COP 28: Warum CO2-Bepreisung und Marktmechanismen nur Scheinlösungen sind

Analyse

Das Regelwerk zu Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens regt eine CO2-Bepreisung und Marktmechanismen an, die den CO2-Handel auf eine nie dagewesene Größenordnung ausweiten werden. Das gefährt das Leben auf dem Planeten.

A huge coal mine with excavators looking small
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Kohlebergbauunternehmen in Kolumbien sind gesetzlich verpflichtet, Schäden an den Ökosystemen zu kompensieren, aber diese Kompensationen sind oft selbst problematisch.

Seit dem Pariser Abkommen von 2015 wurde eine große Vielzahl an Programmen auf den Weg gebracht, die die Kommodifizierung, Kapitalisierung und Finanzialisierung des Planeten vorantreiben und als „Entwicklung“ ausgeben. Mit der globalen CO2-Bepreisung und den weltweiten Handelsmechanismen unter Artikel 6 des Pariser Abkommens werden diese Programme ausgebaut, um die weitere Extraktion fossiler Brennstoffe zu rechtfertigen. Von Umweltdienstleistungen bis zur Kohlendioxidentnahme aus der Atmosphäre (CDR): Die Einzelheiten des Pariser Abkommens stellen eine Bedrohung für das gesamte menschliche und nichtmenschliche Leben dar. Die Details von Artikel 6 werden zwar gerade noch ausgehandelt, aber der Widerstand gegen den Emissionshandel war vielleicht noch nie so wichtig wie jetzt.

Neue Studien belegt, dass Regenwald-Kompensationsgutschriften meistens nutzlos sind.

Seit 2015 sind die Kohlenstoffhändler sehr aktiv auf den freiwilligen Märkten, auf denen die Kohlenstoffkompensationen (carbon offsets) in den letzten drei Jahren erstmals stark zunahmen. Im Jahr 2019 wurden auf den freiwilligen Kohlenstoffmärkten mehr Zertifikate gehandelt als auf den Compliance-Märkten – also den Märkten, die sich aus den verbindlichen Klimaschutzverpflichtungen ergibt. Dieser Anstieg von CO2-Gutschriften kam im letzten Jahr jedoch auf den Prüfstand. Sowohl der Guardian als auch die Zeit veröffentlichten Anfang des Jahres Daten, aus denen hervorging, dass Verra, ein großer Zertifizierer auf den freiwilligen CO2-Märkten, unrechtmäßig wertlose CO2-Gutschriften ausstellte. Im letzten Monat wurde durch neue Studien belegt, dass Regenwald-Kompensationsgutschriften meistens nutzlos sind, die Volatilität auf den Märkten zunimmt und sich die Skandale in REDD+-Projekten häufen. Seit die freiwilligen Märkte in der Kritik stehen, wenden sich viele den vom Pariser Abkommen vorgeschlagenen Compliance-Märkten zu. In diesem kurzen Beitrag soll Artikel 6 entmystifiziert und dargelegt werden, dass jeglicher Emissionshandel von der entscheidenden und dringlichen Aufgabe ablenkt, die Fossilen im Boden zu lassen.

Artikel 6.2 wird sich zur weltweit größten Plattform für die Kohlenstoffbepreisung und den Emissionshandel entwickeln und soll 2025 starten. Artikel 6.2 hat zwei Bestandteile: Zum einen werden die Länder ein Datenregister nutzen, um ihre eigenen national festgelegten Klimaschutzbeiträge im Auge zu behalten und durch bilateralen Handel und international übertragene Emissionsgutschriften (Internationally Transferred Mitigation Outcomes, ITMOs) zu erfüllen. Es ist jedoch immer noch unklar, inwieweit sich ITMOs von Kohlenstoffkompensation unterscheiden.

Jeglicher Emissionshandel lenkt von der entscheidenden und dringlichen Aufgabe, die Fossilen im Boden zu lassen.

Zum anderen können die Vertragsparteien das Datenregister nutzen, um ihren Emissionshandel bilateral über Emissionshandelssysteme (ETS) hinaus abzuwickeln. Beispielsweise würde Datenregister den Handel zwischen dem ETS der Europäischen Union und dem kalifornischen Cap-and-Trade-System erleichtern. Ein Streitpunkt auf der COP28 wird sein, wie Länder ohne ein ETS das Datenregister nutzen können. Das Kyoto-Protokoll drängte im Sinne der Common But Differentiated Responsibility (CBDR, gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung) auf ETS in den Industrieländern. Das Vermächtnis des Kyoto-Protokolls resultiert darin, dass nur wenige Länder des Globalen Südens ein ETS haben. Diese Länder planen, ihre national festgelegten Beiträge zu registrieren, mit ITMOs und datenregisterübergreifend zu handeln, während sie gleichzeitig den Globalen Norden um Hilfe beim Aufbau ihrer ETS ersuchen.

Im Zusammenhang mit der Überwachung, der Nachverfolgung von Umweltverschmutzungen, Doppelzählungen und anderen Aspekten gibt es noch einige umstrittene Punkte. Selbst nach mehr als 25 Jahren, in denen sich immer wieder herausgestellt hat, dass diese Mechanismen nicht funktionieren, stellen die Vertragsparteien die Kohlenstoffbepreisung und den Emissionshandel nicht in Frage.

Artikel 6.4 bildet die Grundlage für die bisher größte Handelsplattform für Emissionskompensationen, also für carbon offsets. Als Artikel-6.4-Mechanismus bezeichnet, ist es der Ort, an dem  Emissionsminderungen, CO2-Entnahmen oder -Vermeidung gehandelt werden sollen. Dieser Artikel soll den Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) aus dem Kyoto-Protokoll ersetzen, dabei aber viel größer und weitreichender werden. Die Datenbank des Artikel-6.4.-Mechanismus ist ein System, in dem der Handel mit Kompensationsgutschriften unter der Aufsicht des Klimarahmenkonvention UNFCCC stehen wird. Nach derzeitigem Verhandlungsstand wird Artikel 6.4 sowohl Kohlenstoffkompensationen von den staatlich beaufsichtigten Compliance-Märkten beinhalten, aber auch den Privatsektor einbeziehen.

Die Diskussionen und der Widerstand gegen die Einbeziehung von Kohlendioxidentnahmen aus der Atmosphäre (CDR) gehen weiter. Zu CDR gehören sowohl biologische Entnahmen durch Wälder, Böden, Landwirtschaft und Wasser, die häufig als naturbasierte Lösungen bezeichnet werden, und technologische Entnahmen, zu denen die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS), die direkte CO₂-Abscheidung aus der Luft (DAC) und Bioenergie mit CCS (BECCS) gehören.

Ein Einspruchs- und Beschwerdeverfahren könnte es indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften ermöglichen, eine Beschwerde einzureichen und möglicherweise die Mitwirkung an einem Kohlenstoffkompensationsprojekt zu beenden. Aber im Mittelpunkt der Diskussionen steht das Artikel-6.4.-Aufsichtsgremium (Supervisory Body, SB), das eine Gebühr für Einsprüche, Beschwerden und Einschränkung der Mitwirkung erhebt. Auf der Sitzung des SB Ende Oktober 2023 schlugen die Verhandelnden eine Gebühr von 5.000 USD vor, gingen dann auf 2.5000 USD runter, um schließlich eine Ausnahme für bestimmte Akteure vorzuschlagen. Die Entscheidung über die Gebühr wird auf der COP28 gefällt. Des Weiteren zielt das SB darauf ab, die Voraussetzungen strenger zu gestalten und nur den indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften zu ermöglichen, ihre Bedenken zu äußern, die schon als „Stakeholder“ an den anfänglichen Beratungsprozessen beteiligt waren. Diese Einschränkungen wären weitere Barrieren für indigene Völker und lokale Gemeinschaften, ungerechte Verträge anzufechten und aufzulösen.

Seit Beginn des Verhandlungsprozesses über Artikel 6 gab es Pläne, Artikel 6.2 mit Artikel 6.4 zu verbinden. Eine Verbindung dieser beiden Artikel würde die Kohlenstoffmärkte auf eine nie dagewesene Größenordnung katapultieren. Zu den offenen Fragen gehört, wie die ITMOs aus Artikel 6.2 und die Kompensationen aus Artikel 6.4 zwischen den Systemen nachverfolgt werden und wie sie sich unterscheiden könnten. Derzeit wird darüber diskutiert, ob für ITMOs eine eindeutige Kenn- oder Verifizierungsnummer benutzt werden sollte oder nicht, sowie darüber, wann und wie die Veränderungen von ITMOs verfolgt werden können, wenn sie einmal auf den Markt gelangt sind. Das wirft weitere ernsthafte Fragen zur Nachverfolgung und Rücknahme von gehandelten Emissionsminderungen oder -entnahmen sowie zu leichten Betrugsmöglichkeiten unter Artikel 6 auf. Diese Fragen sind nach wie vor unbeantwortet und verdeutlichen die Unzulänglichkeiten des Systems.

Es bleiben weitere unbeantwortete Fragen zur Dauerhaftigkeit. Bei der Diskussion des SB im Oktober 2023 ging es darum, wie lange ein Projekt überwacht werden sollte, nachdem es seine Gutschriften verkauft und aus der Datenbank des Mechanismus ausgeschieden ist. Wenn beispielsweise ein biologisches Entnahmeprojekt wie eine Aufforstung abgeschlossen wurde und während seiner Laufzeit seine Gutschriften verkauft hat, wie lange muss dieser Wald überwacht werden, bevor er wieder für eine Rinderfarm abgeholzt wird: 150 Jahre, 50 Jahre oder 15 Jahre?

Die Verhandlungen darüber, welche Kompensationen zulässig sind, wie der Privatsektor einbezogen werden soll, und über mehrere andere methodische Fragen gehen weiter. Allerdings ist das globale Emissionshandelssystem von Grund auf mangelhaft, weil es das fossile Geschäftsmodell aufrecht erhält und Umweltbelastungen legitimiert – eine falsche Lösung, für die wir keine Zeit haben.

Artikel 6.8 beinhaltet die nicht-markbasierten Ansätze (NMA). Die Webseite wird auf der COP28 eingerichtet und wird wohl zu dem Ort werden, über den die Finanzierung von Umweltdienstleistungen, REDD+-Projekten, Technologietransfers (möglicherweise für die Energiewende) und anderer Programme, zu denen auch Landprojekte gehören können, abgewickelt wird. Ursprünglich war Artikel 6.8 als Alternative zu Kohlenstoffbepreisung und Emissionshandel vorgeschlagen worden. Auch rr erweist sich inzwischen jedoch als eine ernsthafte Bedrohung für indigene Völker und lokale Gemeinschaften. Zu den wichtigsten Problemen gehören: wie Zahlungen für ökologische Dienstleistungen (PES) oder Umweltdienste über die Datenbank von Artikel 6.8 finanziert werden und wie die NMA in Artikel 6.4 einfließen könnten.

PES oder Umweltdienstleistungen ermöglichen es dem Privatsektor, Schäden, die sie dem Planeten zufügen, „zu kompensieren“. Beispielsweise ist in Kolumbien jedes Bergbauunternehmen gesetzlich verpflichtet, Schäden an den Ökosystemen auszugleichen. Als das Bergbauunternehmen Drummond das Ökosystem eines Flusses zerstörte, führte es zum Ausgleich ein Baumpflanzungsprojekt in einer 100 km entfernten Gemeinde durch (die Gemeinde wollte dieses Projekt aber gar nicht haben und riss die Bäume wieder aus). Zwar werden die verschiedenen PES nicht wie Kohlenstoffkompensationen auf einem Markt finanzialisiert, aber es wird zugelassen, dass Unternehmen der fossilen und anderer Industrien mit sogenannten Umweltdienstleistungen die Biodiversität zerstören sowie sich negativ auf indigene Völker und lokale Gemeinschaften auswirken und gleichzeitig weiter fossile Energie produzieren, die die Klimakrise weiter vorantreiben . Zudem werden in Brasilien und Kolumbien die Gesetze für Umweltdienstleistungen auf eine Weise ausgeweitet, dass das Recht indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, in Nationalparks zu leben, eingeschränkt wird, um mehr Platz für weitere Umweltdienstleistungen wie „Erhaltungs-„ und „Klimaschutz“-Projekte zu schaffen. So würde Artikel 6.8 zukünftig zu einem Motor von Landraub werden.

Diejenigen, die Artikel 6.8 befürworten, argumentieren weiterhin, dass die NMA-Projekte nicht auf die Kohlenstoffmärkte kommen würden. Für das Indigenous Environmental Network haben wir jedoch an Verhandlungen teilgenommen, in denen die Vertretung des Green Climate Fund erklärten, dass Artikel 6.8 mit der Datenbank des Artikel-6.4.-Mechanismus verknüpft werden soll. Bei einem globalen runden Tisch im Juni 2023 in Bonn mit Vertreter*innen der Vertragsstaaten von Artikel 6.8 zeigte die Organisation Nature Conservancy in einer Präsentation, wie NMA-Projektemit dieser Datenbank verknüpft werden könnten.

Das Streben nach Profit, der Fokus auf Entwicklung des Emissionshandels und der Umweltdienstleistungen in Artikel 6 steht im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der indigenen Völker

Einige der den Artikel 6 Befürwortenden argumentieren, dass Projekte in einem unregulierten freiwilligen Markt letztlich zu Betrug einladen, weshalb ein reguliertes Programm wie Artikel 6 erforderlich sei. Allerdings treten auf den durch Artikel 6 regulierten Märkten dieselben Probleme auf, wie auf den freiwilligen Märkten, einschließlich Doppelzählung von Emissionsminderungen, der Verlagerung von Kohlendioxidemission in Drittstaaten, Zeitrahmen, Dauerhaftigkeit und Einbeziehung des Privatsektors in Artikel 6.4 und 6.8.

Marktgesteuerte Mechanismen sind eine Bedrohung für die Kosmovision, Weltsicht und das traditionelle Wissen indigener Völker.

Grundsätzlich erlauben alle Programme zur Kohlenstoffbepreisung und zum Emissionshandel den fossilen und anderen umweltverschmutzenden Industrien, mit der Verschmutzung weiterzumachen. Artikel 6 ist da keine Ausnahme. Das Streben nach Profit, der Fokus auf Entwicklung des Emissionshandels und der Umweltdienstleistungen in Artikel 6 steht im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften, einschließlich der kleinen Landwirtschaftsbetriebe, Bäuer*innen und den vom Wald abhängigen Gemeinschaften.

Marktgesteuerte Mechanismen, die von Kohlenstoffhändlern, internationalen Finanzinstitutionen und von im Naturschutz engagierten Nichtregierungsorganisationen entwickelt wurden, verstärken dominante Formen kolonialer, kapitalistischer und patriarchischer Machtsysteme und sind eine Bedrohung für die Kosmovision, Weltsicht und das traditionelle Wissen indigener Völker.

Die nächsten drei Jahre sind entscheidend für den Widerstand gegen diese falschen Lösungen, die uns daran hindern, aus den Fossilen auszusteigen und eine lebbare Zukunft zu schaffen. Die COP28, COP29 und die Vorbereitung auf die COP30 in Brasilien im Jahr 2025 sind entscheidende Momente, gegen die Einzelheiten und Strukturen des Pariser Abkommens vorzugehen. Das Indigenous Environmental Network erklärte schon 2015:

„Wenn Artikel 6 des Pariser Abkommens die globale Kohlenstoffbepreisung weiter vorantreibt und die Handelsplattform aufbaut, wird das Abkommen zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und am Planeten.“