„Geflüchtete als Akteure stärken“

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Wie geht es weiter? Momentaufnahme aus der kroatischen Grenzstadt Tovarnik

Medien und Politik drängen Geflüchtete in eine passive Rolle. Sie sollen dankbar und demütig sein. Die Zivilgesellschaft muss aktiv gegensteuern, fordert Thomas Kunz von Frankfurt University of Applied Sciences im Gespräch mit Canan Topçu.

Wie bewerten Sie die Hilfsbereitschaft und die ehrenamtliche Arbeit der Bürgerinnen und Bürger?

Thomas Kunz: Menschen sind angerührt und bewegt durch die Medienberichte. Diese zeigen die schwierige Situation von Geflüchteten, sie stellen sie aber auch vorherrschend als Opfer dar. Das löst den verständlichen Wunsch aus, diesen „armen Menschen“ zu helfen. Bei Helfenden und Helfen-Wollenden bewirkt das aber teils ein asymmetrisches Muster, das sich als paternalistische Grundhaltung zuspitzen lässt. Die Hilfe ist wohlmeinend, hat aber ungewollt einen überlegenen Gestus. Die Geflüchteten als Betroffene sind in gewisser Weise durchaus Opfer – vor allem der Verhältnisse und existenziellen Bedrohungen, die sie dazu gezwungen haben, ihre Heimat zu verlassen. Ohne Frage sind in diesem Sinne auch unterstützungsbedürftig – das sind aufgrund einer besonderen Situation, aber sie sind nicht grundsätzlich schwach und ohne Ressourcen. Im Gegenteil: Die Fluchterfahrungen lassen sich nur aushalten und bewältigen, wenn man über Stärken verfügt. Und in ihrem gewohnten Umfeld haben diese Menschen ihr Leben und ihren Alltag ja gemeistert.

Was wirkt denn gegen die paternalistische Konstellation ?

Thomas Kunz
Zunächst einmal: Dass Bürger und Bürgerinnen einen Impuls verspüren, nicht tatenlos zuzuschauen, sondern Geflüchtete zu unterstützen, das ist positiv zu bewerten! Nicht zuletzt auch, weil so viele durch ihre tatkräftige Unterstützung der an anderer Stelle beobachtbare rassistischen Hetze und Gewalt etwas entgegensetzen.

Die Ehrenamtlichen darauf hinzuweisen, dass ihr Helfen latent paternalistische Züge haben kann und dass die Gefahr besteht, auch was Entmündigendes zu haben, ist notwendig. Das muss aber mit Vorsicht geschehen, gerade weil sich viele Ehrenamtliche in ihrem Helfen verausgaben. Das Bewusstsein für die Gefahr dieser paternalistischen Asymmetrie ist aber wichtig, um sich die Integrationsangebote zu vergegenwärtigen, die von der Politik vorgesehen beziehungsweise nicht berücksichtigt werden.

Das einfache Helfen der ersten Phase muss sich absehbar wandeln in ein Angebot des Begleitens im Prozess des Ankommens. Es gibt Initiativen, die das Unterstützen von Flüchtlingen mit politischen Forderungen verbinden, wie etwa „Frankfurt für alle“; vereint sind darin Haupt- und Ehrenamtliche aus der Flüchtlings- und Sozialarbeit, aus Gewerkschaften und Kirchen. Zugleich geht es darum, den sich abzeichnenden Versuchen entgegenzuwirken, Interessen von Geflüchteten und anderen Benachteiligten-Gruppen gegeneinander auszuspielen.

Was sind denn die Forderungen?

Es geht – soweit ich das beurteilen kann - zunächst einmal um das Vernetzten untereinander, damit Ehrenamtliche und Hauptamtliche nicht gegeneinander ausgespielt werden, und vor allem darum, die Angebote für die Integration der Flüchtlinge zu verbessern und sie stärker als Akteure einzubeziehen. Das scheint von der Politik nicht erwünscht zu sein – so verstehe ich jedenfalls die Äußerungen von Bundesinnenminister de Maiziere, der vor ein paar Wochen in den Medien erklärt hat, die Flüchtlinge seien zunächst dankbar gewesen und würden jetzt anfangen, Forderungen zu stellen und eigenmächtig, man könnte auch positiv sagen: eigenständig handeln.

Das war zwar nur eine Zwischenbemerkung von de Maiziere, sie macht aber eine Positionszuweisung deutlich: Die Flüchtlinge haben gewissermaßen passiv, demütig und dankbar zu sein und als hilfsbedürftige Opfer keine Ansprüche zu stellen. Selbstbewusstes Auftreten von Geflüchteten und ein Auseinandersetzen mit der ihnen zugewiesenen passiven Rolle ist nicht nur nicht erwünscht, sondern wird als Undankbarkeit abgewertet. Diese Haltung spiegelte sich übrigens auch in einer Debatte um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wider, die Mitte November im Rahmen der Zuweisungsvorschriften von Frankfurt in andere Orte verlegt wurden. Presseberichten war zu entnehmen, dass einige Jugendliche unzufrieden waren mit ihren neuen Unterkünften und dagegen protestierten. Die Ursachen dieses Protestes wurden aber delegitimiert - in dem behauptet wurde, die Jugendlichen stellten überzogene oder ungerechtfertigte Ansprüche.

Die Referenzfolie ist: Wir nehmen Euch auf, seid dankbar, stellt keine Ansprüche und benehmt euch gefälligst. Wenn Geflüchtete als eigenständige Subjekte agieren, dann bekommen sie schnell das Label renitent, undankbar verpasst. Dieser Widerspruch muss viel mehr offengelegt werden. Wenn sie dann ein paar Jahre hier leben wird ihnen dann wiederum vorgeworfen zu passiv zu sein oder gar sich nicht integrieren zu wollen. Man sieht: Je nachdem, wie die Stimmung gerade ist, wünscht sich diese Gesellschaftlich ihre Geflüchteten mal als passiv oder aktiv, aber was diese Menschen selber wollen, interessiert kaum. Das wird dann schnell als Anspruchshaltung abgewertet.

Wie sehr wirkt sich das Thema Flüchtlinge im Fachbereich Soziale Arbeit aus?

Das Thema migrationsbedingte Vielfalt in Deutschland und dessen Bedeutung für Soziale Arbeit ist seit längerem in unterschiedlichen Modulen curricular im Studium verankert. Hinzugekommen sind weitere Aktivitäten. Student/innen und Kolleg/innen haben beispielsweise im Zuge des Aufkommens von PEGIDA im vergangenen Semester eine Veranstaltungsreihe initiiert, um Raum zur Selbstvergewisserung und Diskussionen über bestehende Lehrangebote hinaus zu bieten. Wir überlegen außerdem, ob und wie Lehrveranstaltungen und Praxisforschungsprojekte ausgeweitet werden können. Der gestiegene Bedarf an Fachkräften in der Arbeit mit Geflüchteten lässt sich nicht ad hoc kurzfristig abdecken; auf Nachfragen nach Weiterbildung und Fortbildungen wollen wir aber schon reagieren. Kollegen und Kolleginnen planen, auch in Seminaren, die bislang nicht originär mit der Migrationsthematik befasst sind, den Aspekt der Arbeit mit Geflüchteten einzubeziehen. Ferner gibt es Überlegungen für eine noch intensivere inhaltliche Vernetzung innerhalb der Kolleg/innenschaft sowie ein stärkeres Ausloten von Kooperationen mit Praxiseinrichtungen.

Festzustellen ist, dass sich Institutionen momentan stärker als zuvor an uns wenden. Das Feld der Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen scheint „abgegrast“ und es gibt einen spürbar gestiegenen Bedarf an Fachpersonal. Träger von sozialen Einrichtungen fragen beispielsweise bei uns nach, ob wir Stellenausschreibungen weiterleiten bzw. an unserem Fachbereich publik machen können.

Thomas Kunz ist Professor im Fachbereich Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences. Die Schwerpunkte des Gesellschaftswissenschaftlers sind sozialwissenschaftliche Fragestellungen zu Migration, Integration und Interkulturalität in der Sozialen Arbeit, insbesondere Analyse und Untersuchung gesellschaftlicher Fremdheitsbilder/Rassismus aus diskursanalytischer Perspektive.

Weitere Beiträge zur Flüchtlingspolitik in Hessen finden Sie auf der Länderseite unseres Dossiers "Wie schaffen die das? Die Flüchtlingspolitik der Länder" (zur Startseite).