«Wir können die Straflosigkeit nur international beenden.»

Erika Mendes kämpft mit ihrer Organisation Justiça Ambiental in Mosambik dafür, dass Unternehmen für Verstöße haftbar gemacht werden können – unabhängig davon, ob sie eine Sorgfaltsprüfung durchgeführt haben oder nicht. 

Johanna Sydow: Erika Mendes, während hier in Europa viele Menschen und NGOs für ein Liefer­kettengesetz in der EU kämpfen, setzen Sie sich für ein Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte auf UN-Ebene ein. Warum?

Erika Mendes

Erika Mendes: Wir versuchen seit vielen Jahren zu verstehen, wie es um die Macht und die Straflosigkeit von Unternehmen bestellt ist. Die Art und Weise, in der große Unternehmen in Ländern wie Mosambik investieren, zeigt, dass die Macht von Unternehmen oft viel größer ist als die unserer Regierungen. Die Jahreseinnahmen einiger dieser Unternehmen belaufen sich auf das Zehnfache des Bruttoinlandsprodukts von Mosambik, das heißt, das Machtgefälle ist sehr groß. Das zeigt sich auch bei Verhandlungen, beispielsweise über Projekte, die sehr viel Land beanspruchen. Es gibt ein großes Machtgefälle zwischen den Investoren und der ländlichen Bevölkerung in Gebieten, in denen erstere bestimmte Ressourcen abbauen wollen.

Ein Machtgefälle, das es den Unternehmen leicht macht, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Wir nennen dies die strukturelle Straflosigkeit von Unternehmen. Dazu gehören rechtliche, politische und wirtschaftliche Gesichtspunkte und auch Medien und Kommunikation. In der Summe führt dies zu einer Übermacht transnationaler Unternehmen, einer Übermacht, die dazu führt, wie Sie sagen, dass sie sich aus der Verantwortung stehlen können – selbst dann, wenn es um schwere Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung oder die Klimakrise geht. Dagegen muss etwas unternommen werden. Es geht hier um transnationale Unternehmen, die in vielen Ländern und grenzüberschreitend arbeiten.

Innerstaatliche Regeln genügen also nicht, um die komplexen und mächtigen Strukturen transnationaler Konzerne in die Schranken zu weisen?

Nein. International gültige Regeln für Konzerne werden deshalb seit Jahrzehnten gefordert. Nicht selten versuchen Konzerne, einen Gerichtsstand zu wählen, der ihren Interessen entgegenkommt – wie beispielsweise Shell in Nigeria. Shell möchte nicht vor niederländischen Gerichten für die Umweltzerstörung im Nigerdelta verklagt werden, denn der Konzern weiß natürlich, dass er in Nigeria vor Gericht einen leichteren Stand hat. Entsprechend müssen wir dafür sorgen, dass Konzerne, die von Projekten in Ländern des Globalen Südens profitieren, in ihrer Heimat für deren Folgen zur Verantwortung gezogen werden können. Die Verantwortung muss bei den Muttergesellschaften liegen – und nicht nur bei Tochtergesellschaften, das heißt dort, wo die Entscheidungen getroffen werden und woher das Kapital kommt. Dazu gehören natürlich auch die Finanziers. Nur so lässt sich der Übermacht der Konzerne ein Riegel vorschieben.

Einige Länder in der EU, und wahrscheinlich auch bald die EU, werden Unternehmen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten verbindlich vorschreiben. Warum reichen Sorgfaltspflichten nicht?

Das Konzept der Sorgfaltspflichten, denken wir, greift zu kurz, kommt es doch in erster ­Linie aus der Unternehmensperspektive und setzt ­darauf, Menschenrechte zum Teil einer Unternehmensethik zu machen. Dieser Ansatz ist verkehrt, es muss genau andersherum gehen. Auf Grundlage der Menschenrechte müssen die Pflichten transnationaler Konzerne definiert werden. Die Unternehmen zu verpflichten, die Auswirkungen ihrer Investitionen sorgfältig zu prüfen – das genügt nicht und hat sogar immer wieder den gegenteiligen Effekt. Wenn Konzerne ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, indem sie auf dem Papier ein Kästchen ankreuzen, und es dann aber trotzdem zu Verstößen kommt, kann eine derartige Regelung gar als Haftungsschutz dienen.

Was genau fordern Sie?

Wir fordern, dass Konzerne dazu verpflichtet werden, bei Verstößen für Abhilfe und für den Zugang zu rechtlichen Mitteln zu sorgen. Nur so können wir sicherstellen, dass Konzerne und deren Entscheidungsträger für Verstöße haftbar gemacht werden, unabhängig davon, ob sie eine Sorgfaltsprüfung durchgeführt haben oder nicht.

Wird aber nicht auch ein internationales Abkommen zu einem gewissen Grad auf Verfahren der Sorgfaltsprüfung zurückgreifen?

Jetzt, da die EU ihre eigenen Regeln zur Sorgfaltspflicht vorantreibt, sehen wir, dass dies den von der UNO angestrebten Prozess, verbindliche Abkommen zu schließen, beeinträchtigt. Die EU hat sich hier acht, ja fast neun Jahre Zeit gelassen, in den UN-Prozess einzusteigen, und immer noch hat die EU kein Mandat, hier über ein verbindliches Abkommen zu verhandeln. Jedoch hat die EU klargemacht, man werde eine Sorgfaltspflicht nur im Rahmen bestehender regionaler Regelungen unterstützen. Daran zeigt sich, wie sehr Verfahren, die auf eine Sorgfaltspflicht abzielen, möglicherweise Projekte wie ein verbindliches UN-Abkommen untergraben können. Natürlich können sie auch Mechanismen für eine Sorgfaltsprüfung enthalten, jedoch wird dies nur einen kleinen Teil ausmachen. Ein verbindliches Abkommen muss Mechanismen schaffen, mit denen sich eine effektive Regulierung von Unternehmen umsetzen lässt – und die Rechte der Betroffenen müssen im Mittelpunkt der Verhandlungen stehen. Dazu gehört auch, dass sie das Abkommen mit aushandeln und an seiner Umsetzung teilhaben. Außerdem müssen die Staaten, die ein solches Abkommen unterzeichnen, zusammenarbeiten, damit Konzerne, die in Verletzungen der Menschenrechte verwickelt sind, angeklagt werden. Dabei geht es um den Zugang zu Informationen und um internationale Rechtshilfe.

Könnten nicht auch strikte europäische Gesetze in Sachen Sorgfaltspflicht – Rechtsmittel inklusive – ein kleiner Schritt in die Richtung eines Abkommens sein, wie Sie es sich wünschen?

Sieht man sich ähnliche Abläufe an, dann bemerkt man: Die Aussichten auf Erfolg sind nicht gut. Gesetzesinitiativen sind in der Regel sehr ehrgeizig formuliert – doch beim Prozess der Gesetzgebung wird dies dann verwässert, da wir nicht verhindern, dass Konzerne und Lobbyisten hier ihren Einfluss geltend machen. Natürlich ist es positiv, dass man versucht, in der EU die eigenen Unternehmen zu regulieren. Die Verantwortlichen aber, so scheint es, sind nicht wirklich daran interessiert, das Problem zu lösen, sie wollen eine kosmetische Lösung. Vielleicht bin ich etwas pessimistisch, aber die Erfahrung zeigt: Es ist nicht zu erwarten, dass neue Gesetze zur Sorgfaltspflicht in der Praxis eine stärkere Rechenschaft in unseren Ländern im Globalen Süden bedeuten, wo die meisten Verstöße vorkommen.

Vor welchen Herausforderungen steht ein internationales Abkommen?

Die Herausforderungen sind zum Teil ähnliche. Auch hier sehen wir, dass Unter­nehmenslobbys und Konzerne versuchen, den Weg zu einem Abkommen zu beeinflussen. Es wurden sogar «Studien» vorgelegt, die zeigen sollen, dass die wirtschaftlichen Folgen eines solchen Abkommens für den Globalen Süden verheerend wären. Im Grunde wird hier mit wirtschaftlicher Vergeltung gedroht – nämlich damit, Konzerne könnten sich aus den Ländern des Globalen Südens zurückziehen. Hinter verschlossenen Türen geht es natürlich noch ganz anders zur Sache. Gleichzeitig handelt es sich um einen globalen Prozess, an dem viele Länder des Globalen Südens aktiv teilnehmen – sowie soziale Bewegungen, zivil­gesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften aus aller Welt. Das ist sehr wichtig, denn nur so können wir, wenn das Abkommen ausgehandelt wird, Druck ausüben und sicherstellen, dass die Stimmen der Betroffenen gehört werden und dass fortschrittliche Fachleute am Text des Abkommens mitschreiben.

Ich wünsche mir, dass sich die europäische Zivilgesellschaft auch in internationalen Verhandlungen engagiert, denn hier hat der Globale Süden eine Stimme.

Es besteht also Hoffnung, ein wirksames Abkommen auszuhandeln, da so ­viele Parteien, so viele Stimmen an den Verhandlungen beteiligt sind – und nicht allein die Mächtigen.Was würden Sie sich von der europäischen Zivilgesellschaft wünschen?

Die Verhandlungen über eine Sorgfaltspflicht in der EU haben viele zivilgesellschaftliche Organisationen in Europa veranlasst, zu diesem Gesetzesprozess zu arbeiten – und eben nicht zu einem bindenden internationalen Abkommen. Sie haben nicht die Kapa­zitäten, beides zu tun, und entsprechend hat sich der Schwerpunkt ihrer Arbeit verlagert. Die EU aber kann der Welt nicht ihre eigenen Regeln überstülpen. Bis heute hat sie kein Mandat für die Verhandlungen über ein verbindliches internationales Abkommen. Ich wünsche mir, dass sich die europäische Zivilgesellschaft für dieses Mandat und dann auch in den internationalen Verhandlungen engagiert, denn hier hat der Globale Süden eine Stimme.

Welche Rolle sollten die europäischen Staaten spielen?

Ich hoffe, dass sie auf fortschrittliche Regelungen drängen, auf Regelungen, die das Problem der Macht und der Straflosigkeit jener Unternehmen, die ihren Hauptsitz in Europa haben, wirklich angehen. Ein verbindlicher Vertrag ist auch deshalb so wichtig, weil durch ihn weltweit gleiche Wettbewerbs­bedingungen geschaffen werden. Unternehmen aus aller Welt müssen die Menschenrechte achten. Ich hoffe, die europäischen Regierungen erkennen, dass Unternehmen ihrer Länder für schwerste Verletzungen der Menschenrechte und für die Zerstörung der Umwelt verantwortlich sind, und dass sie diese Unternehmen angemessen regulieren müssen: regional, national und vor allem auch international.


Erika Mendes arbeitet für Justiça Ambiental, eine zivilgesellschaftliche Organisation in Mosambik, die sich mit Themen wie Klimagerechtigkeit, Landrechte und Umweltgerechtigkeit beschäftigt. Mendes koordiniert dabei vor allem die Bereiche «Straflosigkeit für Unternehmen» sowie Menschenrechte.

Johanna Sydow leitet das Referat Inter­nationale Umweltpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Seit ihrer Feldforschung in Ghana, Peru und Ecuador zum Thema Bergbau (2009-2013) setzt sie sich für weniger Rohstoffkonsum und für verbindliche Regeln für Unternehmen ein.

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