Guatemala: Der Amtsantritt des neuen Präsidenten ist doch noch geglückt

Interview

Die Zivilgesellschaft und insbesondere die indigenen Organisationen haben einen wichtigen Beitrag zum erfolgreichen Amtsantritt geleistet. Nun liegt es an der neuen Regierung, die Erwartungen zu erfüllen und die Reformagenda umzusetzen. Ein Gespräch mit der Journalistin Quimy de Léon.

Auf dem Bild sind die neue Vizepräsidentin Guatemalas Karin Herrera, der neue Präsident Bernardo Arévalo und der neue Parlamentspräsident Samuel Pérezie zu sehen. Sie stehen nebeneinander und halten sich die rechte Hand aufs Herz.
Teaser Bild Untertitel
Von links: Die neue Vizepräsidentin Karin Herrera, der neue Präsident Bernardo Arévalo und der neue Parlamentspräsident Samuel Pérez.

Hintergrund und Interview von Mareike Bödefeld. Das digitale Interview wurde am 11. Januar 2024 und damit vor dem Amtsantritt am 14. Januar 2024 geführt.

Der turbulente Amtsantritt von Bernardo Arévalo im Morgengrauen zum 15. Januar dürfte wohl in die Geschichte des an politischen Skandalen nicht gerade armen zentralamerikanischen Landes eingehen  Vor den Augen der geladenen internationalen Gäste und Tausenden von Bürger*innen, die aus allen Landesteilen zum Amtsantritt des demokratischen Hoffnungsträgers angereist waren, spielten sich im und um den guatemaltekischen Kongress dramatische Szenen ab. Die guatemaltekische und internationale Öffentlichkeit hatte mit einer fast reibungslosen Machtübergabe gerechnet.

Es schien als hätte der als „Pakt der Korrupten“ bezeichnete Machtblock im Parlament bereits vor dem 14. Januar alle Register gezogen, um den Amtsantritt des designierten Präsidenten zu verhindern. Ihre Intrigen reichten von der – völlig haltlosen – Anfechtung des klaren Wahlergebnisses der Stichwahl im August des vergangenen Jahres, in der sich Arévalo mit großen Abstand gegen die zweitplatzierte Sandra Torres durchgesetzt hatte, bis hin zu Attacken auf die Partei Arévalos, Movimiento Semilla. Wegen angeblicher Verfahrensfehler beim Einschreibungsprozess sollte der Partei der Rechtsstatus entzogen werden. Hinzu kamen juristische Verfahren gegen den designierten Präsidenten und die Vizepräsidentin wegen deren klarer Positionierung gegen die Gleichschaltung der Universidad de San Carlos (USAC). Das skrupellose Vorgehen des „Paktes der Korrupten“ und die Unverfrorenheit, mit denen sich korrupte Politiker*innen unter Rückgriff auf ebenso korrupte Richter*innen und Staatsanwält*innen über rechtliche und verfassungsrechtliche Prinzipien hinwegsetzten, um den Amtsantritt der neuen Regierung zu verhindern, hielten das Land seit August in Atem.

Indigene Demonstration in Guatemala
Friedlich protestieren Guatemaltek*innen für die Demokratie des Landes.

Es ist vor allem dem mutigen demokratischen Widerstand der guatemaltekischen Zivilgesellschaft, insbesondere jedoch den gut organisierten indigenen Organisationen zu verdanken, dass der Frontalangriff auf die Demokratie und die souveräne Wahlentscheidung abgewehrt werden konnte. Indigene Organisationen aus verschiedenen Landesteilen hatten wochenlang Straßen blockiert und ein Camp vor der korrupten Staatsanwaltschaft errichtet, um sicherzustellen, dass der designierte Präsident im Januar 2024 sein Amt antreten kann.

Auch die internationale Gemeinschaft, so die Europäische Union und die USA, positionierten sich klar gegen den als Putschversuch bezeichneten Missbrauch rechtlicher Instrumente und drohten korrupten Abgeordneten und Richter*innen Sanktionen an. Nach dem Scheitern der strafrechtlichen Verfolgung von Präsident und Vizepräsidentin schien es zunächst so, als ob damit nun endlich alle illegalen und verfassungswidrigen Winkelzüge an ihre Grenzen gestoßen seien.

Umso größer war die Überraschung als die „feierliche“ Sitzung des scheidenden Kongresses seitens korrupter Abgeordneter genutzt wurde, um das Akkreditierungsverfahren der neu gewählten Parlamentarier*innen, und damit auch die Machtübernahme Arévalos, mit fadenscheinigen Manövern hinauszuzögern. Als dann auch noch bekannt wurde, dass das Verfassungsgericht der einstweiligen Verfügung der Partei Semilla nicht stattgegeben hatte und der Kongress Semilla den Fraktionsstatus absprach, wuchsen die Befürchtungen, dass erzürnte Wähler*innen versuchen würden, die Polizeiabsperrungen vor dem Kongress zu durchbrechen und es zu gewalttätigen Szenen kommen könnte. Für Stunden schien der demokratische Machtübergang auf der Kippe.

Die anwesenden internationalen Vertreter*innen sahen sich veranlasst, ein Kommuniqué zu veröffentlichen, in dem sie den Kongress aufriefen, den Wählerwillen zu respektieren und die Amtsübernahme des rechtmäßig gewählten Präsidenten nicht weiter zu boykottieren. Nach spannungsreichen Stunden, in denen die Nerven zahlreicher Abgeordneter und Bürger*innen auf der Straße blank lagen, kam es dann doch noch zu einer Einigung: Der Abgeordnete Samuel Pérez vom Movimiento Semilla wurde mit einer Mehrheit von 93 Stimmen zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt und die Rechtspersönlichkeit der Partei, wie bereits zuvor von der Obersten Wahlbehörde angeordnet, wiederhergestellt.

Kurz nach Mitternacht konnte der neue Parlamentspräsident schließlich die förmliche Machtübergabe an Präsident und Vizepräsidentin vornehmen. In seiner Rede, die live auf riesigen Leinwänden auf der Plaza de la Constitución übertragen wurde, auf der trotz der fortgeschrittenen Zeit noch Tausende von Bürger*innen ausharrten, betonte Arévalo: „Niemals mehr Autoritarismus. Wir werden nicht tolerieren, dass unsere Institutionen erneut durch Korruption und Straflosigkeit gebeugt werden.“

Wir sprachen mit Quimy de León, der Chefredakteurin der Prensa Comunitaria über den Boykott der Wahlergebnisse seitens des sogenannten „Paktes der Korrupten“, die Hoffnung auf einen neuen demokratischen Frühling in Guatemala und die Hindernisse bei der Umsetzung der Wahlversprechen.

Wie konnte Bernardo Arévalo sein Amt - trotz aller illegalen und verfassungswidrigen Aktivitäten seiner Gegner*innen - antreten? Welche Faktoren haben dazu beigetragen, dass die Strategie des sogenannten „Pakt der Korrupten“ nicht aufging und der demokratische Machtwechsel nun am 14. bzw. 15. Januar – verfassungsgemäß – stattfinden kann?

Die guatemaltekische Bevölkerung brachte ihre Ablehnung der zwielichtigen Manöver, der Kriminalisierungen und der Kooptation des Staats deutlich an den Wahlurnen zum Ausdruck: durch die Wahl von Bernardo Arévalo und Vizepräsidentin Karin Herrera. Die beiden Außenseiter und ihre Partei Semilla hatten sich eindeutig für die Verteidigung der demokratischen Institutionen ausgesprochen und dem „Pakt der Korrupten“ den Kampf angesagt. Die Stimmen für Arévalo und Herrera waren Anti-System-Stimmen, Stimmen gegen das korrupte System. Als auch nach der Wahl die Versuche nicht aufhörten, den Amtsantritt der neuen Regierung zu verhindern, entschieden sich viele Bürger*innen für den Gang auf die Straße. Meiner Ansicht nach war der zivilgesellschaftliche Protest im Wesentlichen organisiert von indigenen Organisationen und getragen von Menschen aus verschiedensten Vierteln der Städte, etwa Markthändler*innen, Universitätsmitarbeitenden und Student*innen. Sie haben den Staatsstreich verhindert. Wochenlang harrten Protestierende Tag und Nacht vor dem Gebäude der korrupten Staatsanwaltschaft aus, um ihren Protest gegen die skandalöse Verfolgung von Antikorruptionsermittler*innen, Journalist*innen und Studierenden zum Ausdruck zu bringen.

Insbesondere den gut organisierten indigenen Organisationen kommt das Verdienst zu, gemeinsam mit den oben genannten Gruppen, die fragilen demokratischen Institutionen gegen die Versuche eines Staatsstreichs verteidigt zu haben. Auch die unabhängige Presse hat eine wichtige Rolle in dieser Koalition zur Verteidigung der Demokratie gespielt, indem sie Informationen über die Machenschaften der korrupten Eliten vermittelten.

Und natürlich auch die internationale Gemeinschaft: die USA haben durch Sanktionen und die Aufnahme von Personen in die sogenannte „Engel-Liste“1 Druck ausgeübt. Mindestens 100 guatemaltekische korrupte Abgeordnete stehen auf der Liste. Ihnen wurde deshalb bereits das Visum für die USA entzogen. Die Organisation der Amerikanischen Staaten (OEA) und die Europäische Union2 übten ebenfalls Druck aus, damit der neue guatemaltekische Präsident planmäßig am 14. Januar vereidigt werden kann. Auch andere lateinamerikanische Regierungen, wie Kolumbien, die Dominikanische Republik, Mexiko, Uruguay sowie verschiedene lateinamerikanische Diplomat*innen drückten öffentlich ihre Unterstützung für den demokratisch gewählten Präsidenten aus. Diese internationale Unterstützung war ein wichtiges Signal für die Menschen auf der Straße, ihren Kampf zur Verteidigung der Demokratie fortzusetzen.

Der „Pakt der Korrupten“ hat objektiv betrachtet eigentlich gar nicht die nötigen Voraussetzungen um den Amtsantritt jetzt noch zu verhindern. Um das zu erreichen, bräuchten sie die Unterstützung der Streitkräfte und andere Voraussetzungen, die sie nicht haben. Das heißt: der „Pakt der Korrupten“ wurde durch den Druck der Straße, der USA und der internationalen Gemeinschaft deutlich geschwächt. Sie haben die Mehrheit der Bevölkerung Guatemalas gegen sich. Diese Tage werden sicher nicht leicht, da das korrupte Netzwerk weiterhin versuchen wird, Kritiker*innen zu inhaftieren sowie Desinformationen und Gerüchte zu verbreiten. Aber ich bin überzeugt, dass es ihnen nicht gelingen wird, den Amtsantritt zu verhindern.

Stimmenkauf:  58.000 Euro für den Machterhalt?

Die nächsten Monate werden für die Zukunft der Demokratie in Guatemala entscheidend sein: der sogenannte „Pakt der Korrupten“, wird weiterhin versuchen, kritische Zivilgesellschaft und Presse psychologisch zu zermürben, denn es stehen zwei wichtige Personalbesetzungen bevor: Am 14. Januar findet die Wahl des Parlamentspräsidenten statt. Wir wissen, dass der „Pakt der Korrupten“ im Parlament nicht über die notwendige Mehrheit verfügt, um die Führung im Kongress zu übernehmen. Wir wissen aber auch, dass sie 500.000 Quetzales (etwa 58.000 Euro) allen Abgeordneten anbieten, die ihnen ihre Stimme anbieten, um den Vorsitz im Kongress zu gewinnen. Es besteht also das Risiko, dass sie die Kontrolle über den Kongress erlangen [Anm. d. Red.: Samuel Pérez Álvarez von der Partei Movimiento Semilla wurde zwischenzeitlich als Präsident des Kongresses gewählt].

Die Partei des designierten Präsidenten, Semilla, verfügt lediglich über 23 der insgesamt 160 Mandate im Kongress. Ferner besteht die Gefahr, dass der Regierungspartei der Fraktionsstatus aberkannt wird. Die Staatsanwaltschaft wird weiterhin von der Generalstaatsanwältin Consuelo Porras kontrolliert werden, in den USA steht sie auf der Engel-Liste. Die guatemaltekische Bevölkerung wartet, was mit den Hauptakteuren des „Pakts der Korrupten“ passieren wird. Zentrale Akteure sind, neben der Generalstaatsanwältin Consuelo Porras Alejandro Giammattei, dessen Berater Miguel Martínez, der Staatsanwalt Rafael Curruchiche und die Staatsanwältin Cinthia Monterroso. Man darf also gespannt sein, was mit ihnen geschehen wird, ob sie straffrei bleiben oder weiter im Verborgenen agieren werden. Leider ist zu befürchten, dass der Austausch korrupter Richter*innen und Staatsanwält*innen aufgrund der Gewaltenteilung sehr schwierig ist, auch wenn Bernardo Arévalo, Consuelo Porras – wegen wiederholter Rechts- und Verfassungsbrüche - zum Rücktritt auffordern will.

Hoffnung macht, dass die guatemaltekische Bevölkerung sehr gut informiert ist und über ein hohes politisches Bewusstsein und differenziertes Urteilsvermögen verfügt. Die letzten Wochen der Mobilisierungen haben zudem gezeigt, welche Macht politischer Druck auf der Straße entfalten kann.

Was hältst du von den Minister*innen des am Montag neu vorgestellten Kabinettes, besonders mit Blick auf die paritätische Besetzung, der Nähe zum Unternehmerverband CACIF sowie dem privaten Wirtschaftssektor und den dringend notwendigen Reformen zum Abbau der Korruption und Stärkung der demokratischen Institutionen?

Die für das Ministerium für Energie und Bergbau vorgesehene Ministerin Anaité Guardado hat am 10. Januar als Reaktion auf massive gesellschaftliche Kritik ihre Kandidatur zurückgezogen und ihr Amt noch vor der Vereidigung zur Verfügung gestellt. Guardado wird aufgrund ihrer engen Verbindungen zum Privatsektor kritisiert. Der Druck ging insbesondere von indigenen Organisationen aus, da Guardado vor allem für den Bau konfliktiver Wasserkraftwerke verantwortlich war und ihr seitens indigener Organisationen vorgeworfen wird, für die Kriminalisierung und Verhaftung von Bernardo Caal verantwortlich zu sein. Der Bevölkerung ist klar, dass es diese Personen sind, die mitverantwortlich für die derzeitige Situation im Land sind. Guardado ist jedoch nicht die einzige Ministerin, deren Autonomie wegen allzu naher Verbindung mit der Privatwirtschaft kritisiert wurde. Das Kabinett wurde zwar als das erste paritätisch besetzte in der Geschichte Guatemalas gefeiert, Geschlechterparität muss jedoch nicht unbedingt dazu führen, dass Frauen im Interesse von Frauen handeln oder die geeignete Voraussetzung für eine professionelle Amtsausübung mit sich bringen.

Lässt sich die Zusammensetzung des Kabinetts als Versuch interpretieren, durch das Einbinden verschiedener Sektoren, Einheit herzustellen und weitere Alliierte zu gewinnen?

Bei der Vorstellung des Kabinetts betonte Präsident Bernardo Arévalo, dass für die Auswahl der Minister*innen vor allem die Einheit dieser zentral war. Politisch gesehen macht es Sinn, verschiedene Sektoren der Gesellschaft, insbesondere auch den Privatsektor, in die Regierung einzubinden, um Regierbarkeit zu sichern und Putschversuche abzuwehren. Dennoch hat die Kritik der Zivilgesellschaft am neuen Kabinett eine Berechtigung. Durch die Fokussierung auf ein Kabinett der Einheit hat es Arévalo versäumt, diejenigen, die einen großen Anteil daran hatten, dass er nun Präsident ist, in sein Kabinett zu holen, d.h. indigene und junge Menschen.

Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass diese Sektoren in den jeweiligen Ministerien mehr Repräsentanz finden?

Nun, ich weiß es nicht, aber wir alle hoffen das. Arévalo betonte, dass das Kriterium für die Auswahl des neuen Kabinetts die Einheit war. Druck von Seiten der Zivilgesellschaft könnte aber ein Umdenken innerhalb der neuen Regierung auslösen. Die Zivilgesellschaft drängt, dass ihre Interessen adäquat in der neuen Regierung vertreten sind. Praktisch könnte das bedeuten, für die Stärkung der Demokratie viele Perspektiven in die Regierung einzubinden. Also nicht nur Frauen, sondern auch junge Menschen und Indigene. Wichtig ist es auch, entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Im Moment sehen wir zwar, dass es für Frauen das Sekretariat der Frau, für Indigene einen Fond, eine Präsidialkommission gegen Rassismus und Diskriminierung sowie eine Anlaufstelle für die indigene Frau gibt. Aber all diese Institutionen verfügen nur über geringe Budgets, sodass eine signifikante Arbeit für diese Bevölkerungsgruppen nicht garantiert ist.

Du erwartest also keine großen Veränderungen?

Historisch gesehen wurden die Indigenen immer von der Regierung und ihrer Politik ausgeschlossen. Aus gesellschaftlicher Sicht wäre also ein strategisches Umdenken erforderlich, denn die führende Rolle, die die Indigenen in diesem historischen Moment gespielt haben, ist beispiellos und das kann nicht ignoriert werden.

Was wird Arévalo im Umweltbereich machen?

Allgemein sind die Erwartungen der indigenen Bevölkerung und der gesamten Gesellschaft sehr hoch. Das zeigen die friedlichen Proteste zum Schutz der Demokratie und die Tatsache, dass sich Bürger*innen aus allen Landesteilen organisierten, um an der Amtseinführung in der Hauptstadt teilzunehmen. Eine Mehrheit der Guatemaltek*innen verbindet mit dem Regierungswechsel auch Hoffnungen auf einen historischen, demokratischen Aufbruch. Mit ihren Protestaktionen in den letzten Wochen, konnten sie verhindern, dass Guatemala weiter im Autoritarismus versinkt.

Nun wachsen die Erwartungen im Umweltbereich. Etwa, dass die durch die Korruption verursachten Probleme gelöst werden, wie beispielsweise die inflationäre Vergabe von Lizenzen für den Bergbau. Die Prensa Comunitaria hat Bernardo Arévalo vor ca. anderthalb Monaten auf einer Pressekonferenz zum Thema Extraktivismus befragt. Er vermied es jedoch, eine eindeutige Position zu beziehen. Zu konkreten Umweltkonflikten konnte er aufgrund mangelnder Informationen ebenfalls keine genauen Antworten geben. Es schien, als habe er nicht genügend Informationen über die „offenen Adern“ unseres Landes. Was er jedoch zugesagt hat, ist, dass er die ILO Konvention 169 zur freien, vorherigen und informierten Konsultation indigener Völker [1996 von Guatemala ratifizierte, Anmerk. d. R.] umsetzen möchte. Hier bleibt die Frage nach dem wie.

Mit Blick auf die Besetzung der für Umweltthemen zuständigen Ministerien sollten wir unsere Erwartungen in der Umweltpolitik eher zurückschrauben. Wir können davon ausgehen, dass sie vom Privatsektor kontrolliert werden. Hinsichtlich der negativen Auswirkungen der Fortsetzung eines extraktivistischen Wirtschaftsmodells – insbesondere in indigenen Territorien – bedarf es daher einer dezidierten Bildungs- und Aufklärungsarbeit.

Was ändert sich nun für Frauen und LGBTQI, besonders in Bezug auf sexuelle und reproduktive Rechte?

Die Wählerschaft von Arévalo und Semilla ist sensibilisiert für sexuelle und reproduktive Rechte und die Rechte von LGBTQI+ Personen. Die Regierung wird also auf diese sowie die Erwartungen der internationalen feministischen Bewegung reagieren müssen. Aktuell wird in Guatemala der Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert: er ist nur dann erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist.

Gleichzeitig führten im Wahlkampf alle konservativen, religiösen und rechten Kräfte in Guatemala schmutzige Desinformationskampagnen gegen Arévalo. Dieser ließ aufgrund des Drucks nur verlauten, dass die Themen wie die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partner*innen und die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nicht Teil seines Regierungsprogramms seien. Mit anderen Worten, er distanzierte sich von diesen Themen, um konservative Wählergruppen nicht zu vergraulen.

Mexiko und andere Länder der Region haben bestimmte Gesetzesvorhaben für mehr sexuelle und reproduktive Rechte sowie die Rechte von LGBTQI+ Personen umgesetzt, so z.B. die gleichgeschlechtliche Ehe. In Guatemala laufen die Debatten, ob über sexuelle und reproduktive Rechte auch in der Schule gesprochen werden kann. Aber solche Themen wurden in der Vergangenheit immer aufgeschoben und es bleibt abzuwarten, ob die neue Regierung sich ihnen widmen wird.

In Guatemala werden viele Menschenrechtsverletzungen begangen. Wäre das NGO-Gesetz durchgegangen, wäre die Repression und Verfolgung von NGOs rechtlich verankert worden. Die neue Regierung kann nun das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit, das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit stärken. Durch eine Stärkung des Demonstrationsrechts könnte sich vieles zum Positiven entwickeln, die Repression auf Demonstrationen könnte abnehmen. Das ist letztlich eine Frage des politischen Willens, genauso wie das Schaffen von Rahmenbedingungen für die Rückkehr derjenigen, die in den letzten Jahren ins Exil gehen mussten. Arévalo versprach, der Rückkehr der Exilant*innen Priorität zu geben. Sie brauchen wirksame Schutzmechanismen und Garantien.

Was erwartet die guatemaltekische Zivilgesellschaft von der Internationalen Gemeinschaft?

Zivilgesellschaftliche Organisationen erwarten von der internationalen Gemeinschaft, dass sie die politischen Reformprozesse in Guatemala weiterhin begleitet und den Druck für einen demokratischen Wandel aufrechterhält. Sie fordert insbesondere Sanktionen für korrupte und antidemokratische Akteure, wie etwa den Entzug von Visa. Wichtig, wenn auch noch nicht in der breiten Öffentlichkeit diskutiert, ist die Forderung, dass Personen, die in den Drogenhandel involviert sind an Länder ausgeliefert werden, in denen ihnen der Prozess gemacht wird. Die Auslieferung des ehemaligen Präsidenten von Honduras, Juan Orlando Hernández, an die USA ist ein gutes Beispiel dafür. Auch im neuen guatemaltekischen Kongress sitzen viele korrupte und mit dem Drogenhandel verbandelte Abgeordnete.

Der Wiederaufbau der guatemaltekischen Demokratie hängt auch vom Engagement der internationalen Gemeinschaft ab. Ich wünsche mir, dass hier neben den USA auch die Europäische Union eine Rolle spielen wird.

Quimy de León ist Historikerin, Herausgeberin, Journalistin und Koordinatorin der alternativen Presseagentur Prensa Comunitaria.

Weitere Informationen (auf Spanisch) finden Sie im Dossier zu den Wahlen in Guatemala des Regionalbüros El Salvador der Heinrich-Böll-Stiftung.

  • 1Der 2020 verabschiedete US-Northern Triangle Enhanced Engagement Act, besser bekannt als "Engel-Liste", zielt darauf ab, Akteure zu sanktionieren, die an Korruptionshandlungen und Angriffen auf die Demokratie in der zentralamerikanischen Region beteiligt sind.
  • 2Die EU verkündete als Sanktionen den Entzug von Visa und die Sperrung von Förderungen für Korrupte