Flüchtlingsschutz in Europa: Aktuell geschwächt, in Zukunft ausgehöhlt?

Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) will die sogenannte irreguläre Migration eindämmen. Insbesondere die Ausweitung der «sicheren Drittstaaten» und Grenzverfahren wie die «Fiktion der Nichteinreise» bedrohen fundamentale Asylrechte.

Jahrelang bemühten sich die Europäische Kommission, die EU-Mitgliedsländer und das Parlament um eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Bis vor Kurzem waren die Reformversuche wegen der sehr unterschiedlichen Positionen erfolglos. Im Herbst 2020 hatte die Kommission ein umfangreiches Paket mit Reformvorschlägen für ein «neues Migrations-und Asylpaket» vorgelegt. Im September 2022 einigten sich Rat und Parlament auf eine Roadmap mit dem Ziel, Verhandlungen noch vor der nächsten Europawahl abzuschließen. Tatsächlich konnten Rat und Europaparlament am 20. Dezember 2023 in den unter großem Druck durchgeführten Trilogverhandlungen eine politische Einigung erzielen, bei der sich der Rat weitgehend durchgesetzt hat. Das nun beschlossene Reformpaket ist von dem Konsens geprägt, die sogenannte irreguläre Mi­gration einzudämmen. Tritt es in Kraft, wird es das bestehende Asylsystem weitreichend verändern, mit massiven Folgen für Asylsuchende sowie auch für die EU-Mitgliedstaaten.

Das Reformpaket und die Trilogverhandlungen

Die Vielzahl von Gesetzesänderungen sind jeweils für sich genommen schon komplex, durch den Paketansatz aber noch schwerer zu bewerten, da sich viele Teilbereiche aufeinander beziehen und gegenseitig bedingen. Die Unübersichtlichkeit der Materie hat durchaus politische und praktische Implikationen: Eine kritische Begleitung der Verhandlungen durch Rechtshilfeorganisationen, Anwält*innen, Sozialarbeiter*innen, die in der Praxis täglich EU-Recht anwenden, war durch den vielschichtigen und intransparenten Prozess kaum möglich. Dabei wäre sie angesichts des schlechten Ist-Zustandes europäischer Asylpolitik eigentlich unabdingbar gewesen. Es gibt im Wesentlichen drei Aspekte des Paketes, die besonders hervorzuheben sind:

– Die von der Kommission vorgeschlagenen und im Trilog beschlossenen Grenzverfahren sollen unter der sogenannten Fiktion der Nichteinreise stattfinden, das heißt, ähnlich wie beim deutschen Flughafen­verfahren würde EU-Boden extraterritorial behandelt. Besonders gravierend dürfte sich die Kombination mit der sogenannten Krisenverordnung auswirken, die vorsieht, dass in Zeiten von «höherer Gewalt» oder «Instrumen­talisierung» Ausnahmeregeln gelten sollen, die das Recht auf Asyl zusätzlich einschränken würden und die eine noch längere Inhaftierung Geflüchteter in Grenzverfahren zur Folge hätten.

– Die Ausweitung des Konzepts der sogenannten sicheren Drittstaaten. Hier drohen eine weitreichende Externalisierung des Flüchtlingsschutzes sowie eine Absenkung der Kriterien, die ein Staat erfüllen muss, um als «sicher» zu gelten. Gerade in Kombination mit den Grenzverfahren ist davon auszugehen, dass Betroffene gegen entsprechende Entscheidungen rechtlich nicht oder kaum werden vorgehen können. 

– Schließlich ist der Aspekt der Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU ein wichtiger Baustein der GEAS-Reform. Die jüngst getroffene Einigung hält trotz aller Kritik an dem Prinzip der Dublin-Verordnung, also der Zuständigkeit des Ersteinreiselandes, fest. Zwar soll es einen Solidaritätsmechanismus zwischen den EU-Mitgliedstaaten geben, dieser soll aber finanzielle Zahlungen als Alternative zur Aufnahme von Schutzsuchenden beinhalten (20.000 € für jeden nicht aufgenommenem Geflüchteten). Die Gelder sollen auch für das sogenannte Migrationsmanagement, also zum Beispiel für Rückführungen, verwendet werden.

Das Recht auf Asyl ist eine zivilisatorische Errungenschaft

Noch haben wir einen relativ hohen Rechtsstandard in der EU, der aber zum Leid vieler Geflüchteter häufig nicht eingehalten wird. Nun scheint sich im Zuge der GEAS-Reform der Rechtsrahmen an die bereits bestehende diskriminierende und teils brutale Praxis einiger Mitgliedstaaten anzupassen. Somit droht der Abbau von Flüchtlingsschutz in Europa auch auf dem Papier und nicht mehr nur de facto. Noch gilt: Jeder Mensch hat das Recht, Schutz zu ersuchen, und darauf, dass sein Asylbegehren in einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren geprüft wird. Dieses Recht ist eine zivilisatorische Errungenschaft und nicht zuletzt auch eine historische Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, als es Millionen Menschen vorenthalten wurde.

Zahlreiche Expert*innen und Aktivist*innen in ganz Europa, darunter Partner­organisationen der Heinrich-Böll-Stiftung, setzen sich dafür ein, dass dieses Recht gewährt wird. Gerade vor dem Hintergrund der nun beschlossenen Reform wird dieser Einsatz umso wichtiger. Auch in Zukunft gilt es Menschenrechte und den Schutz von Geflüchteten in Europa zu wahren, gerade angesichts des ausgehöhlten EU-Rechts.


Neda Noraie-Kia leitet seit 2020 das Regionalprogramm «Migration und Flucht» der Heinrich-Böll-Stiftung in Thessaloniki. Sie ist Politikwissenschaftlerin und arbeitete zuvor fünf Jahre als wissen­schaftliche Mitarbeiterin und Büroleiterin für Luise Amtsberg, damals flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. 

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