Von der Schwierigkeit zu sterben

Panel mit Dr. Jörg Antoine, Prof. Dr. Rosemarie Will, Prof. Dr. Reinhard Merkel, Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik.
Bild: Heinrich-Böll-Stiftung/xpress. Lizenz: Creative Commons BY-SA 2.0. Original: Flickr.

6. Mai 2011
Dorit Kowitz
Im Grunde fleht Michael de Ridder um Gnade. Er fleht darum, dass Deutschland seinen tödlich kranken Schwerleidenden endlich den Weg ebnet, damit sie ihrem Leben ein Ende setzen können, wenn sie es wollen. Schmerzfrei sollen sie es tun können, selbstbestimmt, menschlich und, weil es anders oft nicht mehr geht im „terminalen Stadium“ eines Menschenlebens, mithilfe von Medizinern.

De Ridder ist Arzt und einst angetreten, um zu heilen und Leben zu retten. Und er tut das noch, täglich, als Internist, Notfallspezialist und Chefarzt der Rettungsstelle des Berliner Vivantes-Klinikums „Am Urban“. Er ist noch dazu Vorsitzender einer Stiftung für Palliativmedizin, die unheilbar Kranken ein so schmerzarmes Sterben wie nur möglich zu verschaffen sucht. Vielleicht gerade darum aber veröffentlichte de Ridder letztes Jahr die viel beachtete Streitschrift „Wie wollen wir sterben?“ Und fragte auch diesmal: „Sind wir als Gesellschaft mitfühlend genug, aussichtslos Kranken, die optimale Therapie und Zuwendung erfahren und dennoch weiter leiden, zu gestatten, mit ärztlicher Hilfe ihr Leben zu beenden?“ Es ist sein Appell an die Gesellschaft, ihre Standesordnungen und Strafrechtsparagrafen an die tatsächlichen Zustände in den Hospitälern und Hospizen des Landes anzupassen. Aber so einfach geht das eben nicht, nach wie vor.

„Die Freiheit zu sterben“ stand über der Tagung, die die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit der Humanistischen Union und der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) am 14. April in Berlin veranstaltete – vier Jahre nach dem ersten erfolgreichen Vorstoß zugunsten der verbindlichen Patientenverfügung im Jahr 2007. Die „Freiheit“ im Zusammenhang mit dem eigenen Tod aber kann man nach wie vor als Provokation nehmen – oder als Vision. Denn wer in Deutschland sterben möchte und aus großem Leid heraus allen Grund dazu hat nach Ansicht seiner Ärzte, Angehörigen und Pfleger, darf dabei noch immer nicht auf aktive Hilfe zählen – oder er muss ins Ausland gehen. „Der assistierte Suizid“ ist, juristisch gesehen, noch immer der „Tod auf Verlangen“, der nach Paragraf 216 Strafgesetzbuch geahndet wird.

Die Deutschschweizerin Elke Baezner, Vorsitzende der DGHS, verdeutlichte die Widersprüche im deutschen Recht: „Ich darf einem Todkranken einen Strick geben. Aber ich darf ihm keine Medikamente aushändigen, die sein Leid schmerzfrei beenden könnten.“

Warum das, auch, gute Gründe hat, versuchten gleich vier Jura-Professoren zu begründen, alle Spezialisten in Sachen Sterbehilfe – und alle unterschiedlicher Auffassung, was man wann darf in diesem Land und was nicht. Es wurde deutlich, dass sich die beschworene „Freiheit“ zu sterben nirgendwo findet in den Grundrechten und den deutschen Gesetzen und sich darum anders begründen - oder verneinen - lassen muss: mit dem Recht auf Leben (wozu es aber keine Pflicht gäbe), mit der Menschenwürde (die auch beim Sterben unantastbar sei) oder dem Selbstbestimmungsrecht. Darum bleibt die Lage verworren – unsicher für die Ärzte, Auslegungssache für die Richter, bitter für die Sterbenskranken. Weil zwischen diesen Gruppen das Vertrauen im Schwinden sei, so Andreas Poltermann von der Heinrich-Böll-Stiftung, müsse das Recht weiterentwickelt werden.

Der Hamburger Professor Reinhard Merkel beschrieb in Berlin das wacklige juristische Gerüst, an dem sich jeder Intensiv- oder Palliativmediziner entlang hangelt, wenn er etwa tödlich kranken Schmerzpatienten wachsende Morphindosen geben muss, an deren Folgen der Kranke – auch - sterben kann. Der Arzt dürfe den Tod des Patienten zwar in Kauf nehmen, um zuvor sein Leid zu mildern, denn zu helfen sei seine Pflicht. Aber dabei befinde sich dieser Arzt, juristisch, in einem „gerechtfertigten Notstand“. „Ob der Arzt dabei denkt: Hoffentlich hat das schlimme Leiden bald ein Ende! Oder aber: Hoffentlich passiert nichts!, ist dabei völlig unerheblich“, sagte Merkel.

Aber reicht das, um die schwere Last solcher Entscheidungen zu tragen? Karl-Ludwig Kunz, Strafrechtsprofessor und Kriminologe an der Universität Bern, benannte die Probleme, die sich in der Schweiz türmen, seit man sich dort „begleitet“ das Leben nehmen darf, oder: nehmen lassen darf. Nicht nur die vielen Sterbetouristen aus Deutschland und anderswo verstören im Alpenstaat. Mit zunehmender Zahl der begleiteten Suizide und der Kommerzialisierung der Sterbehilfe stellt man in Kunz’ Wahlheimat die Kriterien infrage: Welche Ärzte dürfen die tödlichen Mittel verschreiben? Wer kontrolliert sie eigentlich? Und wer kontrolliert die Helfer und Anbieter? Sind Depressive und Demente gefährdet durch das geltende Recht?

Während sich in Deutschland die Kirchen und Teile der Ärzteschaft mit moralischen, religiösen und ethischen Zweifeln gegen Reformen in der Sterbehilfe sträuben, scheint es in der Schweiz anders herum zu sein: Jüngste Versuche des Kantons Zürich, in Absprache mit der Staatsanwaltschaft strengere und klare Rahmenbedingungen für den ärztlich assistierten Suizid zu schaffen, wurden von Gerichten kassiert, berichtete Kunz. Für den Sommer ist ein Gesetzentwurf angekündigt, der explizit regeln soll, was bisher von Vertrauen und Pragmatismus getragen wurde.

Dass die Referenten aus Zeitmangel kaum über die Sterbehilfe für jene Menschen sprachen, die nicht mehr – oder noch nicht – selbst entscheiden können, ob sie aus dem Leben gehen wollen, sorgte für Seufzer des Bedauerns im Publikum. Denn die Mediziner, Juristen und Vertreter der Hospizbewegung unter den 150 Gästen interessierte genau das brennend: was mit den Schwerkranken geschehen soll, die nicht Herr ihrer selbst sind – den Kleinkindern, den Demenz- oder Alzheimerkranken, den Unfallopfern im Koma zum Beispiel. Immer wieder kreisten Fragen und Debattenbeiträge um Demenzkranke: Wirkt die Patientenverfügung eines Dementen noch, die er zehn Jahre zuvor als Gesunder verfasst hatte? Das sind stets unendlich schwierige Einzelentscheidungen, die aber einer Reform des Strafrechts und einer Anpassung der Berufsordnung nicht widersprechen.

Die Grenzen und Fehlerquellen in der gewünschten wie gefürchteten „Freiheit“ des Sterbens illustrierte Walter Schaffartzik so nüchtern wie dramatisch. Schaffartzik, Ärztlicher Leiter am Unfallkrankenhaus Berlin, hielt einmal die Patientenverfügung einer alten Dame in Händen. Darin stand, sie wolle keine Apparatemedizin. Zu diesem Zeitpunkt lag die Frau nach einer Operation im künstlichen Koma. Er wusste, schlösse man die Frau jetzt eine Zeitlang an eine Nierenmaschine an, hätte sie Chancen, gesund zu werden. Ohne die Apparate würde sie sterben. Also hat Schaffartzik noch einmal mit den Angehörigen gesprochen. Drei Wochen später fuhr die Dame fidel nach Hause.

Es sind dies die Heilsgeschichten, die den Kritikern der Sterbehilfe Nahrung geben – und die die Unheilbaren Zeit und Schmerzen kosten. Es geht, man weiß es, anders. Die Niederlande haben seit zehn Jahren ein Gesetz, dass aktive Sterbehilfe unter konkreten und strengen Auflagen zulässt – ohne gleichzeitig den Tod auf Verlangen zu dulden. Der Amsterdamer Rechtssoziologe Erhard Blankenburg sagte, Pragmatismus sei der Antrieb der Niederländer gewesen, nach bald 30 Jahren Debatten und Strafprozessen, die Dinge zu regeln – nicht zu liberalisieren, sondern streng zu kontrollieren. Das niederländische Gesundheitssystem mit seiner großen Transparenz und die eigens für die aktive Sterbehilfe ausgebildeten „Scan-Ärzte“ sowie weitere Instanzen für Zweifelsfälle sorgten für eine große Akzeptanz der Sterbehilfe in der niederländischen Gesellschaft. Die Scan-Ärzte, selbst praktizierende Allgemeinmediziner, prüften die Entscheidung jedes Kollegen, will er dem Sterbewunsch eines Patienten nachkommen.

Dieses Gesetz zum „schönen Tod“, dessen griechischer Name „Euthanasie“ für die Deutschen aufgrund ihrer Vergangenheit undenkbar ist, könnte ein Vorbild sein, nicht nur weil es Missbrauch bisher nahezu ausschließt, sondern weil es nicht aus der Politik, sondern aus der Ärzteschaft heraus entstanden ist. „Sie wollte nicht mehr die Polizei und die Staatsanwälte im Haus haben, weil sie einem tödlichen Leiden ein humanes Ende bereitet haben.“ Und, auch das gehöre dazu, sagt Blankenburg und begegnete damit einer Sorge vieler deutscher Ärzte, die sich sträuben, den Tod zu beschleunigen: „Natürlich kann auch bei uns kein Arzt gezwungen werden, das Gesetz anzuwenden.“

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Dorit Kowitz ist freie Journalistin 

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Berichte zur Tagung:

 

Medizinethische Websites zu Vorsorge und vorsorglichen Verfügungen:

Umgang mit Patientenverfügungen in der Palliative Care:

Therapieziel-Änderung in der Palliativmedizin:

Hospizarbeit

Umgang mit Patientenverfügungen in der Intensiv- und Notfallmedizin:

Selbstbestimmung im Dialog - Patientenverfügungen als Kommunikationsinstrument:

Entwürfe zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung und erste Stellungnahmen:

    Fotos der Tagung: Die Freiheit zu sterben

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