"Südafrika hat ein Interesse an erfolgreichen Verhandlungen"

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Südafrika ist in von Kohle abhängig, gilt aber auf trotzdem als eine der führenden Nationen in Sachen Klimaschutzpolitik. Wie passt das zusammen? Ein Interview mit dem Wissenschaftler Richard Worthington.

Südafrika ist in hohem Maße von Kohle abhängig, gilt aber auf der internationalen Bühne trotzdem als eine der führenden Nationen in Sachen Klimaschutzpolitik. Wie passen diese beiden Aspekte zusammen?

Die südafrikanische Klimapolitik war in den Anfangsjahren der Demokratie (die mit den ersten Jahren der UNFCCC zusammenfielen) sehr von einem Enthusiasmus für Multilateralismus geprägt und wurde dabei von dem Verständnis getragen, dass die nationalen Möglichkeiten, auf den Klimawandel zu reagieren, von einer effektiven globalen Reaktion abhingen. Dies ging mit der Erkenntnis einher, dass das Land sehr von der Kohle abhängig ist und dass eine Reduzierung der Kohlenstoffintensität der südafrikanischen Wirtschaft auf internationale Fortschritte bei Energielösungen angewiesen ist. So ist eine Führungsrolle im Bestreben nach einem effektiven globalen Ordnungsrahmen, mit dem sowohl die Abschwächung der Klimafolgen als auch die Anpassung an den Klimawandel unterstützt wird, eine logische Antwort auf die Abhängigkeit von Kohle. Das gilt vor allem auch, weil erneuerbare Energielösungen als „zu teuer“ erachtet werden – eine Wahrnehmung, die sich erst in letzter Zeit zu ändern beginnt. Somit wurde der internationalen Klimapolitik ein höherer Stellenwert eingeräumt als den innenpolitischen Maßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels und sie wird auch immer noch als Voraussetzung dafür erachtet, sowohl die Emissionen als auch die Abhängigkeit von der Kohle beträchtlich zu reduzieren.

Die Diskrepanzen zwischen der Führungsrolle bei der Forderung nach internationalen Maßnahmen zum Klimaschutz einerseits und der dauerhaften Abhängigkeit von Kohle im eigenen Land andererseits wurden weitgehend durch rhetorische Verpflichtungen getarnt, die entweder zu vage sind, um innenpolitische Maßnahmen nach sich zu ziehen, oder gleich ganz ignoriert wurden (wie die Verpflichtung von Eskom auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2002, die Abhängigkeit von Kohle um 10% zu reduzieren – von denen letztlich nicht einmal 1% erreicht wurde). Die in Kopenhagen 2009 abgegebene Verpflichtung war sorgfältig formuliert, um den Anschein von Reduzierungsabsichten und einer Führungsrolle zu vermitteln, aber die auf den Tisch gelegten Zahlen waren nicht fundiert und substanzlos. Das hat zur Folge, dass die jetzt eingereichte Dokumentation mit den national angestrebten Beiträgen zur Emissionsreduzierung bei weitem nicht so ernst genommen wird wie die ursprüngliche Zusage aus Kopenhagen, mit der sie angeblich übereinstimmt.

Ein anderer Aspekt der starken Abhängigkeit von Kohle, oder genauer gesagt des hohen Kohlendioxidausstoßes, der sich strukturell aus der (in langfristige Infrastruktur- und Investitionsportfolios eingebetteten) Wirtschaft ergibt, ist, dass dies tatsächlich in Verhandlungen als Druckmittel dient, das offensichtlich wirkungsvoller ist als jedes moralische Argument. Betrachtet man, wie indirekt auch immer, die Aufteilung eines Gemeinschaftsguts (die Kohlenstoffsenken-Kapazität der Biosphäre), trägt die bestehende Vereinnahmung mehr Gewicht als hypothetische Ansprüche es tun. Dies ist zwar eine Dynamik, von der sich die Verhandlungsparteien angeblich nicht leiten lassen oder zumindest nicht leiten lassen wollen, versperrt es doch als mächtiges Paradox den Weg, von Verhandlungen zu einem verbindlichen Abkommen zu gelangen, weil das zwangsläufig voraussetzt, dass die Verhandlungspartner auf so ein Druckmittel verzichten.

Südafrikas Führungsrolle bei der Erarbeitung einer internationalen Klimapolitik und Entwicklung von Instrumenten zu ihrer Umsetzung wird dadurch gestärkt, dass das Land zu den großen Emittenten gehört. Und das wird zumindest so lange so bleiben, wie andere Parteien glauben, dass dieser Vorreiter bereit und willens ist, den selbst erklärten Kurs hin zu einer Energiewende auch tatsächlich zu beschreiten. Kürzlich erzielte Erfolge bei der Einführung erneuerbarer Energien in die Stromversorgung haben dazu beigetragen, Südafrika eine gewisse Glaubwürdigkeit zuzubilligen, was noch dadurch unterstützt wurde, dass die Emissionen nicht mehr ganz so schnell zunahmen (wenn auch aus den falschen Gründen). Dass Südafrika unter den Entwicklungsländern und insbesondere in der Afrika-Gruppe eine Führungsrolle einnimmt ist eher auf innenpolitische Ressourcen sowie technische Voraussetzungen und Verhandlungsfähigkeit zurückzuführen, unterstützt von dem Willen, sich gegenüber den Industriestaaten zu behaupten.

Der Prozess der Verhandlungen, der auf der COP 21 zum Abschluss kommen soll, wurde 2011 auf der UN-Klimakonferenz in Durban auf den Weg gebracht. Was erwartet Südafrika von der anstehende Konferenz in Paris und inwieweit hat sich in den letzten Jahren die Debatte im Land verändert?

Ich glaube, zu den größten Veränderungen – eher im Denken als in der öffentlichen Debatte oder Positionierung – gehört zum einen, dass in Frage gestellt wird, ob die Wissenschaft mit überzeugenden Lösungen aufwarten kann, um einen transformativen Wandel herbeizuführen, der dann durch staatliche Maßnahmen umgesetzt wird, und zum anderen, dass Zweifel laut werden, ob das Zwei-Grad-Ziel überhaupt machbar oder „realistisch“ ist. Zwar kommen in Südafrika immer noch Experten zu Wort, die den Klimawandel leugnen, aber die aufgeschlossenere Skepsis richtet sich jetzt weniger auf die Befunde des IPCC bzw. der Klimawissenschaft sondern eher auf den Ausstieg aus den fossilen Energien. Einige Skeptiker verlegen sich jetzt neuerdings jedoch darauf, erneuerbaren Energien das Potenzial abzusprechen, den Energiebedarf der Menschheit oder der modernen industrialisierten Gesellschaften decken zu können.

Ehrlich gesagt hat sich in den vergangenen Jahren in der nationalen Debatte über den Klimawandel und insbesondere bei der innenpolitischen Auseinandersetzung damit nicht viel getan, obwohl Fortschritte dahingehend zu verzeichnen sind, dass man die Aufgaben in Bezug auf eine Anpassung besser in Angriff nimmt und sich das Verständnis für die möglichen Auswirkungen des Klimawandels vertieft hat. Die Vorbereitungen für die COP17 in Durban hatten ein Gefühl eines gemeinsamen Ziels und einer politischen Korrektheit hervorgerufen, das sich auch irgendwie auf den Verhandlungsverlauf der Durban-Plattform übertrug und den Eindruck vermittelten, das Land habe etwas erreicht. Nach der Konferenz ist Südafrika in Bezug auf den Klimawandel jedoch in eine Art Winterschlaf verfallen und die Eindrücke der COP übertrugen sich nicht auf eine gemeinsame Zielsetzung oder auch nur ein konstruktives Engagement in Bezug auf Einzelheiten einer geeigneten und ambitionierten Strategie zur nationalen Abschwächung der Folgen des Klimawandels. Das wurde von der Reigerung allerdings nicht öffentlich thematisiert.

Seit der Verabschiedung des Weißbuchs im Jahr 2011 erfolgten auf der nationalen Ebene keine weiteren nennenswerten Schritte zur Erarbeitung einer Strategie zur Abschwächung der Klimafolgen, und die im Weißbuch für die ersten beiden Jahre festgelegten Ziele wurden auch nicht erreicht. Die Beratungen über die angestrebten Emissionsreduktionsziele kamen schon vor Jahresmitte zum Stillstand und werden effektiv bis nach der COP21 ruhen. Der Klimawandel als nationale Leitfrage wurde erheblich von einer Krise in der Stromversorgung überschattet, aber es hat seit dem „Integrierten Ressourcenplan“ zur Stromversorgung von 2010 keine offiziellen Erhöhungen der Energiekapazitäten im laufenden Energieplanungsprozess gegeben.

Das Finanzministerium scheint auch gegen den gemeinsamen Widerstand von Wirtschaft, Industrie und einigen etablieren Wirtschaftswissenschaftlern entschlossen, 2016 eine Kohlensteuer einzuführen und ein diesbezüglicher Gesetzentwurf wurde gerade veröffentlicht. Vermutungen, dass die Kohlensteuer nach ihrer Einführung schnell erhöht werden würde, wurden entkräftet, und es scheint wahrscheinlich, dass sie zu einem Nominalsatz eingeführt wird, um als Signal für eine langfristige Absicht und vielleicht auch als Mittel zur Einführung von Kohlenstoffgutschriften zu dienen. Ein Großteil der Regierung scheint sich darauf festzulegen, „die grüne Ökonomie“ als Zugabe zu einer weitergefassten Wirtschaft zu behandeln, die Umbrüche weder schaffen noch sich leisten kann.

Paris wird immer mehr als ernsthafter Test gesehen, ob das UNFCCC-System das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und die von den Annex-1-Ländern abgegebenen allgemeinen Unterstützungsverpflichtungen wirksam durchsetzen kann. Die COP21 wird von Vielen als letzte Chance aufgefasst, die Glaubwürdigkeit des Rahmenabkommens und der multilateralen Klimaverhandlungen zu retten. Das Konferenzergebnis wird mehr als Krönung des 2011 in Durban in die Wege geleiteten Prozesses bewertet denn als weiterer Schritt, und Südafrika hat signalisiert, dass es zu den Entwicklungsländern gehört, die bereit sind, ein vorgeschlagenes Abkommen abzulehnen, das nicht ausgewogen bzw. gerecht ist.

Ein wachsendes Bewusstsein für weltweite Steuervermeidung und illegale Finanzflüsse relativiert das bescheidene Ausmaß der Finanzierung unter der UNFCCC. Entwicklungen im Energiewesen, vor allem die Verschiebung bei den relativen Kosten der Technologien für erneuerbare Energieträger habe mehr dazu beigetragen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern zu können, als alles, was bisher aus den Klimaverhandlungen hervorging. Von den Südafrikanern, die ihr Augenmerk auf den Klimawandel oder die globale Ordnungspolitik richten, erachten viele den multilateralen Prozess bestenfalls als hilfreich, aber keineswegs als entscheidend.

Triebfeder für die Ablehnung von sozialen Zugeständnissen an die Kohle-Industrie, die normalerweise im Namen der Armutsbekämpfung oder des Wirtschaftswachstums gefordert werden, sind eher unmittelbare negative Auswirkungen als der Klimawandel. Südafrika spielt bei diesem weltweiten Trend keine Vorreiterrolle, holt aber gerade auf, insbesondere angesichts der immer häufiger werdenden Engpässe in der Wasserversorgung und den zunehmenden Auswirkungen des Bergbaus auf die Wasserqualität. In den Augen einer steigenden Zahl an zivilgesellschaftlichen Organisationen hat der UNFCCC-Prozess eine legitimierende Rolle für die Gegner der Klimagerechtigkeit bzw. eines gerechten Übergangs zu nachhaltigen Energien, sodass die Absichten oder die Aufrichtigkeit einzelner Regierungen bei den gesamten Auswirkungen nicht mehr wirklich relevant sind.

Aus einer anderen Warte, aber mit möglicherweise demselben Effekt, mehren sich die Stimmen in Wirtschaft und Industrie sowie in Teilen der Regierung, dass die Unterstützung für ein internationales Abkommen und/oder für das Zwei-Grad-Ziel der Erderwärmung eine reine Farce sei, die aufrechterhalten werde, weil kein Verhandlungspartner als erstes ausscheren wolle. Die Hauptüberzeugung dabei ist, dass dieses Ziel nicht realistisch sei und dass es für Südafrika insgesamt gesehen eher abträglich sein könne, wenn die Regierung dieses Ziel verfolge. Eine Variante dazu ist, dass ein Großteil der Regierung und der Zivilgesellschaft den Klimaschutz zwar ernst nehmen würden, aber von den Verhandlungen enttäuscht seien, und dass die unmittelbare Gefahr drohe, dass die Regierung die Wirtschaft zu Grunde richten würde, wenn sie aktiv wirksame Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel verfolgt.

Was bringt Südafrika in die Verhandlungen von Paris ein?

Nichts wirklich Neues, aber allgemein sind doch einige relativ positive Signale zu nennen, die von Südafrika als „Verhandlungspartei“ in Paris ausgehen:

  • der politische Wille, ein gerechtes und verbindliches Abkommen zu schließen und damit dem Multilateralismus Wirkungskraft zu verleihen.
  • Verhandlungsgeschick und -erfahrung, das einer beachtlichen jahrelangen Beständigkeit in der Besetzung der nationalen Delegation geschuldet ist; eine gut vernetzte Führung und ein gut ausgestattetes Team;
  • Treue zur „Durban-Plattform“ und Entschlossenheit, dass diese als Grundlage für das Erreichen eines erfolgreichen Ergebnisses dient; Spuren einer „moralischen Autorität“, die auf das internationale Wohlwollen gegenüber der demokratischen Ordnung zurückzuführen ist, mögen dabei helfen, diese Entschlossenheit bzw. positive Einstellung weiterzuverbreiten.

Die bedeutendste Entwicklung in der südafrikanischen Positionierung ist die zunehmende Fokussierung darauf eine operativen Gleichstellung bei Anpassungsmaßnahmen zu erreichen, was für Südafrika der Schlüssel zu einem gewissen Maß an Gerechtigkeit in einem internationalen Abkommen ist, das Südafrika offensichtlich mit aller Entschlossenheit anstrebt. Dies ist in erster Linie als Reaktion auf Bemühungen zu verstehen, das Abkommen zu wenig mehr als einer Reihe von Minderungszusagen zu reduzieren, und ist mit der Frage der Finanzierung gekoppelt, die vor dem Hintergrund der unzureichenden Reduktionsziele als wichtigster Indikator gilt, dass die an der größten Umweltverschmutzung Schuldigen Verantwortung übernehmen.

Südafrika verhandelt als Teil der Afrika-Gruppe, aber auch als Mitglied der BRICS – gibt es da potenzielle Interessenskonflikte?

Das Potenzial für Interessenskonflikte ist nicht größer als das Potenzial für Kompromisse zwischen widerstreitenden Interessen. Ganz im Gegenteil: Die Ausgleichsmöglichkeiten sind angesichts der fortlaufenden Globalisierung von Kapital- und Rohstoffmärkten und der Konzentration der Ressourcen in Afrika vermutlich erheblich größer. Der zentrale Interessenskonflikt in Bezug auf den Klimaschutz besteht zwischen der Gegenwart und der Zukunft, zwischen den kurzfristigen und langfristigen Ergebnissen sowie zwischen dem Status quo und neuen Formen der Organisation und Steuerung, die in unserer Zeit der beschleunigten Wandels erforderlich sind, aber sich erst noch herausbilden müssen.

Südafrika hat nicht nur ein offensichtliches und wachsendes Interesse, innerhalb der afrikanischen Gemeinschaft akzeptiert und als ehrlicher Vermittler der afrikanischen Interessen gegenüber den dominierenden Volkswirtschaften/Ländern anerkannt zu werden, sondern auch ein pragmatisches Interesse, dass die Nachbarländer ihren Bürgern bessere Lebensperspektiven bieten können. Südafrika hat viel in die Stärkung der Afrikanischen Union und in Initiativen wie die Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas (NEPAD) investiert und unterstützt einen kollektiven afrikanischen Ansatz unter dem China-Afrika-Kooperationsforum (FOCAC).

Angesichts Südafrikas aktiver Beteiligung innerhalb der Gruppe 77 + China, einschließlich Bemühungen um eine gemeinsame Position und Strategie, ist die Zugehörigkeit zu den BRICS-Staaten im Zusammenhang mit den Klimaverhandlungen nicht sonderlich relevant, insbesondere nicht diese ernsthaft geführt werden. „Die Welt in einem Land“ ist nicht nur ein Slogan zur Tourismusförderung, sondern vermittelt auch die Vielfalt an Interessen innerhalb eines Landes mit der höchsten Ungleichheit zwischen den Menschen. Zwar stehen alle Länder vor der Herausforderung widerstreitender Interessen auf nationaler Ebene und zwischen nationalen und regionalen Interessen, aber nur wenige bilden einen so umfassenden Mikrokosmos an Interessen, in denen sich die Gegensätze auf globaler Ebene widerspiegeln. Deshalb haben auch wenige Länder ein größeres Potenzial als Südafrika, zum Erreichen eines akzeptablen Kompromisses beizutragen.

Lesen Sie Richard Worthingtons Analyse (PDF), wenn Sie mehr über den Klimawandel und die Energiepolitik Südafrikas wissen möchten. Dieses Interview ist Teil unseres Dossiers zum Klimagipfel COP21 in Paris.