Die Netzwerke der Rebellen von New York

Red Hook ist ein Stadtviertel am Rande von New-York-Brooklyn
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Betonklötze in Red Hook

Mesh, ein Projekt für Arbeitslose am Rande Brooklyns, könnte die Macht der mächtigen Telekommunikationsanbieter ins Wanken bringen, indem es kostenlose Internetverbindungen und ein solides Notfallnetz anbietet. Von Haus zu Haus schreitet die Revolution fort, von einem Router zum nächsten.

Die drahtlosen, als „Mesh“ bezeichneten Netzwerkformationen benötigen keinen zentralen Server oder Service-Anbieter, um Internetzugang möglich zu machen – stattdessen sind sie von Router zu Router miteinander verknüpft wie ein Strickwerk. So sind Mesh-Netzwerke ideal geeignet, während größerer Proteste Verbindungsstaus zu vermeiden, wie es in Ägypten und in Hong Kong der Fall war. Es bedeutet außerdem, dass Mesh bei Naturkatastrophen ein Notfallnetz anbieten kann, oder einfacher gesagt, in Gebiete vordringen kann, die über reguläre Dienstanbieter nicht erreichbar sind.

Die billig und einfach zu erstellenden Mesh-Netzwerke sind in New York schon seit einigen Jahren verfügbar. Das Ziel: Alternative Internetverbindungen zu schaffen, der überwältigenden Übermacht der gewerblichen Riesen wie Comcast, Verizon oder America Online etwas entgegenzusetzen, und für die ärmsten Bewohner der Stadt Internetzugang zu gewährleisten.

Zwei Millionen New Yorker haben keinen Internetzugang

US-amerikanische Service-Anbieter sind berüchtigt für ihre schlechte Qualität. Ihnen wurde mehrfach vorgeworfen, ihre Netzwerke absichtlich zu drosseln. Laut einer PBS-Umfrage geben New Yorker monatlich 55 Dollar für Verbindungen mit 25 Megabit pro Sekunde aus, doppelt so viel wie die Bevölkerung von London. Zum gleichen Preis haben Bewohner von Hong Kong, Tokyo und Paris achtmal schnellere Verbindungen. Nicht von ungefähr erlangte New York 2014 die zweifelhafte „Ehre“ als die Weltstadt mit der schlechtesten Internetverbindung in Hinblick auf Kosten und Effizienz, wie eine Reportage der Los Angeles Weekly aufzeigte.

Heute haben etwa Zwei Millionen New Yorker keinen Internetzugang. Davon betroffen sind vor allem die ärmsten Bewohner der Stadt. Etwa ein Drittel der unter der Armutsgrenze lebenden New Yorker Familien haben keinen Internetzugang. Anthony Schools, technischer Leiter der Red Hook Initiative, erklärt bei  einer Tasse Cappuccino: „Das Problem mit der digitalen Kluft besteht darin, dass man nicht aus Mangel an Interesse keinen Internetzugang hat, sondern aus Mangel an Ressourcen. Es geht darum, nicht von der Außenwelt abgeschnitten zu sein: Eine Verbindung ermöglicht es dir beispielsweise, Arbeit zu suchen und die Möglichkeiten in deiner Gemeinde oder deiner Stadt besser zu nutzen.“

Anthonys Vereinigung schuf daher ein Gemeinschaftsnetzwerk in Red Hook, einem Viertel am Rande Brooklyns mit der größten Sozialwohnungsanlage nach Long Island. Red Hook war schon immer eine beliebte Wohngegend, dort lebten einst italienische und irische Hafenarbeiter, bis das Aufkommen von Frachtcontainern dazu führte, dass der Hafenbetrieb weitgehend in den geräumigeren Hafen von New Jersey verlegt wurde.

Drahtlose Vernetzung der Gemeinde in Red Hook

Das Red Hook Mesh wurde 2011 ins Leben gerufen und soll die Bevölkerung des Viertels unterstützen. Schools erklärt: „Als eine Organisation, die sich auf junge Leute konzentriert, helfen wir im schulischen Bereich und vergeben Stipendien. Angefangen haben wir mit einem Web-Radio für Kinder, aber es schien uns, dass keine echte Verbindung mit der Gemeinde entstand und keiner wirklich zuhörte.

Also sagten wir uns, warum bauen wir nicht ein drahtloses Netzwerk?“ Mesh begann als nicht viel mehr als ein „Strickwerk“ aus Verknüpfungen, privaten Routern zur Übertragung, Receivern und WLAN-Repeatern. Bei so einer punktuellen Verbindung, in der jeder Nutzer einen Knotenpunkt darstellt, braucht man keinen zentralen Server oder Internet-Anbieter.

Inzwischen gibt es in Red Hook 60 Knotenpunkte, und an einem warmen, sonnigen Frühlingsmorgen scheint es recht ruhig zwischen den einstöckigen Einfamilienhäusern von „The Back“ und den größeren Sozialwohnungsbauten von „The House“. Red Hook hat zwar jene Zeiten hinter sich gelassen, als es vom Life Magazine als die „amerikanische Crack-Hauptstadt“ bezeichnet wurde, aber schwierig ist es immer noch im Viertel. Seine vornehmlich schwarze und Latino-Bevölkerung ist fast völlig vom Rest der Stadt abgeschnitten. Das Viertel ist auf drei Seiten von Wasser umgeben und hat keine nahe gelegenen U-Bahnstationen.

Kostenloses Internet für die Arbeitssuche

Die Arbeitslosigkeit beläuft sich auf etwa 21 Prozent, doppelt so hoch wie im Rest von Brooklyn. Wie Schools erzählt, leiden die Menschen hier unter Problemen, „die endemisch im US-amerikanischen System begründet liegen … die Hälfte der Bevölkerung von Red Hook hat keinen Schulabschluss; 75 Prozent der jungen Menschen im Alter von 18 bis 24 sind arbeitslos. Ungefähr 7.500 der 11.000 Anwohner leben in Sozialwohnungen, die einem nur dann offenstehen, wenn man arbeitslos ist oder einen Niedriglohn-Job hat.“

Schools wirkt zufrieden, als er uns erzählt, wie das Mesh von Red Hook den Bewohnern dienlich sein wird. „Als wir anfingen, hatten 40 bis 60 Prozent der Anwohner keine Internetverbindung. Wir haben einige junge Leute darin geschult, das Netzwerk zu warten, und binnen eines Jahres kamen wir von zwei Hotspots auf 60.

Heute können die, denen die Mittel dazu fehlen, die Verbindung kostenlos nutzen und damit Arbeit suchen. Der Gedanke, dass alle davon profitieren, ist quasi eine Aufforderung, sich in der Gemeinschaft zu engagieren. In Red Hook herrscht ein tolles Gemeinschaftsgefühl; die Leute wollen die Ärmel hochkrempeln und mitmachen. Alle haben zusammengearbeitet; es hieß ‚ihr könnt mein Dach oder mein Haus verwenden‘, die Jüngeren werden dafür bezahlt, das Netzwerk zu installieren und zu warten.“

Mesh-Netzwerke können bei Umweltkatastrophen helfen

Das Red Hook Mesh erlangte erstmals öffentliche Aufmerksamkeit, als der Orkan Sandy das Viertel abschnitt. Man konnte nur noch über das lokale Mesh kommunizieren und so Informationen über die Katastrophe mit der Außenwelt teilen – das US-Bundesamt für Katastrophenhilfe (FEMA) verstärkte sogar das Signal, um einen Notkommunikationskanal herzustellen. Heute ist das Netzwerk Teil eines breiteren Programms des Bürgermeisters Bill De Blasio zur Überwindung der digitalen Kluft.

Das hat teilweise den Geist des Projekts verändert, so Schools: „Es ging einst nur um das ‚Lokale‘, aber jetzt steht eine ganze Stadt hinter uns. Das bedeutet, dass wir private Firmen einbinden mussten, um im größeren Rahmen effektiv sein zu können. Es handelt sich also nicht mehr nur um ein Gemeindeprojekt, wie am Anfang, und obwohl das Projekt immer noch in unserer Hand liegt, müssen wir mit anderen zusammenarbeiten, darunter auch Vertreter/innen der Geschäftswelt und Behörden.“

Für schlecht hält er die Wandlung des Projekts in etwas Größeres allerdings nicht. „Wir möchten in allen Einkaufsgegenden vertreten sein, in allen sozialen Wohnanlagen. Und wenn erst einmal alle eine Verbindung haben, wünsche ich mir, dass wir unsere Anstrengungen vom Aufbau des Netzwerks weg verlagern können und Menschen dabei helfen, das Internet zur Verbesserung ihrer Lebenssituation zu nutzen.“

Alternative zu den großen Telekommunikationsanbietern als Ziel

Freilich klettern nicht nur das Team vom Red Hook Mesh auf die New Yorker Dächer, um alternative Internetverbindungen herzustellen.

Ausgehend vom West Village – einst das Herz der Künstlerszene der Stadt, nun durch Gentrifizierung verwandelt – versuchen Aktivisten vom NYC Mesh, ein Manhattan- und stadtweites Netzwerk einzurichten. „Unsere Hauptmotivation war der Mangel an Auswahl. In New York ist man auf sehr kostspielige Betreiber wie Time Warner oder Verizon angewiesen, die alle übermäßig teuer sind“, lächelt IT-Ingenieur und Mitglied des NYC Mesh Brian Hall. Wir treffen uns in der DBA Bar in Manhattan, ein Restaurant im West Village, wo einer der Knotenpunkte des Netzwerks gehostet wird.

Die Aktivisten des NYC Mesh sind etwa ein Dutzend und organisieren sich über die Webseite meetup.com. Sie haben große Pläne und lassen sich von dem spanischen Netzwerk guifi inspirieren, dem derzeit weltweit größten Gemeinschaftsnetzwerk mit 30.000 Knotenpunkten in ganz Spanien. „Unser Ziel ist es, ein Netzwerk zu werden, das mit Time Warner oder Verizon konkurrieren kann, denn in unserer Stadt besteht echter Bedarf an einer Alternative zu den großen Anbietern“, erklärt Hall.

Dieses Ziel liegt noch in weiter Ferne. Bislang hat das Netzwerk in New York nur etwa vierzig Knotenpunkte, obwohl etwa hundert Leute auf der Warteliste stehen. Doch das Netzwerk will wachsen, und zwar durch Installation zweier drahtloser Hochleistungstransmitter, die problematischen Signalstörungen ein Ende bereiten werden.

Hall und andere Aktivisten der Gruppe wollen auch „Superknoten“ einrichten, mittels derer das NYC Mesh direkten Zugang zu jenen transatlantischen Kabeln erhalten wird, die das ‚Rückgrat des Internets‘ sind. So würde die Reichweite des Netzwerks verbessert und eine direkte Internetverbindung ohne nahe beieinanderliegende Router möglich.

Natürlich wird es noch dauern, ehe Mesh-Netzwerke eine echte Alternative werden, und nicht nur vereinzelte Projekte für unterprivilegierte Viertel wie Red Hook oder kleinere Bürgerbewegungen wie NYC Mesh. Dennoch schreitet diese digitale Revolution fort, vom Dach eines Gebäudes zum Balkon eines anderen, von einem Router zum nächsten.

Giorgio Ghiglione ist einer der Media Fellows unseres Nordamerika-Büros in Washington – mehr Informationen zum Transatlantic Media Fellowship Program finden Sie hier. Sein Artikel erschien zuerst am 19. Mai 2016 in der italienischen Zeitung Il Manifesto unter dem Titel "Le reti ribelli di New York".

Der Beitrag drückt die Meinungen des Autors aus, die nicht notwendigerweise mit den Ansichten der Heinrich-Böll-Stiftung übereinstimmen.