Auf der COP26 setzen sich Scheinlösungen gegenüber echten Ambitionen durch

Analyse

Die COP 26 in Glasgow begann mit einer Fülle von Deklarationen. Letztendlich wurden jedoch keine echten und sofortigen Maßnahmen ergriffen, um eine Klimakatastrophe zu verhindern und die Forderung nach Gerechtigkeit und Gleichheit für die am stärksten von der Klimakrise betroffenen Menschen zu erfüllen.

COP26 • 06/11/2021 • Glasgow / Escócia (UK)
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Globaler Aktionstag / COP26 Koalitionsmarsch am 06.11.2021 in Glasgow.

Die Botschaft von außerhalb der Verhandlungssäle der COP26 hätte nicht deutlicher sein können: Riesige Demonstrationen, eine Welle an Klimaklagen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die zeigen, dass das 1,5-Grad-Limit in immer weitere Ferne rückt. Sie weisen allesamt auf die Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen hin, um die steigenden Emissionen drastisch zu reduzieren, die zunehmenden Schäden zu lindern und einen sozialverträglichen und gerechten Übergang in eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe zu beschleunigen. Statt aber mutig gegen die Fossilen vorzugehen und den nötigen Ehrgeiz an den Tag zu legen, um die Erderwärmung auf unter 1,5°C zu halten, griffen die Vertragsstaaten auf der COP26 begeistert Scheinlösungen auf – von Kohlenstoffkompensationen und CO2-Abscheidung über Monokulturplantagen bis hin zu Landraub. Zwar bestätigten viele der führenden Politiker*innen in ihren Reden, dass das 1,5-Grad-Limit eingehalten werden müsse, aber dieses Gebot spiegelte sich nicht in ihren Entscheidungen wider. Die COP26 begann mit einer Fülle an Ankündigungen und endete mit einem Mangel an Aktion. Die Ergebnisse sorgen weder für die richtigen und sofort nötigen Maßnahmen zur Verhinderung einer Klimakatastrophe noch beachten sie die Forderungen nach Fairness und Gerechtigkeit derjenigen, die am stärksten von den Klimaschäden betroffen sind.

Exklusivität verhindert gerechte und ehrgeizige Maßnahmen

Die Kluft zwischen Worten und Taten offenbarte sich als erstes darin, dass Organisationen der Zivilgesellschaft und Indigener Völker von der COP26 ausgeschlossen wurden, was sich direkt auf die in Glasgow verabschiedeten Maßnahmen und Beschlüsse auswirkte.

Monatelang hatte die britische Regierung versprochen, dass die COP26 trotz der anhaltenden Pandemie die inklusivste aller bisherigen Konferenzen werden würde. In Wirklichkeit traf das Gegenteil zu – sowohl in ihrem Vorfeld als auch auf der Konferenz selbst. Aufgrund der Impfstoff-Apartheid – die daraus resultiert, dass die Industrieländer die Interessen der Konzerne über einen universellen Zugang zu Impfstoffen stellen – war schon vor Eröffnung der Konferenz klar, dass die Konferenzteilnahme für Delegationen aus Entwicklungsländern mit nie dagewesenen logistischen Problemen und Gesundheitsrisiken verbunden war.

Trotz dieser Schwierigkeiten und den enormen finanziellen Kosten, die eine Teilnahme an der Konferenz in diesem Jahr mit sich brachte, kamen Tausende Vertreter*innen sozialer Bewegungen, zivilgesellschaftlicher Organisationen und indigener Völker in Glasgow zusammen, um die Regierungen in die Pflicht zu nehmen und Klimagerechtigkeit zu fordern. Jedoch machten die britische Regierung und das UNFCCC-Sekretariat gleich am ersten Tag der Konferenz klar, dass sich ihr Augenmerk mehr auf die Bekanntgabe bedeutungsloser Zahlen richtete („die meisten Delegierten aller Zeiten“), während sie gleichzeitig eine sinnvolle Mitwirkung am politischen Prozess in einer Weise einschränkten, wie es nie zuvor auf einer COP vorgekommen war.

Die britische COP-Präsidentschaft und das UNFCCC-Sekretariat verboten die Anwesenheit der Zivilgesellschaft bei fast allen Verhandlungen der ersten Konferenztage. Damit verstießen sie nicht nur gegen die ohnehin schon unzureichenden Transparenzrichtlinien, die alle Regierungen vor den Verhandlungen akzeptiert hatten, sondern auch gegen andere internationale Standards, die das Recht auf Zugang und Mitwirkung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren, auch an UN-Prozessen, garantieren. Zwei UN-Sonderberichterstatter prangerten die Situation an und richteten dringende Appelle an das UN-Klimasekretariat und die britische COP-Präsidentschaft, sicherzustellen, dass sich alle Gehör verschaffen können.

Diese nie zuvor dagewesenen Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Beteiligung stand in krassem Gegensatz zur Anwesenheit von Führungskräften und Lobbyist*innen aus der Wirtschaft, denen ein privilegierter Zugang zu den politischen Entscheidungsträger*innen gewährt wurde. Kein einzelnes Land hatte mehr Vertreter*innen auf der COP als die Gesamtzahl der Delegierten aus der fossilen Industrie. Die Geschäftsführungen zahlreicher Konzerne nahmen gemeinsam mit den Vertragsstaaten an Wirtschaftsveranstaltungen teil, auf denen verschiedene „Initiativen“ auf den Weg gebracht wurden, denen es nicht nur an Rechenschaftspflicht und Transparenz fehlt, sondern die es den Konzernen auch ermöglichen, sich um angemessene Klimaschutzbestimmungen herumzudrücken. Das Risiko eines solchen Greenwashings war im Vorfeld der COP und während der Konferenz so ausgeprägt, dass der UN-Generalsekretär die Einrichtung einer Expert*innengruppe ankündigte, die überprüfen soll, ob die Klimaschutzbehauptungen der Konzerne auch wirklich mit angemessenen Maßnahmen einhergehen.

Das Ungleichgewicht bei Zugang und Einfluss, die den verschiedenen nicht-staatlichen Akteur*innen gewährt wurden, ist zum einen ein Zeichen dafür, dass sich die UN und Großbritannien nicht ausreichend für eine ökologische Demokratie einsetzen. Zum anderen unterminierte es aber auch die auf der COP gefassten Beschlüsse, weil der Entscheidungsprozess vom Druck der Öffentlichkeit abgeschirmt wurde, was es den Regierungen ermöglichte, sich auf die kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Das vielleicht anschaulichste Beispiel dafür, was passiert, wenn weder Beobachter*innen noch viele der am stärksten betroffenen Länder im Raum sind, ist ein von den Vertragsstaaten angenommenes Programm zur Beteiligung der Öffentlichkeit, des öffentlichen Zugangs zu Informationen und der Bildung in Klimafragen (im Jargon der Klimakonvention unter dem Begriff „Action for Climate Empowerment“ bekannt), in dem die Menschenrechte mit keiner Silbe erwähnt werden. In letzter Minute hatten die Vertragsparteien in einer nichtöffentlichen Sitzung unter dem Druck, zu einem Entschluss zu kommen, die Vorgabe wieder entfernt, dass diese Arbeit auf einem rechtsbasierten Ansatz beruhen sollte. Die Ironie, ein Arbeitsprogramm über die Beteiligung der Öffentlichkeit zu verhandeln, nachdem eben diese Öffentlichkeit von den Verhandlungen ausgeschlossen worden war, scheint den Delegierten entgangen zu sein. Die Verwässerung und Entfernung sinnvoller Inhalte, die Rechte und Menschen in den Mittelpunkt stellten, geschah bei vielen COP-Texten zu verschiedenen Tagesordnungspunkten, was einmal mehr verdeutlicht, warum bei einer die Öffentlichkeit ausschließenden COP ungerechte Ergebnisse und letztlich ineffektive Entscheidungen herauskommen.

Ablenkung von fossilen Brennstoffen und Hinwendung zu Scheinlösungen

Die Klimakrise wird größtenteils von fossilen Brennstoffen verursacht. Dennoch wurden diese 30 Jahre lang aus allen Klimaverhandlungen ausgeklammert – abgesehen von den vielen Delegierten aus der fossilen Brennstoffindustrie, die durch die Konferenzhallen streiften. Dieses Jahr wurden die fossilen Brennstoffe erstmals ausdrücklich auf der COP diskutiert. Die Thematik wurde nicht nur von der Zivilgesellschaft auf Protesten und Nebenveranstaltungen angesprochen, sondern auch von Regierungen in- und außerhalb der Verhandlungsräume. Während dieser Fokus bahnbrechend war, so waren es die abschließenden Entscheidungen der Vertragsstaaten ganz und gar nicht.

In den Gesprächen wurde das Thema fossile Brennstoffe zwar angeschnitten, aber die größten Fortschritte in Richtung eines Ausstiegs aus ihrer Produktion und Nutzung wurden außerhalb der offiziellen Verhandlungen erzielt. Eine Initiative unter Führung der britischen Regierung sicherte sich die Verpflichtung von fast 40 Ländern und Institutionen, die öffentliche Finanzierung von fossilen Projekten im Ausland schrittweise einzustellen. Die Initiative ist zwar ein wichtiger Erfolg im Kampf zur Beendigung von Subventionen für fossile Brennstoffe, hat aber auch ihre Grenzen. Bei der Verpflichtung geht es in keiner Weise um die Finanzierung inländischer fossiler Projekte. Zudem wird damit lediglich die Finanzierung von Vorhaben mit „ungeminderten“ („unabated“) fossilen Brennstoffen (Öl, Gas und Kohle) beendet, was die Tür offen lässt für Subventionen von Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS). Darüber hinaus sind auch einige Ausnahmen zugelassen, darunter in bestimmten Zusammenhängen die Finanzierung von fossilem Gas.

Auf der COP26 wurden auch mehrere Ankündigungen zu einem Kohleausstieg gemacht. Über 40 Länder, darunter viele der größten Kohleemittenten – allerdings nicht die USA, China, Indien und Australien – verpflichteten sich, nicht mehr in neue Kohlekraftwerke zu investieren. Der Powering Past Coal Alliance schlossen sich 28 weitere Länder an, was die Zahl der Mitglieder auf über 160 erhöht. Und andere Länder sagten den Ausstieg aus unverminderter Kohle zu.

Die wohl bedeutendste Entwicklung am Rande der COP26 war die offizielle Präsentation der Beyond Oil & Gas Alliance (BOGA) durch die Regierungen Dänemarks und Costa Ricas, deren Mitglieder sich verpflichten, keine neuen Öl- und Gasvorkommen zu erschließen und die Produktion auslaufen zu lassen. Zu den Gründungsmitgliedern gehören sieben Länder (Dänemark, Costa Rica, Frankreich, Grönland, Irland, Schweden und Wales), eine kanadische Provinz (Quebec) sowie mehrere assoziierte Mitglieder (Neuseeland, Portugal und der US-Bundesstaat Kalifornien). Bemerkungen von Mitgliedern während der Vorstellung der Allianz machen die Anerkenntnis der BOGA klar, dass die Zukunft nicht fossil sein kann und dass eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz mit einer schnelleren Energiewende einhergehen muss. Am gleichen Tag stellte Carbon Tracker die neue Global Registry of Fossil Fuels vor, um mehr Transparenz rund um die Produktion fossiler Brennstoffe zu schaffen.

Diese Initiativen machen deutlich, dass Fortschritte in Richtung eines Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen nicht nur möglich, sondern aus wirtschaftlicher und politischer Sicht auch logisch und letztlich notwendig sind. Sie senden ein starkes Signal, wie es weitergehen kann und wohin die Welt tatsächlich gehen muss, um sich überhaupt Hoffnung machen zu können, die Erderwärmung auf unter 1,5°C zu halten. Zusammen mit den breiten öffentlichen Protesten, den zunehmenden Rechtsstreitigkeiten und dem unerschütterlichen Widerstand der Gemeinschaften, die am meisten von den Gefahren und Auswirkungen der Erschließung fossiler Brennstoffe betroffen sind, tragen diese politischen Ankündigungen dazu bei, den Druck auf fossile Unternehmen zu erhöhen. Direkt nach der COP26, auf der Klimaaktivist*innen forderten, die Erschließung neuer Ölvorkommen nicht länger hinzunehmen, zog sich Shell aus dem Ölfeld-Projekt Cambo zurück, eines der größten noch nicht erschlossenen Ölfelder vor der Küste Großbritanniens. Dieser Schritt könnte das Ende neuer Ölförderungsprojekte in der Nordsee markieren.

Leider schlägt sich die Dringlichkeit, die in den politischen Ankündigungen und den öffentlichen Protesten außerhalb der Konferenzräume zum Ausdruck kam, nicht in den Ergebnissen der COP26 nieder. Die Länder brachten zwar den Mut auf, die Problematik der fossilen Brennstoffe endlich in den offiziellen Verhandlungen anzusprechen, aber es gelang ihnen nicht, substantiell gegen sie vorzugehen. Statt sich zu einem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu verpflichten, einigten sich die Länder lediglich auf ein mageres „Auslaufen“ von „ungeminderter Kohle“ („unabated coal“) und auf die Abschaffung „ineffizienter“ Subventionen für fossile Brennstoffe – eine Entscheidung, die durch so viele nähere Bestimmungen geschwächt wird, dass sie den Ernst der Klimakrise nicht widerspiegelt.

Die Medien schieben Indien die Schuld zu für die in letzter Minute beschlossene Abschwächung der Abschlusserklärung. Indiens Vorstoß, die Nutzung von Kohle beibehalten zu wollen, wurde von vielen als unvereinbar mit den Ergebnissen der Klimaforschung und als Verstoß gegen die Rechte der Gemeinschaften auf saubere Luft und eine klimasichere Welt angeprangert – Rechte, die derzeit in Neu-Delhi gefährdet sind durch das toxische Niveau der Luftverschmutzung, die ein innenpolitisches Handeln der Regierung erfordert. Aber auch die reichen Länder sind für das beschämende Ergebnis der Konferenz verantwortlich. Der Widerstand der USA und anderer Industrieländer, den Ausstieg aus Öl und Gas in den Text aufzunehmen – deren Gewinnung sie nach wie vor sowohl im In- als auch im Ausland unterstützen – sowie die mangelnde Bereitschaft derselben Staaten, die Energiewende in den Entwicklungsländern angemessen zu finanzieren, war mindestens genauso abträglich für die Glaubwürdigkeit und die Wirkung der Erklärung von Glasgow. Der Versuch, den Kohleausstieg zur Priorität zu erklären und gleichzeitig die Notwendigkeit zu ignorieren, sich mit derselben Dringlichkeit um einen Ausstieg aus Öl und Gas zu bemühen, verlagerte die Hauptlast der Energiewende auf die Entwicklungsländer, die nach wie vor mehr von Kohle abhängig sind als die reichen Länder. Der erste ausdrückliche Verweis auf fossile Brennstoffe in einem COP-Beschlusstext spiegelt letztendlich nicht die Erkenntnisse der Klimawissenschaft oder die Notwendigkeit einer beschleunigten Energiewende wider, sondern die Macht der Unternehmensinteressen und die Entscheidung der Regierungen zur Beibehaltung des "Business-as-usual".

Während sich die Vertragsstaaten weigerten, gegen die fossilen Brennstoffe als Treiber der Klimakrise vorzugehen, propagierten sie wieder Netto-Null-Versprechen und richteten den Blick auf Irrwege und Scheinlösungen.

Fokussierung auf CO2-Kompensationen, Versagen bei Ambitionen

Nach sechs Verhandlungsjahren einigten sich die Vertragsstaaten schließlich auf ein Regelwerk zu Kohlenstoffkompensationen und grenzübergreifender Zusammenarbeit unter Artikel 6 des Pariser Abkommens, in dem es um Kohlenstoffmärkte und nicht-marktbasierte kooperative Ansätze geht. Die Regeln lassen potenziell risikoreiche Maßnahmen zu, die nur dazu dienen, Emissionen „auszugleichen“, statt sie zu reduzieren. Selbst mit den strengsten Regeln bergen Kohlenstoffmärkte die Gefahr, die Menschenrechte und die Klimaziele zu untergraben, da sie es den Ländern und Unternehmen ermöglichen, an einem Ort CO2 in unveränderter Menge auszustoßen, wenn sie versprechen, dies auszugleichen, indem sie anderswo für Emissionsreduktionen zahlen. Eigentlich wollte das Pariser Abkommen mit diesen Maßnahmen zu einer Reduzierung der Gesamtemissionen beitragen. In der Praxis tragen die in Glasgow vereinbarten Regeln aber wenig dazu bei, die Gesamtziele zu erhöhen. Die Regeln erlauben den Käufer*innen, einen Großteil der erworbenen CO2-Gutschriften direkt für den Ausgleich ihrer aktuellen Emissionen zu nutzen, wobei nur ein kleiner Anteil „stillgelegt“ werden muss, also nicht genutzt werden darf.

Darüber hinaus haben die Vertragsparteien zwar Regeln aufgestellt, um die doppelte Anrechnung von Emissionsreduktionen weitgehend zu verhindern, aber nicht alle Schlupflöcher beseitigt, auch nicht in Bezug auf freiwillige Kohlenstoffmärkte oder nicht genehmigte Gutschriften. Zudem erlauben sie auch die Nutzung von sogenannten junk credits, alten Gutschriften aus Projekten im Rahmen des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism - CDM), die bis ins Jahr 2013 zurückgehen, um die höheren Ziele der Emissionsreduzierung zu erfüllen. Der Übertrag alter Gutschriften in den neuen Rahmen für Emissionshandel unterminiert nicht nur das Gesamtziel an Reduktionen, sondern belohnt auch Rechtsverletzungen. Bei der Erzeugung von Emissionsgutschriften kam es über den CDM auch zu Landraub und Verstößen gegen die Rechte indigener Völker und der in den Projektgebieten lebenden Menschen; die wenigen in diesen Projekten erzielten Emissionsminderungen zeitigten oft keinen spürbaren langfristigen Nutzen. Diese Zombie-Gutschriften einzusetzen, um „Netto-Null“ oder die Post-2020-Emissionsminderungsziele zu erreichen, trägt in keiner Weise dazu bei, die derzeitige Klimakrise anzugehen und die Emissionen jetzt zu reduzieren. Der in Glasgow ausgehandelte Kompromiss, diese Gutschriften zuzulassen, behandelt den Klimanotstand eher als ein Rechenproblem denn als die Menschenrechtskrise, die er ist. Er lässt nicht nur die Erfahrung der Gemeinschaften an vorderster Front der Klimakrise außer Acht, die durch diese Projekte geschädigt wurden und werden, sondern auch die fortgesetzte Verschmutzung, die durch diese Kompensationen ermöglicht werden.

Eine der zentralen Forderungen der Zivilgesellschaft und der indigenen Völker (sowie vieler Länder) war, dass die Vertragsparteien es vermeiden müssen, in der Vergangenheit gemachte Fehler zu wiederholen, und zwar zum Teil, indem sie sicherstellen, dass das Regelwerk zu Artikel 6 den Schutz von Menschenrechten einbezieht, einschließlich der Rechte indigener Völker. Bei früheren Kohlenstoffmärkten kam es zu Verstößen gegen die Rechte von Gemeinschaften, unter anderem gegen ihre Rechte auf Wasser, Nahrung und Unterkunft, wobei sie keine Möglichkeiten hatten, ihr Recht geltend zu machen. Während die endgültigen Regelungen zu den markt- und nicht markbasierten Ansätzen in Artikel 6 Verweise auf Menschenrechte, einschließlich der Rechte indigener Völker, enthalten, wurden die Menschenrechte nicht uneingeschränkt in die Regelungen zur Ausgestaltung der Aktivitäten im „Mechanismus für nachhaltige Entwicklung“ aufgenommen. Ebenso wenig aufgenommen wurde die volle Beachtung der internationalen Menschenrechtsnormen, einschließlich des Rechts indigener Völker auf die freie, vorherige und informierte Zustimmung (Free Prior Informed Consent – FPIC) und auf einen gerechten Übergang (Just Transition). In den letzten Konferenzstunden fügten die Vertragsstaaten noch einen Hinweis auf einen unabhängigen Beschwerdemechanismus ein, der wichtig ist, um das Recht auf Rechtsmittel zu garantieren. Sie gingen jedoch nicht so weit, eine institutionelle Struktur für Beschwerdeverfahren zu garantieren. Mit Blick nach vorne muss sich zeigen, ob die unter diesem Regelwerk ausgearbeiteten Standards solide sind, damit Länder und Unternehmen in ihren Bemühungen um Emissionsausgleich fundamentale Menschenrechte durch Klimaschutzmaßnahmen nicht mit Füßen treten.

Der Drang, Regelungen zur Legitimierung von Kohlenstoffmärkten festzulegen, statt fossilen Brennstoffen als Hauptverursachern des Klimawandels ein Ende zu bereiten, veranschaulicht die falschen Prioritäten vieler Länder. In einer durch den Klimawandel eingeschränkten Welt, in der sich die Auswirkungen des Klimawandels mit jedem Tag verschlimmern, ist kein Platz für einen Offset-Markt. Die Länder müssen auf nationaler Ebene unverzüglich reale Maßnahmen ergreifen, um gegen fossile Brennstoffe als Treiber der Krise vorzugehen, und dürfen nicht versuchen, dieser schwierigen Aufgabe durch Rechentricks aus dem Weg zu gehen. Besonders wichtig ist hier der Druck seitens der Zivilgesellschaft, um sicherzustellen, dass sich Regierungen und Unternehmen nicht nur auf CO2-Kompensationsgutschriften stützen, sondern für tatsächliche Emissionsminderungen sorgen.

Positiv festzuhalten ist, dass sich die Vertragsparteien zu guter Letzt viel Zeit nahmen, um auch über die nicht marktbasierten kooperativen Ansätze unter Artikel 6 zu diskutieren, sowie ein Glasgow-Komitee und Arbeitsprogramm zu derartigen Ansätzen einrichteten, um zu erkunden, wie eine internationale Zusammenarbeit außerhalb von Emissionshandel ermöglicht werden kann. Diese Aktivitäten eröffnen die Chance auf eine Erhöhung der Ambitionen, indem Länder befähigt werden, Ansätze zu finden, um ihre Verpflichtungen zum Klimaschutz durch eine internationale Zusammenarbeit einhalten zu können, die nicht auf Kompensationen beruht. Mit der Einrichtung des „Glasgow-Komitees zu nicht markbasierten Ansätzen“ hoffen die Vertragsparteien die Weitergabe von Informationen, besten Verfahren und gewonnen Erkenntnissen sowie andere Formen der Zusammenarbeit zu fördern. Dieser Rahmen und das Arbeitsprogramm, das 2022 weiterentwickelt werden soll, könnten dazu beitragen, tatsächliche Klimaschutzmaßnahmen zu ermöglichen, die einen gerechten Übergang fördern, Menschenrechte, einschließlich der Rechte indigener Völker, schützen und die Unversehrtheit des Ökosystems sicherstellen.

Viele Staaten lassen ihren Worten immer noch keine Taten folgen

Nicht nur in Bezug auf Emissionsminderungen fehlte es auf der COP26 an Ambitionen, sondern auch hinsichtlich der Klimafinanzierung, Die Vertragsstaaten sagten weder den Ländern, die schon die Hauptlast der klimawandelbedingten Auswirkungen tragen, noch den Ländern, die zukünftig vermutlich am meisten betroffen sein werden, Mittel in ausreichender Höhe zu. Insbesondere für Anpassungsmaßnahmen sind die Finanzhilfen beklagenswert dürftig. Die am meisten für die Klimakrise verantwortlichen Länder sind unter den UN-Klimavereinbarungen verpflichtet, die Länder durch die Bereitstellung von Klimafinanzierung zu unterstützen, die am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich, aber am meisten von ihr betroffen sind. Vor über einem Jahrzehnt versprachen die Industrieländer, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar bereitzustellen. Diese Zahl hat nichts mit dem tatsächlichen Bedarf zu tun, der in die Billionen geht, sondern spiegelt lediglich eine politische Entscheidung wider. Das Jahr 2020 ist gekommen und vergangen, ohne dass die Länder wenigstens dieses ohnehin schon unzureichende Ziel erreicht hätten.

Die COP26 hat wenig dazu beigetragen, die dauerhafte Finanzierungslücke schnell und sinnvoll zu schließen. Die Industrieländer unter den Vertragsstaaten sagten zu, die Bereitstellung von Anpassungsfinanzierung über die nächsten vier Jahre zu verdoppeln, und versprachen Hunderte Millionen an zusätzlicher Finanzierung sowohl für den Anpassungsfonds als auch für den Fonds für die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries Fund) zur Finanzierung dringender Anpassungsmaßnahmen. Diese neuen Verpflichtungen sind besonders wichtig, da die Anpassungsfinanzierung nach wie vor der Finanzierung von Minderungsmaßnahmen weit hinterherhinkt. Diese Ankündigungen reichen jedoch bei weitem nicht aus, um das schon längst versprochene 50:50-Verhältnis von Minderungs- und Anpassungsfinanzierung zu erreichen oder den tatsächlichen Bedarf der Gemeinschaften zu decken, die vom Klimawandel am stärksten betroffen sind. Zudem mussten die Regierungen des Globalen Nordens einräumen, dass sie das 100-Milliarden-Dollar-Ziel mindestens bis 2023 nicht erreichen werden. Sie schulden dieses Geld den Ländern im Globalen Süden, die dringend Unterstützung bei der Bekämpfung der Klimakrise brauchen.

Ganz zu schweigen davon, dass die Länder, die am meisten für die Klimakrise verantwortlich sind weiterhin versuchen, der Finanzierung der Schäden und Verluste durch den Klimawandel völlig zu vermeiden. Forderungen, „für Schäden und Verluste zu bezahlen“ („pay up for loss and damage“) hallten durch die Konferenzräume der COP, die Straßen Glasgows und auch durch die virtuellen COP-Räume. Zivilgesellschaftliche Gruppen erklärten den Umgang mit Schäden und Verluste zum Prüfstein für den Erfolg oder Misserfolg der COP. Trotz der erhöhten Aufmerksamkeit für das Thema und dem von allen Entwicklungsländern unterstützten Vorschlag, in Glasgow einen Mechanismus zur Finanzierung von Schäden und Verlusten einzurichten, verpflichteten sich die Vertragsparteien letztlich nur zur Erarbeitung weiterer technischer Details und zu noch einem Dialog über Schäden und Verluste, aber nicht zu einer Finanzierung. In diesem Zusammenhang sollte Schottlands Ankündigung, finanziell zu einem Schäden-und-Verluste-Fonds beitragen zu wollen, Schule machen und Druck auf die anderen Länder des Nordens ausüben, dem Beispiel zu folgen.

Das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit denen sich die Klimakrise verschärft, zeigen, dass dies kein Problem der Zukunft, sondern ein ganz aktuelles Problem ist, bei dem es zu immer weiteren Schäden kommen wird. Konkrete Vorschläge, die Ressourcen dort zu mobilisieren, wo das Geld ist, und die Schadenverursachenden zur Kasse zu bitten, liegen schon auf dem Tisch und bauen auf Präzedenzfällen auf, die zeigen, dass solche Finanzierungsquellen in der Praxis funktionieren können. Und doch weigern sich die Regierungen der Industrieländer, diese Vorschläge wenigstens in Augenschein zu nehmen. Das anhaltende Versagen der politischen Führungen, eine quantitativ und qualitative angemessene – am Menschen orientierte, gendergerechte und für vom Klimawandel besonders betroffene Gemeinschaften zugängliche – Finanzierung für Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen sowie für Schäden und Verluste zu leisten, ist moralisch verwerflich.

Das Scheitern von Glasgow verzögert möglicherweise die Klimagerechtigkeit, wird aber die Abkehr von fossilen Brennstoffen nicht verhindern

Klimagerechtigkeit, Schäden und Verluste sowie rechtsbasierte Klimaschutzmaßnahmen werden auch 2022 ganz oben auf der politischen Tagesordnung stehen. Der Mangel an Ehrgeiz in Bezug auf Maßnahmen und Finanzierung, die unzureichenden Versuche, gegen fossile Brennstoffe vorzugehen, und die Schlupflöcher, die Kohlenstoffkompensationen und Scheinlösungen Tür und Tor öffnen, werden überall auf der Welt unvermeidlich zu weiteren klimabedingten Schäden führen sowie Menschenrechte und die Rechte indigener Völker gefährden. Auf der COP26 wurde deutlich, dass ohne die sinnvolle Mitwirkung der Zivilgesellschaft, indigener Völker, Frauen, Menschen mit Behinderungen und Jugendlichen keine effektiven und gerechten Klimaschutzmaßnahmen beschlossen werden können. Zukünftige COPs müssen nicht nur dem Grundsatz nach, sondern auch in der Praxis inklusiv sein. Statt als Plattform für leere Versprechungen zu dienen oder als Greenwashing von Menschenrechtsverletzungen instrumentalisiert zu werden, müssen die Klimaverhandlungen ein Forum bieten, auf dem die Treiber der Klimakrise bekämpft und auf die Ansprüche der Gemeinschaften in vorderste Front der Klimakrise eingegangen wird.

Das fortgesetzte Scheitern des UN-Klimaprozesses, der Dringlichkeit des Moments gerecht zu werden, wird weder die weltweite Bewegung davon abhalten, weiter für Klimagerechtigkeit zu kämpfen, noch das rechtliche und finanzielle Momentum für einen gerechten Übergang in eine fossil-freie Zukunft verlangsamen. Dass die bloße Erwähnung fossiler Brennstoffe – der Haupttreiber des Klimawandels – nach fast 30 Jahren weltweiter Klimaverhandlungen einen Durchbruch darstellt, ist an sich schon ein Offenbarungseid, der die Kluft zwischen der Politik, die in den Verhandlungsräumen zum Tragen kommt, und der auf den Straßen und an vorderster Front der Klimakrise erlebten Realität abbildet. Aber diese Erwähnung ist auch ein Zeichen des wachsenden Drucks, das unvermeidliche und notwendige Ende der Ära fossiler Brennstoffe schneller einzuläuten.

Bis die Vertragsparteien wieder zusammenkommen, werden zivilgesellschaftliche Organisationen, indigene Völker, lokale Gemeinschaften und Jugendliche rund um die Welt den Mächtigen die Wahrheit sagen – auf den Straßen, in internationalen Institutionen und vor Gerichten; sie werden daran arbeiten, die Länder und Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen, die am meisten für die Klimakrise verantwortlich sind. Die Ära der fossilen Brennstoffe geht zu Ende. Wenn die politisch Verantwortlichen der Welt nicht den Mut aufbringen, diesen Prozess zu unterstützen, werden die Menschen es tun.

 


Die Autor*innen danken Lili Fuhr und Liane Schalatek für Feedback und Ergänzungen zu diesem Text.