Nationalpark Torres del Paine, Chile

«Man kann nicht das gesamte Naturkapital eines Landes mitnehmen.»

Zerstörte Salare, ausgebeutete Gletscher, unumkehrbare Wüstenbildung: Der Rohstoffabbau hat Chiles Ökosystem in vielen Bereichen in eine bedrohliche Kipplage gebracht, indigene Völker entrechtet, das Land und seine Bevölkerung von der Wertschöpfung ausgeschlossen. Sara Larrain von der Organisation Chile Sustentable über die Grenzen unseres Konsums, uner­läss­liche Bedingungen für den weiteren Abbau und eine Haltung von Respekt und Kooperation.

Johanna Sydow: Sara Larrain, beginnen wir mit einer positiven Nachricht: Seit Mai diesen Jahres gibt es in ­Chile ein Bergbausteuergesetz. Was genau bedeutet das, was hat sich damit geändert?

Sara Larrain: Das neue Bergbausteuergesetz ist das erste Steuerinstrument mit Umverteilungseffekten. Es zielt darauf ab, die Ressourcen aus dem Groß­bergbau insbesondere stärker für die Entwicklung der Berg­bau­re­gionen und ärmsten Ge­mein­den des Lan­des zu verwenden und einen Teil der Zen­tral­regierung zu­kommen zu lassen. Dafür wurden die Steuern für große Bergbauunternehmen geändert und mehr Mittel für die Regionen zur Verfügung gestellt. Die Gebühren fließen in drei Fonds: Sie ­fließen in einen Fonds für die Bergbaugemeinden, sodass es eine Entschädigung für die Entnahme von Naturkapital aus diesen Gemeinden gibt. Ein weiterer Fonds soll öffentliche Investitionen in den 300 ärmsten und besonders gefährdeten Gemeinden des Landes finanzieren, wobei die Beträge je Pro-Kopf-Einkommen variieren. Und es gibt einen dritten Fonds, dessen Mittel an den Zentralstaat gehen, den Fondo General de la Nación, d.h. den Allgemeinen Staatlichen Fonds, für die Finanzierung von Forschung, Bildung, staatlicher Bauvorhaben, des Gesundheitswesens usw.

Sie klingen nicht ganz überzeugt …?

Sara Larrain

Wie gesagt, dies ist das erste Mal, dass es eine Umverteilung gibt. Bei anderen Steuer­instrumenten wie der Ökosteuer, die auf CO2-Emissionen und lokale Schadstoffe erhoben wird, hat das eingenommene Geld den fünf betroffenen Gemeinden, in denen sich die 28 Kohlekraftwerke befanden, oder anderen Gemeinden, die durch andere Industrien verschmutzt wurden, keinen einzigen Peso gebracht. Nichts, gar nichts, und das Geld ­hätte das lokale Gesundheitssystem verbessern können. Schulen für Kinder mit kognitiven Defiziten oder epidemiologische Studien und die Behandlung chronisch Kranker aufgrund von Umweltverschmutzung hätten finanziert werden können. Aber nichts von der Ökosteuer geht an die Gemeinden zurück. Der Staat erhebt die Umweltverschmutzungssteuer, und das Geld fließt in den Allgemeinen Staat­lichen Fonds.

Bleiben wir noch einen Moment bei den besseren Nachrichten: Ihre Organisation Chile Sustentable war maßgeblich an der Beratung zu einem Gesetz über die Schließung und Stilllegung von Bergwerken beteiligt. Worum genau ging es da?

Dieses Gesetz wurde erlassen, weil es in Chile heute mehr als 500 unbehandelte Abraumhalden gibt, von denen einige stillgelegt sind, während andere noch in Berg­bau­konzessionsgebieten liegen. Da es vorher kein Gesetz gab, wurde nie­mand für die Umwelt­schäden, die eine Belastung für alle Chilenen darstellen, verant­wortlich gemacht. Das neue Gesetz regelt diese Verantwortung für die Stilllegung von Bergbaustandorten und die Umweltbewertung von Bergbauprojekten ab dem Zeitpunkt der Investition. Es stellt sicher, dass der Investor die Kosten für die Schließung und Sanierung der Altlasten übernimmt und diese nicht auf Kosten der chilenischen Gesellschaft gehen.

Ihr Land wirbt mit dem Slogan «Chile, Bergbauland» … das klingt sehr einladend für Bergbauunternehmen. Was sagen Sie dazu?

Dieser Slogan ist für uns inakzeptabel. Man muss dazu wissen: Chile wollte die Kupferproduktion, insbesondere für den Weltmarkt, praktisch verdreifachen. Andere Akteure wollten weniger fördern und eine zweite technologische Stufe einführen, die die Strategie Australiens nachahmt. Seit mindestens fünf ­Jahren hat Australien praktisch die gleichen oder sogar mehr Ein­nahmen mit Beratungsdiensten und Entwicklung neuer Technologien erzielt als mit dem Abbau oder Verkauf des Minerals. Es gab eine ganze Reihe von Überlegungen, um in Chile die Phase der rein extraktiven Mineraliengewinnung zu überwinden und eine zweite, mit dem Thema Bergbau und dem Konzept Bergbauland verbundene Ebene aufzubauen.

Was haben Sie stattdessen vorgeschlagen?

Wir haben dafür geworben, dass der Bergbau eher in eine Phase der Wertschöpfung, der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Steigerung des sozialen Nutzens und der Wiederherstellung der Umwelt in den betroffenen Gebiete kommen müsse. Diesen Kampf haben wir zwar verloren, aber wir haben ein Dokument erstellt, in dem einige grundlegende Nachhaltigkeitskriterien festgehalten wurden, die Voraussetzung dafür sind, dass in Chile ­weiter Bergbau betrieben werden kann. In diesem Sinne geht die kürzlich verabschiedete Bergbauabgabe in die richtige Richtung.

Stichwort Wertschöpfung: Was wäre nötig, um davon mehr für Ihr Land zu erreichen?

Wertschöpfung ist ja nur eines der Elemente, die wichtig sind. Chile wird im Rahmen des aktualisierten Handelsabkommens zwischen der EU und Chile über den Zugang zu kritischen Mine­ralien Rohstoffe an Europa oder Deutschland liefern. In diesem Abkommen, das ein spezielles Kapitel zu Rohstoffen und Energie enthält, steht etwas von Einhaltung der Umweltverträglichkeitsstudien und von Umweltverträglichkeitsprüfungen. Aber von Respekt für die indigenen Gemeinschaften ist keine Rede. Das ILO-Übereinkommen 169 über die Konsultation indigener Gemeinschaften wird nicht erwähnt, obwohl hier festgehalten ist, dass diese Bergbauprojekte vorher von den lokalen Gemeinschaften genehmigt werden müssen. Dazu muss man wissen, dass sich im Falle von Lithium die Projekte auf Salz­tonebenen beziehen, die größtenteils in indigenen Gebieten liegen. Deswegen sage ich, dass eine erste Anforderung für diesen «Zugang zu Rohstoffen» die Frage nach den Bedingungen des Abbaus sein sollte, und erst dann die nach der Wertschöpfung.

Was sind denn für Sie die wichtigsten Bedingungen für den Abbau?

Chile verfügt über keine aktuelle territoriale Studie. Wie aber kann man die Auswirkungen des Bergbaus auf die Umwelt bewerten, wenn man keine Beschreibung des Ökosystems hat, in dem der Bergbau stattfinden soll? Dann muss nach den Gebietsrechten der indigenen Gemeinschaften gefragt werden. Heute wird der Lithiumabbau vor allem im indigenen Entwicklungsgebiet Atacama La Grande betrieben, wo es mehrere Salzton­ebenen gibt; darunter der Salar von Atacama, der heute ausgebeutet wird. Das sind Gebiete, die nach unserem Recht als indigene Entwicklungsgebiete gelten und daher nur nach freiwilliger und in voller Kenntnis der Sachlage erteilter Zustimmung der lokalen Gemeinden ausgebeutet werden dürfen.

Und wie steht es um diese Zustimmung?

Es gibt die Zustimmung einiger, aber nicht aller Gemeinschaften. Wie wurde sie erreicht? Durch die Bereitstellung einer beträchtlichen Geldsumme sowohl direkt an den Rat der ­Atacameño-Völker als auch indirekt an die Regionalregierung. Das heißt, generell wird also nicht auf Grundlage einer angemessenen Umweltverträglichkeitsprüfung und der Achtung der indigenen und kulturellen Rechte verhandelt, sondern gegen Geld. In dem Handelsabkommen zwischen der EU und Chile wird zwar die Bürgerbeteiligung und die europäische Aarhus-­Konvention erwähnt, die den Zugang zu Informationen festlegt und das Äquivalent zum lateinamerikanischen Escazú-­Abkommen darstellt. Dieses trat 2021 in Kraft und ist ein Abkommen über den Zugang zu Informationen, zur Gerichtsbarkeit und über die Beteiligung der Öffentlichkeit an Umweltangelegenheiten in Lateinamerika und der Karibik. Aber Bürgerbeteiligung ohne Berücksichtigung des ILO-Übereinkommens 169 kann dazu führen, dass die Rechte der indigenen Gemeinschaften verletzt werden.

Was das ganze Land betrifft: Wie würden Sie eine gelungene Wertschöpfung definieren?

Zunächst einmal wäre es ideal, wenn es sich um lokale Arbeitsplätze handeln würde und nicht nur um solche, die in ­Santiago oder stärker industrialisierten Gegenden geschaffen werden, oder um solche, die von Deutschen oder Chinesen, die in diesen Branchen arbeiten, besetzt werden. Dann ist die Frage, welche Technologie zum Einsatz kommen wird. Die heutige Technologie zur Lithiumgewinnung ist ökologisch nicht nachhaltig. Sie hat enorme Auswirkungen auf die Wasserversorgung der Salare, das sind in erster Linie Feuchtgebiete in den Anden und keine Bergbaugebiete. Die Wertschöpfung hat also eine ökologische Komponente, eine soziale Komponente, es geht um ­Arbeitsbedingungen, und sie hat eine technologische Komponente, die absolut grundlegend ist.

Chile und Deutschland sollen Anfang diesen Jahres ihre Rohstoffpartnerschaft erneuert haben und in diesem Kontext gab es eine Vereinbarung zwischen dem Kupferproduzenten Aurubis, einer deutschen Hütte, und dem chilenischen staatlichen Bergbauunternehmen Codelco. Angeblich soll es hier auch um Techno­­logietransfer gehen.

Von dieser Vereinbarung und der Erneuerung der Partnerschaft mit Codelco wissen wir nichts. Deutschland unterhält seit Langem eine technologische Zusammenarbeit mit Chile, insbesondere im Bereich der nicht konventionellen erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz. Aber in anderen Bereichen ist das nicht der Fall. Vor fünf oder sechs Jahren gab es im Bergbau eine Zusammenarbeit mit Deutschland zum Thema Nachhaltigkeit, aber es wurde nichts umgesetzt und es gibt keine Fortschritte, was Protokolle oder Vorschriften betrifft. Wir haben auch keinen neuen Vorschlag für den Kupferbergbau gesehen, weniger noch für den Lithiumbergbau oder andere Industrien, die unter das Abkommen zwischen Chile und der Europäischen Union fallen. Nehmen wir das Beispiel des grünen Wasserstoffs: Dafür benötigt man Wasser, an dem es in Chile vor allem im Zentrum und im Norden des Landes mangelt. Es muss durch Entsalzung gewonnen werden, was wiederum ein sehr energieintensives Verfahren ist mit massiven Auswirkungen auf die Küste. Und in Chile gibt es noch immer keine Richtlinie für den Entsalzungsprozess.

Der hängende El Morado Gletscher südlich von Santiago, Chile.
Der hängende El Morado Gletscher südlich von Santiago, Chile.

Ist es richtig, dass es in Chile derzeit keine Gebiete gibt, in denen der Bergbau nicht erlaubt ist? Dass sogar in den Gletschern Bergbau betrieben wird, weil es kein Gesetz gibt, das bestimmte Gebiete schützt?

Ja, so ist es. Im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung wird ein Projekt nach dem anderen durchgewinkt, viele davon in gesetzlich geschützten Gebieten. Die einzige Ausnahme sind die Nationalparks, die den strengsten rechtlichen Schutzstatus haben. Um Gletscher zu schützen, die Rechte indigener Völker zu wahren und Feuchtgebiete zu erhalten, müssen wir Bergbauprojekt für Bergbauprojekt bekämpfen.

Chile Sustentable hat sich sehr für die Gletscher eingesetzt …

… weil in Chile die Gletscher heute die einzige Versicherung gegen Wassermangel, Dürre, Megadürre sind und den durch die globale Erwärmung verursachten Rückgang der Niederschläge. Der Fluss Maipo, der 80 Prozent des Trinkwassers der Bevölkerung von Santiago sowie das Wasser für 120.000 Hektar Landwirtschaft und die gesamte Industrie im Maipo-Tal liefert, wird zu 60 Prozent von den Gletschern der Anden gespeist. Sobald der Schnee im Frühjahr schmilzt, sind es die Gletscher, die den Maipo-Fluss auffüllen und damit die Ernten im Herbst und das Wasser in Santiago sichern, wo 40 Prozent der chilenischen Bevölkerung leben. Hätten wir diese Gletscher nicht, hätten wir kein Wasser.

Ein großer Teil des Kupferabbaus findet aber oben bei den Gletschern statt.

Kupfer wird in Chile im Hochgebirge abgebaut. Bürgerinitia­tiven kämpfen seit 2006 für ein Gesetz zu ihrem Schutz, und es ist uns auch gelungen, sechs Gesetzesentwürfe zum Schutz der Gletscher in den Nationalkongress einzubringen, bisher aber ohne Erfolg. Ohne Gletscher gibt es kein Wasser, keine Städte, keine Landwirtschaft, keine Schulen. Ohne Gletscher gibt es gar nichts. Chile kann mit weniger Bergbau leben, aber nicht mit weniger Wasser. Es heißt, ein Gletscherschutzgesetz würde die Bergbauindus­trie einschränken. Warum? Wenn doch das Gegenteil der Fall ist. Ohne Gletscher gibt es auch keinen Bergbau.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Der chilenische Kupferbergbau-Konzern Codelco hat in mehrere Gletscher eingegriffen. Er hat den Gletscher Río Blanco im Einzugsgebiet des Aconcagua-Flusses zerstört und nutzt Gletscher als Mülldeponien, wie viele andere Unternehmen auch. Vor etwa zehn Jahren, im Jahr 2011, beantragte Codelco eine Erweiterung der abbaufähigen Fläche, die laut Umweltverträglichkeitsprüfung 100 Hektar Gletscher zerstören sollte. Darauf­hin gab es einen großen Aufschrei in der Öffentlichkeit und das Projekt wurde abgelehnt. Die chilenische Gesellschaft hat inzwischen den Wert der Gletscher für die Wassersicherheit des Landes erkannt, aber die Bergbauunternehmen kämpfen weiter gegen ein Gletscherschutzgesetz.

Wir wissen, dass die Energiewende Metalle erfordert, aber auch viele andere Dinge. Dennoch wird immer behauptet, dass es nur um die Dekarbonisierung der Wirtschaft geht. Das blendet die Tatsache aus, dass andere Sektoren ebenfalls zu einer großen Nachfrage beitragen und dass wir in diesen Bereichen auch darüber nachdenken müssen, wie wir die Nachfrage senken können.

Das ist der Kern des Problems. In Chile können sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung nicht mit warmem Wasser waschen. In Europa will niemand auf das Heizen von Innen­räumen verzichten, jeder hat Warmwasser. Die Menschen verstehen nicht, warum sie in ihren Wohnungen und Häusern auf eine andere Weise heizen müssen, nicht mit Gas oder Öl oder was auch immer. Dieses strukturelle Problem wird von Organisationen mehrerer Länder gemeinsam mit der Böll-Stiftung in dem Dokument «Gerechtigkeit in einer endlichen Welt» behandelt. Dieses Dokument, seine Analysen und Vorschläge sind absolut gültig für die Herausforderung, vor der wir heute mit der Energie­wende stehen, und damit auch für die Frage, ob diese gerecht oder ungerecht sein wird.

Wir müssen also die Grenzen der globalen Ressourcen stärker in den Mittelpunkt rücken?

Wir müssen uns mehr auf die Grenzen der Biosphäre und damit auch auf die Regeln für den Zugang zu den natürlichen Ressourcen konzentrieren. Wir dürfen den Diskurs aber nicht nur von den Grenzen her aufbauen, sondern auch auf der Grundlage des Rechts auf Entwicklung. Denn das Recht auf Entwicklung bedeutet auch, dass man nicht das gesamte Naturkapital eines Landes mitnehmen kann.

Und welche Rolle sollte Ihrer Meinung nach der chilenische Staat übernehmen? Kommt das Geld aus dem Bergbau der gesamten Bevölkerung zugute oder als Einkommensverteilung im Laufe der Zeit?

Beim heutigen Bergbau geht es in erster Linie um den Abbau und den Export von nicht verarbeiteten Mineralien, ohne Wertschöpfung, und mit Ausnahme der staatlichen Bergbaugesellschaft Codelco liegt der Gewinn bei den transnationalen Bergbauunternehmen. Wir wissen nicht einmal, was sie alles herausholen. In Chile werden neben dem Kupfer auch Gold, Silber, Molybdän und eine Reihe anderer Mineralien, die nicht erfasst werden, abgebaut. Die Einnahmen aus den Kupferexporten des staatlichen Unternehmens Codelco fließen in die Staatskasse, das heißt in den öffentlichen Fonds zur Finanzierung des Staates, des Bildungswesens, des Gesundheitswesens, der staatlichen Bauvorhaben und so weiter. Im Falle des Kupferbergwerkes Codelco fließen praktisch alle Gewinne in den Staatsfonds. Deswegen wurde Codelco schon immer als die Brieftasche des Staates bezeichnet, die vom Finanzministerium verwaltet wird. Das vorhin genannte Bergbausteuergesetz ist wichtig, da es das erste Instrument ist, das im Zusammenhang mit der Nutzung des chilenischen Naturerbes Umverteilungseffekte hat.

Gibt es nicht aktuell auch eine neue Lithiumstrategie, also Bestimmungen, wie dieser Rohstoff umweltverträglicher abgebaut werden kann?

Nein. Im Falle von Lithium bedeutet das nichts wirklich Neues. Das einzig Neue ist, dass Lithium angesichts der weltweiten Nachfrage weiter massiv ausgebeutet werden soll. Dabei zerstört der Abbau unsere Salare in den Anden. Es wäre wichtig, dass der Staat sich einmischt, aber er wird dies nur tun, um einen Teil der Einnahmen aus dem Lithiumabbau abzuschöpfen, ohne Bedingungen für die Nachhaltigkeit zu stellen. Er hat ­weder Umwelt-, Sozial-, Umverteilungs- noch Industrialisierungsbedingungen aufgestellt, ebenso wenig die Bedingung, dass mit anderen Technologien abgebaut werden muss als bisher. Wir hoffen, dass die Europäische Union ihrem Anspruch gerecht wird und die europäischen Investitionsunternehmen an hohe Standards und Regeln in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte und technologische Zusammenarbeit bindet.

Beträchtliche Investitionen der Weltbank, der inter­ameri­ka­nischen Entwicklungsbank, der Kreditanstalt für Wieder­aufbau und der Europäischen Bank fließen in den grünen Wasserstoff. Es wird oft gesagt, dass der Wasserstoff für mehr Wertschöpfung gebraucht wird. Glauben Sie, dass grüner Wasserstoff auch in Chile für die Schmelzhütten verwendet wird oder in einer anderen ­Weise von Nutzen ist?

Sowohl für die Wasserstoff- als auch die Bergbauindustrie sind die gleichen Schritte und Normen erforderlich. Der Unterschied bei grünem Wasserstoff ist, dass der Industrialisierungsprozess in Chile stattfindet. Denn was exportiert wird, ist grüner Wasser­stoff. Die Industrie wird also in Chile aufgebaut, die Technologie wird in Chile installiert. Und es besteht auch die Möglichkeit, dass er Teil der Industrie für Energieträger wird. Wenn man die nationale Energiematrix verdoppeln will, um die Wasser­stoffindustrie zu versorgen, braucht man eine Menge Fläche. Man braucht viel Wasser und eine umfangreiche Infrastruktur zur Erzeugung von Solar- und Windenergie.

Wenn Sie Deutschland und Europa im Moment Vorschläge machen könnten, was sie – abgesehen von der Reduzierung des Konsums – tun sollten, um zu einer etwas nachhaltigeren Welt zu gelangen – welche wären das?

Ich denke, Europa muss den Energie- und Materialverbrauch für jeden der Entwicklungsbereiche sehr genau überprüfen: Verkehr, Stahl, Heizung, Bauwesen. Die Welt ist begrenzt, und es ist nicht möglich, dass Europa seinen Bedarf auf Kosten der Ressourcen der übrigen Welt weiter ausdehnt. Es hat bereits einen riesigen ökologischen Fußabdruck in Bezug auf Lebensmittel, Energie, Mineralien und so weiter. So kann es nicht weitergehen, der Planet kann das nicht verkraften. Europa muss seinen Extraktionsbedarf oder ökologischen Fußabdruck verkleinern, die Energie- und Materialintensität der europäischen Wirtschaft muss verringert werden. Ich glaube, dass dieser Punkt für den Klimawandel, für die biologische Vielfalt, für Mineralien, für alles von entscheidender Bedeutung ist. Ich denke, das ist der wichtigste Punkt.

Gäbe es noch einen weiteren Vorschlag?

Bei dem, was Europa von anderen Ländern braucht, muss es sich um einen fairen und gleichberechtigten Austausch bemühen. Wenn Europa also Lithium abbauen will, muss es dafür sorgen, dass im Herkunftsland die Normen zum Umweltschutz eingehalten, die Menschenrechte geachtet und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Es muss eine Zusammenarbeit in den Bereichen Wissen und Technologie geben, damit dieses Land seine Fähigkeit zur Industrialisierung und Entwicklung ausbauen kann. Es kann nicht sein, dass diese Länder dazu verdammt sind, ständige Rohstofflieferanten zu sein, ohne Zugang zu dem Wissen, der Technologie und der Industrialisierung, die für die Schaffung von Arbeitsplätzen und einer gebildeten Gesellschaft nötig sind.

Sie erwarten eine Beziehung Gleichgestellter, eine Haltung der Kooperation. Wie realistisch ist das?

Die EU muss begreifen, dass sie, wenn sie auf andere angewiesen ist, diese Haltung einnehmen sollte. Aber mit Ausnahme einiger nordischer Länder war eine solche Zusammenarbeit in Europa bisher nicht sehr verbreitet. Was Deutschland betrifft, würde ich sagen, dass die Zusammenarbeit mit Chile im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz sehr interessant war. Aber das ist keine allgemeine Politik in der Euro­päischen Union. Das Land, das die Rohstoffe liefert, muss auf gleicher Ebene stehen, wie das Land, das die Rohstoffe braucht. Ich denke, das ist der Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft. Andernfalls wird sie immer schlimmer, angespannter und geopolitisch konkurrenzbetonter und wir werden in einer Art Gesetz des Dschungels enden. Demokratie und Entwicklung, das sind die zwei Standbeine, die niemals getrennt werden dürfen. Entwicklung ohne Demokratie hat keine Zukunft.

Das ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen Zukunft. Ansonsten könnten wir in einer Art Gesetz des Dschungels enden.

Sie waren Kandidatin für das Amt des Präsidenten im Jahr 1999. Was hätten Sie in Chile anders gemacht als das, was getan wurde?

Ich hätte natürlich sofort mit einer Disziplinierung des Bergbau- und Forstsektors begonnen. Und ich hätte damals eine Reform des Wassergesetzes erarbeitet, um dem Wassermarkt ein Ende zu setzen. Denn das größte Problem, das wir heute in Chile haben, ist die unsichere Wasserversorgung. Der Bergbau bedroht das Wasser, die landwirtschaftlich genutzten Täler und die Nahrungsmittel. Ich hätte ganz klar die Frage der Forstwirtschaft aufgegriffen, die in Chile strukturell verändert werden muss. Die Wiederherstellung der Wassereinzugsgebiete und der verloren gegangenen Vegetationsmassen sollte bereits viel weiter fortgeschritten sein. Wir befinden uns in einem Prozess der unumkehrbaren Wüstenbildung und deshalb sieht die Zukunft nicht sehr verheißungsvoll aus. Heute haben wir viele Umweltmigranten, weil es im Norden Chiles zu wenig Wasser gibt. Das ist eine komplexe Situation und ich denke, dass wir in der Wasser-, Bergbau- und Forstwirtschaftspolitik sehr im Rückstand sind. Wir könnten heute eine viel bessere Wirtschaft haben, wenn wir diszipliniert mit den Bedingungen der Nachhaltigkeit umgegangen wären.

Dann müssen Sie also unbedingt weiterkämpfen.

Ja, natürlich. Jetzt und immer.


Sara Larraín ist eine chilenische Umweltaktivistin und Leiterin der Nichtregierungsorganisation Chile Sustentable. Sie war u.a. Mitbegründerin des chilenischen Komitees für Abrüstung und Denuklearisierung sowie des Nationalen ökologischen Aktionsnetzwerks RENACE. Bei den Wahlen 1999 war sie Kandidatin der Grünen Bewegung für das chilenische Präsidentenamt.

Johanna Sydow leitet das Referat Internationale Umwelt­politik bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Seit ihrer Feld­forschung in Ghana, Peru und Ecuador zum Thema Bergbau (2009–2013) setzt sie sich für weniger Rohstoff­konsum und für verbind­liche Regeln für Unternehmen ein.

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