Wie die Agrarindustrie aus der Krise Profit schlägt

Atlas

Übermäßiger Einsatz von Mineraldünger ist schlecht für den Boden, Pestizide schädigen Bodenlebewesen – und Stickstoffdünger befeuern die Klimakrise. Doch all das spült Großkonzernen viel Geld in die Kassen. Mit ihrer Lobbyarbeit üben sie großen Einfluss auf die Politik aus – und behindern dadurch den nötigen Wandel.

Seit Jahren vergrößert sich die Marktmacht einiger weniger Konzerne. Ein lukratives Geschäftsmodell: die Kombination von Pestizid- und Saatgutverkauf
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Seit Jahren vergrößert sich die Marktmacht einiger weniger Konzerne. Ein lukratives Geschäftsmodell: die Kombination von Pestizid- und Saatgutverkauf

Im Jahr 2022 wurden weltweit Pestizide im Wert von knapp 70 Milliarden US-Dollar verkauft. Mehr als doppelt so viel – 160 Milliarden US-Dollar – wurden im gleichen Jahr mit synthetischen Düngern umgesetzt. Aufgrund von hohen Marktpreisen konnten die größten Pestizid- und Düngerkonzerne ihre Gewinne 2022 im Vergleich zum Vorjahr deutlich steigern. Beide Industrien sind seit Mitte der 1990er-Jahre Schauplatz starker Konzentrationsprozesse: Zwischen 1996 und 2009 fusionierten hunderte Saatgut- und Pestizidunternehmen zu sechs Großkonzernen. Die vier größten Konzerne – die Syngenta Group, Bayer, Corteva und BASF – teilten sich 2020 62 Prozent des Weltmarktes. Auch die Düngerindustrie hat sich seit Anfang der 2000er-Jahre stark konzentriert und nach zahlreichen Übernahmen Großkonzerne wie Nutrien, CF Industries, Mosaic und Yara hervorgebracht.

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Der Bodenatlas 2024

Der Bodenatlas beleuchtet in 19 Kapiteln nicht nur die Folgen des weltweiten Verlusts an fruchtbarem Boden, sondern zeigt auch die Potentiale nachhaltiger und gerechter Bodennutzung für den Klimaschutz und die Artenvielfalt.

Den für die Unternehmen hochprofitablen Geschäften mit Düngern und Pestiziden stehen die steigenden Produktionskosten für Bäuer*innen gegenüber. In Europa stieg der Preis für Stickstoffdünger zwischen September 2021 und September 2022 um 149 Prozent. Hochprofitabel ist das Geschäft für Konzerne auch deshalb, weil in ihren Unternehmensbilanzen ökologische Kosten keine Rolle spielen, die durch den Einsatz von chemischen Pestiziden und Mineraldünger verursacht werden: der Verlust von Biodiversität, Humusabbau, Bodenversalzung und Bodenversauerung. In der Europäischen Union (EU) sind viele Pestizide mittlerweile wegen inakzeptabler Risiken für Gesundheit und Umwelt verboten. Verkauft werden sie jedoch weiterhin, überwiegend in Ländern des Globalen Südens. Im Jahr 2018 haben EU-Staaten den Export von 81.000 Tonnen an Pestiziden bewilligt, die in der EU verboten sind. Allein aus Deutschland wurden 2021 rund 8.500 Tonnen Pestizidprodukte mit hochgefährlichen, verbotenen Wirkstoffen exportiert – vor allem nach Lateinamerika, Indien und Südostasien.

Ihre Marktmacht nutzen die Konzerne oft für politische Einflussnahme. In der EU lobbyieren Pestizid- und Düngerhersteller seit Jahren gegen die „Farm to Fork“-Strategie der EU-Kommission, die einen zentralen Baustein des European Green Deal darstellt. Elementar für die Strategie war die sogenannte Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR). Sie sah vor, den Pestizideinsatz bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Investigative Untersuchungen zeigten, dass sich Vertreter*innen von Pestizidkonzernen ebenso wie Verbände der Agrarindustrie zwischen Januar 2020 und Juli 2023 insgesamt mehr als 400-mal mit zentralen konservativen EU-Parlamentarier*innen getroffen haben. Damit hat die Industrie dazu beigetragen, dass die SUR im November 2023 im EU-Parlament gescheitert ist. Die Pläne, EU-weit den Einsatz giftiger Agrarchemikalien einzuschränken, sind damit erst einmal vom Tisch.

Gleichzeitig antwortet die Pestizid- und Düngerindustrie auf den zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Druck mit verschiedenen Strategien und versucht, neue Profitmöglichkeiten zu generieren. Der Düngerkonzern Yara etwa – der größte Ammoniakhändler der Welt – kündigt an, seine Produktion dekarbonisieren zu wollen, also: Emissionen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO₂) zu senken. Denn das Ammoniak, das als Grundlage für Stickstoffdünger dient, soll zukünftig auch mit erneuerbaren Energien und Elektrolyseuren hergestellt werden. Für die entsprechende Umrüstung von Yaras Werk im norddeutschen Brunsbüttel bittet der Konzern die deutsche Bundesregierung um staatliche Unterstützung, trotz Rekordprofiten. Doch auch mit grüner Energie bleibt die Ammoniaksynthese extrem energieintensiv. Statt der Dekarbonisierung der Düngerherstellung wäre es in vielen Fällen – auch für landwirtschaftliche Betriebe – kosteneffizienter, klimaverträglicher und nicht zwingend weniger produktiv, deutlich weniger Dünger zu verwenden. So konnten etwa britische Landwirt*innen 2022 ihre Erträge leicht steigern, obwohl sie im Schnitt ein Viertel weniger Mineraldünger einsetzten als im Zehnjahresdurchschnitt davor. Statt den Einsatz chemischer Dünger und Pestizide durch eine Umstellung der Produktion drastisch zu reduzieren, bleibt bei einer reinen Dekarbonisierung der Produktion das Kerngeschäft der Pestizid- und Düngerkonzerne – der Verkauf ihrer Produkte – weiter bestehen.

BASF, Bayer und Syngenta verdienen ihr Geld auch mit dem Verkauf hochgefährlicher Pestizide im Globalen Süden, die in der EU verboten sind
BASF, Bayer und Syngenta verdienen ihr Geld auch mit dem Verkauf hochgefährlicher Pestizide im Globalen Süden, die in der EU verboten sind

Ein gänzlich neues Geschäftsmodell ist hingegen die digitale Landwirtschaft. Im Moment ist dabei noch Bayer mit der digitalen Plattform Climate FieldView führend, doch Yara hat bereits angekündigt, in Zusammenarbeit mit IBM die größte digitale Plattform im Agrarbereich aufbauen zu wollen. Und auch Unternehmen wie Google oder Amazon drängen mittlerweile auf diesen Markt.

Im Zuge der Digitalisierung investieren große Pestizid- und Düngerkonzerne seit einiger Zeit immer stärker in die so genannte Präzisionslandwirtschaft: Mit GPS-Kameratechnik können etwa selbstfahrende Feld­roboter Beikräuter identifizieren und Pestizide zielgerichtet dort ausbringen. Das soll – so das Versprechen – die eingesetzte Pestizidmenge reduzieren. Fachleute warnen, dass die Digitalisierung der Landwirtschaft zu weiterer Marktkonzentration beiträgt, da die wichtigsten digitalen Plattformen bereits heute in der Hand der marktführenden Pestizid-, Dünger- und Landmaschinenhersteller sind. Diese Plattformen haben wiederum Partnerschaften mit anderen großen Konzernen aus den genannten Geschäftsfeldern und dem Agrarhandel – und weiten somit deren Einfluss auf landwirtschaftliche Betriebe aus.