Diskurs mit den Piraten

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Studie

Diskurs mit den Piraten

Herbert Hönigsberger und Sven Osterberg

Eine sprachbasierte Lageanalyse und Empfehlungen zu einer Diskursstrategie


Weshalb diese Studie?

Der Hype um den Aufstieg der „Piraten“ hat sich mittlerweile wieder gelegt. Die junge Partei ist in den Mühen der Ebene angekommen und scheint vor allem mit sich selbst beschäftigt. Dennoch sollte man sie nicht vor der Zeit abschreiben. So oder so lohnt es, der Frage nachzugehen, was diese neue Formation antreibt und worauf sie abzielt. Auch andere politische Kräfte können daraus womöglich etwas lernen. Die vorliegende Studie wählt dafür einen ungewöhnlichen, aber aussagekräftigen Ansatz: Sie fragt, wovon die Piraten reden. Der Diskurs, der programmatische „Schwarm“ der Piraten wird verglichen mit der politischen Kommunikation der Grünen. Schließlich wird nach möglichen Folgerungen für eine Diskursstrategie gegenüber der Piratenpartei gefragt.

Als die Piraten in den Meinungsumfragen nach oben schossen, wurde vielfach vermutet, sie seien die erste ernstzunehmende neue Partei seit Gründung der Grünen (von der Linkspartei sehen wir hier ab, ihre Wurzeln gehen noch in die DDR zurück). Gelegentlich war das mit der Spitze verbunden, sie lösten die Grünen als Protestpartei ab. In der Tat erinnert vieles an die Anfangszeiten der Grünen. Die Piraten kommen antiautoritär daher und betonen das Anti-Hierarchische, sie wollen gerade keine konventionelle Partei sein. Sie versammeln viele unkonventionelle Typen und pflegen einen amateurhaften Stil, der sich bewusst vom Habitus der Polit-Profis absetzt. Das wirkt auf viele sympathisch - wie lange es trägt, steht auf einem anderen Blatt. Wie die Grünen mit dem Thema Ökologie groß wurden, scheinen die Piraten heute das neue Zeitgeist-Thema zu repräsentieren: die neue Lebenswelt des Internets.  

Für manche, die sich seit Jahr und Tag mit der neuen digitalen Wirklichkeit auseinandersetzen, ist das eine mittelschwere Kränkung. Gerade die Grünen haben sich intensiv mit Fragen digitaler Demokratie, Open Access, Urheberrecht etc. befasst. Aber es bringt nichts, gegenüber den Piraten auf dem Erstgeburtsrecht als Bürgerrechtspartei zu pochen, die das Internet früher als andere entdeckt hat. Die Piratenpartei muss ihr Existenzrecht nicht beweisen – entweder sie wird gewählt oder sie verkümmert  zur Randerscheinung.  Ob sie die Transformation zu einer handlungsfähigen Partei mit einem einigermaßen konsistenten Programm bewältigen wird, ist ja durchaus offen.

Die Grünen entstanden als politisches Kind der sozialen Bewegungen und politischen Proteste der 70er Jahre, ausgehend von großen, gesellschaftlich virulenten Fragen: Umweltschutz, Atomenergie, Krieg und Frieden, Frauenemanzipation. Sie stellten das bisherige Modell technischen Fortschritts in Frage und gaben Minderheiten eine politische Stimme. Ihre Akteur/innen hatten zu großen Teilen einen pädagogischen, geistes- und sozialwissenschaftlichen Hintergrund. Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus kamen politische Akteure dazu, die maßgeblich durch die Bürgerrechts- und Ökologiebewegung der DDR geprägt waren. 

Die Piraten sind ein Kind des Internet-Zeitalters. Daraus speisen sich Lebensgefühl und kultureller Habitus. Sie haben ein positives Verhältnis zu technischer Innovation, sind mit Facebook und Google groß geworden. Ihre Wurzeln liegen auch in der netzpolitischen Bewegung und im Protest gegen Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren. In ihren Reihen finden sich zahlreiche IT-Spezialisten und netzaffine Menschen. Sie übertragen die Prinzipien des Internet auf den politischen Raum: alle können sich beteiligen und im Schwarm Lösungen entwickeln. Damit sind sie Projektionsfläche für eine große Zahl von Menschen, die Parteipolitik und Parlamenten skeptisch gegenüberstehen. Dennoch bleibt offen, ob Netzpolitik und digitale Bürgerrechte  als Konfliktlinie taugen, an der entlang sich eine neue politische Partei dauerhaft etablieren kann. Die spannende Frage ist, ob sich daraus ein spezifischer Zugang zu anderen Politikfeldern – Wirtschaft und Finanzen, Energiepolitik, Verkehr, Stadtentwicklung, Bildung  – gewinnen lässt, wie das bei der Ökologie als Querschnittsthema der Fall ist. Mit Netzpolitik allein dürfte sich jedenfalls kein neuer Pol im Parteiensystem begründen lassen, so relevant Themen wie Informationsfreiheit, Datenschutz, Open Data, Urheberrecht etc. auch sind. Ein Monopol auf diese Themen haben die Piraten nicht.  Ob sie von Dauer sein werden, hängt auch davon ab, wie überzeugend andere Parteien Digital Change-Themen bearbeiten und die Chancen wahrnehmen, die in der Erweiterung der politischen Öffentlichkeit durch das Internet liegen.

Man kann aus ihrer Kommunikation schließen, dass neben Transparenz insbesondere Freiheit ein wichtiger Wert für die Anhänger/innen der Piraten ist. Allerdings ist er bisher nicht konzeptionell übersetzt. Die intensive  Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen kann ein halbwegs konsistentes Konzept gesellschaftlicher Partizipation nicht ersetzen. Auch ihr Demokratiebegriff ist noch vage, er schwankt zwischen Antiparlamentarismus, Romantisierung plebiszitärer Beteiligungsverfahren und Ideen einer netzgestützten kooperativen  Demokratie.  Zu geschlechterpolitischen Fragen findet sich eine Gemengelage zwischen patriarchalen Haltungen und der  Überzeugung, dass die Gleichstellung von Frauen keine Quoten mehr benötige.

Den Grünen ist mit den Piraten eine neue Konkurrenz im Parteienwettbewerb entstanden. Sollten diese 2013 den Sprung in den Bundestag schaffen, untergräbt das nach heutigem Ermessen eine rot-grüne Mehrheit. Gleichzeitig sagen prominente Piraten voraus, dass ihre Partei bis dahin vermutlich nicht koalitionswillig und -fähig sein wird (siehe das Interview mit Marina Weisband im letzten „Böll.Thema“, dem Magazin der Heinrich Böll Stiftung). Es liegt auf der Hand, dass die Bündnisgrünen versuchen werden, eine weitere Aufsplitterung im links-liberal-alternativen Spektrum zu verhindern. Das kann man ihnen nicht verdenken. Dennoch – oder gerade deshalb – sollten sie die Diskussion mit den Piraten suchen, zumal es offenkundige programmatische Überschneidungen gibt.

Gibt es eine spezielle Nähe zwischen Piraten und Grünen? Diese These wird jedenfalls in der vorliegenden Studie vertreten. Dabei ist die Haltung vieler Parteimitglieder und Aktivisten gegenüber den Grünen durchaus ambivalent. Einerseits werden die Bündnis-Grünen als „alternde Spießer, Oberlehrer und Besserverdiener“ beschimpft; zugleich gibt es nach den Erkenntnissen der Studie zu keiner anderen Partei eine solche kulturelle Nähe und politische Schnittmengen. Während es bei anderen Landtagswahlen nur eine geringe Abwanderung von Grün-Wähler/innen zu den Piraten gab, wechselten bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus ca. 17.000 Stimmen vormaliger Grün-Wähler/innen zu den Piraten. Eine gutnachbarschaftliche Kooperation findet man bereits im Europaparlament, wo die schwedischen Piraten-Abgeordneten mit der grünen EP-Fraktion zusammenarbeiten.

Um besser zu verstehen, wovon die Rede ist, wenn wir von den Piraten sprechen, und daraus Anhaltspunkte für einen angemessenen Umgang mit ihnen zu gewinnen, hat die Heinrich-Böll-Stiftung die vorliegende Studie beauftragt. Sie beruht auf einer datengestützten Auswertung des Wort- und Sprachgebrauchs in der internen und programmatischen Kommunikation der Piraten. Die Autoren des Instituts „Nautilus Politikberatung“ entwickeln auf dieser Grundlage eine qualitative Interpretation, aus der sie Empfehlungen ableiten, wie grüne Akteure mit dem neuen Konkurrenten umgehen sollten.

Es liegt in der Natur einer Studie, dass ihre Ergebnisse und Ratschläge im Einzelnen durchaus kontrovers zu diskutieren sind. Wir bedanken uns bei den Autoren für ihre aufwändige Untersuchung und sind zuversichtlich, dass daraus Einsichten und Anregungen für den politischen Diskurs gewonnen werden können.

Ralf Fücks
Vorstand Heinrich Böll Stiftung                

Anne Ulrich
Koordinatorin „Grüne Akademie“

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Die Autoren der Studie sind Herbert Hönigsberger und Sven Osterberg der Nautilus Politikberatung.


Eine sprachbasierte Lageanalyse und Empfehlungen zu einer Diskursstrategie -
Diskurs mit den Piraten
   
Herausgeber/in Heinrich-Böll-Stiftung
Erscheinungsort Berlin
Erscheinungsdatum 24. 2012
Seiten 79
ISBN --
Bereitstellungs-
pauschale
kostenlos


Inhalt

Vorwort
Vorbemerkung der Autoren

A. Einführung in die Studie
1. Ausgangslage
2. Ziele, Fragen, Untersuchungsstrategie und Methodik
2.1 Grundstruktur
2.2 Methodische Details

B Ergebnisse: Eine sprachbasierte Lageanalyse
1. Kernwortschatz und Diskurse
2. Das normative Grundgerüst der Piraten
3. Grundwertediskurs
3.1 Demokratie
3.2 Freiheit
3.3 Transparenz
3.4 Gleichheit
3.5 Solidarität
3.6 Gerechtigkeit
3.7 Nachhaltigkeit
4. Rechtsextreme Sprachmuster
5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
5.1 Die Sprache
5.2 Diskurse
5.3 Der normative Diskurs der Piraten
5.4 Normative Normalisierung
5.5 Nichts Neues
5.6 Vieles strittig – Vieles offen
5.7 Pragmatismus , Ideologie und normativer Diskurs
5.8 Die Lernmaschine
5.9 Wer oder was sind die Piraten?
5.10 Bündnis 90/Grüne und Piraten

C Diskurs mit den Piraten:
Empfehlungen zu einer Kommunikationsstrategie
1. Strategische Prämissen
1.1 Keine strategische Entscheidungssituation
1.2 Die Situation der Piraten
1.3 Die Situation der Grünen
2. Empfehlungen zu einer Kommunikationsstrategie gegenüber den „Piraten“
2.1 Offener und öffnender Diskurs
2.2 Alte Fehler vermeiden
2.3 Eine Chance zur Selbstbefragung
2.4 Innovative Strategie für den Parteienwettbewerb
2.5 Einladung zum Gespräch
2.6 Diskurs mit den Piraten – Diskurs mit der Gesellschaft
2.7 Die Piraten herausfordern
2.8 Nachweis des besseren politischen Angebots
2.9. Diskursschwerpunkte
2.10 Normativer Diskurs in allen Politikbereichen
2.11 Grundwerteorientierte Politik und Pragmatismus
2.12 Grundwertediskurs
2.13 Die normativen Grundfragen
2.14 Netz, Demokratie, Grundwerte
2.15 Über Regieren reden
2.16 Parlamentsdialog
2.17 Wettbewerb um innerparteiliche Demokratie
2.18 Öffentliches Forum
2.19 Bündnisse gegen Rechtsextremismus
2.20 Inszenierung der eigenen grünen Geschichte

D Datenmaterial und Grafiken

Video

Podiumsdiskussion zur Studie am 25.10.2012

Audio

Pressekonferenz zur Piratenstudie am 25.10.2012

Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
24. Oktober 2012
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung
Seitenzahl
79
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten
ISBN / DOI
--
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