Naturlose Ökonomen

Klimawandel mit Folgen: schmelzende Gletscher in Norwegen
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Klimawandel mit Folgen: schmelzende Gletscher in Norwegen

Wirtschaftswissenschaften sind nicht Evolutionstheorie. Warum also wird Wirtschaft als etwas Naturgegebenes betrachtet? Muss es nicht. Ein Appell der ökologischen Wirtschaftswissenschaftlerin Irene Schöne.


Der Oberste US-Gerichtshof hat den Klimaschutzplan von Präsident Obama aufgrund einer Klage von 27 Republikanern regierten Bundesstaaten und Verbänden gestoppt (ZEIT ONLINE, 10. Februar 2016). Der Mehrheitsführer im US-Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, bezeichnete die Initiative des Präsidenten als "unrechtmässigen Machtmissbrauch" und als Gefährdung von Energiesicherheit und Arbeitsplätzen. Doch steht für die Welt noch sehr viel mehr auf dem Spiel, nämlich die Einhaltung des in Paris im Dezember von 195 Staaten geschlossenen Klimaschutzabkommens.


Einmal abgesehen davon, dass damit eine Initiative des politischen Kontrahenten gestoppt werden soll, steckt dahinter zweifellos auch noch ein Nicht-zur-Kenntnis-nehmen-wollen, dass der Klimawandel erstens bereits erhebliche Auswirkungen hat und zweitens menschengemacht ist.


Klimawandel – ein natürliches Phänomen?


Und eine solche Ansicht ist nicht nur ein amerikanisches Problem. Wenn man sich die seit der industriellen Revolution feststellbare Klimaerwärmung ansieht und Handlungsmöglichkeiten dagegen diskutiert, hört man immer wieder das Argument, es handele sich um ein natürliches Phänomen, weil sich das Klima auf diesem Planeten im Laufe seiner Geschichte bereits mehrfach verändert hätte. Auch müsse der Mensch, um zu leben, immer in die Natur eingreifen und daher seien Naturschädigung nicht zu vermeiden. Deshalb bestünde auch kein Anlass, zu versuchen herauszufinden, warum unsere industrialisierte Form des Umgangs mit Natur solche Folgen zeitigt. Es ginge ja nicht anders.


Viele Menschen glauben außerdem nicht – besonders im United Kingdom, wie eine Umfrage des Pew Reseach Centers aus Washington bei über 45.000 Befragten in 40 Ländern ergab -, dass sie von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen seien. Das ist schon bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass gerade in Grossbritannien in den letzten Jahren tagelanger Starkregen mehrfach riesige Flächen des Landes unter Wasser gesetzt und Milliardenschäden verursacht hat. 


Aber selbst wenn den Pariser Vereinbarungen zugestimmt wurde, stellt sich auch noch eine weitere Frage, nämlich die, ob die Umsetzung von Maßnahmen gegen den Klimawandel lediglich Aufgabe von Regierungen ist oder ob nicht jeder den Ausstoß klimaschädlicher Gase reduzieren muss.


Was jeder tun kann, ist weitgehend bekannt; doch wie viele Menschen dies in ihrem Alltag beherzigen und ihr Handeln entsprechend ändern, nicht.


Zudem werden Problemlösungen gern den Naturwissenschaften zugeschoben. Mit unserer heutigen Form des Umgangs mit Natur habe es wenig zu tun, glauben viele.


Das verengte Naturbild der Ökonomik


Und schon gar nicht habe es mit Wirtschaftstheorie zu tun, die praktisches Handeln rechtfertigt. Die Form unseres Wirtschaftens erscheint uns als selbstverständlich und wir konnten sie ja auch auf der ganzen Welt verbreiten, so dass wir diese Form eher für natürlich, denn für kulturell entwickelt halten. Dabei haben wir sie doch vom direkten Austausch (Naturökonomie) über den durch Tauschmittel=Geld vermittelten Tausch (Kulturökonomie) bis zur Vertauschung von Ziel und Mittel des Wirtschaftens (Ökonomiekult) transformiert. Bereits im Jahre 1898 hat sich der US-amerikanische Ökonom Thorstein Veblen in einem sehr lesenswerten Essay (Why is Economics Not An Evolutionary Science?) darüber gewundert, dass die Ökonomik als "natürliche Ordnung" verstanden wird statt als ein bestimmtes kulturelles Verständnis einer bestimmten historischen Zeit. Man stelle sich nur vor, Naturwissenschaftler hätten sich gleichermassen verhalten. Die Revolution der Physik vor 100 Jahren wäre niemals zugelassen worden.


Zudem geht es ja auch nicht nur um den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen, der verringert werden muss, wenn das Leben auf diesem Planeten weiter so existieren soll. Es gibt auch noch andere Folgewirkungen unseres heute immer noch als rational angesehenen Umgangs mit Natur, wie das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, die Abholzung der grünen Lungen in den Tropen, der Anstieg der Meeresspiegel oder die zunehmende Verschmutzung von Böden, Meeren und Luft. All dies sollen keine Bedrohungen darstellen, weil sie angeblich natürlich seien und in Kauf genommen werden müssten? Wenn weltweit jährlich 5,5 Millionen Menschen vorzeitig durch Luftverschmutzung sterben, wie Forscher der University of British Columbia festgestellt haben (Die Welt, 14. Februar 2016) und allein in London bereits in der ersten Woche des Neuen Jahres das zulässige Jahreslimit an Schadstoffemissionen überschritten wurde, dann müssen wir das hinnehmen? Auch wenn dadurch jährlich 9.500 Londoner vorzeitig aus dem Leben scheiden (The Guardian, 8. Januar 2016)? Weil es nicht anders ginge? Das kann doch nicht wirklich ernst gemeint sein. 


Einerseits halten Ökonomen ihre Modellvorstellung von Natur für eine realitätsgerechte Wiedergabe der natürlichen Ordnung, andererseits räumen sie aber ein, dass ihre Theorie ein Defizit aufweist: Ihre Lehre sei nämlich naturvergessen. Deshalb schlagen sie vor, "intakte Natur" als vierten Produktionsfaktor neben "land, labour and capital" einzuführen, wie sie erstmals von dem schottischen Moralphilosophen Adam Smith, dem "Vater" der Ökonomik, im Jahre 1776 definiert wurden. Mit diesem vierten Faktor würde dann das Marktmodell, also das Angebot von Gütern und Dienstleistung und die Nachfrage danach vermittelt durch das Tauschmittel=Geld, dafür sorgen, dass "intakte Natur" produziert werden würde. Vom Markt, nicht von Natur. Schon bemerkenswert.


Nun muss man die so argumentierenden Ökonomen darauf aufmerksam machen, dass ihre Theorie gar nicht naturvergessen ist. Darauf hat der ungarisch-amerikanische Ökonom Karl Polanyi bereits im Jahre 1944 hingewiesen. Der Produktionsfaktor "land" ist nämlich nur ein anderer Ausdruck für Natur. Die Frage stellt sich daher, ob eine solche Auffassung von Land=Natur im 21. Jahrhundert immer noch angemessen ist.


Erweiterung und Modernisierung des Naturbildes


Und: Könnten wir nicht vielleicht sogar durch ein modernisiertes Naturverständnis eine vernünftigere Form des Umgangs mit Natur entwickeln, mit weniger schädlichen Folgewirkungen für das Leben auf diesem Planeten? Solche Fragen zu stellen, ist nicht gerade populär, doch als Wissenschaftler kommt man an ihnen nicht vorbei.


Natur wird von der Wirtschaftstheorie als ein beliebig verfügbares, externes Objekt, als Handelsware oder Rohstoff oder Bodenschatz oder Immobilie oder Umweltmedium oder manchmal auch nur als "das Grüne" aufgefasst. Dies sind jedoch nur zweckdienliche Annahmen, weder exakt, noch hinreichend. Schließlich ist der Mensch auch ein Teil der Natur. Wir nehmen mit jedem Atemzug Natur in uns auf und geben das nicht mehr benötigte Gas an unsere Mit-Natur (Klaus Michael Meyer-Abich) zurück. Da war selbst Adam Smith im 18. Jahrhundert schon weiter, als er – 80 Jahre vor Charles Darwin – den Menschen als "natural animal" bezeichnete.


Statt also weiter von einer heute überholten einseitigen Verfügungsgewalt des Menschen über eine ihm externe, einmal so geschöpfte und seitdem unveränderte Natur auszugehen, ist es angemessener, ein solch beschränkendes Verständnis zu erweitern hin zu einem wechselseitigen Interaktionsprozess zwischen Menschen als Teil der Natur und der selbstorganisierten evolvierenden Mit-Natur.


So würde die ökonomische Theorie ihr Verhältnis zur Mit-Natur modernisieren. Dazu bedarf es nämlich keiner ethisch-moralischen Appelle, sondern "nur" der Anerkennung der objektiven Fakten. Und damit wäre dann auch der Glaube überwunden, dass alles, was wir der Natur antun, keine Rückwirkungen auf uns selbst hätte.   


Im Übrigen: Entspricht nicht eine solche modernisierte Auffassung von Natur, dem natürlichen Menschen und ihrem stetigen, wechselseitigen Austausch dem Begriff "Ökologie", wie ihn sein Erfinder Ernst Haeckel, der deutsche Biologe und Freund von Charles Darwin, im Jahre 1866 geprägt hat, als er in Generelle Morphologie der Organismen schrieb: „Unter Oecologie verstehen wir die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle Existenz-Bedingungen rechnen können“.


Ergo, ohne die Naturauffassung der ökonomischen Theorie zu modernisieren, ökologisch zu modernisieren, wird es keine Lösung der Umweltkrise geben können.


 


Dieser Text erscheint ins Englisch übersetzt im Green Building eZine Spring 2016.


Das neueste Buch von Dr. Irene Schöne FAIR ECONOMICS = Nature, Money And People Beyond Neoclassical Thinking

ist bei Green Books, Cambridge/UK erschienen.