Jungsein im Senegal – Trotz Mehrheit keine Stimme

Analyse

Dreiviertel der Menschen im Senegal sind unter 35. Regiert werden sie von weitaus älteren Politiker*innen. Viele der Jungen fühlen sich daher vom politischen System ausgeschlossen, wenden sich enttäuscht ab oder engagieren sich anderweitig sozial. Kurz vor den Präsidentschaftswahlen versuchen viele Parteien, die senegalesische Jugend für sich zu gewinnen - mit Erfolg?

Plakat an Straße zu Präsidentschaftswahlen im Senegal

Nirgendwo wird die Diskrepanz zwischen der Bevölkerung und der politischen Elite im Senegal so deutlich wie bei einem Altersvergleich. Laut der letzten Volkszählung 2023 sind mehr als 76 Prozent der 18 Millionen Einwohner*innen unter 35 Jahre alt. Dieser großen Mehrheit junger Menschen steht eine alte Politelite gegenüber, die bislang an der Macht festhält. „Echte" junge Politiker*innen (d. h. Personen im Alter von 35 Jahren oder jünger), die führende Positionen innehaben, gibt es im Senegal kaum. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Politik bei den jungen Menschen einen schlechten Ruf hat und etablierte Parteien auf sie wenig attraktiv wirken.

Die Vertrauenskrise in die Politik hat mehrere Ursachen. Politiker*innen werden zunehmend lauter und öffentlicher von der Jugend beschuldigt, nicht moralisch oder vorbildlich zu handeln. Korruption, Klientelismus oder das Phänomen der "politischen Transhumanz" (Wechsel von der Opposition zur regierenden Mehrheit) sind für viele nicht länger hinnehmbar. Den politischen Eliten werden wiederholt Lügen, das Zurücknehmen bereits gemachter Aussagen ("wax waxeet") oder Gleichgültigkeit gegenüber den Bedürfnissen der Bevölkerung vorgeworfen. Aufgrund ständiger Intrigen und einer Vielzahl von Skandalen steht inzwischen fast die gesamte politische Klasse unter dem Generalverdacht, sich durch Manipulation persönliche finanzielle Vorteile zu verschaffen. Darüber hinaus haben viele junge Menschen den Eindruck, dass politische Parteien die Rede- und Handlungsfreiheit ihrer Mitglieder unter dem Vorwand der Parteidisziplin einschränken, was bei Nichtbeachtung zu Einbußen von Privilegien oder einem Parteiausschluss führen kann. Die undurchsichtige Funktionsweise, der Mangel an innerer Demokratie sowie die große Anzahl von Parteien – inzwischen gibt es über 300 Parteien im Senegal – haben das Misstrauen in das Parteiensystem verstärkt.

Schließlich haben auch die zahlreichen uneingelösten Versprechen von Präsident Macky Sall zur Politikverdrossenheit der Jugend beigetragen. Während seiner Amtszeit versprach der Präsident den Senegales*innen mehrfach die Schaffung von hunderttausenden Arbeitsplätzen. Diese selbstgesteckten Ziele wurden jedoch nicht erreicht. Der politische Kommentator Issa Cissé sagte dazu vor kurzem: "Es ist bedauerlich, wenn junge Menschen zu Maurern oder zu Sicherheitspersonal ausgebildet werden und mit einem Monatsgehalt von gerade einmal 50.000 FCFA (ca. 76 €) eingestellt werden. Die Regierung brüstet sich damit, ein Beschäftigungsprogramm geschaffen zu haben und verbucht Tagelöhner und Saisonarbeiterin ihrer Bilanz (...). Außerdem bin ich empört, wenn ich all diese Kinder zur Schule gehen sehe, all diese Studenten, die nach 17 bis 20 Jahren ihres Lebens in der Schule und im Studium letztendlich in völliger Arbeitslosigkeit enden" (Issa Cissé, Juli 2023).

Die senegalesische Jugend: Objekt politischer Begierde

Aufgrund ihres beträchtlichen Wähler*innen-Anteils werden junge Menschen von den politischen Parteien im Senegal zunehmend umworben. Die Stimmen der Jugend können wahlentscheidend seien. Bei den letzten Kommunalwahlen 2022 stimmten viele junge Menschen für die Opposition. Besonders bemerkenswert war der Sieg des 34-jährigen Seydina Issa Laye Thiaw bei den Bürgermeisterwahlen in Yoff. Er besiegte einen Minister, der die Partei von Präsident Macky Sall mitbegründet hatte, und bewies damit, dass die Stimmen der Jugend nicht nur das Zünglein an der Waage sind, sondern die politische Landschaft verändern können.

In Bezug auf die Präsidentschaftswahlen 2024 wird der senegalesischen Jugend in den Programmen der verschiedenen Kandidat*innen unterschiedlich viel Platz eingeräumt. Eine Konstante bleibt jedoch bestehen: Die zentralen Vorschläge, die an sie gerichtet werden, betreffen in erster Linie das Thema Beschäftigung und Arbeit. Alle politischen Parteien streben eine verstärkte Förderung wichtiger Bereiche wie Bildung, Unternehmertum, Landwirtschaft, Informationstechnologie (IT), Industrie und Kultur an. Zusätzlich zu diesen Wahlversprechen gibt es auch strukturelle Bemühungen, den jugendlichen Enthusiasmus in die etablierten politischen Parteien zu integrieren und zu nutzen. Dabei geht es sowohl darum, innere Parteistrukturen zu beleben als auch darum, das eigene Mobilisierungspotenzial auf der Straße zu vergrößern.

Die Parteien im Senegal verfolgen dabei vielfältige Strategien, um junge Menschen anzusprechen. Ein zentraler Aspekt des politischen Diskurses ist die wiederholte Betonung ihres enormen Potenzials für die Entwicklung des Landes. Dabei wird für einen Generationenwechsel geworben und auf die vermeintlich junge Zusammensetzung innerhalb der Parteien verwiesen. Auch die Gründung mehrerer Jugendorganisationen wird als ein Zeichen für innere Reformen angeführt. Einige Parteien haben Mitgliederwerbekampagnen durchgeführt, die speziell auf junge Menschen zugeschnitten waren. Nach dem Beitritt zu einer politischen Partei setzt bei vielen jungen Menschen jedoch schnell Ernüchterung ein. Viele machen die Erfahrung, dass der Parteiapparat vollständig von älteren Mitgliedern dominiert wird und kaum Raum für die aufstrebende Generation bietet. Tatsächlich betrachtet die alternde politische Klasse junge Mitglieder oft als unerfahren und sieht sie nicht als gleichwertig an. Trotz potenzieller Wahlerfolge scheint die traditionelle politische Elite weiterhin misstrauisch gegenüber der Jugend zu sein, die als Rivalen statt als Verbündete gesehen werden. In einem kulturellen Kontext, in dem Konflikte zwischen den Generationen nach wie vor negativ konnotiert sind, wird die Situation noch komplexer. Der Zugang junger Menschen zu politischen Ämtern hängt dabei oft von der Unterstützung eines Mentors oder einer Mentorin ab.

Eine Ausnahme im großen Spektrum der senegalesischen politischen Parteien bildet jedoch die inzwischen aufgelöste Partei PASTEF (Les Patriotes du Sénégal pour le Travail, l'Éthique et la Fraternité). Sie sticht durch ihre junge Anhängerschaft und ihre starke Fähigkeit zur Massenmobilisierung hervor. Die Partei, die von dem relativ jungen Oppositionspolitiker Ousmane Sonko (49 Jahre) gegründet wurde, zeichnet sich dadurch aus, dass viele junge Sengales*innen in den Führungsgremien eine wichtige Rolle spielen. Auf ihrer Website wirbt PASTEF damit, dass sie als eine Partei ist „von jungen Führungskräften (...) gegründet wurde, die zum größten Teil noch nie Politik gemacht haben." PASTEF bricht nicht nur personell, sondern auch inhaltlich mit der traditionellen Politik. Ihre national-souveränistische Haltung, die vor allem die Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich neugestalten möchte, findet bei jungen Wähler*innen großen Anklang. Im Vergleich zu anderen Parteien, nutzt PASTEF außerdem erfolgreich soziale Medien als Mittel der politischen Kommunikation. Beispielsweise wurde das Projekt "500-tausend Patrioten" 2021 gestartet und rief Erstwähler*innen, Student*innen und Sympathisant*innen der Partei auf, sich für die Wahlen registrieren zu lassen.

Ende Juli 2023 löste der Präsident wegen vermeintlicher Aufrufe zum Volksaufstand PASTEF per Dekret auf. Obwohl der rechtliche Rahmen der Partei nicht mehr existiert, hat sich der politische Geist und die gesellschaftliche Dynamik um den aktuellen Präsidentschaftskandidaten Bassirou Diomaye Faye neu gebildet, der vom umstrittenen Osmane Sonko unterstützt wird und Chancen hat, die Wahlen für sich zu entscheiden.

Jenseits der Parteipolitik, dennoch eine bedeutende soziale und politische Kraft

Die bisherigen Angebote und Annäherungsversuche der politischen Parteien an die Jugend scheinen bislang wenig erfolgreich zu sein. Im Mai 2021 war die Hälfte der 18- bis 25-Jährigen nicht im Wähler*innen-Verzeichnis registriert. Im Gegenteil: Bei den 18- bis 20-Jährigen sank die Registrierungsrate sogar um 10 %, was laut der nationalen Statistikbehörde (ANSD) mehr als einer Million Stimmen entspricht. In Anbetracht des Misstrauens gegenüber den politischen Parteien, ziehen viele junge Leute es vor, sich außerhalb von Parteistrukturen gesellschaftlich zu engagieren. Besonders soziale Bewegungen, die sich selbst als unpolitisch oder parteiübergreifend betrachten, finden großen Zulauf. Da Bürger*innen-Bewegungen als weniger korrupt, transparenter, demokratischer und effizienter als die Parteipolitik gelten, stellen sie für viele, die sich ohne die Zwänge politischer Strukturen engagieren wollen, ansprechende Alternativen dar.

Im Jahr 2014 wurde beispielsweise in Ngor (Bezirk von Dakar) eine Liste junger Bürger*innen, darunter Unternehmer*innen und Sozialarbeiter*innen, ohne Parteizugehörigkeit oder politischen Hintergrund bei den Kommunalwahlen gewählt. Bürgerschaftliches Engagements dient der Jugend gleichzeitig als Ausdrucksmittel für ihren Protest sowie für ihre politischen Forderungen. Ein junger Gründer einer Bürgervereinigung brachte dieses Phänomen treffend wie folgt auf den Punkt: "(...) Seit zehn Jahren rate ich jungen Menschen davon ab, in politische Parteien einzutreten, da diese eine Maschine der Zustimmung und des politischen Karrierismus sind und dies für das demokratische Klima schädlich ist. Stattdessen brauchen wir viele Verbände, soziale Bewegungen und Vereine, die sich für Dinge wie die Umwelt einsetzen" (Aliou Kane, Dezember 2023). Protestbewegungen wie "Y'en a marre", die „Front pour une Révolution Anti-impérialiste, Populaire et Panafricain“ (FRAPP) oder das Kollektiv „Noo Lànk“ zeigen zudem, wie soziale Bewegungen maßgeblich gestaltende Akteure und Ausgangspunkte für politischen Wandel werden.

Politische Parteien und zivilgesellschaftliche Bewegungen sollten daher nicht gegeneinander ausgespielt werden. Letztere können sich für gemeinsame Ziele und Interessen zusammenschließen, wie es die Plattform "Forces vives de la nation" (F24) erfolgreich getan hat. Seit 2022 engagiert sie sich gegen eine dritte Amtszeit von Präsident Macky Sall. Zivilgesellschaftliche Organisationen können darüber hinaus das Sprungbrett für junge Menschen sein, um den Übergang in eine Karriere als gewählte Volksvertreter*innen zu schaffen, wie im Fall von Fadel Barro, Mitbegründer von "Y'en a marre", der 2022 für das Bürgermeisteramt von Kaolack und anschließend für die Präsidentschaftswahlen 2024 kandidierte. Die Durchlässigkeit der Grenze zwischen zivilgesellschaftlichem und politischem Engagement bietet daher im Senegal einen neuen Ansatz zur Mobilisierung der Jugend für das öffentliche Gemeinwohl.

Übersetzt aus dem Französischen von Sina Al-Janabi und Fabian Heppe.


Malado Agne ist Dozentin und Forscherin an der Fakultät für Rechtswissenschaften und Politikwissenschaften an der Universität Cheikh Anta Diop in Dakar. Sie hat  in Rechtswissenschaften promoviert. Sie ist auch Beraterin und Ausbilderin auf den Gebieten der Migrationsgovernance, der Menschenrechte, der Demokratie und schließlich der Geschlechterfragen.