Jahresbericht 2004 der Heinrich-Böll-Stiftung

Aus der Reihe

VORWORT

Am Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember 2004, erhielt Wangari Maathai, Petra-Kelly-Preisträgerin und langjährige Projektpartnerin der Heinrich-Böll-Stiftung, in Oslo den Friedensnobelpreis. Wir haben uns sehr über die erste weibliche Friedensnobelpreisträgerin Afrikas gefreut, denn Wangari Maathai steht wie kaum eine andere Persönlichkeit in ihrem Engagement für die Verbindung von Umweltschutz, Demokratie und ziviler Konfliktlösung.

Auch anderen Projektpartnern konnten wir gratulieren: Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial und der Islamwissenschaftler Ali Ashar Engineer wurden mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Memorial für ihre mutige Arbeit unter schwierigen Bedingungen, u.a. in Tschetschenien; Ali Ashar Engineer für seinen Einsatz für Toleranz und Verständnis innerhalb Indiens sowie zwischen den südostasiatischen Staaten.

Mit den Preisträgerinnen und einer Vielzahl von Kooperationspartnerinnen weltweit verbindet uns die kontinuierliche Arbeit für Demokratie und Menschenrechte, für eine sozial und ökologisch gerechte Entwicklung. Fast alle Regionen, in denen die Heinrich Böll-Stiftung arbeitet, müssen mit akuten oder latenten Konflikten und Gewaltstrukturen umgehen. Wir fördern daher Programme zur Konfliktbearbeitung, zur Versöhnung und zum Aufbau demokratischer Institutionen.

Mit der Eröffnung der beiden Büros in Mexiko Stadt Ende August und in Beirut Anfang November 2004 ist die Stiftung mit nun insgesamt 24 Auslandsbüros vorläufig an ihre Wachstumsgrenze gelangt. Innerhalb der Regionen wird es allerdings immer wieder geografische und thematische Akzentverschiebungen geben, wenn wir auf neue politische Herausforderungen reagieren und unsere politische Wirksamkeit erhöhen wollen.

Neue außen- und innenpolitische Herausforderungen wie die globale Sicherheit, die Zukunft des Völkerrechts, die Reform der Sozialsysteme und der Bildungspolitik brauchen neue Denkanstöße. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat z.B. ein Projekt zum Völkerrecht initiiert, an dem Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und der Stiftung selbst teilnahmen. Als Ergebnis ist ein Memorandum zur „Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt“ entstanden, das im Herbst mit anderen Beiträgen als Buch veröffentlicht wird. Fortgesetzt wurde auch die Reihe zur „Zukunft der Gerechtigkeit“. Eine Konferenz im Dezember stellte die entscheidenden Fragen – nach der sozialen Teilhabe aller und der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Wir haben auch die erste Nummer unseres neuen Magazins Böll.Thema diesem Schwerpunkt gewidmet. Darüber hinaus stießen in der Debatte um die Reform der Bildungspolitik die Empfehlungen unserer Bildungskommission sowie das Konzept zur Studien- und Hochschulfinanzierung auf großes Interesse.

Im Jahr 2004 haben wir mehr denn je klassische Veranstaltungen wie Konferenzen kombiniert mit Internetangeboten, Publikationen und künstlerischen Formaten wie Lesungen und Ausstellungen. Für die Heinrich-Böll-Stiftung hat Kunst als Medium der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Prozessen von jeher einen großen Stellenwert. Trotzdem war die Ausstellung „Identität versus Globalisierung“, die die in Bangkok, Chiang Mai und Berlin gezeigt wurde, etwas Besonderes: Rund fünfzig Künstlerinnen und Künstler aus zehn südostasiatischen Ländern präsentierten ihre Werke in einer dreimonatigen Ausstellung in Berlin und gaben uns die Chance, aus einem besonderen Blickwinkel etwas über die dynamischen Prozesse dieser Region unter den Bedingungen der Globalisierung zu erfahren.

Das Jahr 2004 markierte einen gewaltigen Sprung vorwärts in der Geschichte der Europäischen Union: Mit der Erweiterung um zehn neue Mitgliedsstaaten überwindet die Union die OstWest-Spaltung Europas. Die Gemeinschaft gewinnt an politischer und kultureller Vielfalt und an ökonomischer Potenz. Im Prozess der Erweiterung sind aber auch neue interne Verteilungskämpfe und politische Spannungen angelegt. Umso wichtiger war daher die Verständigung auf eine gemeinsame Verfassung im Oktober. Die Heinrich-Böll-Stiftung begleitete diese Entwicklungen mit anderen Nichtregierungsorganisationen und politischen Akteuren, mit Thinktanks, Universitäten und grünen Netzwerken. Insbesondere das Stiftungsbüro in Brüssel dient als Scharnier zu den Europäischen Institutionen. Neben dem europäischen Verfassungsprozess und der Diskussion um Demokratie und Bürgerrechte in der EU befassten wir uns mit den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, der Debatte um die zukünftigen Grenzen der EU und diskutieren die Frage nach der künftigen Rolle Europas in der Welt. Ein Beispiel für die Projektarbeit in der Europäischen Union ist das Projekt „Flüsse verbinden Regionen“, das wir in diesem Bericht vorstellen. Auch das Folgeprojekt für 2005 wurde schon bewilligt.

Das Studienwerk der Stiftung befindet sich zur Zeit in einem umfassenden Reformprozess. Dazu gehören ein neues Leitbild zur Nachwuchsförderung, eine Reform des Auswahlverfahrens, eine erweiterte Zusammensetzung der Auswahlkommissionen sowie der Ausbau unseres Alumni-Netzwerks. Außerdem sind zwei neue Promotionskollegs auf den Weg gebracht worden: „Ökologie und Fairness im Welthandelsregime“ sowie „Überwindung von Diktaturen und Aufbau von Zivilgesellschaften: Diktaturerfahrungen im Ost-West-Vergleich“.

Die Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung wäre nicht möglich ohne breite ehrenamtliche Unterstützung mit Rat, Tat und Finanzmitteln. Die Gelder des Förderkreises versetzen uns u.a. in die Lage, Projekte zu fördern, die wir nicht aus öffentlichen Mitteln finanzieren könnten. Durch private Patenschaften können wir z.B. unser Stipendienprogramm für Künstlerinnen und Künstler im früheren Wohnhaus der Familie Böll in Langenbroich (Eifel) langfristig sichern.

Neben dem Förderkreis unterstützen viele Menschen die Stiftung ehrenamtlich durch ihre Mitarbeit in der Mitgliederversammlung, im Aufsichtsrat, im Frauenrat, in Fachbeiräten und -kommissionen oder durch ihre engagierte Begleitung aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen heraus. Bei ihnen allen bedanken wir uns nachdrücklich und immer wieder gerne. Ganz besonderer Dank gilt unseren hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ihr engagierter und kreativer Einsatz ist das Fundament für die positive Resonanz, auf die wir mit unserer Arbeit weiterhin stoßen.

Im November mussten wir Abschied nehmen von Annemarie Böll. Wir sind ihr zu besonderem Dank verpflichtet, denn sie förderte vor bald zwanzig Jahren die Gründung der HeinrichBöll-Stiftung und schrieb uns ins Stammbuch, ein Sammelpunkt zu sein für Gruppen und Einzelpersonen, „die versuchen, eine menschlichere, friedlichere und gerechtere Welt zu bauen“ (siehe auch unseren Nachruf auf S. 2).

Am 30. Juli des vergangenen Jahres starb der Kirchenhistoriker und Bürgerrechtler Wolfgang Ullmann. Mit ihm verlieren wir einen politischen Weggefährten, der uns vor allem in den ersten Jahren der Stiftung fruchtbare Anregungen gab für das Zusammengehen der Deutschen und der später als Mitglied der Grünen Akademie seine umfassende Bildung und seine politischen Erfahrungen in die Stiftung einbrachte.

Berlin, im April 2005
Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Ralf Fücks
Barbara Unmüßig
 

Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
Juni 2005
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung e.V.
Seitenzahl
41
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
  • Nachruf auf Annemarie Böll
  • Preise
  • Neue Auslandsbüros
  • Globalisierung und Nachhaltige Entwicklung
  • Sicherheitspolitik und Krisenprävention
  • Europäische Nachbarschaftspolitik
  • Demokratie und Menschenrechte
  • Wissenspolitik
  • Nachwuchsförderung
  • Wirtschaft, Arbeit und Soziales
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