Im Mörchenpark: Ein Garten für alle

Teaser Bild Untertitel
Holzmarkt 25: Hier soll der Kreativkiez entstehen

Das Einhorn scharrt mit den Hufen. Es bewacht sein Reich hinter einer hohen Mauer aus rauem Holz vor Eindringlingen. Mit freundlichem Blick sieht es auf ein fotografierendes Touristenpaar aus Asien zurück, das Unverständliches bespricht und seinen Spaziergang auf der viel befahrenen Holzmarktstraße fortsetzt. Das junge Paar läuft weiter in Richtung Warschauer Straße.

Das Spreeklima hat die Naturholztür zum Mörchenpark seit einem halben Jahr fest im Griff. Das Wetter hat sie zu einem von diesen Dingen aus Holz verwandelt, an denen sich wirklich jeder einen Splitter in den Finger rammt. Die Klingel zum Mörchenpark ist schwierig zu entdecken. Halb versteckt baumelt ein orangenes Baumarktseil die Mauer hinunter. Irgendwann öffnet sich die Tür. Ob es die Klingel war oder der Zufall ist nicht sicher.

Der Mörchenpark am Spreeufer im östlichen Friedrichshain ist auch von den zentral liegenden Stadtteilen Kreuzberg und Mitte aus sehr gut zu erreichen. Bezirke, in denen Subkulturen eine Chance haben.

Auf einer Brachfläche, die früher einmal der BSR gehörte, wird der Holzmarkt gebaut. Mit dabei sind unter anderem die ehemaligen Betreiber der legendären Bar 25 und des Klubs Kater Holzig.

Als Holzmarkt Genossenschaft gründen sie einen werdenden Kreativkiez entlang der Holzmarktstraße, an dem die Berliner Kreativszene sich in den nächsten Jahren einnisten soll. Es wird einen Klub geben, einen 24-Stunden-Kindergarten, Ateliers, ein Studentenwohnheim, ein Restaurant, Freiraum und einen Garten für alle – den frisch angelegten Mörchenpark.

Als gemeinnütziger Verein ist der Garten als Projekt fest in das Holzmarkt-Konzept verankert. Wo heute wieder Blumen das Ufer säumen war mal deutsch-deutsches Grenzland, dann die Bar 25, der Bürgerprotest „Mediaspree versenken – Spreeufer für alle“, und in diesem Jahr der Spatenstich für den Mörchenpark.

Jetzt, im Herbst, verschränken ruhende Bagger und Türme aus Baustoffen den freien Blick auf die Spree.

Christian Grauvogel, Philosophie-Student und Mörchenpark-Vorstand öffnet die Holztür. Trotz des kalten Wetters trägt er seinen Wintermantel offen.

Der Mörchenpark hat den ersten langen Sommer in Berlin genossen. Die Blumen sind verblüht, in den Beeten und Rabatten wuchern Küchenkräuter und Sonnenblumen neben Unkraut und Überresten von der letzten Saison.

Das Areal liegt zur Spree hin abschüssig. Die Wege sind festgetrampelt, nicht betoniert. „Ich hätte an festes Schuhwerk erinnern sollen“, entschuldigt sich Christian. Bei seinem sicheren Schritt ist klar, dass er die Wege schon hundert Mal gegangen ist.

Neben kleinen Pflanzeninseln gibt es einen Quadratmeter große Boxen im Europalettenstil, in denen die Gärtner im Mörchenpark anpflanzen. „Die Mitglieder hatten dieses Jahr die Möglichkeit, eine dieser Boxen zu pachten und selbst zu bepflanzen. Das kam gut an“, erzählt der 22-Jährige. Ein langer Steg schlängelt sich am Ufer entlang. Im nächsten Sommer soll es möglich sein, uneingeschränkt am Spreeufer spazieren zu gehen. Den Weg dafür haben Mörchenpark-Gärtner unter Anleitung selbst gezimmert.

Eine Entenfamilie mit Küken zieht vorbei. Im Oktober ist es dafür eigentlich schon zu spät, doch noch scheint die Sonne auf die versteckten Bänke und Tische in Stegnähe.

In Hängematten aus Fliegerseide genießt ein Paar mit geschlossenen Augen die letzten Sonnenstrahlen.

Christian Grauvogel verbringt als Vorstandsmitglied bis zu 20 Stunden wöchentlich im Mörchenpark – meist mehr mit Administration als im Garten. „Ich mache überall ein bisschen mit“. Manchmal kommt er nach der Uni her, um beim Gärtnern den Kopf freizukriegen.

Die Vereinsmitglieder des Mörchenparks sprechen sich für eine nachhaltige Umwelt in der Berliner Innenstadt aus, für Freizeit und ein freies Spreeufer. Keine Investoren, keine zu großen Bürogebäude in Toplage. Eine Jahresmitgliedschaft kostet 25 Euro – dafür gibt es auch Material und Erde. Christian war noch vor dem ersten Spatenstich dabei. „Als ich mich für das Konzept begeistert habe, da gab es das Gelände noch nicht“.

An der Bar im Mörchenpark gibt es keine Karte mit Getränkepreisen, nur ruhig trinkende Gärtner. Sie wirken, als hätten sie mit dem, was sie tun, nicht gerade erst angefangen. Es riecht nach Afterhour und dem Moment in einer Szene im Film „Berlin Calling“, in dem Paul Kalkbrenner morgens ein Set im Freien spielt.

Auf dem Gelände des Holzmarkt wird auch ein Club entstehen. Christian glaubt, dass es keine Probleme zwischen Gärtnern und Feiervolk geben wird: „Die Leute werden sich mit unserem Projekt identifizieren können. Die nehmen sich nachts vielleicht drei Tomaten“. Ein Grundgedanke des Mörchenpark ist öffentliche Teilhabe.

Eine junge Familie fährt mit einem Leihwagen auf das Gelände. Die Tochter im Winteroverall wirft sich, in ihrem Kinderspiel versunken, auf die Erde. Ob es alte Veteranen oder neue Vereinsmitglieder sind, lässt sich durch ihre verspiegelten Vintage- Sonnenbrillen nicht erkennen.

Es wird leise Technomusik gespielt, ein Hund läuft umher.

Vom hoch gebauten Gewächshaus hat man im Mörchenpark einen Blick auf den Fernsehturm und den Berliner Dom. Für die nächsten fünfzig Jahre hat der Holzmarkt das Erbpachtrecht auf ein Sahnestück an der Spree. Geldgeber und Höchstbietende im bedingungslosen Auktionsverfahren um die Fläche war die Schweizer Stiftung Abendrot. „Viele von unseren Mitgliedern werden das Ende dieser Pacht gar nicht mehr miterleben“. Christian wünscht sich, dass in Zukunft möglichst viele Menschen das freie Spreeufer genießen können. „Wir werden kleine Nutzgärten anlegen und Schulkindern aus der Gegend zeigen, wie urbanes Gärtnern funktioniert“. Momentan zählt der Mörchenpark 600 Mitglieder. Regelmäßig dort sind um die 30 Menschen, schätzt Christian. „Unser jüngstes Mitglied ist ein Jahr alt. Der Älteste kommt hier aus dem Kiez, er muss schon über 70 sein.“

Dass es nächsten Sommer so richtig losgehen wird, das sagen alle. Berlin wird um einen besonderen Garten und eine Attraktion reicher sein.

Die Holztür schließt sich, der Splitter in der Hand beginnt zu schmerzen. Draußen auf der Straße ist die Stadt wieder unfassbar laut.