«Mehr Wuppertal wagen»

Städte sind die Herzkammern der Transformation. Dies nicht nur, weil hier die meisten Menschen leben und der Großteil der Nachhaltigkeitsherausforderungen hier entstehen, sondern weil Städte immer schon kulturelle Pionier- und Experimentierorte waren. In Städten wird «Zukunftssinn» geprägt.

Dabei hat jede Stadt ihre Eigenart: eine Mischung aus individueller Geschichte, Topographie und Mentalität, die ihr ein ganz spezielles Gesicht verleihen. Es sind gerade diese Eigenarten, die Städte zu wichtigen Laboren der Veränderung machen. In dieser Vielfalt entstehen Ideen, Möglichkeitsräume für eine nachhaltige Welt werden geschaffen.

Es gibt Städte, die «Transformation» geradezu in ihrer DNA ­haben, für die Wandel ein zentrales Element ihrer Eigenart ist. Wupper­tal gehört dazu. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts galt Wuppertal als das Manchester Kontinentaleuropas – es war eine der reichsten Städte Deutschlands und zugleich Brennpunkt sozialen Elends. Wuppertal war Kraftzentrum der Industrialisierung, Gründungsort von Unternehmen wie Bayer und Geburtsort von Sozialrevolutionären wie Friedrich Engels. Erst ab den 1960er ­Jahren folgten Strukturwandel und ein Niedergang, der in massiver Verschuldung, Einwohnerverlust und hoher Arbeitslosigkeit endete. Doch mit diesen Herausforderungen wuchsen auch Gegenkräfte: Engagierte und national ausgezeichnete Bildungsinitiativen, ein Jobcenter, das mit seinen Herangehensweisen national genauso Zeichen setzt wie das «Haus der Integration». Insbesondere aber entstand eine vitale Zivilgesellschaft, die auf alten Bahnstrecken und Brachflächen wie dem «Mirker Bahnhof» neue Formen der Mobilität und gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung erfindet.

Eine Stadt ist nicht in erster Linie das, was man an der Oberfläche sieht. Eine Stadt ist vielmehr die Haltung, die ihre Bürger/innen prägt – und diese zeichnet sich oft durch eine überraschend hohe Kontinuität aus, oft über viele Jahrzehnte. In Wuppertal sind es über 200 Jahre: «Mut», «Unternehmertum» und «Bürgerschaftliches Engagement», aber auch «Zukunfts- und Eigensinn» (wie ihn nicht nur Friedrich Engels, sondern auch Wuppertaler Künstlerinnen wie Pina Bausch oder Else Lasker-Schüler verkörpern) stehen für die ­«Haltung» Wuppertals.

Deswegen ist das mit der letzten Kommunalwahl gesetzte mutige Aufbruchssignal nicht nur eine besondere Gelegenheit für Wuppertal: Mehr von Wuppertal und seiner transformativen Kraft zu wagen, ist in diesen Zeiten des Wandels ein Signal weit über die Stadt hinaus.


Uwe Schneidewind ist seit November 2020 Oberbürger­meister von Wuppertal. Zuvor war er u.a. Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie gGmbH.

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