COP27: Kein Greenwashing für Ägypten

Dass die ägyptische Militärdiktatur die diesjährige COP ausrichtet, ist eine politische Herausforderung für alle Beteiligten. Doch wer genau hinschaut, findet auch Ansatzpunkte, um Menschenrechte einzufordern.

COP27: No climate justice without human rights

In den kommenden Tagen blicken Menschen aus der ganzen Welt nach Ägypten, wo vom 6. bis 18. November die Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen stattfindet. Dabei werden bis zu 30.000 Teilnehmer*innen bei der „Conference of parties“ (COP) erwartet. Angesichts der weltweit eskalierenden Klimakrise steht ihnen eine Mammutaufgabe bevor.

Im Lichte der internationalen Aufmerksamkeit hat die ägyptische Regierung um Präsident al-Sisi eine großangelegte Charmeoffensive gestartet. So hat sie im Vorfeld der COP einen „nationalen Dialog“ verkündet, eine „nationale Menschenrechtsstrategie“ erlassen und das „Jahr der Zivilgesellschaft“ ausgerufen. Doch all dies geschieht, um gerade nicht über Menschenrechtsverletzungen in Ägypten zu sprechen.

Kosmetische Änderungen

Der „nationale Dialog“ soll eine Möglichkeit für gesellschaftlichen Austausch und Ausgleich bieten, was angesichts der von Gewalt geprägten jüngeren Geschichte des Landes und anhaltenden Polarisierung wichtig wäre. Dabei hinterlässt das Rabaa-Massaker im Zuge des Militärputsches von 2014, bei dem bis zu 1000 Anhänger*innen des gewählten Präsidenten Mohamed Mursi von Sicherheitskräften getötet wurden, besonders tiefe Wunden. Doch darauf zielt der Dialog nicht ab: Das Regime kontrolliert, worüber gesprochen werden soll – und mit wem. Die Auswahl der Themen und Teilnehmer*innen verlief intransparent und exklusiv. Eine faire Beteiligung der Opposition gibt es nicht, ihre Anliegen, allen voran zur Freilassung politischer Gefangener und Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien, werden ignoriert. Der „nationale Dialog“, resümiert daher das Cairo Institute for Human Rights Studies, kann „weder einen Reformprozess anstoßen noch die Menschenrechtskrise im Land beheben“.

Neben dem „Dialog“ führt die ägyptische Regierung auch die „nationale Menschenrechtsstrategie“ ins Feld, um ihre guten Absichten zu demonstrieren. Dabei – und das ist der grundlegende Fehler der Strategie – macht sie Ägypter*innen, die ihre Rechte einfordern, und nicht die Behörden für die Menschenrechtskrise verantwortlich. Auch stellt sie deren Verhaftungen mithin als eine Art notwendiger Reaktion dar. So ist aus der „Generation Revolution“ von 2011 mittlerweile eine „Generation Gefängnis“ geworden. Dafür wurden 35 neue Gefängnisse gebaut. Über die massiven Menschenrechtsverletzungen, die in diesen stattfinden, soll zudem ein Musikvideo hinwegtäuschen, mit dem die „Annehmlichkeiten“ der Haftanstalten beworben worden. Doch gewaltsames Verschwindenlassen ist endemisch, Haftbedingungen bisweilen tödlich, Folter und Todesstrafen an der Tagesordnung. Von rund 60.000 politischen Gefangenen wurden im letzten Jahr weniger als ein Prozent freigelassen. Im selben Zeitraum wurden dagegen zehnmal so viele Gefangene erstmals oder erneut inhaftiert, wobei es selten überhaupt ein Gerichtsverfahren gibt. Auch wer freikommt, kann umgehend wieder verhaftet, an der Ausreise gehindert oder des Zugriffs auf sein Privatvermögen beraubt werden. Dabei beruft sich die Regierung auf Gesetze, die Rechtstaatlichkeit suggerieren, aber völlige Straffreiheit für die Militärherrschaft durchsetzen. Amnesty International urteilt daher, dass sich die „Menschenrechtskrise im Land auch ein Jahr nach Veröffentlichung der Strategie weiter verschärft“.

Gleichzeitig mit der „nationalen Strategie“ hatte Präsident al-Sisi für 2022 auch das „Jahr der Zivilgesellschaft“ ausgerufen. Als Teil dieser Gesellschaft gilt ihm jedoch nur, wer die Regierung hofiert und die Autorität des Staates sowie dessen Interessen würdigt. Alle anderen werden schon seit Jahren zu Staatsfeinden erklärt und mit repressiven Gesetzen kriminalisiert: Das Anti-Protest-Gesetz von 2013 beschränkt das Versammlungsrecht; die 2015 in Kraft getretenen Anti-Terror-Gesetze beschneiden die Meinungs- und Informationsfreiheit, weil sie die „Verbreitung falscher Informationen“ und jegliche Kritik als Terror brandmarken, weshalb über 700 Nachrichtenseiten geschlossen und Menschen für Onlinebeiträge inhaftiert werden; und das 2019 erlassene NGO-Gesetz unterwirft die organisierte Zivilgesellschaft staatlicher Kontrolle. Human Rights Watch hat jüngst dargelegt, was das zum Beispiel für ägyptische Organisationen bedeutet, die Umweltverschmutzungen thematisieren wollen. Sie werden systematisch daran gehindert, sich zu registrieren, Gelder einzuwerben, zu forschen oder sich öffentlich und politisch für Umweltbelange einzusetzen. Der offiziellen Schmeichelei zum Trotz ist also nicht Teil der Zivilgesellschaft in Ägypten, wer beispielsweise die ökologischen Folgen des Baus einer neuen Verwaltungshauptstadt kritisiert, wer den ökonomischen Profit aufdeckt, den solche Megaprojekte für das Militär haben, wer das Fällen der wenigen verbliebenen Bäume in Kairo betrauert, versucht, die Zwangsräumung der ikonischen Nilhausboote zu verhindern oder bezweifelt, dass die Vertreibung der Bewohner*innen einer ganzen Insel der „Modernisierung“ des Landes dient.

Internationale Beziehungen – und Fallstricke

Hintergrund all dieser Maßnahmen ist die horrende Staatsverschuldung Ägyptens. Weil die Regierung auf internationale Unterstützung, Gelder und Kredite angewiesen ist, versucht sie sich als verlässlichen Partner zu profilieren. Dafür nimmt sie auch die Dienste einer berüchtigten PR-Agentur in Anspruch, die mit Werbemaßnahmen die internationale Öffentlichkeit beschwichtigen soll, während kritische Stimmen im In- und Ausland weiter unterdrückt werden. Die „Stabilität“, als dessen Garant die ägyptische Regierung sich geriert, ist angesichts der damit verbundenen Kollateralschäden jedoch falsch und überhaupt nicht nachhaltig.

Viele westliche Regierungen setzen dennoch auf Ägypten, um „illegale Migration“ zu kontrollieren, im Nahostkonflikt zu vermitteln oder im Lichte des Krieges in der Ukraine nun auch Flüssiggas zu liefern. Aus Deutschland wird die „gute Zusammenarbeit“ mit Ägypten mit Rüstungsexporten belohnt, die allein 2021 über 4,3 Milliarden Euro ausmachen. Auch erhalten Unternehmen wie Siemens Rekordaufträge, die die letzte Bundesregierung mit Staatsbürgschaften unterstützt hat. Dadurch werden einerseits „deutsche Interessen“ bedient, weshalb es mitunter schwierig erscheint, gegen die Kooperationen zu argumentieren. Andererseits wird dadurch die Militärherrschaft nicht nur ausgerüstet, sondern auch aufgewertet. So befördern ausländische Direktinvestitionen Repression und behindern Demokratisierung, wenn deren Profit an die „Stabilität“ des ägyptischen Regimes geknüpft wird. Auch betonen die Kooperationsmaßnahmen ökonomische Anliegen zugunsten sozio-politischer und ökologischer Rechte, was wiederrum der ägyptischen Regierung in die Hände spielt.

Die COP erfordert daher ein Umdenken, wie mit Despoten verhandelt werden kann, ohne sich dabei von diesen instrumentalisieren zu lassen und demokratische Prinzipien preiszugeben. Welche Kanäle gibt es dafür noch, die offen und erfolgversprechend sind? In Ägypten werden Zivilgesellschaft, freie Berichterstattung und öffentliche Debatten unterdrückt. Daher braucht es Unterstützung und auch Druck aus dem Ausland. Die „sanfte Diplomatie“ der Bundesregierung erscheint jedoch aussichtslos, solange sie die ägyptische Staatsführung nicht direkt und auch öffentlich für ihre Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zieht. So ist auch der Petersberger Klimadialog im Juli, bei dem die Bundesregierung dafür eine exklusive Gelegenheit gehabt hätte, eine Enttäuschung gewesen. Der Druck aus dem Ausland kann also nur funktionieren, wenn er durch zivilgesellschaftliches Engagement flankiert und angefeuert wird, in diesem Falle der deutschen und internationalen Klimabewegung.

COP im Kontext

Die COP27 findet inmitten einer Klima- und Menschenrechtskrise statt. Welche umweltpolitischen Maßnahmen nötig bzw. möglich sind, wird dabei kontrovers diskutiert. Die ägyptische Regierung selbst spricht von der „COP of implementation“, um zu bekräftigen, dass sie die Verpflichtungserklärungen der vergangenen Jahre umsetzen will. Dabei geht es ihr insbesondere um die nötigen Milliarden, um auf Umweltschäden und damit verbundene Verluste zu reagieren. Aus der Perspektive des „Globalen Südens“, den die ägyptische COP-Präsidentschaft zu repräsentieren vorgibt, ist diese Forderung ebenso nachvollziehbar wie zwingend. So haben sie weit weniger zum Klimawandel beigetragen als Industrieländer des Nordens, sind gleichzeitig aber unmittelbar davon betroffen.

Die Betroffenen selbst – und das ist das entscheidende Problem – sind bei dieser COP jedoch ebenso wenig zugelassen und erwünscht wie jene, die sich für sie und ihre Rechte einsetzen. So beanstanden mittlerweile selbst UN-Beobachter*innen ein „Klima der Angst“, in dem der Zugang von zivilgesellschaftlichen Akteuren zur COP eingeschränkt wird. Das umfasst viele Faktoren: Sharm el-Sheikh, wo die COP stattfindet, ist ein abgesondertes Wüstenresort am Südzipfel der Sinai-Halbinsel, auf der das ägyptische Militär im Zuge von „Anti-Terrormaßnahmen“ seit Jahren Kriegsverbrechen gegen die eigene Bevölkerung begeht. Die zentral festgelegten Hotelpreise für all jene, die nach Sharm reisen wollen, sind so hoch, dass sich viele Interessierte die Teilnahme nicht leisten können.

Zusätzlich erschweren bürokratische Hürden den Zugang. So hatten sich ägyptische Organisationen zunächst bei der ägyptischen Regierung um eine Teilnahme an der COP bewerben müssen, die ihrerseits eine Vorauswahl getroffen und an das UNFCCC weitergeleitet hat. Dieses Verfahren bricht allerdings mit gängigen UN-Regeln und macht das Sekretariat zum Komplizen der ägyptischen Regierung, die ausschließlich regierungs-nahe und keine der verbliebenen Menschenrechtsorganisationen ausgewählt hat. Ähnlich skandalös ist die Ankündigung, dass „Proteste“ nur in einer gesonderten Zone außerhalb der Verhandlungsräume stattfinden sollen, ohne dass Konferenzteilnehmer*innen davon überhaupt etwas mitbekommen. Wer dennoch zu Demonstrationen aufruft, kann verhaftet werden. Die offizielle COP27-App weitet die Überwachung zudem auf den virtuellen Raum aus. Sie soll bei der Orientierung im Konferenzzentrum helfen, das dem ägyptischen Geheimdienst gehört, der über die Beteiligung an der COP seine Rolle im Staatsapparat weiter ausbaut.

All jene, die dennoch an der COP teilnehmen, sind daher mit einer moralischen und politischen Herausforderung konfrontiert: Eine moralische Herausforderung, die Menschen zu vertreten, die nicht teilnehmen können; und eine politische Herausforderung, die Bedingungen zu ändern, die diesem Ausschluss zugrunde liegen. Übertragen auf die umweltpolitischen Absichten der ägyptischen Regierung ergibt sich daraus ein handfester menschenrechtspolitsicher Auftrag: Wie kann es gelingen, ein System von Reparationen für Umweltschäden zugunsten der betroffenen Menschen zu etablieren, ohne dabei autoritäre Regime wie das in Ägypten zu stärken, über die solche Zahlungen unweigerlich laufen? Die Dringlichkeit dieser Frage ergibt sich auch aus den Geschäftsbedingungen der milliardenschweren Kredite, die das hochverschuldete Ägypten seit 2016 mit entscheidender Unterstützung der Bundesregierung vom Internationalen Währungsfonds erhalten hat. Diese gehen nämlich mit harschen fiskal- und sozialpolitischen Konditionen einher, weshalb beispielsweise Subventionen gestrichen werden, worunter vor allem ärmere Menschen leiden. Gleichzeitig bleiben das korrupte Regierungswesen, die intrasparente Rolle des Militärs und die eklatante Lage der Menschenrechte stets außen vor. Kritiker*innen fordern daher, dass keine Gelder an Ägypten vergeben werden, ohne dabei die Staats- und Regierungsführung der Militärherrschaft zu thematisieren – und das betrifft auch jegliche Klimagelder, die sich die ägyptische Regierung von der COP erhofft.

Keine Klimagerechtigkeit ohne Menschenrechte

Angesichts dieser Umstände gab es unter ägyptischen Menschenrechtsverteidiger*innen und -organisationen in den vergangenen Monaten eine umfassende Debatte zum Umgang mit der COP. Trotz oder gerade wegen der harschen Restriktionen riefen sie nicht zum Boykott auf. Sie hoffen, die internationale Aufmerksamkeit für Ägypten nutzen zu können, um ein Schlaglicht auf die Menschenrechtslage vor Ort zu werfen. Für viele Beteiligte ist das überlebenswichtig, so beispielsweise für die Familie von Alaa Abd El-Fattah. Der prominente Demokratieaktivist befindet sich seit fast sieben Monaten im Hungerstreik, um sich der politisch motivierten Verhaftung zu verwahren und für seine Freilassung zu kämpfen – doch bisher erfolglos. So stellt sein Schicksal die ultimative Bewährungsprobe für die COP dar: Wenn nicht entsprechend Druck auf die ägyptische Regierung gemacht wird, Alaa zu retten und die Gangart des Regimes zu ändern, wie es jetzt auch eine Resolution des Europäischen Parlaments vorsieht, kann es für ihn bald zu spät sein. Ab dem 6. November, dem ersten Tag der COP, wird Alaa nun auch auf Wasser verzichten, wie seine Familie mitteilte.

Eine Koalition ägyptischer Menschenrechtsorganisationen richtet sich daher dezidiert an internationale Partner*innen und insbesondere die Klimabewegung, die zwar mit der Lage in Ägypten nicht im Detail vertraut sein mag, aber noch Handlungsspielraum hat, Position zu beziehen und damit ihre ägyptischen Kolleg*innen unterstützen kann. So informiert die Koalition über Menschenrechtsverletzungen vor Ort und entwickelt Vorschläge, diese im Zuge der COP zu thematisieren. Dafür betont sie zwei Anliegen: „no climate justice without open civic space“ und „free them all“.

Für alle, die es mit Menschenrechten in Ägypten wirklich ernst meinen, sind das die entscheidenden Anhaltspunkte für die bevorstehenden Klimaverhandlungen – und nicht die Initiativen der ägyptischen Regierung mit ihren hohlen Mechanismen, die gleichzeitig wichtige Funktionen der Klimadebatten aushebeln. Diesen Unterschied klar zu benennen ist entscheidend, um den wohlfeilen Verlautbarungen der ägyptischen Regierung nicht auf den Leim zu gehen und eine Berufungsgrundlage in der Auseinandersetzung mit einem autokratischen Regime zu identifizieren.

Die Verbrechen der ägyptischen Regierung zu ignorieren, sie zu relativieren oder sich lieber nicht dazu zu äußern, um den Platz am Verhandlungstisch nicht einzubüßen, birgt dagegen eine doppelte Gefahr des „greenwashings“. So kann die unkritische Teilnahme an der COP sowohl über mangelnde umweltpolitische Ambitionen hinwegtäuschen als auch Menschenrechtsverletzungen beschönigen. Für die bevorstehenden Verhandlungen wäre das fatales Zeichen, denn ohne Menschenrechte kann es keine Klimagerechtigkeit geben. Mit viel „blah, blah, blah“, wie Greta Thunberg die Klimaverhandlungen umschrieb, wird dann unweigerlich auch die Militärherrschaft in Ägypten normalisiert.