Nach den Wahlen in El Salvador: Mit punitivem Populismus zur Einparteienherrschaft

Analyse

Bukele erhält Mandat für eine verfassungswidrige zweite Amtszeit und ebnet mit Wahlmanipulationen den Weg in die autokratische Einparteienherrschaft.

Protest für Demokratie und Menschenrechte in El Salvador

Wahlen im Ausnahmezustand, ohne Wahlkampf und Opposition

Eigentlich standen die Ergebnisse der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in El Salvador bereits seit Monaten fest. Sämtliche Umfragen prognostizierten einen eindeutigen Sieg des populären Präsidenten Nayib Bukele mit über 80 Prozent der Wähler*innenstimmen. Die Zustimmungsrate der Regierungspartei Nuevas Ideas (NI) liegt zwar weit unter der des Präsidenten, doch sahen laut Meinungsumfragen nahezu 60 Prozent der Wähler*innen ihre Interessen von NI repräsentiert. Der Wahlkampf der Regierung beschränkte sich daher im Wesentlichen auf Marketing-Ereignisse wie das Hosting des Miss-Universe-Wettbewerbs im November 2023 in San Salvador oder einen Fototermin mit Fußballstar Lionel Messi und dem Inter Miami Team, das für ein Freundschaftsspiel eingeflogen war. Die Oppositionsparteien hatten es nicht vermocht, sich auf eine(n) gemeinsame(n) Kandidat*in zu einigen. Angesichts fehlender Allianzen, mangelnder Wahlkampffinanzierung und ständigen Angriffen der Regierung ging es vielen Parteien bei diesen Wahlen schlichtweg darum, die minimal notwendigen Stimmen zur Bewahrung ihrer Rechtspersönlichkeit zu erhalten.

Die Popularität des „coolsten Diktators“ der Welt als Lizenz für den Verfassungsbruch

Es ist vor allem ein Grund, der die extrem hohe Popularität des Präsidenten erklärt: die gut vermarktete Politik der harten Hand gegenüber den maras, den brutalen, kriminellen Banden, die seit Jahrzehnten vor allem die arme Bevölkerung terrorisiert hat. Morde, Schutzgelderpressungen, sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen hatten den Alltag der salvadorianischen Bevölkerung in vielen Teilen des Landes bestimmt. Laut eigenen Angaben hat die Regierung seit der Verhängung des Ausnahmezustands im März 2022 mehr als 76 Tsd. Personen verhaftet und ein Hochsicherheitsgefängnis gebaut. Berichte über willkürliche Verhaftungen häufen sich und Menschenrechtsorganisationen dokumentieren Informationen zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Misshandlungen und mangelndem Zugang zu Essen und Trinkwasser. Trotzdem befürwortet die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die drakonischen Maßnahmen, einschließlich der mit dem Ausnahmezustand verbundenen Einschränkung von Grundrechten. Laut Regierungsangaben sind die Mordraten 2023 auf 2,4 pro 100 Tsd. Einwohner zurückgegangen. Die Zahlen können aber nicht wirklich überprüft werden, da der Zugang zu Daten weitgehend eingeschränkt wurde. Feministische Organisationen warnen vor der Zunahme sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen seitens Polizei und Militär. Dies bereitet jedoch nur einer Minderheit der Bevölkerung Sorgen. Für die überwältigende Mehrheit sind dies „Kollateralschäden“ einer ansonsten erfolgreichen Sicherheitsstrategie, die ihren Alltag positiv verändert hat.

Dass sich Präsident Bukele der Wiederwahl stellt, obwohl nicht weniger als sechs Artikel der Verfassung El Salvadors dies untersagen, interessiert die Bevölkerung ebenso wenig wie die Tatsache, dass sich die Wirtschaft des Landes kaum von den Auswirkungen der Corona-Epidemie erholt hat, das versprochene Wirtschaftswachstum im Zuge der Einführung des Bitcoin als offizieller Währung neben dem US-Dollar ausblieb und über 40 Prozent der Bevölkerung derzeit an Hunger und Mangelernährung leiden. Die überwältigende Mehrheit der Salvadorianer*innen sieht in ihrem Präsidenten, der sich als „Gottes Instrument“ bezeichnet und sich gerne vor Portraits des Freiheitshelden Francisco Morazán ablichten lässt, vor allem einen charismatischen Hoffnungsträger, der es ihnen erlaubt, wieder stolz auf ihr Land zu sein.

Wahlrechtsreformen zur Zementierung der Einparteienherrschaft

Trotz der hohen Popularitätsraten und der faktischen Bedeutungslosigkeit der Opposition hatte Nayib Bukele bereits im Juni letzten Jahres Vorsorge getroffen, um unliebsame Überraschungen bei den Wahlen zu vermeiden. Er peitschte drastische Reformen der bestehenden Wahlgesetze durch den von seiner Partei kontrollierten Kongress. Die Zahl der Parlamentsabgeordneten im Kongress wurde von 84 auf 60 gesenkt, die der Bürgermeister*innenämter von 262 auf 44. De facto wurden also über Nacht mehr als 80 Prozent aller durch Wahlen legitimierten Posten im Eilverfahren abgeschafft.  Unter dem Vorwand, die marode Staatskasse zu sanieren, wurde damit auch die – verhaltene – Kritik an der Zentralisierungspolitik der Regierung seitens kommunaler Politiker*innen im Keim erstickt. Diese drastische Verringerung der Sitze und die veränderte Berechnung der Sitzverteilung schränkt die Wahlchancen kleiner Parteien wesentlich ein und zementiert den Weg zur Einparteienherrschaft. Hinzu kommt, dass das Gros der Stimmen der im Ausland lebenden Salvadorianer*innen – mehrheitlich Bukele-Anhänger*innen - dem Wahlbezirk San Salvador zugeordnet wird. In San Salvador werden der Opposition noch am ehesten Chancen eingeräumt wenigstens einige der 16 Sitze zu erringen. Neben der Verzerrung der Wettbewerbsregeln zugunsten der Regierungspartei waren die Oppositionspartien permanenten Attacken seitens der Regierung ausgesetzt, bis hin zur Panikmache, die Opposition würde die verhafteten Bandenmitglieder wieder auf freien Fuß setzen wollen. Wenige Tage vor den Wahlen bestimmten mit Kriegswaffen ausgestatte Militärs das Straßenbild des Landes und demonstrierten so die Macht der Regierung.

Pannen am Wahltag: monumentaler Systemfehler oder doch Wahlbetrug?

Am Morgen nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 4. Februar, gab es immer noch keine verlässlichen Wahlergebnisse, abgesehen von der klaren Tendenz bei den Präsidentschaftswahlen. Das elektronische Übermittlungssystem der Obersten Wahlbehörde (Tribunal Suprema Electoral = TSE) hatte in der Wahlnacht auf ganzer Linie versagt. Die auf der Webpage des TSE veröffentlichten Ergebnisse wiesen nicht erklärbare Inkongruenzen auf: Obwohl ein Großteil der Wahlbeobachter*innen eine eher niedrige Wahlbeteiligung konstatierte, zeigten die ersten Hochrechnungen eine Beteiligung von angeblich über 80 Prozent. In Wahlbezirken, in denen noch keine Ergebnisse ausgezählt oder gar elektronisch übermittelt waren, wurden Tausende Stimmen für die Regierungspartei Nuevas Ideas angezeigt. Erschöpfte Wahlhelfer*innen berichteten über die sozialen Netzwerke von Stromausfällen, Problemen bei der Datenübermittlung und fehlenden Formularen für die manuelle Aufzeichnung der Wahlergebnisse. Zeitweise war die Webpage des TSE gar nicht mehr zu erreichen. Während die vorläufigen Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen üblicherweise bereits nach wenigen Stunden vorliegen, konnte die Oberste Wahlbehörde erst am Montagvormittag Informationen auf der Basis der elektronischen Auszählung von ca. 70 Prozent der Wahllokale vorlegen. Die Ergebnisse von mehr als 2.500 Wahllokalen bei den Präsidentschaftswahlen und die überwältigende Mehrheit der Stimmen für die Parlamentswahlen konnten nicht elektronisch übermittelt werden.

Zur Feststellung des Wahlergebnisses müssen nun daher die Urnen geöffnet werden und die Ergebnisse Wahlzettel für Wahlzettel neu ausgezählt werden. Ob es sich bei dem kolossalen Versagen um einen simplen Kollaps des Systems oder – so der Vorwurf der Oppositionskandidatin Claudia Ortiz - eher um ein „orchestriertes Systemversagen“ handelt, ist derzeit unklar. In einem privaten Treffen mit politischen Parteien der Opposition versuchte die in der Schusslinie der Kritik stehende Präsidentin des TSE die Schuld für das Debakel in vagen Andeutungen auf die Regierung abzuwälzen: "Wir schließen nicht aus, dass sie sich eingemischt haben, damit die Dinge so passieren wie sie passiert sind". Dies legt die Vermutung nahe, dass der TSE die Anweisung erhielt, die Wahlergebnisse an die Erwartungen des Regierungslagers anzupassen. Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage hatten bereits vor dem Debakel am Wahlabend mehr als 60 Prozent der Bevölkerung kein oder nur geringes Vertrauen in den TSE und den Wahlprozess. Das Nachrichtenportal Focos erhob in einer Reportage kurz vor den Wahlen schwere Vorwürfe der Parteilichkeit gegen den TSE. Ein Audio-Mitschnitt belegt den konzertierten Versuch hoher Regierungsvertreter*innen, die Abstimmungsprozesse von im Ausland lebenden Salvadorianer*innen zugunsten der Regierungspartei zu beeinflussen.  

Angesichts des Dilemmas, dass die verfassungswidrige Wiederwahl des Präsidenten, die nach Einschätzung zahlreicher Analysen die Legitimität des gesamten Prozesses in Frage stellt, von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung befürwortet wird, beschränkte sich die Wahlbeobachtungskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf die Überprüfung „technischer Aspekte“ des Wahlprozesses. Trotz dieser Beschränkung fällt der vorläufige Bericht vernichtend aus. Zwar stünde der Wahlsieg Bukeles - auf der Basis der vorliegenden Daten - außer Zweifel, der Wahlkampf wird jedoch als „atypisch und unfair“ klassifiziert, da die Opposition systematisch benachteiligt worden sei. Die gesetzlich zustehende Wahlkampffinanzierung sei nicht ausgezahlt, der Zugang zu Werbeblöcken von der Regierungspartei monopolisiert worden. Ferner rügt der Bericht in deutlichen Worten die mangelnde Autonomie der Obersten Wahlbehörde aufgrund der Einschüchterung durch strafrechtliche Disziplinierungsinstrumente. Bedenklich sei ferner, dass zivilgesellschaftliche Organisationen fast 40 Tausend – vor allem digitale - Attacken Kandidat*innen und Frauen, die in der Politik tätig sind, festgehalten hätten.

„Der Präsident hat das Ergebnis bereits verkündet, jetzt müssen nur noch die Stimmen ausgezählt werden.“ (Nelson Rauda, El Faro, via X)  

Die Tatsache, dass am Wahlabend keine amtlichen Hochrechnungen vorlagen, hinderte Nayib Bukele nicht daran, kurz vor 19 Uhr den Wahlsieg zu verkünden: „Nach den uns vorliegenden Zahlen haben wir die Präsidentschaftswahlen mit mehr als 85 Prozent und mindestens 58 der 60 Sitze des Parlaments gewonnen“ schrieb er auf dem Nachrichtendienst X und lud seine Anhänger*innen zur Wahlparty mit extravaganter Lichterschau auf den Platz vor dem Nationalpalast ein. Der alte und neue Präsident verkündete vor enthusiastischen Fans, die den Platz vollständig füllten, das Ende der „falschen Demokratie“ und den Beginn einer neuen Ära zum Rhythmus des Songs der US-amerikanischen Rockband REM „This is the End of the World as We Know it (And I Feel Fine)“. Wenige Tage zuvor hatte bereits Vizepräsident Ulloa in einem Interview mit der New York Times angekündigt: “To these people who say democracy is being dismantled, my answer is yes. We are not dismantling it, we are eliminating it. We are replacing it with something new”.

El Salvadors „neue Ära“: Angriffe auf die Presse als letzten Stolperstein auf dem Weg zur unkontrollierten Macht

Die Wahlergebnisse der Parlamentswahlen lassen immer noch auf sich warten, da sie nun einzeln, Wahlzettel für Wahlzettel, ausgezählt werden müssen. Angesichts der massiven Unregelmäßigkeiten am Wahltag und mangelnder Klarheit, wie und wo die Urnen aufbewahrt wurden, fordern politische Parteien und die nationale Wahlbeobachtungsorganisation Observa El Salvador 24 die Oberste Wahlbehörde auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Integrität der Stimmauszählung sicherzustellen. Dazu bedarf es auch weiterhin internationaler Beobachtung. Es ist noch unklar, wie sich die Wahlbeteiligung oder die von der unabhängigen Presse kurz vor der Presse aufgedeckten Korruptionsskandale der gebeutelten Opposition doch noch ein paar Mandate mehr als erwartet einbringen werden. Dies ändert nichts daran, dass eine überwältigende Mehrheit der Bürger*innen El Salvadors Nayib Bukele – per demokratischem Votum und unter Verletzung der Verfassung - einen Blankoscheck für unkontrollierte Machtausübung jenseits aller rechtsstaatlichen checks and balances ausgestellt hat. Es ist davon auszugehen, dass Bukele nicht nur über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament verfügen wird, sondern eine regelrechte Einparteienherrschaft etabliert und die Versicherheitlichung der Politik – mit Unterstützung von Militärs und Polizei - weiter vorantreiben wird. Die Rede am Wahlsonntag machte in erschreckender Form deutlich, dass seine Strategie der Machtmonopolisierung mit der Pulverisierung der ohnehin bereits schwachen und diskredierten Opposition noch nicht abgeschlossen ist.

Die Pfeile der Regierung richten sich nun auf die „aufrührerischen Medien“, „die den souveränen Mehrheitswillen des Volkes nicht anerkennen möchten und darauf beharren, von Diktatur zu sprechen“, so Vizepräsident Felix Ulloa am Wahltag in einem später gelöschten Beitrag auf dem Social Media Plattform X.

Nach der Gleichschaltung von Justiz, der Etablierung einer Einheitspartei und der Zentralisierung der Kontrolle über die Gemeindeverwaltungen, stellt der unabhängige Journalismus eine letzte Bastion der demokratischen Kontrolle des Machtmissbrauchs von Regierung und Parlament dar. So hatten unabhängige Medien wie El Faro und Factum Korruptionsfälle aufgedeckt, in die Mitglieder von Regierung und Regierungspartei verwickelt sind und die Erfolgsstory der Politik der harten Hand demontiert, indem sie Geheimverhandlungen der Regierung Bukele mit den maras aufdeckten.

Kurz vor den Wahlen veröffentlichte El Faro eine Recherche über eine Verschwörung der Regierung mit einem Gang-Mitglied, das dem Chef der Polizeieinheit zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens versprochen hatte, durch seine guten Verbindungen zum berüchtigten mexikanischen Drogenkartell Jalisco Nueva Generación einen Kronzeugen der Geheimverhandlungen in Mexiko aufzuspüren und nach El Salvador „rückzuführen“.

Der Hippster-Autokrat Bukele, der über nahezu sechs Millionen Anhänger*innen auf dem Nachrichtendienst X verfügt, hat ganze Armeen von Trollen beschäftigt, die bis zu zwanzig Stunden täglich aktiv sind, um die unabhängige Presse und andere Kritiker*innen zu verunglimpfen. Anfang 2022 wurde bekannt, dass 22 Mitglieder des investigativen Nachrichtenportals El Faro sowie weitere Journalist*innen wiederholt und systematisch mittels der Spyware Pegasus ausgespäht worden sind. El Salvador - seit nahezu zwei Jahren im Ausnahmezustand - entwickelt sich zunehmend zu einem Überwachungsstaat. Brachiale, martialische Gewalt und das mittelalterlich anmutende Zur-Schau-Stellen von zusammengepferchten (vermeintlichen) Kriminellen (den maras) - auf Fotos von bedrückender ästhetischer Brutalität in den sozialen Netzwerken millionenfach geteilt – werden mit subtilen Überwachungstechnologien gepaart. Nicht zufällig erinnert die Bauweise des Hochsicherheitsgefängnisses an ein Panoptikum. Besorgniserregend ist insbesondere die Tatsache, dass die Normalisierung des Ausnahmezustandes und die damit verbundene Aussetzung grundlegender Rechte von einem Großteil der Bevölkerung nicht nur hingenommen, sondern geradezu gefeiert wird. Die „falsche Demokratie“ konnte die Sicherheit der Bürger*innen nicht garantieren. In der „neuen Demokratie“ werden die Grundrechte auf dem Altar der Sicherheit geopfert. Demokratisch ist das nicht, neu auch nicht, zumindest, was die Elemente der Militarisierung der Politik, der Aushebelung der Gewaltenteilung und den Einsatz populistischer Herrschaftsinstrumente angeht. Was Anlass zur Sorge gibt, ist die Tatsache, dass diese Form des punitiven Populismus nicht nur innerhalb El Salvadors höchst populär ist, sondern von den Autokrat*innen der Region zunehmend als Exportmodell gefeiert wird.