Warum Klimapolitik mehr sein muss als die Bepreisung von Kohlenstoff

In ihrem Buch «Making Climate Policy Work» beschreiben unsere Autoren, welche Hindernisse einer ernsthaften Kohlenstoffpreispolitik im Weg stehen – und warum nur eine staatliche Industriepolitik zum Ziel führen kann.

Seit 30 Jahren ist sich die Fachwelt fast geschlossen einig: Die Bepreisung von Kohlenstoff- und anderen Treibhausgasemissionen ist das intelligenteste und kosteneffizienteste Mittel, um die Erderwärmung abzubremsen. Schließlich erfordert die Abkehr der Weltwirtschaft von fossilen Brennstoffen Investitionen in Höhe von Billionen Dollar. Und bei solchen Größenordnungen können Marktmechanismen zu einem sinnvollen Ressourceneinsatz beitragen.

Böll.Thema Umweltpolitik: Bepreisung von Kohlenstoff

Als Wissenschaftler sind wir nun mit der akademischen Argumentation für Kohlenstoffbepreisung vertraut und schätzen die zugrunde liegende Theorie. Allerdings sehen wir in unserer Arbeit mit Unternehmen und Regierungen, die an vorderster Front des Wandels agieren, kaum Anzeichen dafür, dass dieser Konsens der Fachwelt auch in der Realität funktioniert – oder jemals funktionieren wird.

In unserem kürzlich erschienenen Buch «Making Climate Policy Work» haben wir versucht, diese Kluft zwischen Theorie und Praxis zu erklären. Wir beschreiben darin die strukturellen politischen Hindernisse, die einer ernsthaften Kohlenstoffpreispolitik im Wege stehen. Wir erklären, warum staatlich geführte Industriepolitik und Regulierung besser funktionieren. Die Bepreisung von Kohlenstoff gehört hierbei sicherlich zum Instrumentarium, spielt aber nur eine relativ kleine, unterstützende Rolle im Rahmen einer transformativen Industriepolitik und Regulierung.

Wir sehen drei Hauptprobleme bei der Bepreisung von Kohlenstoff.

Erstens schafft sie eindeutige politische Probleme, da sie sich spürbar auf Energiepreise auswirkt. Die Theorie basiert richtigerweise darauf, einem bekannten Marktversagen entgegenzuwirken: Solange Klimaschäden die Verursacher nichts kosten, geht die übermäßige Kohlenstoffverschmutzung weiter.

Wirtschaftlich gesehen ist Kohlenstoffbepreisung also ein elegantes Mittel. Die politische Seite ist jedoch weniger schön. Nur an wenigen Orten, vor allem in Europa, sind Wähler*innen deutlich und konsequent dazu bereit, spürbare Kostenauswirkungen auf den eigenen Energieverbrauch hinzunehmen. Beispiele für politische Wankelmütigkeit gibt es zuhauf, darunter die zahlreichen Bemühungen, im Zuge der aktuellen Energiekrise die Steuern auf Benzin und andere Energiedienstleistungen wieder zu senken. Von dieser harschen politischen Realität ist die Fachwelt freilich nicht begeistert. In der Praxis lässt sich politische Unterstützung für eine langfristige Klimapolitik umso leichter sichern, je weniger die damit einhergehenden Kosten in den Schlagzeilen auftauchen und an den Zapfsäulen fühlbar sind.

Zweitens empfiehlt die Fachtheorie einen gesamtwirtschaftlichen Ansatz. Demnach sollten alle Branchen dem gleichen Kohlenstoffpreis unterliegen und so mögliche wirtschaftliche Ineffizienzen vermieden werden. Ein gemeinsamer Kohlenstoffpreis gewährleistet, dass kein Sektor gezwungen wird, Emissionen zu reduzieren, die sich in einem anderen Sektor billiger senken ließen.

In der Praxis ist jeder Sektor anders betroffen, vor allem in der Anfangsphase einer massiven Transformation. Einige Sektoren können auf raschen Wandel gut reagieren, wie der Aufstieg von erneuerbaren Energien und Elektro-PKW zeigt. Andere Branchen, wie Zement und Stahl, stehen noch ganz am Anfang ihres Weges in eine saubere Zukunft und sind auf den globalen Rohstoffmärkten einem Verdrängungswettbewerb ausgesetzt. Einige stark regulierte und vom Handel abgeschirmte Branchen, wie die Elektrizitätswirtschaft, können Kostensteigerungen leichter tragen. Wieder andere reagieren sehr empfindlich auf verbraucherorientierte Energiepreise, wie zum Beispiel Kraftstoffe.

Die Klimapolitik macht sich ihre Arbeit sehr viel schwerer, wenn sie dem Konsens über die Kohlenstoffpreise folgt. Denn die Verknüpfung von Sektoren verlängert auch den Hebel politischer Gegner. Bemühungen, die in einem Sektor politisch gangbar wären, sind an die politischen Grenzen des am wenigsten fortschrittlichen Sektors gebunden. In unserem Heimatstaat Kalifornien ist genau das der Grund, warum sich unser Kohlenstoffpreissystem nicht deutlich auf Emissionen auswirkt. Da der staatliche Kohlenstoffmarkt auch Kraftstoffe für den Verkehr abdeckt, ergeben sich politisch sensible Kostenauswirkungen, die die mächtige Öl- und Gaslobby des Staates gerne und laut kommuniziert. Die Ölpolitik erschwert so die Kohlenstoffpolitik.

Der Staat umgeht dieses Problem, indem er viel ehrgeizigere, aber weniger spürbare branchenspezifische Maßnahmen zur Sanierung des Stromnetzes und zur Investition in Elektrofahrzeuge ergreift. Wenn kalifornische Politiker*innen sagen, ihr Staat sei Vorreiter im Klimaschutz, dann meinen sie damit den Kohlenstoffmarkt; wenn Analyst*innen jedoch untersuchen, was tatsächlich Umweltverschmutzung verringert und Investitionen ankurbelt, stoßen sie auf sektorspezifische Branchenmaßnahmen.

Drittens: Laut Theorie ist die nationale Einführung von Kohlenstoffpreisen ein Schritt auf dem Weg zu internationalen Kohlenstoffpreisen und einer engeren globalen Zusammenarbeit. Das ist falsch. Nur an ausgesuchten Orten, wie etwa in der EU, war es möglich, Kohlenstoffpreise grenzüberschreitend einzuführen – eben weil es gemeinsame EU-Rechtsverfahren gibt und die Erwartung herrscht, dass ein europaweiter Markt zuverlässig funktionieren wird. Diese Bedingungen treffen aber nirgendwo anders auf der Welt so zu. Seit drei Jahrzehnten engagieren sich politische Eliten für eine Kohlenstoffbepreisung. Darunter fällt heute ein Fünftel der weltweiten Emissionen, was allerdings nur zu einem globalen Durchschnittspreis von etwa drei US-Dollar pro Tonne CO₂-Äquivalent geführt hat. Nur für etwa vier Prozent der Emissionen gilt das notwendige Preisniveau zur Erreichung der Erwärmungsziele des Pariser Abkommens.

Der Fachkonsens über die CO₂-Bepreisung hat viele Initiativen angeregt, die zwar in der Theorie elegant sind, in der Praxis aber zwangsläufig zu Problemen führen. Glücklicherweise ist den meisten gewählten Volksvertreter*innen diese Dynamik bekannt. Deshalb reagieren sie auf entsprechende politische Gelegenheiten hauptsächlich mit industriepolitischen und regulatorischen Maßnahmen. Der brutale Einmarsch Russlands in der Ukraine hat die Notwendigkeit, die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas – und damit von Öl und Gas überhaupt – zu überwinden, nur noch dringlicher gemacht. Europa hat in bewundernswerter Weise reagiert, und zwar nicht in erster Linie mit der Kohlenstoffbepreisung, sondern mit einem massiven Plan für langfristige Investitionen in direkte Alternativen wie Wasserstoff und erneuerbare Energien sowie in Elektrifizierung und Effizienz. Der europäische Kohlenstoffmarkt ist der beste der Welt. Er wird weiterhin eine unterstützende Rolle spielen und ergänzend zu sektorspezifischen Maßnahmen die kosteneffiziente Einführung etablierter kohlenstoffarmer Technologien fördern.

Diese schlechte Nachricht für Kohlenstoffpreise ist eigentlich eine gute Nachricht für die Klimapolitik. Sie führt direkt zu strategischen Empfehlungen, die besser geeignet sind, der Erderwärmung aufzuhalten, und die bereits in gewissem Umfang und mit wenig Aufsehen befolgt werden. Da echter Fortschritt weniger von den Märkten als vielmehr von Regierungen abhängt, legen unsere Arbeiten auch nahe, dass das Kompetenzniveau und die Effizienz von Regierungen von wesentlicher Bedeutung sind. Die führenden Köpfe in dieser neuen, saubereren Welt werden politische Unterstützung für Maßnahmen mit komplexen staatlichen Fähigkeiten kombinieren, die für die Umsetzung einer sektoralen Strategie erforderlich sind. Europa steht hier wahrscheinlich besser da als die Vereinigten Staaten.

Aber auch Europa muss sich darauf konzentrieren, was Volkswirtschaften wirklich verändert – die Industriepolitik, nicht marginale Marktsignale. Das ist wichtig, denn beim Klimawandel kommt es nicht so sehr auf das Handeln einzelner politischer Systeme an, sondern vielmehr darauf, was sich auf breiterer Basis reproduzieren lässt, um weltweite Emissionen einzudämmen.


Dr.  Danny Cullenward ist politischer Direktor bei CarbonPlan und stellvertretender Vorsitzender des kalifornischen Beratungsausschusses für den Emissionshandel (Cap-and-Trade).

David G. Victor ist Professor für Innovation und öffentliche Ordnung an der University of California, San Diego, und Non-Resident Senior Fellow an der Brookings Institution.

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