Kenia: Die etwas andere Wahl

Kommentar

In Kenia brachten Wahlen immer wieder das Risiko politischer Instabilität mit sich. Diesmal haben die Unabhängige Wahlkommission (IEBC) und das Oberste Gericht neue Standards für einen demokratischen Regierungswechsel gesetzt. Entscheidend war die öffentliche Transparenz bei der digitalen Vermittlung der Ergebnisse und den Anhörungen des Obersten Gerichts in den Anfechtungsklagen.

ein polizeibeamter, der das wahlmaterial der soeben abgeschlossenen wahl in kenia bewacht

In Kenia standen am 9. August dieselben Vertreter der politischen Elite zur Wahl, die in den letzten 20 Jahren bereits in unterschiedlichen Funktionen und Koalitionen miteinander führende Regierungsämter innehatten. Nach wochenlangen, dramatisch inszenierten Auseinandersetzungen steht der Gewinner nun fest: Der bisherige Vizepräsident William Ruto, der sich mit einem populistischen Anti-Eliten Narrativ paradoxerweise als Herausforderer eben jenes politischen Establishments darstellte, das er jahrelang selbst repräsentierte. Unterlegen sind der langjährige Oppositionsführer Raila Odinga, der in seiner fünften erfolglosen Kandidatur von seinem ehemaligen politischen Gegner Präsident Uhuru Kenyatta unterstützt wurde. Zwei andere Kandidaten, George Wajackoyah und David Mwaure, erhielten insgesamt weniger als ein Prozent der Stimmen.

Die Präsidentschaftswahl stand fast uneingeschränkt im Mittelpunkt des Interesses, obwohl auch über das Parlament und andere Instanzen des dezentralisierten politischen Systems abgestimmt wurde. Wie in Kenia fast schon üblich, hat die Anfechtung der Wahlergebnisse durch Odingas Team auch diesmal ein öffentliches Drama mit Manipulationsvorwürfen, Verschwörungstheorien und bösartigen persönlichen Angriffen ausgelöst. In Kenia bringen Wahlen das Risiko politischer Instabilität mit sich. Die unterschiedlichen Lager der politischen Klasse versuchen die Unabhängigkeit demokratischer Institutionen zu unterwandern und durch ihre Interessenspolitik zu beeinflussen. Dies galt bisher in besonderem Maße für die unabhängige Wahlkommission (Independent Election and Boundary Commission (IEBC). Die viel diskutierte Schwäche der IEBC schien politisch gewollt, um den jeweiligen Elitengruppen Möglichkeiten der Einflussnahme zu geben. Fast niemand traute ihr vor dem Wahltag zu, ein faires und transparentes Verfahren mit klaren Ergebnissen zu garantieren. Die Kommission gilt als die größte Schwachstelle eines Systems, weil ihre intransparente Verfahren zu allgemeiner Nichtanerkennung der Ergebnisse bis hin zu gewaltsamen Protesten führen können. Das Chaos bei der Verkündung der Ergebnisse am 15. August schienen diese Einschätzung zunächst zu bestätigen. Dennoch kam es diesmal anders.  

Die IEBC hatte ein neues Element eingeführt: die zeitnahe Digitalisierung der ausgezählten Ergebnisse aller 46.229 Wahllokale. In handschriftlich ausgefüllten Listen waren sie als PDF auf dem Portal der Kommission öffentlich einsehbar. Die Listen wurden auf Wahlkreisebene zusammengefasst, verifiziert und vor laufenden Kameras verlesen. Die so geschaffene Transparenz überraschte die große Mehrheit der Kenianer*innen.

Dennoch entsprach das Verhalten der Wahlverlierer den alten Mustern. Als sich Rutos Wahlsieg abzeichnete, kam es zu Versuchen massiver Einflussnahme seitens des Präsidenten Kenyatta auf den Vorsitzenden der IEBM Wafula Chebukati. Laut dessen Aussage vor dem Obersten Gericht haben Kenyattas Vertraute, sowie führende Vertreter der Sicherheitsinstitutionen, darunter der Generalinspekteur der Polizei und der stellvertretende Chef der Verteidigungskräfte ihn aufgefordert, entweder Odinga zum Wahlsieger zu erklären oder eine Stichwahl anzuordnen. Dies geschah im Wahlzentrum, als die Kameras der live-Übertragung schon liefen. Die Kommission offenbarte ihre Differenzen dann unter Tumulten vor versammeltem Publikum. Vier der sieben leitenden Mitglieder erklärten in einer ad-hoc anberaumten Pressekonferenz das Auszählungsverfahren für „opak“ und die Zahlen für manipuliert. Ihre Argumentation beruhte allerdings auf bizarren Fehlern bei der Prozentrechnung und war somit unglaubwürdig. Von all dem unbeeindruckt erklärte der Kommissionsvorsitzende Chebukati an diesem Tag William Ruto zum Wahlsieger. Raila Odinga übernahm wenig später die Argumente der abweichenden vier Kommissionsmitglieder weitestgehend und focht die Wahl vor dem obersten Gerichtshof an. Insgesamt kam es zu 9 Petitionen, die das Wahlergebnis angefochten haben, von denen das Gericht sieben anerkannt hat.

Das zweiwöchige Verfahren des Obersten Gerichts gestaltete sich dann als eine Lektion in Rechtsstaatlichkeit und Transparenz. Die Petitionen waren öffentlich verfügbar. Die Verhandlung mit samt den Anhörungen der jeweiligen juristischen Vertreter*innen waren in klarer und verständlicher Sprache formuliert und auf Youtube verfolgbar. Die kenianische Öffentlichkeit bekam das gesamte Wahlverfahren in allen Einzelheiten erklärt. Dazu gehörte auch die forensische Überprüfung von Servern der Kommission und der elektronischen Wahlverfahren. Dies war besonders wichtig, weil die ersten vier von neun verhandelten Punkten die Integrität der digitalen Verfahren in Frage stellten.

Am 5. September kam dann das ebenfalls live verkündete Urteil: Zurückweisung der Klagen in allen Punkten und Bestätigung des Wahlergebnisses. Das heißt nicht, dass die Wahl über die digitale Transparenz hinaus reibungslos oder auch nur gut funktioniert hätte. Das Gericht hat die mangelnde Sorgfaltspflicht der Kommission und zahlreiche Irregularitäten des Verfahrens deutlich kritisiert. Noch stärker hat es die strukturellen und wahrscheinlich politisch bewusst herbeigeführten Versäumnisse bei der mangelnden Ausstattung und Vorbereitung der Kommission herausgestellt. Insgesamt hat es den Wahlprozess dennoch durch ein klares Urteil zu einem Ende gebracht und sich als unabhängige Instanz behauptet. Wie schon 2017, als das Gericht in anderer Besetzung die Präsidentschaftswahl annullierte, hat es gegen die Interessen der Exekutive entscheiden. Die kenianische Öffentlichkeit hat dabei sehr genau wahrgenommen, dass die Entscheidung der Richter*innen einstimmig war. Dies wird als Indiz gewertet, dass es keiner Seite der fragmentierten politischen Elite gelungen ist, Mitglieder des Obersten Gerichts zu manipulieren und auf ihre Seite zu bringen. Damit hat das Gericht nicht nur in aller Eindeutigkeit für die Anerkennung des Wahlergebnisses vom 9. August gesorgt, sondern in nachdrücklicher Weise die Legitimität von demokratischen Institutionen und Verfahren in Kenia gestärkt.