Rentabilität: Kohlenstoffblase unter Druck

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Ausschnitt aus der Grafik "Finanzkrise der Kohlebranche" (s.u.)

Je erfolgreicher Klimapolitik ist, desto mehr verliert Kohle an Wert – und damit auch das Unternehmen, das diese Kohle besitzt. Ein Kapitel aus dem Kohleatlas.

Im Jahr 2009 erschien im Wissenschaftsmagazin "Nature" eine bahnbrechende Studie. Ein Team um das Potsdam-­Instituts für Klimafolgenforschung hatte zum ersten Mal ein globales "Kohlenstoffbudget" errechnet – die Menge an Kohlendioxid, die maximal noch an die Atmosphäre abgegeben werden darf, wenn die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius beschränkt bleiben soll. Die Forscherinnen und Forscher stellten fest, dass die Welt unter dieser Vorgabe zwischen 2010 und 2050 weltweit nur noch rund 750 Milliarden Tonnen (Gigatonnen) CO2 ausgestoßen werden dürften.

Drei Jahre später veröffentlichte die Carbon Tracker ­Initiative, eine Nichtregierungsorganisation von Finanzfachleuten, ihren Bericht über "unverbrennbaren Kohlenstoff" ("unburnable carbon"). 2.795 Gigatonnen Kohlendioxid seien in den bekannten Reserven an fossilen Brennstoffen im Eigentum privater und öffentlicher Firmen und Regierungen enthalten. Nur ein Fünftel dieser Reserven darf also verbrannt ­werden, wenn das Zwei-Grad-Limit eingehalten werden soll. Die ­weltweiten Emissionen steigen jährlich um durchschnittlich drei Prozent. Das würde bedeuten, dass nur noch rund 13 Jahre bis zur Grenzmarke von 565 Gigatonnen bleiben. Der Rest ist "unverbrennbar", so wie ein Drittel­ der Erdöl- und die Hälfte der Erdgasreserven. Die Lage wäre noch dramatischer, wenn der Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzt würde, wie es die Klimawissenschaft fordert.

Mit mehr Druck auf den Kurs der globalen Energiepolitik wird der Kurs von Kohleaktien weiter fallen

Politische Entscheidungen, Absinken der Preise unter die Rentabilitätsschwelle sowie der technische Fortschritt bei den erneuerbaren Energien können dafür sorgen, dass die meisten Reserven fossiler Brennstoffe zu "stranded assets" werden. Solche "gestrandeten Vermögenswerte" sind Investitionen, die durch äußere Faktoren, etwa aus politischen Gründen, ganz oder teilweise an Wert verlieren. Die Carbon Tracker Initiative nennt das Problem die "Kohlenstoffblase" – in Anlehnung an Finanzblasen wie die Spekulationswellen der Immobilienblase, die die Wirtschaftskrise von 2008 ausgelöst hat. Das Phänomen beschränkt sich dabei nicht auf Kohle. Auch Erdöl und Erdgas sind betroffen.

Dennoch investieren private und öffentliche Finanz­institute weiter in entsprechende Firmen oder vergeben Kredite auf der Basis der alten politischen Bedingungen. Die Reserven an fossilen Brennstoffen werden in der Form von Firmenwerten – Rohstoffkonzernen mit Förderlizenzen, Kraftwerksfirmen mit Kohlestromerzeugung, aber auch Banken, die in diesen Branchen exponiert sind – an allen Börsen der Welt gehandelt. Platzt die Blase, droht diesen Firmen ein Crash.

Eine Studie im Auftrag der Europäischen Grünen untersuchte die Risiken im Jahr 2014 bei 43 der größten Banken und Pensionskassen in der EU. Dabei ergab sich eine Summe von über einer Billion Euro. Die gute Nachricht: Einige Fonds beginnen bereits, diese Werte abzustoßen, um eine Krise zu vermeiden, falls Investitionen in Kohle und Erdöl "stranden". Auch Regierungen machen sich Sorgen. Der Gouverneur der Bank of England warnte bereits und hat eine Untersuchung eingeleitet.   

Je mehr fossile Reserven im Besitz von Aktiengesellschaften ihren Wer verlieren, desto mehr fallen dann auch die Börsenkurse dieser Firmen

Bei dem Versuch, auf die Krise zu reagieren, strukturieren sich die Kohlegiganten um. E.ON, Deutschlands größter Energieversorger, spaltet sich auf. Der eine Teil des Unternehmens konzentriert sich auf erneuerbare Energien und Energiedienstleistungen, der andere ist für die konven­tionellen Kraftwerke zuständig. Der multinationale Bergbaukonzern Rio Tinto hat seine Kohleanteile ebenfalls in eine ­separate Firma ausgegliedert und signalisiert, dass er sich von diesem Bergbau abwenden wird. Konkurrent BHP ­Billiton hat seinen Einsatz von Kohle bereits halbiert.

Aber diese Reaktionen kommen spät. In Europa haben Unternehmen den Anschluss an die Entwicklung verloren, weil sie ihre Strategie nicht rechtzeitig geändert haben. Nur acht Prozent der deutschen Investitionen in erneuerbare Energien stammen von Energieversorgern wie E.ON oder RWE. Der französische Stromkonzern GDF Suez musste 2014 gestrandete Vermögenswerte in Höhe von 15 Milliarden Euro abschreiben. Die Firmen haben die Ziele der EU zur Verringerung der Emissionen bis 2020 nicht ernst genommen und gingen davon aus, dass Energieeffizienz und erneuerbare Energien noch lange auf sich warten lassen würden, wenn sie denn überhaupt kämen.   

Das Ende der Kohleausbeutung muss nicht zur Börsenkrise werden - wenn die Investoren umsteuern

Jetzt wacht die Kohleindustrie auf. Die niedrigen Weltmarktpreise stellen die Erlöse und damit die Rentabilität von Investitionen infrage. 2014 sank der Kohlekonsum Chinas, des weltgrößten Verbrauchers, erstmals in der Geschichte des Landes. In dem Bemühen, die Luftverschmutzung einzudämmen, importiert das Land deutlich weniger. Auch die Nachfrage in den USA und in Europa ist rückläufig; der steigende Verbrauch in Indien kompensiert das nicht.

Das Ergebnis: Im Vergleich zum Jahr 2012 haben sich die Kohlepreise halbiert und liegen jetzt so niedrig wie zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 2008. Das niedrige Niveau wirkt sich wiederum auch auf die Inlandspreise Chinas aus, die ebenfalls fallen und den Minengesellschaften Verluste bringen. Mitte Dezember 2014 schloss der Bergbauriese Glencore drei Wochen lang seine 20 Minen in Australien, und 8.000 Beschäftigte mussten ihren Jahresurlaub nehmen – ein Indiz dafür, wie tief die Kohleindustrie weltweit in Schwierigkeiten steckt. Einige Kohleunternehmen sind möglicherweise selbst als „gestrandete Vermögenswerte“ ihrer Investoren zu betrachten.

Die politische Tendenz, Kohlenstoffemissionen zu senken und alternative Technologien zu entwickeln, sendet die richtigen Signale an Investoren. Was noch wichtiger ist: Unternehmen, die im Bereich fossiler Brennstoffe tätig sind, erhalten eine klare Botschaft: Sie sollten kein Kapital mehr darauf verschwenden, nach weiteren Reserven zu suchen.