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Die harte Arbeit machen die Frauen

Was ist gesundes Essen? Woran erkennt man Mangelzustände? Wie wirken sich Geschlechterrollen auf gute Ernährung aus? Projekte weltweit unterstützen Frauen dabei, für ihre Familien zu sorgen, wie Beispiele aus Indien, Nigeria und Uganda eindrucksvoll zeigen.

Indien 

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Schwangere sollten keine Eier und kein Fleisch essen. Papaya schadet dem Fötus. Öl ist schlecht für Kinder. Dies sind nur einige Glaubenssätze, gegen die Sweta Banarjee von der «Welthungerhilfe» in Zentral- und Ostindien kämpft. Durch solche Tabus beginnt Mangelernährung bereits im Mutterleib. Die Frauen essen nicht genügend Proteine, viele leiden unter Eisenmangel. Kinder kommen zu klein oder zu leicht auf die Welt.

«Auch nach der Geburt gibt es Essens­tabus, etwa, dass die Mutter trockene Mahlzeiten zu sich nehmen sollte. Also trinken sie nur ein Glas Wasser am Tag. Warmes Wasser soll dabei helfen, dass die Gebärmutter heilt», erklärt Banarjee. Die Qualität der Muttermilch wird durch diese Ernährung schlechter. Aufklärung ist deshalb ein wichtiger Teil des Projekts «Nutrition Smart CommUnity», das Banarjee als Projektleiterin betreut.

Dazu gehört auch, welche Mahlzeiten die Frauen für ihre Familien zubereiten sollten. Reis mit Kartoffeln, etwas Öl und Chili – so sah eine typische Mahlzeit aus. Viele Kohlenhydrate, wenig Nährstoffe. In den Workshops des Projekts verdeutlicht die indische Flagge, wie ein gesundes Essen aussieht. Lebensmittel werden jeweils einer Farbe zugeordnet. Orange steht unter anderem für proteinhaltige Lebensmittel wie Linsen oder Fleisch. Zu den weißen Lebensmitteln zählen hauptsächlich Kohlenhydrate wie Reis, aber auch Milchprodukte. Grünes Essen ist reich an Eisen, Vitamin A und Kalzium. Zu dieser Gruppe gehört zum Beispiel grünes Blattgemüse. Alle drei Farben sollten in einer Mahlzeit vorkommen.

Das Rad in der Mitte der indischen Flagge steht für Öle und Fette. Denn auch die sind wichtig. Vor allem für Kinder, die mit kleinen Mahlzeiten ihren Bedarf an Kalorien abdecken müssen. Und keine ­Fahne ohne Fahnenstange. Diese symbolisiert sauberes Wasser, ohne das auch der ­Körper nicht «stehen» kann. Denn schmutziges Wasser führt zu Durchfall. Dann hilft auch die beste Ernährung nichts.

Nicht nur Kochen ist in indischen Dörfern Frauensache. Auch andere Aufgaben sind traditionell nach Geschlechtern getrennt. In der Trockenzeit müssen Frauen bis zu 15 Kilometer laufen, um Wasser zu holen. In der Landwirtschaft übernehmen Frauen den größten Teil der Aufgaben. «Der Mann pflügt das Feld. Dann ist seine Arbeit getan. Die Frau sät die Pflanzen, jätet das Unkraut. Die harte Arbeit machen die ­Frauen», sagt Banarjee.

Bei so vielen Aufgaben fehlt Frauen die Zeit, ihre Kinder zu versorgen. «Selbst wenn ein Mann untätig rumsitzt, würde er nicht kochen oder sich um das Kind kümmern, weil die Gesellschaft festlegt, was Aufgaben für Frauen und für Männer sind.» Um Hunger zu bekämpfen, ist es daher auch wichtig, Geschlechterrollen zu adressieren. Deshalb ist dieses Thema, neben vielen ­anderen, Teil des Projekts.

Viele Menschen glauben, es geht bei der Bekämpfung von Mangelernährung nur um Nahrungsergänzungsmittel und Fertignahrung. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs.


 Nigeria

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Porridge kennen viele Menschen als Frühstücksmahlzeit. Aber mit den richtigen Zutaten ist er auch ein wichtiges Mittel gegen Mangelernährung. Welche Zutaten das sind, lernen die sogenannten Porridge Mums von den Mitarbeiter*innen der «Aktion gegen den Hunger». Die Teilnehmerinnen dieses Projekts leben in Camps im Bundesstaat Borno. Hier im Nordosten Nigerias ist die islamistische Terrormiliz Boko Haram besonders aktiv. Über zwei Millionen Menschen mussten ihr Zuhause zurücklassen und leben nun oft ohne jede Infrastruktur. Mangel­ernährung ist eine der ­Konsequenzen.

Die «Aktion gegen den Hunger» richtet sich mit dem Projekt «Porridge Mums» an die verletzlichste Gruppe unter den Binnengeflüchteten: an Schwangere und stillende Mütter mit Kindern unter fünf Jahren. Für sie sind Nährstoffe besonders wichtig, sie fehlen ihnen jedoch oft. «Wenn ein Mensch vertrieben wurde, isst er, um satt zu werden. Er achtet nicht auf Nährwerte.» Leiterin Ruth Yakubu Mshelia setzt in diesem Projekt auf lokale Rezepte, die die Frauen bereits kennen, um die Ernährung zu verbessern. Sie und ihre Mitarbeiter*innen zeigen ihnen, wie sie bekannte Gerichte erweitern oder anders zusammensetzen können, damit sie mehr Nährstoffe enthalten. Da gibt es zum Beispiel den Tom Brown Porridge, einen Brei aus Hirse und Erdnüssen – mit Soja­bohnen enthält er mehr Proteine. Oder den Irischen Kartoffelporridge, oder Porridge aus Yamswurzel und Bohnen. «Alle diese Nahrungsmittel kannten die Frauen schon vorher, sie haben sie nur anders zubereitet.»

Die neuen Gerichte kochen die Frauen zwei bis dreimal die Woche in der ­Gruppe. Die Zutaten kaufen sie bei lokalen Händler*innen mit ­Essensgutscheinen, die sie von der «Aktion gegen den Hunger» bekommen. «Dadurch lernen sie, Ressourcen zu verwalten und finanzielle Entscheidungen zu treffen.» Die Männer werden miteinbezogen, denn sie entscheiden oft, was für die Familie gekauft wird. Die Mitarbeiter*innen des Projektes klären deshalb auch sie zu Beginn des Projektes darüber auf, dass es nicht um die Quantität, sondern die um die Qualität bei der Zubereitung von Gerichten geht.

Doch bei den «Porridge Moms» geht es um mehr als Ernährung. Die Gruppe soll für die Frauen auch ein Ort des Austausches und der Geborgenheit werden. «Die ­‹Porridge Mums› geben mir das Gefühl der Zugehörigkeit. Ich kann mich mit den ­Frauen identifizieren», zitiert die «Aktion gegen den Hunger» die Teilnehmerin Saide. «Wir sind durch ähnlich schmerzhafte Situationen gegangen. Wir besuchen einander oft, um zu r­eden oder einfach zusammen Radio zu hören.».


 Uganda

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«Wir haben die Männer einmal gefragt: Ist es okay, wenn ein Mann zu Hause kocht? Und überraschenderweise haben sie gesagt: Nein, niemals, das ist die Arbeit der Frau. Ein Mann sollte nicht mit einem Topf gesehen werden», erzählt Irene Nasasira. Sie arbeitet für die Welthungerhilfe als Nutrition Officer in Yumbe, ein Distrikt in der Region West Nile im Nordwesten Ugandas. Laut Welthungerindex litten im Jahr 2018 10,4 Prozent der Kinder in dieser Region an akuter Mangelernährung.

Die Welthungerhilfe führt hier sogenannte Farmer Field Schools durch. Dies sind Gruppen von Bäuer*innen, die zusammen landwirtschaftliche Techniken lernen und anwenden. Neben Einheimischen sind rund eine Hälfte der Teilnehmenden Geflüchtete aus dem Südsudan. Die Mehrheit ist muslimisch und lebt polygam.

Irene Nasasira nutzt die Gruppen auch, um mit ihnen über das Thema Ernährung zu sprechen und über die Rolle der Männer. So hat sie zum Beispiel auch gefragt: «Ist es okay, wenn ein Mann sein Baby ins Krankenhaus bringt?» Die Männer antworteten: «Nein, das ist die Arbeit der Frau. Sie ist so oft mit dem Baby zusammen und wir wissen nicht, was mit dem Baby los ist.»

In Yumbe erledigen die Frauen den Großteil der Hausarbeit. Sie dreschen und reinigen Getreide und Bohnen per Hand, kochen, holen Wasser, arbeiten im Garten. Bei so viel Arbeit bleibt wenig Zeit für die Kinder. Sie werden oft den ganzen Tag bei ihren Geschwistern oder Verwandten gelassen, zusammen mit wenig nahrhaften Mahlzeiten wie gekochte Süßkartoffel oder Mais. Babys werden seltener gestillt.

Bei den Treffen versuchen Irene Nasasira und ihre Mitstreiter*innen, den Männern zu vermitteln, dass sie ihren Frauen helfen müssen, damit die Kinder gut versorgt werden können. Dabei involvieren sie auch lokale und religiöse Führer. Doch der Wandel ist nicht leicht. Die Männer sind an die traditionelle Rollenverteilung gewohnt. «Aber wir haben in einigen Haushalten Erfolg gehabt. Die Frauen haben uns gesagt: Oh mein Gott, ich kann nicht glauben, dass das passiert ist. Zuerst waren sie erschrocken, als die Männer auf einmal anfingen zu helfen.»

Die Gemeinschaft nimmt das neue Verhalten nicht immer gut auf. «Wenn ein Mann sein Kind badet, Wasser holt, Kleider wäscht, oder den Boden fegt, dann fragen die Leute. Dann ist da die Kritik der Gemeinschaft. Wir müssen sie dann ermuntern weiterzumachen.»

Selbstverständlich ist es auch ein Anliegen des Projekts, Frauen zu stärken. Die Landwirtschaft ermöglicht ihnen, eigenes Geld zu verdienen und damit unabhängig von ihren Männern einkaufen zu können. Doch Nasasira macht deutlich, dass es wichtig ist, Männer und Frauen gleichermaßen einzubeziehen. «Wenn wir uns nur um die Frauen kümmern, dann verursachen wir möglicherweise mehr häusliche Gewalt, weil die Männer nicht mitmachen.» Immer, das zeigt die Erfahrung, müssen sie mit an Bord geholt werden, denn sie spielen eine grund­legende Rolle für Ernährung der Familien.


Christina Focken studiert Global Studies in Berlin. Ihren Bachelor absolvierte sie in Regionalstudien Asien/Afrika und Gender Studies. Als Journalistin und Wissenschaftlerin beschäftigt sie sich unter anderem mit den Themen Feminismus und Geschlecht.

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