Jan Sereda-Weidner, Universität Kassel

Das Forschungsvorhaben untersucht die Anforderungen des Naturschutzrechts an die Schädlingsbekämpfung in der Forstwirtschaft. Gegenstand der Untersuchung sind die Maßnahmen zur Bekämpfung des Borkenkäfers, also die Räumung der betroffenen Waldflächen und deren Wiederaufforstung. Räumung bedeutet, die vollständige Entfernung befallener oder abgestorbener Bäume. Dabei gelangen meist schwere Erntemaschinen zum Einsatz (sog. Harvester).
Die anschließende Wiederaufforstung erfolgt häufig mit nichtheimischen Baumarten. Dieses „Kalamitäten-Management“ ist in der ökologischen Wissenschaft wegen seiner negativen Auswirkungen auf den Lebensraum Wald sowie Tier- und Pflanzenarten umstritten. Denn die vollständige Entfernung der befallenen und abgestorbenen Bäume lässt kahlschlagartige Flächen entstehen: Das Fehlen von Baumschatten und wasserspeicherndem Totholz sowie die Bodenverdichtung in Folge der Ernte mit Harvestern trocken die Böden weiter aus. Dies erhöht den hitze- und dürrebedingten Trockenstress auf die Vegetation. Für Tierarten bedeutet die Entfernung des Totholzes Verlust von Lebensraum, den auch die Wiederaufforstung mit nichtheimischen Baumarten nicht ausgleicht. Im Grundsatz enthält das Naturschutzrecht Instrumente, um schädliche Auswirkungen auf die Natur zu vermeiden. Dazu zählen Umweltpflichten wie Beeinträchtigungsverbote von Lebensräumen sowie Tier- und Pflanzenarten. Ausnahmen von diesen Verboten haben zur Voraussetzung, dass die negativen Auswirkungen auf ein zumutbares Maß zu verringern oder auszugleichen sind. Daneben stehen behördliche Kontrollbefugnisse und Zulassungsentscheidungen sowie Prüfverfahren, in denen die schädlichen Auswirkungen zu ermitteln und zu bewerten sind. Gleichwohl erfüllt das Naturschutzrecht seine Steuerungsfunktion gegenüber der Forstwirtschaft wegen der gesetzlichen Privilegierungen zugunsten dieser Form der Landnutzung nur mäßig. Denn die Privilegierungen stellen die Forstwirtschaft von der Beachtung der Umweltpflichten frei oder fassen diese weniger strickt. Diese unzureichende Steuerungswirkung zeigt anschaulich eine Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2019 über eine Räumung im Schutzgebiet „Siebengebirge“. Trotz Fällungen auf einer Fläche von insgesamt 109 Hektar erkannte das Gericht unter Anwendung der gesetzlichen Privilegierungen keine Verstöße gegen das Naturschutzrecht.

Im Anschluss an die Gerichtsentscheidung führte die Forstverwaltung die Räumung durch. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass eine im Siebengebirge seltenen Moosart ausstarb. Das Forschungsvorhaben zielt drauf ab, einen naturschutzrechtlichen Maßstab für das Kalamitäten-Management zu entwickeln. Dabei nimmt die Untersuchung die Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen als Ausgangspunkt, um die Auslegung und Anwendung des geltenden Naturschutzrecht auf Maßnahmen des Kalamitäten-Managements kritisch zu hinterfragen: Soweit die europäischen Naturschutzrichtlinien, also die Rechtsgrundlagen des nationalen Naturschutzrechts, keine Privilegierungen vorsehen, stellen sich die Fragen nach der unionsrechtskonformen Umsetzung und Anwendung. Ferner ist zu klären, ob der Anwendungsbereich der Privilegierungen durch eine eingeschränkte Auslegung der Tatbestandsmerkmale zu reduzieren ist, damit auf das „Kalamitäten-Management“ das naturschutzrechtliche Instrumentarium wie Vermeidungs- und Ausgleichspflichten Anwendung findet.