Jahresbericht 2000 der Heinrich-Böll-Stiftung

Aus der Reihe

VORWORT  DES VORSTANDES

Rückblick 2000 – Ausblick 2002

Der Countdown läuft – und die Heinrich-Böll-Stiftung zählt mit: Am 3. September 2002 beginnt der „World Summit on Sustainable Development“ in Johannesburg. Die fast zweiwöchige Konferenz wird zehn Jahre nach dem Weltgipfel in Rio de Janeiro die Umsetzung der Agenda 21 überprüfen. Sie wird darüber hinaus die Frage beantworten müssen, welche umwelt- und entwicklungspolitischen Ziele sich die Staatengemeinschaft im nächsten Jahrzehnt setzt und mit welchen Massnahmen sie erreicht werden sollen.  Das Schicksal des Kyoto-Protokolls zur Eindämmung der Treibhausgase hat gezeigt, wie brüchig das Fundament der globalen Umweltpolitik ist. Immer noch klafft eine riesige Lücke zwischen rhetorischen Proklamationen und politischen Handlungen.

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat schon zwei Jahre vor Beginn des Johannesburg-Gipfels den Rio + 10 - Prozeß zum Schwerpunkt ihrer In- und  Auslandsarbeit gemacht. Sie will Nichtregierungsorganisationen, WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen zusammenbringen, die die Tagesordnung des Gipfels beeinflussen und Impulse für die internationale politische Agenda geben können. Die Stiftung hat eine Anzahl kompetenter Persönlichkeiten aus aller Welt eingeladen, ein politisches Memorandum zum Weltgipfel in Johannesburg zu verfassen. Paralell haben wir eine Schriftenreihe, die World Summit Papers, aufgelegt, und ab Herbst 2001 erhalten unsere Aktivitäten auch eine virtuelle Plattform unter der Adresse www.worldsummit2002.de. Selbstverständlich sind auch unsere Auslandsbüros an den Vorbereitungen zum Weltgipfel beteiligt – so ist z.B. im September dieses Jahres in Nairobi eine Konferenz für afrikanische Nichtregierungsorganisationen geplant. Das  Entwicklungspolitische Forum der hbs, das sich Grundsatzfragen der Entwicklungspolitik widmet, stand in diesem Jahr im Zeichen von Rio + 10.

Der Umbruch in Südosteuropa, der Sturz des Milosevic-Regimes – auch sie prägten die Aktivität der Stiftung in besonderem Maße. Im Oktober 2000 lud die Heinrich-BöllStiftung Milosevic-Gegner aus der jungen serbischen Kunst- und Kulturszene zu einem Podiumsgespräch nach Berlin. Aus der Begegnung mit den Künstlern entwickelte sich die Idee einer Ausstellung über die Geschichte des kulturellen Widerstandes gegen das Milosevic-Regime. Innerhalb weniger Wochen entstand die Ausstellung „Dossier Serbien – Einschätzung der Wirklichkeit der 90er Jahre“, die in Kooperation mit der Akademie der Künste gezeigt wurde. Die Ausstellung umfasste sowohl dokumentarisches Material der letzten zehn Jahre des serbischen Widerstands als auch in dieser Zeit entstandene Kunstwerke. Die Heinrich-Böll-Stiftung ist in einem Umfang von ungefähr 2,2 Mio. DM in den Jahren 2000 – 2003 am Sonderprogramm Balkanstabilitätspakt beteiligt. Im Zentrum dieser Arbeit stehen Demokratie, Nachhaltige Entwicklung und Frauenförderung. Die Koordination erfolgt durch das Büro Sarajevo mit seinen Ablegern in Zagreb und Belgrad.

Die „Kontaktstelle zum EU-Beitritt: Perspektiven und Probleme in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas“ hat in Prag die Arbeit aufgenommen. Im Herbst 2001 wird in Warschau ein neues Büro der Heinrich-Böll-Stiftung eröffnet. Der Schwerpunkt des Büros wird im Bereich Frauenpolitik liegen.

Weitere Auslandsbüros arbeiten seit dem vergangenen Jahr im thailändischen Cheng Mai und in Rio de Janeiro. In Indien wird in nächster Zeit ein Kontaktbüro der Stiftung eingerichtet. Erste konkrete Kooperationen in den Bereichen Stadtentwicklung und Gleichberechtigung der Frauen gibt es mittlerweile mit Organisationen in China. Davon unabhängig setzen wir die Zusammenarbeit mit dem tibetischen Exil fort und unterstützen die Bewahrung der kulturellen Traditionen des tibetischen Volkes.

Besondere Resonanz fand im vergangenen Jahr die Konferenz „Iran nach den Wahlen“. Sie sollte den verschiedenen Reformkräften im Iran – quasi auf neutralem Boden – eine Gelegenheit zum politischen Dialog geben. Die Tagung stieß v.a. bei Exil-IranerInnen auf überwältigendes Interesse, litt aber unter massiven Störungen durch Gegner des Reformprozesses. Deren Aktionen als Vorwand nutzend, wurden die iranischen ReferentInnen  nach ihrer Rückkehr in Teheran verhaftet, angeklagt und elf von ihnen zu hohen Haftstrafen wegen „Verschwörung gegen die islamische Republik“ verurteilt; der Geistliche Yussefi Eshkevari von einem Sondertribunal gar zum Tode. Das Revisionsverfahren war bei Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen.  Die HeinrichBöll-Stiftung hat sich in zahlreichen Stellungnahmen, Pressekonferenzen und Briefen an die Verantwortlichen im Iran für die verfolgten Gäste der Berliner Konferenz eingesetzt und die sofortige Freilassung der Gefangenen und die Einstellung sämtlicher Verfahren im Zusammenhang mit der Berliner Konferenz gefordert. Das Buch „Iran nach den Wahlen“, das im Juli dieses Jahres erschien, bietet anhand der Rede- und Diskussionsbeiträge der Konferenz einen guten Einblick in die iranischen Verhältnisse. Auszüge aus Prozessprotokollen und der Medienberichterstattung vervollständigen dieses Bild. Die Stiftung wird ihr Iran-Engagement fortsetzen, so weit dies möglich ist, ohne Partner zu gefährden.

Große Sorgen bereitet auch die aktuelle Situation im Nahen Osten. Natürlich bleibt auch die Projektarbeit der Stiftung in der Region nicht unberührt von den Auseinandersetzungen zwischen Israel und der palästinensischen Intifada.  Wir arbeiten weiter mit Partnern in Israel und in den palästinensischen Autonomiegebieten zusammen, ohne uns einzubilden, wir könnten eine Vermittlungsrolle spielen.
Unter dem Dach der Heinrich-Böll-Stiftung wurden im vergangenen Jahr zwei Kommissionen eingerichtet – eine zu Fragen der Bildung und eine weitere zu Arbeit und Soziales. Beide haben in kurzer Zeit umfangreiche Stellungnahmen erarbeitet, die den aktuellen politischen Diskussionen zu diesen Themen wichtige Impulse geben können. Die Bildungskommission hat unter anderem eine Empfehlung zur „Bildungsfinanzierung in der Wissensgesellschaft“ vorgelegt; die Projektkommission Arbeit und Soziales eine Expertise zur Reform der Arbeits- und Sozialpolitik, die vor allem Anregungen für die Programmdiskussion bei Bündnis 90/Die Grünen geben will.

Unsere Gemeinschaftsaufgabe „Geschlechterdemokratie“ hat im November 2000 durch einen zweitägigen Kongress „Geschlechterdemokratie 2000. Vielfalt der Visionen – Visionen der Vielfalt“ und ihre kontinuierlichen „Geschlechterdemokratischen Dialoge“, darunter eins mit Bundeswirtschaftsminister Müller zu „Gendermainstreaming in der Wirtschaft“, auf sich aufmerksam gemacht. Die Gemeinschaftsaufgabe Migration hat ihre Aktivitäten um einen Schwerpunkt „Interkulturelles Management“ erweitert und durch eine ganze Reihe von Veranstaltungen zur Profilbildung der Stiftung beigetragen. Im Mittelpunkt stand dabei die Diskussion um die Empfehlungen der „Unabhängigen Kommission Zuwanderung“, der auch Ralf Fücks aus dem Vorstand der hbs angehörte.

Die Grüne Akademie, unsere Denkwerkstatt zu politischen und kulturellen Fragen der Zeit, hat ihre Arbeit im vergangenen Jahr in zwei Projektgruppen zu den Themen „Europa 2020“ und „Zukunftstechnologien“ organisiert. Im Rahmen einer Sommerakademie ist ein Memorandum zur Innovationspolitik mit dem Titel „Das gute Leben“ entstanden. Die Arbeit der zweiten Projektgruppe mündete Anfang des Jahres in einer Tagung zu den „Grenzen Europas“.

Verstärkt wurden die Bemühungen der Stiftung zum Thema „Europa“ durch die zweite Außenpolitische Tagung im vergangenen Herbst, die sich ebenfalls mit der Gestaltung der Grenzen Europas beschäftigte; zeitgleich war dies auch der Schwerpunkt unseres halbjährlichen Nachrichtenmagazins www.boell.de.

Im beratenden Kuratorium des Feministischen Instituts  arbeiten zwei frischgekürte Berliner Senatorinnen, Adrienne Goehler und Juliane Freifrau von Friesen, mit. Das Institut hat seine Arbeit im Bereich „Distance Learning“ intensiviert und pflegt jetzt Kontakte mit dem MIT in Boston, der Universität Münster und der Universität Zagreb. Zur Nachwuchsförderung und zum Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die politische Praxis ist im vergangenen Herbst das Gunda-Werner-Kolleg gegründet worden.

Die Heinrich-Böll-Stiftung ist mit ihrer Galerie, der Veranstaltungsetage unter dem Dach der Hackeschen Höfe, eine bekannte Adresse in der Berliner Debattenlandschaft geworden. Sie ist Ort aktueller Diskussionen wie z.B. der  Veranstaltung „Macht, Recht, Moral“, auf der Richard v. Weizsäcker, Antje Vollmer, Alice Schwarzer, Monika Maron und Dieter Grimm über den Parteispendenskandal diskutierten.
Gleichzeitig bemühen wir uns intensiv, unseren Internetauftritt www.boell.de ständig zu verbessern und das Angebot für die vielen NutzerInnen zu erweitern. Die Zahl der monatlichen Zugriffe (visits) auf unsere Homepage liegt mittlerweile bei über 15.000, die Zahl der heruntergeladenen Dokumente hat sich in einem Jahr verneunfacht und liegt momentan bei fast 6.000 im Monat, darunter vor allem Veranstaltungsprogramme, aber auch viele Studien und Dokumentationen.

Zwei Ereignisse verdienen noch besondere Erwähnung: Wir konnten im vergangenen Jahr zum zweiten Mal den Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung vergeben – und zwar an die chilenischen Bürgerechtlerinnen Berta und Nicolasa Quintreman Kalpan aus Chile. Am internationalen Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember 2000, verlieh die Stiftung mit Hilfe eines großzügigen Spenders den Sonderpreis für Zivilcourage auf dem Balkan an die kosovarische Ärztin und Schriftstellerin Flora Brovina, die erst kurz zuvor aus serbischer Haft freigekommen war.

Weitere Aspekte und Details unserer Arbeit des vergangenen Jahres finden Sie in den einzelnen Kapiteln dieses Jahresberichts wieder; darin stellen wir Ihnen weitere exemplarische Veranstaltungen, Projekte und Partnerschaften vor, so dass Sie eine gute Übersicht über das Engagement der Stiftung gewinnen können. Wir haben den Bericht im Rahmen unserer Gestaltungslinie leicht verändert: Wir erhoffen so größere Übersichtlichkeit. Gleichzeitig haben wir den Umfang etwas verringert. Angesichts unseres stetig wachsenden Engagements im Ausland werden wir in Zukunft gleichzeitig eine englische Fassung unseres Jahresberichts produzieren.

Zum Schluss ein Wort des Dankes an unsere „Ehrenamtlichen“. Mit den Mitteln des Förderkreises wird die Heinrich-Böll-Stiftung in die Lage versetzt, Einzelpersonen zu unterstützen und Projekte dort zu fördern, wo eine Unterstützung mit öffentlichen Mitteln versagt bleibt. So konnte z.B. ein Stipendienprogramm für Künstlerinnen und Künstler im Kosovo eingerichtet werden. Darüber hinaus wird die Stiftung maßgeblich vom ehrenamtlichen Engagement in Mitgliederversammlung und Aufsichtsrat, Fachbeiräte und Fachkommissionen getragen. Dafür möchten wir uns bedanken, ebenso bei den Freundinnen und Freunden von Bündnis 90/Die Grünen, die unsere Arbeit unterstützen und begleiten.

Berlin, im Juli 2001

Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Ralf Fücks
Dr. Claudia Neusüß
Petra Streit

Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
Juli 2001
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung e.V.
Seitenzahl
92
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort des Vorstandes
  • Nachhaltige Entwicklung und Internationale Strukturpolitik
  • Zukunft der Arbeit und des Sozialen
  • Geschlechterdemokratie und Frauenpolitik
  • Migration, Interkulturelles Management und Demokratische Partizipation
  • Menschenrechte, Zeitgeschichte und Zukunft der Demokratie
  • Kunst, Kultur und Medien
  • Bildung und Wissenschaft
  • Studienwerk
  • Feministisches Institut
  • Grüne Akademie
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