Zivilgesellschaftliche Stimmen zum Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Kambodscha

Interview

Aktivistinnen sprechen über die Förderung der Teilhabe von Frauen an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen durch Bildung, über die Rolle von Netzwerken und die Herausforderungen, denen Frauenrechtsaktivistinnen aufgrund zunehmend eingeschränkter Handlungsspielräume im Land ausgesetzt sind.

Factory worker in Cambodia

In Kambodscha haben sich lokale NROs erst in den frühen 1990er Jahren angefangen zu etablieren, nachdem Kambodscha die Pariser Friedensabkommen zu Beendigung des jahrzehnte andauernden Bürgerkriegs unterschrieben hatte.

Geschlechtsspezifische Gewalt und Geschlechterungleichheit sind weitverbreitete Probleme im Land. Ros Sopheap ist Direktorin von Gender and Development for Cambodia (GADC) und arbeitet seit 3 Jahrzehnten für die Belange von Frauen und Genderfragen. Bunn Rachana, Direktorin der NRO Klahaan, vertritt die jüngere Generation zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich in Kambodscha für die Wahrung von Frauenrechten einsetzt.

Wir sprachen mit beiden Aktivistinnen über die Förderung der Teilhabe von Frauen an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen durch rechtebasierte Bildung, über die Rolle von Netzwerken, und die Herausforderungen, denen Frauenrechtsaktivistinnen aufgrund zunehmend eingeschränkter Handlungsspielräume im Land ausgesetzt sind.

Ros Sopheap, Direktorin von GADC, nahm 1995 ihre zivilgesellschaftliche Arbeit als Forschungsbeauftragte einer lokalen Organisation zum Thema häusliche Gewalt in Kambodscha auf. Sopheap wollte unbedingt etwas gegen die weit verbreitete Gewalt gegen Frauen in den Familien des Landes unternehmen.

“Häusliche Gewalt ist extrem schädlich und ungerecht. Frauen müssen ihre Rechte kennen und in der Lage sein, sich Hilfe zu suchen, wenn sie zuhause misshandelt werden,” sagt sie.

GADCs Arbeit sich zum Ziel gesetzt, geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen und junge Frauen zu fördern, Führungspositionen zu übernehmen. Ihre Organisation ist dezentral aufgestellt und die Projekte konzentrieren sich hauptsächlich auf Community Building.

In den vergangenen 30 Jahren hat GADC durch seine Lobbyarbeit, Vernetzung und Gemeinwesenarbeit viel  im Sinne der öffentlichen Anerkennung von Frauen in Führungspositionen und ihrem sozialwirksamen Beitrag erreicht.. In verschiedenen Provinzen wurden "Gender Cafés" eingerichtet, eine Art Selbsthilfegruppe für Frauen, in der vor allem junge Frauen zusammenkommen, um über Herausforderungen wie häusliche Gewalt, Arbeitsmigration und alltägliche Dinge zu sprechen. Die Gender-Cafés sind geschützte Räume, in denen Frauen ihre Erfahrungen austauschen, Unterstützung suchen und gemeinsam Lösungen finden können, die ihrer Gemeinschaft zugute kommen.

Zivilgesellschaft hinterfragt den Status Quo

Die politische Teilhabe von Frauen hat in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen: Im Jahr 2018 waren rund 25% der Mitglieder der kambodschanischen Nationalversammlung und 19% der Mitglieder des Senats Frauen. In der Exekutive sitzen drei Ministerinnen, 45 Staatssekretärinnen und 69 stellvertretende Staatssekretärinnen, was einen Anteil von 14,5% ausmacht, im Vergleich zu 7,4% im Jahr 1998.

Trotz des Einflusses, den Ros Sopheap und ihre Organisation in den letzten drei Jahrzehnten ausgeübt haben, sehen sich zivilgesellschaftliche Organisationen wie ihre mit Hürden konfrontiert, wenn es um die freie Meinungsäußerung oder notwendige Zusammenarbeit mit der Regierung geht.. Die lokalen Behörden seien oft unkooperativ und erschweren ihnen die Arbeit vor Ort.

"Wir müssen flexibel bleiben und uns nach der politischen Lage richten, aber wir sind nicht parteiisch. In unserer Zusammenarbeit mit den Behörden arbeiten wir nach unseren Grundsätzen, die auf dem Gesetz beruhen", sagt Ros Sopheap und veranschaulicht, wie ihre Organisation mit dieser Herausforderung umgeht.

Die Herausforderungen für Frauen in Kambodscha

End violence Cambodia

Organisationen wie GADC, die sich für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen, leisten Aufklärungsarbeit, bieten Rechtsbeistand und führen Kampagnen zur Sensibilisierung für die Rechte von Frauen und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern durch.

Bunn Rachana ist die Direktorin von Klahaan (Khmer: mutig), einer weiteren unabhängigen Organisation, die sich für die Belange von Frauen in Kambodscha einsetzt. Ihr zufolge seien Frauen in Kambodscha vielen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt - verbaler, mentaler, physischer, virtueller (online) oder häuslicher Gewalt. 

"Gewalt und Missbrauch haben schädliche Auswirkungen auf Frauen in der Gesellschaft", sagt sie. "Sie beeinträchtigen die Fähigkeit einer Frau, ihre Rechte in vollem Umfang wahrzunehmen, insbesondere wir sie daran gehindert , an gesellschaftlichem Engagement teilzuhaben oder höhere Bildungswege einzuschlagen. Eltern auf dem Land haben immer noch Bedenken, wenn ihre Töchter zum Studieren wegziehen, weil sie befürchten, dass sie belästigt oder missbraucht werden könnten."

Laut Rachana ist die Gewalt gegen Frauen auf die patriarchalen Strukturen in der kambodschanischen Gesellschaft zurückzuführen. Häusliche Gewalt und geschlechtsspezifische Diskriminierung am Arbeitsplatz seien nach wie vor gesellschaftlich verankert da in den Führungspositionen immer noch überwiegend Männer sitzen.

"Wenn die Entscheidungsträger in Ministerien, wichtigen nationalen Einrichtungen und der Justiz allesamt Männer sind, dann liegt das an den patriarchalen Strukturen. Es war nie Teil ihrer Ausbildung, die besonderen Bedürfnisse von Frauen im Blick zu haben und sie haben auch keine Ahnung von Geschlechtergleichstellung. So werden Entscheidungen getroffen, ohne die Rechte und Bedürfnisse von Frauen zu berücksichtigen oder anzuerkennen, dass Frauen unverhältnismäßig stark unter Diskriminierung und Gewalt leiden", sagt Rachana. Die Regierung habe vor allem im Bildungswesen eine Schlüsselrolle, sich für die Belange von Frauen einzusetzen und die Themen Gender und Geschlechtergleichstellung in den Lehrplan aufzunehmen.

Rachana sagte: “Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte sollten auch in Schulen unterrichtet werden, denn die junge Generation muss lernen, dass Männer und Frauen gleiche Rechte und Freiheiten haben. Die jungen Leute sollten unsere sozialen Normen in Bezug auf Kultur und Geschlechtergerechtigkeit hinterfragen.”

Laut dem Neary Ratanak Bulletin des Ministeriums für Frauenangelegenheiten von 2018 trägt Gewalt gegen Frauen wesentlich zur Geschlechterungleichheit in Kambodscha bei. Darin wird eingeräumt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Hindernis für den sozioökonomischen Fortschritt Kambodschas ist, und sowohl das psychische Wohlbefinden als auch die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt. Es kommt zu dem Schluss, dass Gewalt gegen Frauen gegen die Menschenrechte verstößt und sich sehr negativ auf das Leben von Frauen und ihren Kindern auswirkt. Dem Bulletin zufolge haben 21% der kambodschanischen Frauen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch einen männlichen Intimpartner erlebt, während 32% der Frauen unter emotionalem Missbrauch leiden.

"Gesellschaften, die Frauen ungleich behandeln, können sich nicht entwickeln und gedeihen", sagt Rachana. Die Arbeit der Zivilgesellschaft zur Förderung der Frauenrechte sei daher von wesentlicher Bedeutung für die Stärkung der Frauen und ihren Schutz vor Diskriminierung und Gewalt.

"Es ist unsere Aufgabe, der Regierung den Spiegel vorzuhalten und sie ständig an ihre Pflichten zum Schutz der Menschen- und Frauenrechte zu erinnern. Außerdem geben wir der Politik kritisches Feedback, wenn wir Lücken oder Probleme bei der Umsetzung sehen. Außerdem leisten zivilgesellschaftliche Organisationen einen wichtigen Beitrag zu Entwicklungen im sozialen Bereich, insbesondere in den Bereichen Arbeit und Berufsausbildung", sagt Rachana. 

Neben der Zivilgesellschaft seien auch internationale Organisationen unverzichtbare Partner für den Schutz der Frauenrechte in Kambodscha. "Durch die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen haben wir einen besseren Zugang zu Informationen und Ressourcen, was auch direkt die Qualität unserer Arbeit verbessert. [...] Dank dieser Zusammenarbeit sind wir in der Lage, unsere Stimme zu erheben und eine breitere Öffentlichkeit zu mobilisieren, was unsere Advocacy-Arbeit stärkt und unsere Sichtbarkeit verbessert."

Obwohl Rachana die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen schätzt, steht sie deren Arbeitsweise in Kambodscha kritisch gegenüber. Ihrer Meinung nach haben internationale Organisationen oft ihre eigenen Ziele und Arbeitsweisen, die nicht immer mit der lokalen Kultur vereinbar sind. Um die Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen zu verbessern, sollten internationale Organisationen mehr Offenheit für lokale Perspektiven, Ethiken und Werte zeigen.

Dank der Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen, sind die Menschen insgesamt stärker für Frauen- und Geschlechterfragen sensibilisiert und bringen diese Themen häufiger in die öffentliche Debatte ein.

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorin wieder und spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Heinrich-Böll-Stiftung wider.


Übersetzt von Caroline Bertram