Zur Lage der Demokratisierung Myanmars kurz vor den Wahlen

Hintergrund

Grundlegende demokratische Reformen sind kaum fortgeschritten im Zuge der nun auslaufenden Legislaturperiode unter der National League for Democracy. Dennoch stehen ihre Chancen auf eine zweite Amtszeit gut. Eine erneute Gelegenheit, mit den ethnischen Minderheiten gemeinsam und auf Augehöhe, die Transition des Landes weiter zu bringen.

Yangons Mahabandoola Park an einem Sonntag Nachmittag

Am 8. November 2020 stehen erneut allgemeine Wahlen in Myanmar an. Neben weiteren 93 registrierten Parteien gilt vor allem die amtierende Regierungspartei National League for Democracy als potentielle Siegeskandidatin. Sie erfreut sich weiterhin eines starken Rückhalts bei der Bevölkerungsmehrheit der Bamar, der größten ethnischen Gruppe in dem multi-ethnischen Staat. Die Stimmen der Minderheiten hat sie jedoch größtenteils verprellt. Denn das Versprechen von Staatsrätin Aung San Suu Kyis, einen demokratischen Wandel in der ehemaligen Militärdiktatur einzuleiten, hat sich aus Sicht der Minderheiten nur partiell erfüllt.

Auch aus der Perspektive der internationalen Gemeinschaft war die Performance der Regierung enttäuschend, wenn nicht sogar frustrierend. So sind seit Amtsübernahme der NLD im Jahr 2016 dringend notwendige Reformen wie etwa die Verfassungsreform, die unter anderem dem Militär politische Mitbestimmung sichert, kaum voran geschritten. Daneben hat sich die Menschenrechtssituation dramatisch zugespitzt. Die Ausübung der Meinungsfreiheit wurde in zahlreichen Fällen strafrechtlich geahndet und kritische Stimmen teilweise zensiert oder unter Beobachtung gestellt. Und der Friedensprozess, initiiert in der Ära Thein Seins und gerade in Schwung gebracht, geriet schnell ins Stocken und hat bis dato keine bahnbrechenden Fortschritte erzielen können. Stattdessen sind weiterhin Bürgerkrieg und bewaffnete Konflikte Alltagsrealität für die Bevölkerung in vielen ethnischen Minderheitenregionen.

Zukunft für die Rohingya

Die gewaltsame Vertreibung der Rohingya und das von Gambia angestoßene Verfahren wegen Genozids vor dem höchsten UN-Gericht, dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, prägt inzwischen zu großen Teilen die internationale Sicht auf Myanmar. Vielerorts wurden Konsequenzen eingeleitet. Im Falle Deutschlands wurde im Februar 2020 die Aussetzung der bilateralen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit durch Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller verkündet. Die deutsche Entwicklungspolitik fordert mehr Reformbemühungen im Rahmen des Kurswechsels („BMZ 2030“). Ohne die Bereitschaft Myanmars, die sichere Rückkehr der geflüchteten Rohingya sowie deren Schutz und grundlegende Rechte im Land zu garantieren, sehen die Aussichten für eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit düster aus.

Zwar bekennt sich Myanmar zur Rückkehr von Rohingya aus Bangladesch, mit dem es 2017 auf internationalen Druck ein Repatriierungsabkommen beschlossen hatte. Doch bisherige Anläufe sind gescheitert und zentrale Fragen bezüglich der Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Bildung und vor allem nach der Staatsangehörigkeit bleiben ungeklärt. Myanmars Regierung hat in den letzten Jahren deutlich gemacht, dass es sich in Fragen der Rohingya keine Einmischung von außen wünscht. Deshalb wurde auch der Fact Finding Mission der Vereinten Missionen, etabliert zur Untersuchung der schweren Menschenrechtsverletzungen in Rakhine, die Einreise verwehrt. Im Gegenzug rief die Regierung eine eigene Kommission ins Leben (inzwischen die achte Kommission, die sich seit 2012 mit den Konflikten in Rakhine beschäftigt), die erwartungsgemäß die staatliche Narrative untermauert.

„Saving Face“

In zahlreichen Fällen wurden Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen auf der Grundlage repressiver und teils auch veralteter Gesetzgebung, aus kolonialer- beziehungsweise Militärregime-Zeit, eingeschüchtert und inhaftiert. Im Fokus standen dabei vor allem Jurist*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen, die sich für Landrechte, soziale und kulturelle Rechte, interreligiösen Dialog sowie für Religionsfreiheit und die Rechte von Rohingya und Muslim*innen engagieren. Exemplarisch hierfür steht die Verurteilung von zwei Reuters-Journalisten im September 2018 wegen Geheimnisverrats im Zusammenhang mit der gewaltsamen Vertreibung der Rohingya. Sie wurden beschuldigt, sich bei der Recherche zu Massakern an Muslim*innen in Rakhine illegal Staatsgeheimnisse beschafft zu haben. Der Fall sorgte international für Furore. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass auch der zivile Teil der Regierung eine „weiße Weste“ der Transparenz und Förderung von Presse- und Meinungsfreiheit vorzieht.

Festgefahrener Friedensprozess

Das Kernversprechen der NLD im letzten Wahlkampf, den Friedensprozess mit dem Ziel einer umfassenden Befriedung des Landes weiter zu führen, ist dringender denn je. Die Sicherheitslage in Rakhine ist im Zuge des Aufflammens des bewaffneten Konflikts zwischen Arakan Army und dem Militär seit 2019 eskaliert. Auch in anderen Landesteilen wie im Kachin- und nördlichen Shan-Staat dauern die Kämpfe an. Kriegsverbrechen seitens des Militärs und paramilitärischer Gruppen sind an der Tagesordnung. Die internationale humanitäre Versorgung der Konfliktregionen und Binnenflüchtlingscamps wird fortwährend seitens Regierung und Militär unterbunden. Und speziell in Rakhine wurde auf Geheiß der Regierung der Internetzugang vieler Gebiete beschnitten.

Die Corona-Pandemie sowie die anhaltenden Konflikte beeinträchtigen die Vorbereitungen für die anstehenden Wahlen massiv. Gegenwärtig scheint das Abhalten von freien und fairen Wahlen ein Kraftakt zu werden. Erschwerend kommt der erstarkte Einfluss nationalistischer und rassistischer Stimmen und Praktiken hinzu, die auch den Wahlkampf beeinflussen. Die Regierung hat sich als ohnmächtig erwiesen, radikalen, buddhistisch-nationalistischen Bewegungen Einhalt zu gebieten. Denn deren Anhänger*innen sind allen voran buddhistische Bamar, deren Stimmen der Schlüssel für einen erneuten Sieg der NLD sind.  

Auf zu neuen Ufern

Die amtierende Staatsrätin und inzwischen sehr umstrittene Demokratie-Ikone hat vielerorts Hoffnungen enttäuscht. Dies ist mitunter auch unserer eurozentrierten Naivität geschuldet. Es braucht Mut, Entschlossenheit und Geduld, um die Jahrzehnte alten sozialen und politischen Konflikte im Land anzugehen. Vor allem aber den multiethnischen Dialog und Vermittlung. Suu Kyi hat als Projektionsfläche westlich-demokratischer Fantasien ausgedient. Wie bereits bei den Parlamentswahlen 2015 konstatiert, steht Myanmar auch fünf Jahre später nach wie vor am Anfang der Transitionsphase. Nichtsdestotrotz werden Suu Kyi und die NLD von vielen als Zünglein an der Waage, als Schutzwall vor einer erneuten Ära der Militärdiktatur gesehen.

Inmitten der massiv steigenden Zahl von Corona-Neuinfektionen seit September wird von der Regierung erwartet,  transparente und glaubwürdige Wahlen entsprechend demokratischer Prinzipien zu gewährleisten. Dies wäre ein wichtiger und notwendiger Schritt für die weitere Demokratisierung des Landes und entscheidendes Signal gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Seit der Unabhängigkeit Myanmars zeichnen sich politisches Ungleichgewicht und mangelnde Chancengleichheit verantwortlich für politisches Scheitern und die andauernde Fragilität des Landes. Ein wirklicher politischer Wandel bedarf friedlicher und inklusiver (multi-ethnischer) politischer Lösungen, die die ethnischen Minderheiten ernst nehmen und politisch beteiligen.