskop wird die Probe hingegen senkrecht zur optischen Achse beleuchtet, und zwar durch eine zusätzliche Optik von der Seite her. Diese Technik wurde erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Richard Zsigmondy und Henry Siedentopf im sogenannten Ultramikroskop von ZEISS eingesetzt. Mit diesem Mikroskop ließen sich fortan selbst kleinste Partikel in Flüssigkeiten oder Glas beobachten, sogenannte Kolloide. Zsigmondy wurde für seine Arbeiten zu diesem Thema 1925 mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt.

Grundlagen der Mikroskopie

Um die Besonderheit von SPIM zu verstehen ist es hilfreich, sich einige Grundlagen der Mikroskopie vor Augen zu führen. Im Durchlichtmikroskop werden Strukturen sichtbar, die das Licht absorbieren und deshalb dunkler wirken. Im Auflicht- und im Ultramikroskop betrachtet man hingegen Strukturen, die das eingestrahlte Licht reflektieren oder streuen. Ein Spezialfall ist das Fluoreszenzmikroskop, in dem das eingestrahlte Licht dazu dient, spezifische Strukturen innerhalb des beobachteten Objekts zum Fluoreszieren anzuregen. Die Fluoreszenzmikroskopie hat in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen. Durch verschiedene biogene Farbstoffe wie dem "Grün Fluoreszierenden Protein" (GFP) und seinen Varianten können nun auch Prozesse in lebenden Zellen, in ganzen Organen oder sogar in intakten Organismen beobachtet werden. Das Problem dabei ist die hohe Lichtintensität, die zur Fluoreszenzanregung erforderlich ist. Die Probe wird dabei einer so hohen Helligkeit ausgesetzt, dass nach kurzer Zeit die Farbstoffe ausbleichen und die betrachteten Proben absterben. Besonders groß wird dieser Schaden dadurch, dass das Anregungslicht entlang der optischen Achse das gesamte Objekt durchquert und diese Durchflutung bei dreidimensionalen Objekten für jede Betrachtungsebene wiederholt werden muss.

SPIM revolutioniert nun die Fluoreszenzmikroskopie genau an dieser Stelle durch einen eleganten Trick: Hierbei wird nur genau die Ebene des Objekts durch ein dünnes Lichtblatt beleuchtet, die man auch tatsächlich betrachten will. Der Rest des Objekts bleibt im Dunkeln. Anders gesagt: Bei SPIM werden die Punkte ober- oder unterhalb der Brennebene gar nicht erst zum Leuchten angeregt. SPIM erzeugt so ganz nebenbei einen optischen Schnitt durch dreidimensionale Objekte, der in der konfokalen Mikroskopie nur durch ein aufwändiges, punktweises Abtasten des Objekts ermöglicht werden kann. Das System wird dadurch extrem schnell, da die gesamte beleuchtete Ebene mit einer Hochgeschwindigkeitskamera abfotografiert werden kann. Dies ermöglicht, auch intakte lebende Proben über Stunden oder sogar Tage aus mehreren Richtungen zu beobachten, ohne dadurch die Probe zu zerstören.

Typische Anwendungen für SPIM sind die Beobachtung der Entwicklung von Larven und Embryonen etwa von Fischen oder Insekten, das Wachstum von Tumoren und Organoiden oder das Auswachsen von Nervenfasern. SPIM hat schnell eine begeisterte Anhängerschaft unter Forschern gewonnen, die sich für nicht-invasive Mikroskopie an lebenden Organismen interessieren.

In den vergangenen zehn Jahren wurden weltweit um die 100 SPIM-Mikroskope von einer eng vernetzten und sich rasch vergrößernden Community gebaut, zumal kein ausgereiftes System kommerziell erhältlich war. Im September 2014 fand schließlich die "1. International Lightsheet Fluorescence Microscopy Tagung" in Barcelona statt, zu der sich Mitglieder dieser Community sowie interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt zum Gedankenaustausch trafen. Auf dieser Tagung sprachen auch Jan Huisken und Ernst Stelzer, die als Erfinder von SPIM gelten. Denn SPIM entstand im Ergebnis akademischer Forschung, maßgeblich durch die Arbeit von Jan Huisken, der die Technologie als Doktorand in der Arbeitsgruppe von Ernst Stelzer am renommierten European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg technisch realisierte und später an der University of California in San Francisco an biologische Fragestellungen anpasste. Seit Huisken eine eigene Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden leitet, hat sich dort eine kreative Keimzelle für SPIM etabliert.

Das OpenSPIM-Projekt

Dort sei auch, so twitterte sein Kollege Pavel Tomancak, in der Kantine aus dem Traum eines tragbaren "SPIM in a suitcase" die Idee für OpenSPIM entstanden. Gefördert durch das internationale Forschungsprogramm Human Frontiers Scientific Program (HFSP) materialisierte sich die Idee in Form eines Wikis, das, dem Grundgedanken der Commons entsprechend, unter einer Copyleft-Lizenz (CC BY-SA 3.0) steht. In diesem Wiki ist nicht nur die exakte Bauteilliste des Prototyps zu finden, sondern auch eine animierte Bauanleitung, nach der ein solches System in 14 einzelnen Schritten innerhalb von einer Stunde zusammengebaut werden kann.

Das OpenSPIM-Projekt verschrieb sich dabei von Anfang an den "Open Hardware"- und "Open Software"-Prinzipien. Um die Leistung zu begreifen, muss man verstehen, wie anspruchsvoll die Steuerung und Datenauswertung für ein solches System ist. Ein SPIM-Mikroskop kann, je nach Konfiguration, 100 Megabyte und mehr Daten pro Sekunde erzeugen.

Unter Umständen tagelang. Schon das zuverlässige Abspeichern solcher Datenmengen ist herausfordernd, denn einzelne Datensätze können bis zu mehreren Terrabyte groß sein. Sie müssen verarbeitet, analysiert und dargestellt werden, wozu wiederum eine spezielle Software erforderlich ist, die Cloud-Computing – die Durchführung von aufwändigen Rechenprozessen im Rechnernetzwerk – unterstützen muss. Derartige Datenmengen können derzeit nur sehr begrenzt auf einzelnen Rechnern verarbeitet werden.

Die offene Struktur von OpenSPIM bietet ein effizientes Fundament zur Bewältigung solcher Aufgaben. So wurden ausschließlich Open-Source-Arduino-Elektronikbauteile verbaut und der Betrieb des Systems wird durch die freie Software μManager gesteuert. Die Datenauswertung ist in Form spezialisierter Plug-Ins in das Open-Source-Software-Projekt Fiji/ImageJ integriert, einem umfangreichen Open-Software-Projekt für die Analyse und Bearbeitung wissenschaftlicher Bilddaten, wozu insbesondere das Team um Pavel Tomancak vom MPI in Dresden beigetragen hat. Diese Arbeitsgruppe machte sich aber nicht nur als Keimzelle von OpenSPIM einen Namen, sondern genießt in der SPIM-Community auch wegen ihrer unermüdlichen Unterstützung von OpenSPIM-Projekten einen hervorragenden Ruf. Ihre Anstrengungen, die erforderlichen Kenntnisse in Workshops, Tagungen oder in direkten akademischen Kooperationen und durch Beiträge zum OpenSPIM-Wiki weiterzugeben, sind enorm.

Seit dem Start von OpenSPIM vor zwei Jahren wurden sieben OpenSPIMSysteme weltweit im Wiki eingetragen. Die Anzahl der nicht auf diese Weise dokumentierten und veröffentlichten Systeme ist unbekannt, weitere Systeme befinden sich zweifellos im Bau. Das Interesse an OpenSPIM ist jedenfalls erheblich.

Wer OpenSPIM baut, wird es auch verstehen

Interessierte Studierende und Wissenschaftler nutzen jede sich bietende Gelegenheit, um sich mit dem System vertraut zu machen. Experten sagen, dass OpenSPIM technisch nicht an die Standards kommerzieller und hochentwickelter Selbstbau-Systeme heranreicht, aber aufgrund der viel geringeren Kosten rückt es für ein breiteres Publikum in greifbare Nähe. So wird beispielsweise ein Einsatz in Universitäten solcher Länder denkbar, für die aufgrund ihrer niedrigen Forschungsbudgets andere Systeme unerschwinglich sind. Auch für Lehrzwecke kommt OpenSPIM in Frage. In Verbindung mit seiner offenen Konstruktion hat es einen didaktischen Wert, der jedes andere System in den Schatten stellt. Denn wer OpenSPIM baut, der kann es nicht nur nutzen. Er wird es auch verstehen. Darüber hinaus macht OpenSPIM Wissenschaft transparenter, Forschungsergebnisse können von anderen Forschenden leichter nachvollzogen und verifiziert werden, was dazu beiträgt, die Glaubwürdigkeit und Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Experimente zu sichern.

Ob OpenSPIM sich weiter entfaltet oder ein spannendes Nischenprojekt bleibt, wird die Zukunft entscheiden. Es wird wesentlich davon abhängen, ob die SPIMCommunity (einschließlich der Selbstbauexperten und sogar der kommerziellen Anbieter) sich in Zukunft als aktive Commoners begreifen und – bei aller Begeiste-rung über Reiz und Nutzen der Technologie – ihre eigenen Beiträge und Weiterentwicklungen zum Nutzen aller in das Projekt zurückfließen lassen. Wenn aber – bewusst oder unbewusst – die Plattform nur als Startrampe für proprietäre "Geheimprojekte" von Eigenbrötlern missbraucht wird, dann droht die Gefahr, dass auch die Initiatoren sich schließlich vom hohen Aufwand erschöpft wieder ihren "Privatinteressen" zuwenden.

Aber man kann optimistisch sein: Im Januar 2015 wurde die Lichtblattmikroskopie von der renommierten Fachzeitschrift Nature Methods zur Methode des Jahres 2014 gewählt. Das ist auch Rückenwind für OpenSPIM als High-Tech-Commons.

 

Ein Beitrag aus dem Buch "Die Welt der Commons: Muster gemeinsamen Handelns".