70 Jahre Tagesspiegel: Stipendiatinnen thematisieren in der Jubiläumsausgabe „die Freiheit“

Stipendiatinnen der Heinrich-Böll-Stiftung
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Die Stipendiatinnen der Heinrich-Böll-Stiftung

Für seine Jubiläumsausgabe hat der Berliner Tagesspiegel 13 Stipendiatinnen der Heinrich-Böll-Stiftung zu einem viertägigen Seminar in die Redaktion eingeladen. Worauf kommt es bei der Arbeit in einer Tageszeitung an?

Anlässlich seines 70. Geburtstags lässt Der Tagesspiegel die letzten Jahrzehnte erfolgreichen Journalismus’ Revue passieren. Im Mittelpunkt steht ein großer Begriff: die Freiheit. Nämlich die Freiheit der Presse, der Meinung und allgemein persönliche Freiheiten, die jeder individuell für sich entdeckt und schätzt. Dreizehn Stipendiatinnen der Heinrich-Böll-Stiftung wurden im Juli in die Tagesspiegel-Redaktion eingeladen, um an der großen Jubiläumsausgabe mitzuwirken.

Geleitet wurde das Seminar „Der Tagesspiegel: Tageszeitung, Print und Online“ von den Redakteur/innen Dorothee Nolte und Tilmann Warnecke sowie von Volontär und Böll-Alumnus Mohamed Amjahid. Während der vier produktiven Tage tauschten sich die Teilnehmerinnen nicht nur über persönliche Wahrnehmungen der Freiheit aus, sondern entwickelten sogar ihre eigenen Texte und lernten: von Recherche bis zum letzten Redigieren gibt es einiges zu beachten.

Am Donnerstagabend wurde das Seminar mit einer Kennenlernrunde eingestimmt. Unter anderem durch Darstellungen in Partnerinterviews wurden die Teilnehmerinnen vorgestellt. Schnell wurde allen deutlich, wie divers die Gruppe tatsächlich war. Das Altersspektrum reichte von 18 bis 30 Jahre. Die einen sind in Deutschland aufgewachsen, andere erzählten von ihren Migrationsgeschichten. Von deutscher Literatur über Politikwissenschaft bis hin zu Physik – auch Studienfächer variierten enorm. Was die 13 Teilnehmerinnen letztlich aber alle zusammenbrachte, war das Interesse am Journalismus.

Gleich aber ging es direkt an die Arbeit. Die Teilnehmerinnen hatten sich bereits im Vorfeld reichlich Gedanken über mögliche Artikelthemen rund um den Begriff der „Freiheit“ gemacht, welche sie nun mit der Runde teilten. Gemeinsam mit den Seminarleitern wurden die ersten Ideen ausgebaut, zusammengeführt, konkretisiert und die Nacht zum Überdenken gelassen.

Von der Recherche zum Schreiben

Am Freitagmorgen fanden sich die Teilnehmerinnen erneut zusammen, um die neueste Ausgabe des Tagesspiegels genauer unter die Lupe zu nehmen. Welche Texte haben gefallen? Was stand hervor? Und welche Aspekte wurden kritisch gesehen? Nachdem sich die Stipendiatinnen ausgiebig untereinander ausgetauscht hatten, ging es dann in die tatsächliche Blattkritik der Zeitung. Hier erlebten die dreizehn Teilnehmerinnen, wie Zeitung tatsächlich gemacht beziehungsweise geplant wird. Eine Stipendiatin meldete sich zu Wort und wies auf eine weniger gelungene und missverständliche Formulierung in der Ausgabe hin. Die Kritik wurde von der Redaktion zustimmend aufgenommen.

Im darauffolgenden Einzelgespräch mit Gerd Nowakowski – leitender Redakteur des Tagesspiegels - wurde noch der Aufbau der geplanten Jubiläumsausgabe im Detail besprochen. Auch allgemeinere Fragen über journalistische Arbeit und Karrierewege konnten die Teilnehmerinnen in diesem Rahmen loswerden. Mit den neuen Eindrücken im Hinterkopf ging es dann auch an die „echte“ Arbeit.

Erster Schritt: Recherche. Das hieß für die eine Teilnehmerin konzentrierte Materialsuche im Internet, für eine andere ein langes Telefonat mit einem Interviewpartner. Zwei Teilnehmerinnen fuhren mit dem Fahrrad quer durch Berlin, um O-Töne und potentielle Protagonisten zu finden. Eine weitere Teilnehmerin verbrachte den gesamten Nachmittag im Berliner „Höllenbus M41“ und sammelte dort Eindrücke für ihren Artikel.

Der Samstag stand unter dem Thema des Schreibens. Während die meisten Rechercheversuche erfolgreich waren, mussten einige wenige Teilnehmerinnen auch lernen, dass es im journalistischen Alltag Schwierigkeiten geben kann. Schnell wurden alternative Themen gesucht und auch gefunden. Danach stand eine kurze Schreibschule auf dem Programm: absolute DOs und DONTs des journalistischen Schreibens. Eine Stunde gefüllt mit wertvollen Tipps, die sofort beim Verfassen der Texte angewandt werden konnten.

Wie sich die Sprache verändert

Die Teilnehmerinnen lernten: bei der Tageszeitung geht es in erster Linie um den Informationsaspekt. Der Leser soll schnell und einfach erkennen, was wichtig ist. In der Umsetzung bedeutet das: möglichst kurze Sätze, simple Begriffe und ein logischer Aufbau. Nach der Mittagspause redigierten die Teilnehmerinnen einander bereits erste fertige Fassungen. Mit Kritikpunkten und neuen Impulsen versorgt, verbachten sie daraufhin den restlichen Tag mit der individuellen Überarbeitung der eigenen Texte.

Zum Abschluss des Seminars gab es am nächsten Morgen eine Führung durch das Redaktionsgebäude. Auch am Sonntag wird hier gearbeitet. Auf dem Gang vom Newsroom bis hin zur Fotoredaktion lernten die Teilnehmerinnen, wie sehr sich die Tageszeitung seit der ersten Auflage vor 70 Jahren verändert hat. Vor allem die Sprache hat eine bemerkenswerte Transformation durchlebt – heute legt die Redaktion viel größeren Wert darauf, möglichst keine wertenden Begriffe zu verwenden und politisch korrekt mit bestimmten Formulierungen umzugehen.

In diesem Sinne wurde auch das Seminar abgeschlossen. Die Teilnehmerinnen diskutierten noch, wie sie sprachlich auf die Genderdebatte eingehen wollen. Schließlich wurde sich darauf geeinigt, dass ein kleiner Infokasten neben den Artikeln der Stipendiatinnen erscheinen soll. Dieser soll darauf hinweisen, dass jede Autorin sich die Freiheit genommen hat, auf ihre eigene Weise mit Genderformulierungen umzugehen. So bedient sich die eine dem generischen Maskulinum, die andere verwendet das Binnen-I. Wichtig ist, aufzuzeigen, dass die Genderdebatte präsent ist und weitere Überlegung benötigt. Was im Journalismus sowieso immer der Fall sein sollte.