Die Europäische Union: Gemeinsam stärker

Atlas

Die Lebensstandards in ihren Mitgliedsländern anzugleichen ist ein Ziel der Europäischen Union. Binnenmarkt, Umverteilung staatlicher Gelder, Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Euro sind dafür besonders wichtig. Der Austritt Großbritanniens hat aber gezeigt, dass
das Modell kein Selbstläufer ist.  

Umgestaltung der EU-Wirtschaft für eine nachhaltige Zukunft  nach Plänen der Europäischen Kommission
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Ob sich aus den Zielen und Vorgaben des Green Deal eine Wachstumsstrategie für Europas Unternehmen ergibt, hängt von der Umsetzung der Maßnahmen ab.

Deutschland pflegt enge wirtschaftliche Beziehungen zu anderen europäischen Staaten und ist mit etlichen von ihnen politisch über die Europäische Union (EU) verbunden. Das Bündnis aus aktuell 27 Ländern hat mit seinen Kernprinzipien Demokratie, Freiheit und Wahrung der Menschenrechte auch als Werte- und Friedensgemeinschaft einen hohen Wert für Deutschland.

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Der Wirtschaftsatlas 2024

Die Klimakrise, schwindende Ressourcen und Umweltverschmutzung fordern einen Wandel. Unternehmen und Banken müssen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung priorisieren. Neue Gesetze sollen Verschwendung stoppen und die Infrastruktur modernisieren. Der Wirtschaftsatlas 2024 der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert die Maßnahmen und gibt einen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit der ehemaligen „Erzfeinde“ Frankreich und Deutschland mit weiteren Staaten eines der größten Friedensprojekte aller Zeiten. Die EU ist auch deshalb attraktiv für Beitritte, weil reichere EU-Staaten ärmere im Rahmen des EU-Haushalts finanziell mit dem Ziel unterstützen, eine Annäherung der Lebensstandards zu erreichen. Dazu trägt neben der geografischen Nähe vor allem der europäische Binnenmarkt bei. Denn in ihm gilt nicht nur Zollfreiheit, sondern es ist möglich, ein hier zugelassenes Produkt ohne Neuzulassung auch in anderen EU-Staaten zu verkaufen. Außerdem können die Menschen im Rahmen der Freizügigkeit in allen EU-Mitgliedstaaten arbeiten. Diesen Vorteil bieten viele andere regionale Staatengemeinschaften, wie etwa ASEAN und Mercosur, noch nicht. Durch die Einführung des Euro in den meisten Mitgliedsländern lassen sich Güter zudem besser handeln, da die Wechselkursunterschiede wegfallen. Allerdings geriet die Währungsunion nach 2009 an ihre Grenzen, nachdem die Euro-Staaten zuvor über ihre Verhältnisse und auf Pump gelebt hatten. Als Reaktion darauf hat man sinnvolle neue Anti-Krisen-Mechanismen geschaffen. 

Dass die EU ihre Kompetenzen zuweilen auch überstrapaziert, trug mit zum Austritt Großbritanniens mit Nordirland bei. Ein wichtiges Argument der Brexit-Befürworter*innen war, die Kontrolle zurückzugewinnen („take back control“). Der EU-Austritt hat sich jedoch negativ auf die britische Wirtschaft und den Handel ausgewirkt. Der deutsch-britische Außenhandel schrumpfte zwischen 2015 und 2021 um fast ein Viertel von 127 Milliarden Euro auf nur noch 97 Milliarden Euro. Das Vereinigte Königreich fiel damit von Rang 3 auf 8 unserer wichtigsten Handelspartner.  

Kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf im Jahr 2022, in Dollar
Spitzenreiter Luxemburg, das zweitkleinstes Land Europas, verdankt seinen Reichtum dem Finanzsektor, der mit günstigen Steuern Anleger*innen anlockt.

Zudem zeigen sich in zentralen Fragen immer wieder problematische Unterschiede, wie etwa bei der Verschuldung der Staaten, der Korruptionsbekämpfung und teils sogar bei grundlegenden demokratischen Prinzipien wie Gewaltenteilung und Medienfreiheit. Die EU hat darauf reagiert und die Möglichkeiten zu Sanktionen erweitert. So kann sie seit einigen Jahren bei solchen Verstößen den Zugang zu Geldern aus dem EU-Haushalt sperren oder einschränken, wie das etwa bei Ungarn und Polen zeitweise der Fall war oder angedroht wurde. 

Die EU-Mitglieder brauchen einander, weil in zentralen Politikbereichen mit ihren grenzüberschreitenden Wirkungen das Wohl aller durch ein isoliertes Agieren kaum zu erreichen ist – etwa im Klimaschutz, bei Verkehr und Energie und im Handel. Der Green Deal von 2019, die auf lange Frist angelegte Klimaschutz- und Energiepolitik der EU, ist das wohl bedeutendste Beispiel. Doch es wird auch diskutiert, ob die Europäische Kommission – quasi die Regierung der EU – zu viele Befugnisse an sich zieht. Besonders in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik würde die Kommission, so die Kritik, gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen, weil hier das dezentrale Handeln der EU-Mitgliedstaaten rechtskonform wäre. Wie jede Bürokratie tendiert man auch in Brüssel dazu, zu viele Regeln zu schaffen und die eigenen Kompetenzen immer weiter auszubauen.  

Andererseits ist ein geeintes europäisches Handeln entscheidend angesichts heraufziehender Hegemonialkonflikte zwischen Demokratien und Autokratien (etwa zwischen den USA und China), des Kriegs in der Ukraine und nach der Erfahrung mit der Corona-Pandemie. Denn wirtschaftliche Abhängigkeiten, wie die von russischem Gas oder von Chinas Industrie, können den Handlungsspielraum der EU empfindlich einschränken. Daher strebt man eine strategische Autonomie an: Diversifizierung, also die breite Streuung der Handelspartner und Rohstofflieferanten, ist essenziell dafür, solche Abhängigkeiten zu mindern. 

Da die EU-Kommission in Brüssel für die Handelspolitik der Gemeinschaft zuständig ist, kann sie bei Verhandlungen über Freihandelsabkommen das große wirtschaftliche Gewicht des Binnenmarkts in die Waagschale werfen – und auch eine verlässliche Rechtssicherheit sowie die relativ geringe Korruption. Das gelingt gerade bei wichtigen Schwellenländern noch zu wenig, weil diese Stärken aus Sicht potenzieller Partner nicht mehr genug Mehrwert bieten, um die hohen Nachhaltigkeitsforderungen der EU aufzuwiegen. Und das hat Folgen: So schrumpfte der Anteil der EU an der globalen Wirtschaftsleistung von über 25 Prozent vor der Finanzkrise im Jahr 2008 auf nur noch gut 16 Prozent im Jahr 2022.