„Team Normal“ – alles andere als normal

Analyse

Die Zwischenwahlen in den USA gingen für die Demokraten überraschend gut aus. Aber über die Zukunft der Republikanischen Partei gibt es keinen Grund zum Optimismus.

New York, USA, amerikanische Flagge weht im Vordergrund - Menschen und Autos im Hintergrund

Jetzt ist es sicher: Diese Zwischenwahlen waren nicht das, was Meinungsforschung und Medien vorausgesagt hatten. Die Demokraten haben den Senat erobert, im Repräsentantenhaus nur sehr knapp die Mehrheit verloren und in den wichtigsten Swing States beachtliche Ergebnisse erzielt. Und das trotz der schlechten Beliebtheitswerte von Präsident Biden, einer historisch hohen Inflation und der Tatsache, dass in den letzten Jahrzehnten die Regierungspartei bei den Midterms regelmäßig massive Verluste eingefahren hat. Die Demokraten sind erleichtert, die Republikaner zutiefst frustriert.

Das vorherrschende politische Narrativ in Washington zieht die Schlussfolgerung, dass die Mehrheit der amerikanischen Wähler und Wählerinnen extremistische Kandidat*innen abgestraft hat, also diejenigen, die den Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 rechtfertigten, die Ergebnisse der Wahlen 2020 infrage stellten und die Rücknahme der Abtreibungsrechte durch den Supreme Court begrüßten. Diese Kandidat*innen, die Donald Trump nahe standen, haben in großem Maße gegen vermeintlich moderatere Republikaner*innen oder demokratische Herausforderer*innen verloren. Auch wenn die offensichtlichen Verluste Trump nicht davon abhalten konnten, am Dienstagabend seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2024 zu verkünden: in den USA wird erwartet, dass sich die Republikanische Partei jetzt von dem Ex-Präsidenten und dem rechtspopulistischen Flügel der Partei distanzieren muss, wenn sie in der Zukunft wieder eine Wahl gewinnen möchte. Schaut man sich die Wahlergebnisse jedoch genauer an, steht zu befürchten, dass die Partei sich keineswegs von seiner extremen, anti-demokratischen Agenda abwenden wird, sei es mit oder ohne Kandidat Trump.

Der große Sieg der Demokraten?

Landesweit sind Demokratische und unabhängige Wähler*innen an die Urnen gegangen, um Kandidat*innen der MAGA-Bewegung (wie die Anhänger*innen von Trumps Make America Great Again Ideologie genannt werden) und ihre extreme politische Agenda zurückzudrängen. In den Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan, Arizona, Nevada und Maryland sind die von Trump-unterstützte Kandidat*innen konsequent durchgefallen, und das in einem Jahr, in dem sie leicht hätten siegen müssen. In Pennsylvania, einem der wichtigsten Swing States, konnten sich der demokratische Gouverneurskandidat Josh Shapiro und Senatskandidat John Fetterman erstaunlich mühelos gegen die von Trump handverlesenen Gegenkandidaten durchsetzen. Geholfen hat offensichtlich, dass einer der Trump-Kandidaten an den Versuchen beteiligt war, die Wahlen von 2020 ungültig erklären zu lassen und sich für ein totales Abtreibungsverbot aussprach. Ähnlich in Michigan: Dort waren die Zwischenwahlen eine Abstimmung über die Zukunft des Abtreibungsrechts im Bundesstaat. Bei hoher Wahlbeteiligung wurde die demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer mit einem bedeutenden Vorsprung wiedergewählt. Die krassen Unterschiede in den Positionen der extremen MAGA-Kandidat*innen und ihrer Gegenspieler*innen hat die Wahlbeteiligung in beiden Bundestaaten angespornt.

Aber in anderen Bundesstaaten waren die Siege der Demokraten äußerst knapp. In Arizona wiederholte die ehemalige Fernsehmoderatorin Kari Lake ad infinitum die Mär von den gestohlenen Wahlen und zweifelte offen, ob die Demokratie als Regierungssystem tatsächlich in der amerikanischen Verfassung verankert ist. Trotzdem verlor sie den Gouverneursposten um nur einen knappen Prozentpunkt. Auch in Nevada sah sich die demokratische Senatskandidatin einem MAGA-Republikaner gegenüber, der die Ergebnisse der Wahlen 2020 nicht akzeptierte und Verschwörungstheorien über die Biden-Familie schürte. Dennoch lag sie nur um 0,9 Prozentpunkte vor dem Republikaner. In Georgia kommt es zu einer Stichwahl zwischen dem Trumpisten Herschel Walker und dem Demokratischen Senator Raphael Warnock. Und in Colorado wird es eine Neuauszählung der Wahl zwischen der Republikanischen Abgeordneten Lauren Boebert, die mit ihren radikalen Äußerungen zu Waffenrechten und Verschwörungstheorien eine der berühmtesten Stars der Rechten ist, und ihrem Demokratischen Gegner geben.

Obgleich die landesweiten Trendlinien der Zwischenwahlen eine klare Abkehr von extremen Kandidat*innen zeigen, passen die haarscharfen Ergebnisse in Arizona, Nevada, Georgia, Colorado und manch anderen Staaten nicht in die Erzählung einer deutlichen Absage an den Trumpismus. Das Gesamtbild spiegelt eher den mühsamen Kampf der Demokraten gegen eine hartnäckige Rechte Bewegung wider: denn auch wenn die Demokraten wesentlich besser abgeschnitten haben als erwartet, ab Januar 2023 sind die jeweiligen Mehrheiten in den Kammern des Kongresses fast gleich zwischen den beiden Parteien aufgeteilt.

„Team Normal“ ist alles andere als normal: die neuen Stars der Republikanischen Partei sind keine Moderaten

Bei den Republikanern sind die großen Sieger der Midterms Kandidat*innen von der Sorte der Gouverneure von Florida und Georgia, Ron DeSantis und Brian Kemp. Die beiden Männer haben in ihren Wahlkämpfen – erfolgreich – die Unterstützung von Trump vermieden. Kemp wurde landesweit bekannt, als er 2020 trotz massivem Druck des damaligen Präsidenten Trump die Wahl von Joe Biden in Georgia bestätigte. Anders als die MAGA-Republikaner*innen konnten DeSantis und Kemp die „rote Welle“ schaffen, die allgemein erwartet wurde: In Florida fuhr DeSantis einen Erdrutschsieg ein und sicherte der Republikanischen Partei fast alle wichtigen Posten auf Staats- und Bundesebene. In Georgia besiegte Kemp problemlos seine demokratische Konkurrentin.

Liz Cheney, die ehemalige Vorsitzende der Republikaner im Abgeordnetenhaus und das Gesicht der „Anti-Trumpers“ innerhalb der Partei, hat diese Wahlerfolge als ein Sieg des „Team Normal“ bezeichnet, ein gefährliches Narrativ, das sich dennoch schnell verbreitet hat. Denn nichts ist „normal“ an diesen neuen Stars der Republikanischen Partei. „Normal“ oder moderat können sie nur auf einem politischen Spektrum gelten, auf dem auch die egomanischen Possen eines Donald Trump und seiner MAGA-Truppe liegen. Sowohl Kemp als auch DeSantis vertreten rechte Positionen, die mehr mit denen von Marine Le Pen und Georgia Meloni gemein haben als mit traditionellen konservativen Parteien in gesunden Demokratien. Für internationale Beobachter*innen sollten diese Siege deshalb durchaus Grund zur Sorge sein.

Seit seiner Bestätigung des Wahlergebnisses 2020 hat Kemp gemeinsam mit lokalen Parteifreund*innen alles darangesetzt, damit die Demokraten den Bundesstaat nicht noch einmal gewinnen. Er hat den Zugang zu den Wahlen sowie Brief- und Frühwahlen systematisch eingeschränkt und dafür gesorgt, dass Schlüsselpositionen in der Wahlverwaltung fortan politisch besetzt statt unabhängig ernannt werden. Der Geist des neuen Wahlrechts in Georgia zeigt sich am offensichtlichsten in der Tatsache, dass es nun gesetzlich verboten ist, Wähler*innen, die vor dem Wahllokal unter Umständen Stunden in der Schlange stehen, mit Wasser und Essen zu versorgen – was natürlich insbesondere in urbanen Zentren mit vielen demokratischen Wähler*innen häufig vorkommt. Kemp hat auch ein Gesetz unterzeichnet, das Abtreibungen nach der sechsten Woche unter Strafe stellt; da in der Realität viele Frauen erst nach Ablauf dieser Frist bemerken, dass sie schwanger sind, kommt dies einem kompletten Abtreibungsverbot gleich. Darüber hinaus hat er vorgeschlagen, gleichgeschlechtliche Ehen wieder zu verbieten, und Gesetze unterzeichnet, die sich gegen Transkinder richten (eine beliebte Zielgruppe der Republikanischen Kulturkriege).

In Florida hat DeSantis den Weg für seine erwartete Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2024 mit politischen Aktionen geebnet, die stark an Aleksandr Lukashenko erinnern: Im Sommer 2022 ließ er Dutzende von Flüchtlingen aus Venezuela – Frauen, Männer, Kinder – quasi vor die Haustür demokratischer Politiker in Washington DC und auf Martha’s Vineyard karren. Wie Kemp hat auch er sich voll und ganz auf den Kulturkrieg der Republikanischen Partei eingeschworen und die Teilnahme von Transmädchen an Sport-Mädchenteams verboten. Auch unterzeichnete er das berüchtigt gewordene „Don’t Say Gay”-Gesetz, das die Themen Gender und Sexualität im Schulunterricht verbietet. Am wichtigsten aber ist die Tatsache, dass DeSantis das demokratische System durch eine extreme Manipulation von Wahlkreisgrenzen zugunsten seiner Partei kontinuierlich unterminiert und so dreist damit vorgeht, dass er sogar von seinen republikanischen Amtskolleg*innen kritisiert wurde. Laut einer Untersuchung von Pro-Publica hat DeSantis in Florida „die Hälfte der mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Kongress-Wahlkreise abgeschafft und damit im größten Swing State der USA den Einfluss der Schwarzen Wähler*innen auf den Wahlausgang dramatisch eingeschränkt.“

Sowohl innerhalb der USA als auch im Ausland sehnt man sich nach einer Rückkehr zur Normalität. „Normal“ – das waren die Zeiten, in denen der Glaube an die Demokratie das gemeinsame, parteiübergreifende Fundament bildete und die USA ein zuverlässiger Partner auf der internationalen Bühne waren. Doch die Republikaner, die am 8. November gesiegt haben und nun als die moderaten Stimmen des Republikanischen Mainstreams und Zukunft der Partei gefeiert werden, führen seit Jahren einen Feldzug gegen die demokratischen Institutionen und Grundrechte vieler Amerikaner*innen. Sie flirten mit derselben spalterischen politischen Rhetorik und denselben Verschwörungstheorien, die die zunehmende politische Gewalt im Land befeuern. Kurzum: sie sind durchaus „normal“ innerhalb der Republikanischen Partei, nicht aber in einer liberalen Demokratie.

Trump ist zurück und seine Wähler*innen sind so lautstark wie eh und je

Sowohl wichtige Geldgeber*innen als auch die Führungsriege der Republikanischen Partei sagen immer öfter und immer offener, dass sie Trump hinter sich lassen möchten, der sie nun drei Wahlen in Folge gekostet hat. Die Basis allerdings hält nach wie vor loyal zum ihrem Ex-Präsidenten: in den Vorwahlen verhalf sie Hunderte von trumpistischen Wahlleugner*innen zum Sieg. Dieselben Wähler*innen straften Kandidat*innen wie Liz Cheney ab, die Trump wegen seiner Anstiftung zum Sturm auf das Kapitol zur Verantwortung ziehen wollte. Cheney verlor ihre Wiederwahl haushoch gegen ihren von Trump unterstützen Herausforderer. Von den neun weiteren republikanischen Abgeordneten, die für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump gestimmt hatten, stellten sich fünf nicht zur Wiederwahl und nur einer konnte sich gegen einen von Trump unterstützten Gegner durchsetzen. Trotz des insgesamt schlechten Abschneidens der Republikanischen Partei: Um die 220 Kandidat*innen, die das Wahlergebnis 2020 infrage stellten oder ausdrücklich leugneten, wurden im ganzen Land in wichtige Positionen gewählt. „In bestimmten konservativen Gegenden des Landes“, so die New York Times, „hat es Hunderten von Republikanern nicht geschadet, dass sie die Legitimität des Wahlverfahrens angezweifelt haben.“

Auf Bundesebene verleiht die knappe republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus der neuen MAGA-Kohorte übergroßen Einfluss; denn als größte Fraktion innerhalb der Partei sind ihre Stimmen für die Mehrheit zwingend. Einige der neuen Abgeordneten haben bereits die Reaktivierung einer Bestimmung gefordert, nach der sie den Sprecher des Repräsentantenhauses jederzeit abberufen können. Dadurch könnten sie vom republikanischen  Sprecher bedeutende Zugeständnisse erzwingen. Kevin McCarthy, der als Sprecher des Repräsentantenhauses nominiert wurde, hat in vorauseilendem Gehorsam bereits signalisiert, er werde solchen Forderungen nachgeben. Kurz vor der Wahl hat er angedeutet, dass die republikanischen Abgeordneten weitere Hilfe für die Ukraine blockieren könnten. Die Partei ist in der Ukrainefrage tief gespalten: Der republikanische Senatssprecher Mitch McConnell unterstützt Waffenlieferungen und hat auf mehr und schnellere Hilfe der NATO gedrängt. Die MAGA-Positionen, einschließlich einer harten Haltung gegenüber China und einem Stopp der Klimaschutzinvestitionen, werden in Zukunft in der amerikanischen Außenpolitik spürbar sein. Vorherzusehen ist auch, dass die zahlreichen Untersuchungen, die die stramm rechten Abgeordneten versprochen haben, seien es Amtsenthebungsverfahren gegen Kabinettsmitglieder oder Ermittlungen zu den Ukraine-Geschäften von Hunter Biden, es der Biden-Regierung schwermachen werden, sich auf ihre innen- und außenpolitische Agenda zu konzentrieren. Sicher ist, dass die Forderungen der MAGA-Abgeordneten permanent die Medien und die politische Aufmerksamkeit in Washington dominieren werden.

Die Zukunft der Republikanischen Partei ist antidemokratisch, mit oder ohne Trump

Wer in den Ergebnissen der US-Zwischenwahlen ernsthaft nach Hinweise auf die Zukunft der amerikanischen Demokratie lesen will, hat nur gemäßigt Grund zum Feiern. Die Republikanische Partei wird ihr toxisches Gebräu aus Hassrhetorik, abseitigen Verschwörungstheorien und Angriffen auf Demokratie und Grundrechte nicht aufgeben. Die Parteibasis wird weiterhin Extremist*innen wählen. Die Führungsriege der Partei wird weiterhin eine politische Strategie verfolgen, die darauf basiert die Rechte der Wähler*innen zu beschneiden und faire Wahlen zu unterminieren. Der MAGA-Flügel der Partei wird sicherstellen, dass der Trumpismus in der Bundespolitik eine treibende Kraft bleibt. Und Trump selbst, das hat er gerade angekündigt, wird alles tun, um auf der nationalen Bühne unüberhörbar und unübersehbar zu bleiben. Auch wenn das bedeuten sollte, dass die Republikaner 2024 erneut eine Wahl verlieren.

Übersetzung aus dem englischen von Annette Bus.